Blaues Band usw.

Die Tigerin steckt nach Monaten der Ruhe wieder in einer Krise mit Appetitlosigkeit und Erbrechen. Ich gebe ihr einen Krümel Mirtazapin, bald darauf geht sie an den Napf.

Der Bekannte weilt im Norden. Nachts liege ich mit ausgebreiteten Armen im Bett, ziehe mir auf dem Tablet Abenteuer Diagnose rein und freue mich, nicht auch noch an all diesen anderen seltenen Krankheiten zu leiden. Immerhin sind die vorgestellten Malaisen alle behandelbar und den vorgestellten Patienten geht es inzwischen wieder gut. Die Folgen in denen Parasiten vorkommen, überspringe ich.

Nach dem langen Winter trägt das liebe Tölchen eine nicht zu entfilzende Matte am Leib. Es wird Zeit für einen Haarschnitt. Bald.
Die spanische Miezekatze umarmt die Heizungsrippen, um sich zu wärmen. Erst im Hochsommer hört sie damit auf.

Die frisch geputzten Fensterscheiben halten die Sonnenstrahlen nicht mehr ab. Ich drehe die Lamellen ein wenig zu und blinzle in einen Streifen weissen Lichtes.

Am Nachmittag gehe ich eine Runde über den Platz. Der traurige Fünzigjährige mit den halblangen grauen Haaren und der speckigen Jeansjacke steht unberaten vor dem Eingang des Bethanien, sein frustrierter Retriever zieht feste an der Leine und will zu Tölchen. Entschuldigend lächelt der traurige Mann und ich lächle zurück und spüre einen kleinen Schmerz, ein wehes Bedauern, doch ehe das Gefühl Besitz von mir ergreift, schnappe ich meinen Hund, deren Hinterbeine schon wieder steif werden vor Schwäche und mache mich mit Tölchen auf dem Arm auf zum Baumarkt.

Bei der ehemaligen Galeria Kaufhof am Ostbahnhof klaffen riesige Löcher in der Mosaikfassade. Ein modernes Bürogbäude soll aus dem alten Kasten werden. Im Moment aber sieht er genau so aus, wie man sich drinnen immer gefühlt hat.
In Erinnerung an die guten alten selbstinduzierten Verstimmungen, setze ich mich in der Küchenabteilung von Hellweg probehalber auf einen viel zu hohen Barhocker, dem ein viel zu niedriger Tisch gegenüber steht und schaue mir das Plastikfurnier ringsum an. So ein Leben könnte man auch haben.
Die Klodeckelabteilung mit den originellen Motiven überspringe ich dieses Mal.

Draußen auf dem Freigelände stehen die ersten Primeln, Stiefmütterchen, Hyazinthen und Narzissen zum Verkauf und ich weiß nicht genau, ob mich die Pflanzenklone bedrücken, oder ob sie mich als Boten des Frühlings beglücken sollen.

Mit leeren Händen gehe ich später durch die Kasse, wo die gleiche Verkäuferin von immer die Stellung hält. Wir nicken uns zu und registrieren im Vorbeigehen, wie jede sich über den Winter verändert hat. Bei mir sind es ein paar graue Haare mehr, länger sind sie auch und die Wellen kommen zurück. Ihre Haare sind inzwischen wieder schwarz und zu einem dicken Seitenzopf geflochten. Ich trage dieselbe schwarze Jacke, sie ihren roten Kittel. Ich kein Makeup, sie ziemlich viel davon.

Im Eingangsbereich des Marktes wird umgebaut. Der Bäcker ist verschwunden und mit ihm die Frau mit dem schütteren magentaroten Haar und der verlässlich schlechten Laune. Die Ware war eher mau, doch die Laugenecken mochte ich, wie ich überhaupt Fettiges liebe, obwohl es mir nicht bekommt.

Auf dem sonnenbeschienenen, gleißend hellen Parkplatz tippelt ein Obdachloser im Rollstuhl mit zerrupftem Bart und zerschlissener Kleidung die Autoreihen entlang und schaut ob dem Ein oder Anderen beim Aussteigen vielleicht ein wenig Kleingeld aus der Hosentasche gefallen ist.  Ich würde ihm gerne etwas geben.

An der Ampel vor der Schillingbrücke stehen frische Blumen und ein verwittertes Kreuz für den hier verunglückten Radfahrer Jakob.
Das Pimmelhaus gegenüber ist verschwunden. Dort, wo es war, klafft jetzt eine Baugrube. Im Yaam gleich nebenan ist nichts los, die Stadt schläft noch und die Spree fließt gemächlich zwischen den Ufernmauern entlang.
Bald  werden die Menschen zurück kehren auf die Plätze.

3 (auf einer Skala von 1-10)

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Die Agrarwissenschaftlerin hat ein Gemüsebeet auf der Terrasse angelegt, das sie mit viel Hingabe beackert. Da kommt ein Mann in den Garten geschlendert und sticht sie vor meinen Augen nieder. Ihr Blut fließt auf die frischen Pflanzen, verklebt die ersten Keimblätter und ich stehe mit hängenden Armen und offenem Mund drinnen in meinem Aquarium, derweil der Mörder mit suchendem Blick weiter durch den Garten streicht. Es ist Nachmittag, kein Kind im Sandkasten, nur eine Katze stromert am Zaun entlang. Zum Glück bloß ein Traum.

Die Berichterstattung über den Fall gibt Rätsel auf. Wo waren die Eltern des Täters zum Tatzeitpunkt? Hat der 19Jährige tatsächlich ganz allein ein Haus bewohnt? Was hatte ein Beagle, der bei den Fahndungsaufrufen gezeigt wurde, mit all dem zu tun. Wieso und für wen könnte es von Relevanz oder von Interesse sein, dass die Eltern des Mörders (angeblich) Hartz-IV- Empfänger sind.
In irgendeinem Posting zum Thema bedankt sich einer von der Natürlich-hat-wieder- nix-mit-nix- zu-tun-Fraktion bei Frau Merkel. Er muss die Kanzlerin tatsächlich für allmächtig halten. Aus Mutti wurde Gott.

//

Das Internet ist in heller Aufregung über den BBC-Reporter in dessen home-office, während einer Live-Übertragung, die beiden Kinder hereingehopst und -gerollt kamen. Man ist noch nicht sicher, ob er ein Guter oder ein Nicht-ganz-so-Guter ist und ob man ihn verurteilen oder zumindest doof finden sollte, weil er das ältere Kind ohne hinzusehen weggeschoben und unterdessen versucht hat das Interview fortzusetzen. Alles in allem einigt man sich aber dann doch darauf, dass er ein lieber Papa ist, weil er a) Zuhause arbeitet und b) durch ein Schmunzeln verraten hat, dass er seine Kinder lieb hat.

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Der Bekannte hat schlechte Laune, behauptet aber er hätte gute Laune oder mindestens normale, also mittelmäßige, Laune. Doch seine Gesichtszüge verraten ihn und das liegt nicht allein an der Schwerkraft a.k.a. Erdanziehung.
Auf einer Skala von 1 bis 10?, frage ich ihn. 3, ist die Antwort, man kann nicht allezeit ein Hoch erwarten. Doch, das kann man. Erwarten ist ja eine Art Hoffen, wenn es um´s Glück geht, und ohne Hoffnung ertrüge man das alles überhaupt nicht ist alles viel schwerer. Außerdem ist 3 nicht mittel sondern mickrig.

Zugegeben, es war blöd, dass ich den Bekannten mit falschem Namen angesprochen habe. Ich finde aber Papa wäre weitaus schlimmer gewesen. So hat der Unterfranke mich früher manchmal genannt, versehentlich. Also Mutti natürlich, nicht Papa. Das hat mir damals auch die Mundwinkel in den Keller gezogen und die Laune auf 3 gedrückt. Zumindest beim ersten Mal. Heute ist Mutti ja quasi Gott oder wenigstens allmächtig, da würde es mir vielleicht weniger ausmachen ihren Namen zu tragen.

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Was sonst? Der Bärlauch schiebt sich aus der Erde. Die Katze kotzt Blut. Der Tierarzt schimpft mit mir und sagt: Das liegt am Katzengras, das hätten Sie ihr nie geben dürfen. Und ich sage: Aber ich habe doch extra in Ihrer Praxis angerufen und die Kollegin gefragt, ob das Katzerl Gras haben kann und sie hat gesagt, gar kein Problem, natürlich darf sie das. Und da antwortet der Tierarzt: Ach so, da sind meine Kollegin und ich aber verschiedener Meinung, ich lehne Katzengras für Kurzhaarkatzen grundsätzlich ab, das kann zu schweren Magen- und Kehlkopfverletzungen führen. Seufzend zücke ich mein Portemonnaie. Wieviel macht´s denn?
Er wird es auf die Sammelrechnung setzen, wie immer. Ich bedanke mich.
Auch der Hund hat schon bessere Zeiten erlebt. Mit schwachen Hinterläufen und tiefschwarzen Augen torkelt sie durch die Wohnung. Mehr als 10 Meter am Stück ist grad nicht. Draußen muss sie weiterhin getragen werden. Aber soll ich Ihnen mal was verraten? Ich gewöhne mich langsam daran. So ist es eben. Schwerer fällt es mir derzeit, Tag für Tag die selben Dinge zu erklären, und mir die Eigenarten und Empfindlichkeiten jedes einzelnen Menschen in meinem Umfeld genauestens einzuprägen, diese stets abrufbereit zu haben, und mein Verhalten auf´s Allerperfekteste darauf abzustimmen, weil sonst die 3 oder Schlimmeres droht. Bin ja auch nur eine fehlbare tikerscherk mit reichlich Gepäck auf dem müden Rücken.

Trotzdem: Frühling!

Musik:

(youtube direktlink. Bilderbuch, Bungalow)

 

 

 

 

Bild: Alexander von Halem, Emilio, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/

sans souci/ sorgenfrei

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An einem sehr heißen Tag waren wir zusammen in den Treptower Park gegangen. Stundenlang hatten wir auf der Wiese gelegen, auf das träge vorbeifließende Wasser und die Halbinsel Stralau geschaut. Wir hatten geplaudert, geraucht und an unseren Bierflaschen genippt. Hin und wieder kam ein Ausflugsschiff vorbeigeschippert, die MS Sanssouci oder die Monbijou. Oben auf dem Sonnendeck saßen Touristen und winkten den am Ufer Liegenden zu. Wir wedelten und winkten wie wild mit unseren Beinen zurück und die Touristen machten Fotos. Dit is Balin. Im Kielwasser der Schiffe schaukelten Tretbootchen neben Stockenten, ab und an brauste eine Motoryacht vorbei und schob einen Kranz weißer Gischt vor ihrem Bug her. Lastkähne kreuzten tutend und alle halbe Stunde tauchte das feuerrote Wasserflugzeug am Himmel auf, um weiter hinten in der Rummelsburger Bucht zur Landung anzusetzen. Bald würde es zu seinem nächsten Stadtrundflug starten.
Es war drückend heiß, die Luft feucht und im Osten bildeten sich schon die ersten Wolkengebirge. Das zweite Bier hatte mich rammdösig gemacht. Ich schloss die Augen und lauschte dem Murmeln der beiden anderen. Ab und an lachten sie leise, dann war es eine Weile ruhig.
Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen oder ob ich bloß gedöst hatte. Wahrscheinlich war es das Gickeln und Grunzen neben mir, das mich weckte. Bestimmt kitzelten sie sich gerade gegenseitig. Langsam öffnete ich das linke Auge und blickte in den Himmel, der dräuend über uns hing. In der Ferne grollte es ganz leise und es klang wie entferntes Möbelrücken. Ich dachte an den Nachbarn, damals in Frankfurt. Nacht für Nacht hatte er schwere Gegenstände, vielleicht Klaviere oder Schrankwände, durch seine Wohnung geschoben und ich war ihrem Weg durch die Räume mit den Ohren gefolgt. Am frühen Morgen, wenn die ersten zur Arbeit gingen, hörte er auf damit. Ich dachte viel über den Mann nach, der, begegnete man ihm im Treppenhaus, einen ganz normalen Eindruck machte. Vielleicht hatte er einfach Schlafstörungen, oder er war Inneneinrichter mit einem schlecht ausgeprägten Vorstellungsvermögen. Möglicherweise  war er auch einfach nur einsam und traurig. Der Gedanke hatte eine so ungünstige Wirkung auf meinen gerade erwachenden Geist, dass ich ihn schnell beiseite schob. Neben mir lachte es noch immer leise. Ich öffnete nun auch das zweite Auge und drehte den Kopf. Von rechts schob sich eine dunkle Wolkenfront heran. Es würde bald regnen.

Während die Kolumbianerin sich noch über meine zielsichere Wetterprognose wunderte und auf dem Rücken liegend weiter in den Himmel starrte, hatten B. und ich uns bereits aufgerappelt und klaubten rasch unsere Sachen zusammen. Nachlässig stopften wir alles in die Rücksäcke und schauten hin und wieder zu der Baumgruppe hinter der Wiese, deren Wipfel auf einmal vollkommen regungslos in der schweren Luft standen. Auch die Vögel waren verstummt.
Est war inzwischen so schwül, dass uns bei jeder Bewegung der Schweiß herunterann. Auf meiner Oberlippe sammelte sich Wasser. Kaum waren wir fertig und hatten auch die letzte Kippe eingesammelt, fingen die Kronen der Bäume schon an, sich hin und her zu wiegen. Ein leises Rascheln und Wispern war zu hören, das sich bald zu einem kräftigen Rauschen steigerte. Unterdessen verdunkelte der Himmel sich rasend schnell und die blauschwarze Walze hing bereits über der Insel der Jugend. Die silbrigen Blätter der Pappeln und Linden begannen kurbelnd und winkend im Wind zu flirren. Erste Böen kamen auf und fuhren in die Baumgruppen, die sich unter den jähen Stößen hin und her warfen wie ekstatische Tänzer. Das Grollen wurde lauter.
Staub wirbelte hoch und kreiselte über die fast ausgestorbenen Parkwege. Die letzten Radfahrer strebend geduckt in Richtung Puschkinallee davon. In der Ferne blitzte es vereinzelt. Wir legten einen Zahn zu.
Als wir beinahe schon am Hafen angelangt waren, brachen die ersten schweren Regentropfen aus der schwarzen Wand und platschten auf die staubigen Bäume, auf den Rasen, auf uns. Innerhalb von Sekunden hatte es sich eingeregnet, die Wiesen dampften und ein erdiger Duft hing in der Luft. Da blieb die Kolumbianerin ganz unvermittelt stehen, streckte beide Arme in den Himmel und stieß einen Jubelschrei aus.
Wir sahen sie an. Der Regen prasselte in Wellen auf uns herab und es hatte deutlich abgekühlt. Während wir uns noch bemühten extra flach zu atmen, damit der nasse Stoff nicht an unseren warmen Körpern festklebte, zog die Kolumbianerin erst ihr Shirt und dann ihren Rock aus und fing an zu einem inneren Takt zu tanzen.
Wir zögerten einen Moment. Dann legten auch wir die Rucksäcke auf die Erde, streiften unsere Kleider ab und taten es ihr gleich.

 

 

 

 

 

 

Bild: Mompl, flickr, Wasserflugzeug
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

 

 

 

Vom Schreiben, vom Leben und vom Glück (ein Award)

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Sabine, formerly known as Rock´n´Roulette, hat mich für den Liebster Award nominiert.
Das freut mich ganz besonders, weil wir beiden uns schon seit unseren Bloganfängen kennen, sich unsere Wege immer mal wieder verlieren und dann doch wieder kreuzen, so, wie jetzt. Herzlichen Dank für die Nominierung und die interessanten Fragen, liebe Sabine!

Und hier meine Antworten:

Wie fühlt sich Glück an?  Warm (happines is a warm puppy).

Warum? Es gibt kaum etwas Schöneres, als eine warme Hand im Nacken oder auf der Stirn zu fühlen, den warmen Bauch eines Welpen zu streicheln, am flaumigweich duftenden Kopf eines Kindes zu riechen, ein vibrierendes Meisenkind in der Hand zu halten, das warme Blut durch die Adern fließen zu spüren, zu leben. Wärme ist Leben ist Glück.

Wo warst du zuletzt am liebsten? Die schönsten Tage des Jahres verbringe ich alljährlich in den Alpen. Dieses Mal in Murnau. Es gibt nichts, was mir soviel inneren Frieden und Ruhe gibt, wie die blaue Silhouette der Berge, ihre stille Erhabenheit und die unvergleichliche Luft. Am Abend oben auf dem Feldweg zu stehen und auf den vergoldeten See zu blicken, ist für mich ein unbeschreibliches Glück.

Was war 2016 für dich? Es ist das Jahr, in dem meine Mutter gestorben ist und die Welt ins Strudeln geriet.

Was wirst du mitnehmen, was hast du gelernt? Ich habe gelernt Abschied zu nehmen und zu verzeihen. Meine Erwartungen dem Leben anzupassen und nicht umgekehrt. Und ich habe gelernt, dass das, was man am wenigsten erwartet jederzeit geschehen kann. Die wichtigste Lektion des Jahres ist: nicht warten, nicht aufschieben: the future is now.

Was hältst du vom NaNoWriMo? Das hat irgendwie mit ganz viel schreiben in ganz kurzer Zeit zu tun, oder? Dazu müsste ich mir erst mal eine fundierte Meinung bilden. Grundsätzlich ist es wahrscheinlich ganz gut ein Konzept zu haben, mit dem man sich zum Schreiben motivieren kann. Ich brauche das aber eigentlich nicht, denn ich muss sowieso jeden Tag schreiben, weil mir sonst was fehlt. Da ich keine Botschaft habe, nicht berühmt werden will, kein Buch veröffentlichen möchte, im Grunde meines Herzens faul und ohne jeden Ehrgeiz bin, es außerdem lieber überschaubar und familiär mag, reicht mir sowohl mein Output, als auch die Reichweite meines Blogs. Alles andere wäre mir viel zu anstrengend und trübte nur meine Freude. Um die allein geht es mir aber beim Schreiben. Sie ist mir Motor und zugleich Belohnung (neben den vielen klugen und freundlichen Kommentaren natürlich).

Wie funktioniert Schreiben für dich? Wenn es gut läuft schreibt es mich  (écriture automatique) und ich bin nur das Medium, das den Stift hält,  bzw.das Diktat über die Tastatur auf den Bildschirm bringt. Manchmal ist Schreiben auch Arbeit, bzw. eine Übung. Dann feile ich, denke nach und korrigiere, suche Synonyme oder Antonyme, denke über Alliterationen nach, verknappe meine Sätze systematisch, streiche wertende Adjektive usw. Heraus kommen dann meist die Texte, die technisch einwandfrei, aber für mein Empfinden vergleichsweise blutleer und kalt sind, also keine Seele haben. Gute Texte schreiben sich wie im Vollrausch und hinterher bin ich erschöpft und überrascht , was ich da zustande gebracht habe. Wenn ich dem Kopf zuviel Raum lasse und plane, wird das nix.

Happy End oder realistische Sachlichkeit? Meine Texte sind selten fiktiv, deswegen gibt’s nur ein Happy End, wenn es ein Happy End im `richtigen´ Leben gab (insofern  also eher realistische Sachlichkeit). Als Katastrophenchronistin geht fast jedem glücklichen Ende ein spektakulär anstrengendes Vorspiel voraus, das Happy End ist daher eher so etwas wie erleichtertes Aufatmen, die Ruhe nach dem Sturm, die Freiheit des nothing-left-to-do, oder das Trümmerfeld mit seinem Versprechen bzw. der Hoffnung des Neuanfangs.

Worüber würdest du am liebsten alles wissen wollen? Am allerliebsten möchte ich über gar nichts alles wissen. Ich liebe Geheimnisse, ich liebe es immer weiter lernen zu können, in allen Bereichen. Ich möchte nicht an einem Ende ankommen. Mich interessieren Fragen und weniger die Antworten darauf. Antworten müssen neue Fragen aufwerfen, sonst wären sie eine Sackgasse, in der alle Entwicklung endet. Ich bezweifle aber ohnehin, dass man über irgendetwas alles wissen kann. Ich würde trotzdem gerne mein Wissen in dem einen oder anderen Gebiet vertiefen, z.B. über Geschichte, Architektur, Biologie u.a.m.

Wenn du eine Sache ändern könntest – was wäre es? Könnte ich nur eine Sache ändern, dann würde die G. nicht an Krebs sterben. Und wenn ich noch etwas ändern dürfte, dann wäre ich nicht krank.
Global gesehen wären natürlich ganz andere Dinge wichtig, ich verstehe die Frage aber jetzt einfach mal nur auf mich und meinen Kreis bezogen.

Wenn du eine Sache bewahren könntest – was wäre es? Mein Vertrauen, meine Liebe.
(Liebe ist Wärme ist Leben ist Glück).

 

 

 

Müsik zum Glück: Eric Satie, Gnossienne no. 5 (überirdisch schön!)

(youtube-Direktlink)

Dieses Mal reiche ich den Liebster-Award nicht weiter. Sollte aber jemand Lust haben, die Fragen zu beantworten, kann er/ sie dies sehr gerne in der Kommentarspalte tun, oder im eigenen Blog.
Ganz herzlichen Dank nochmal an the fabulous Rock´n`Roulette!

Bild: Johann Ebend, Fliegender Teppich, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/
 

Doppelte Sonne

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Um mich glimmernde / Sternchen:
Glühwürmchen spielen / Weltall am Waldrand.

(Josef Guggenmos)

 

 

 

Bei E 23 sind wir vom Weg abgebogen.
Auf einem bemoosten Grabhügel ohne Stein haben wir die Lilien abgelegt.
Fünf Menschen, zwei Hunde. Töle musste Zuhause bleiben, zu wackelig und schwach.

Gut wird nichts dadurch, aber das Staffelholz ist weitergereicht an eine andere Linie.
Den Ring, den ich als Jugendliche bekam, trägt jetzt ein Mensch, der ihm eine neue Bedeutung geben wird.

Am Abend die doppelte Sonne über den beiden Türmen.

/

Von draußen vibriert die Musik in meine Wohnung, Hofgelächter. Klänge vom Platz. Gleich zwei Feste finden dort statt, eines für Bücher und eines von Flüchtlingen und Ströbele tritt in der Kirche auf.
Warme Sommerluft weht durch die geöffnete Terrassentür in die Küche.
Selbst in der Dunkelheit schimmert der Garten noch grün.

Nur Glühwürmchen fehlten noch zum Glück.

 

 

 

 

 

Bild: t.truckle flickr_K5P1822.jpg
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/

sriii sriii

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Geh in die Küche, niemand darf Dich sehen, robbe dorthin
, war das erste Kommando, das mein Hund lernte, als er noch bei den Kosmonauten lebte, eine Geschichte, so uninteressant, wie ihr Anfang.

/

Der Kanzler ist zu Besuch. Wir reden über dies und das, auch über seine neuen politischen Haltungen und Einsichten. Eigentlich redet nur er und ich höre zu. Es lohnt nicht dazwischen zu gehen, es macht alles nur hitziger und schärfer.
Später lockert sich meine Kiefersperre. Ich stelle Zwischenfragen, aus deren Ritzen und Scharnieren meine Zweifel blitzen. Das bringt ihn noch mehr in Fahrt, doch es bleibt friedlich zwischen uns.

/

Der Nachmittagsspaziergang durch die Königsheide war eine gute Idee. Nach anfänglichem Zögern läuft der Kanzler entspannt mit und ist gefangen von der Lieblichkeit des Waldes. Hoch steht das Gras zwischen den Bäumen, das Licht fängt sich in den Härchen des Glatthafers, die Blätter der Maiglöckchen leuchten am Fuße der frischgrünen Eichen, Fliegen tanzen in der würzigen Luft und über allem sirrt das sommerliche Versprechen eines Anfangs.

Erinnerungen an la Forêt de Brocéliande, den Zauberwald, irgendwann in einer weit entfernten Zeit.

An dem rostigen Zaun des ehemaligen Kinderheimes treffen wir auf zwei ältere Frauen, beide mit Hund. Die Staffordhündin der einen trägt einen Ledermaulkorb.
Fressschutz, sage ich, als sie verwundert vor Töle stehen bleibt und deren Maulkorb bestaunt, die tut niemandem was.
Meine auch nicht
, doch sie sucht nach Menschenkot.
Uns schüttelt es. Dass die Leute überhaupt ins Gebüsch machen müssen, obwohl sie nicht mal obdachlos sind, denke ich. Ich kann mich nicht erinnern jemals. Außerdem kann man es doch danach. Aber wer denkt schon an Hundebesitzer, wenn er. Lassen wir das.

/

Seit drei Jahren kein Alkohol, auf den Tag, fällt mir auf, als wir nach dem Spaziergang in der Kolonie Hermannsruhe unter hohen Bäumen sitzen und der Kanzler seine zweite Weisse mit Schuss bestellt, während ich ein Wasser trinke. Eigentlich sollte es nur ein Jahr werden, aber dann blieb es dabei und ich vermisse nichts.
Der Unterfranke kommt angeradelt und versorgt uns mit Gebäck aus der lärmenden Tütenwelt auf  der anderen Seite des Waldes. Während wir essen schnuppern die Hunde sich durch den Garten, der mit seinem abendlichen Lichtspiel auf dunkler Erde an das Waisenhausgemälde Liebermanns erinnert.

Wir plaudern dies und das und reden über jenes, nur nicht über die verstorbene Mutter und Exfrau. Sie sitzt sowieso mit am Tisch, sonst wäre ich nicht da und der Kanzler nicht bei mir.

Am ersten Juni wird ihre Seebstattung sein.
1616, ein Datum, das ich nie vergessen werde.

/

Zurückgelehnt sitze ich im Stuhl, die Arme hängen entspannt herunter. Wir schweigen, benommen von soviel frischer Luft und Fülle. Aus ihrem Schattenplatz blinzelt Töle mich an und wedelt. Ich blinzele zurück, da steht sie auf, trottet zu mr herüber und drängt den warmen Kopf in meine Hand. Mit geschlossenen Augen kraule ich ihre Ohren, langsam und gleichmäßig geht ihr Atem, bald schläft sie im Stehen ein. Wie gern ich sie habe.

Das Auto ist auf einem Parkplatz in Johannistal. Den Rückweg dorthin gehen wir über schmale Trampelpfade im Wald hintereinander her, jeder in seine Gedanken versunken und von glückseliger Wehmut erfüllt.

/

Am Abend kommen wir nach Kreuzberg zurück. Der Himmel ist groß, das Herz ist weit  und die Mauersegler vermessen rufend das große Blau.

Sriii sriii

 

Ich liebe mein Leben.

 

 

 

 

 

 

Lieben

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Ich lese andernorts über das Vergehen der Liebe und über das Entlieben.
Darüber, wie es ist, wenn man versucht nicht mehr an den geliebten Menschen zu denken, wie traurig es macht und wie unendlich viel Kraft es kostet.
Das Abebben bestimmter Hormone, das Meiden sozialer Netzwerke und gemeinsamer Freunde. Keine Anrufe, keine sms. Keine Fotos anschauen.
Wie man sich auf einmal frei und stark, oder aber hart und ganz verloren fühlt.

Die Zeit vergeht, der Schmerz mit ihr. Bilder verblassen.
Immer seltener denkt man an den Anderen, den Menschen für den das Herz schlug.
Und eines Tages erwacht man und ist geheilt. Frei. Der Bann ist gebrochen.
Man hat sich die Welt rückangeeignet. Das Café, ein Lied, eine Straße.

(Wie sollte das gehen? Ganz Berlin ist durchdrungen von dir)

Ich versuche mich zu erinnern und spüre, wie der leiseste Gedanke daran mich sehr, sehr traurig macht. Das Ende der Liebe erscheint mir als der größtmögliche Schmerz. Die Amputation eines lebenswichtigen Organes. So schlimm beinahe, wie der Tod des geliebten Menschen.

Dance me to the end of love

Und dann frage ich mich, was eigentlich los ist mit mir. Wieso tue ich mir solche Gedanken überhaupt an? Wir wollten schon nicht 45 years zusammen gucken, uns nicht betrüben mit anderer Leute Kummer (es gibt genug davon im eigenen Leben, und es nützt ja niemandem, schon gar nicht, wenn es sich bloß um ein Filmpaar handelt. Aus dem gleichen Grund schaue ich fast keine Nachrichten mehr: I can´t help it).
Nicht im Schatten frieren, während die Sonne scheint. Das haben wir gesagt. Wir haben es so schön zusammen, in jeder Hinsicht.

Was ist es, dass ich selbst in den glücklichsten Phasen meines Lebens an ihr Ende, an das Unglück, das zwangsläufig über mich kommen wird, ja kommen muss, denke?

Ist es die Gewohnheit der Katastrophenchronistin, habituelles Leiden also, oder die Einsicht, dass alles was entsteht in jedem Fall zugrunde geht, oder ist es vielleicht prophylaktisches Leiden, Vorleiden sozusagen, um das, was auf mich zukommt schon in Gedanken zu durchleben und auf diese Weise gefeit zu sein, wenn es wirklich einmal so weit ist. Mich impfen gegen den zu erwartenden Schmerz.
Sollte man es dann nicht gleich sein lassen? Unter der ständigen Erwartung des Verlustes kann es nicht gut werden, bzw. gut bleiben.
Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Hier zeigt die Redewendung ihren tieferen Sinn.

Vor Jahren erzählte mir ein neuseeländischer Freund von einer wunderbaren Frau, die er getroffen habe. Sie hatten eine tolle, besondere Zeit miteinander, verstanden sich gut, lachten viel, führten interessante Gespräche, begehrten sich leidenschaftlich, aber er konnte nicht mit ihr zusammen bleiben. Nach ein paar Wochen beendete er die Liaison und brach den Kontakt vollständig ab.

Wieso das denn, frug ich ihn.

Weil sie fast vierzig war.

Aber sie gefiel dir doch.

Sehr. Aber bald ist sie alt, und dann gefällt sie mir nicht mehr.

Vorbeugendes Schlussmachen also?

Sozusagen.

Hast du ihr das gesagt?

Nein.

Natürlich war das keine Liebe, sonst hätten ihn die Falten der Zukunft nicht interessiert, die Liebe liebt auch die Schwielen an den Füßen und die Krähenfüße unter den Augen, aber es hätte Liebe werden können. Vielleicht beschwört man die Dinge erst durch seine Gedanken.
Es ist beinahe schon eine Binse, aber der einzige Weg glücklich zu sein ist das Leben im Hier und Jetzt. Sich an dem erfreuen, was ist. Es nicht betrauern, solange es währt.
Achtsam umgehen mit dem, was einem gegeben ist. Keinen Horizont zeichnen, wo keiner ist. An die Ewigkeit glauben und das Beisammensein nicht mit bangem Hoffen beschweren.
Je weniger Lebenszeit vor mir liegt umso zuversichtlicher werde ich, dass ich sie im Glück und in Liebe verbringen werde.

Love you, darling.