Watch out/ Birder´s Delight

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Draußen sägt oder laubbläst jemand. Genauer kann ich das unangenehme Geräusch nicht einordnen. Die besondere Akustik des fensterlosen Bades erschwert die Analyse.

Was, so frage ich mich in einem Anflug von Abenteuerlust und Paranoia, wenn die Lärmmacher da draußen einen ganz anderen Auftrag hätten (they are calling from the agency), plötzlich mit Kettensägen vor meiner Wohnung stünden und das Türblatt zerlegten?

Würde ich mich wundern, woher um Himmels Willen sie den Strom für ihr Berserkertum bezögen und würde ich sodann versuchen durch hektische Inbetriebnahme sämtlicher Elektrogeräte (6 Radiatoren, 4 davon technisch überholt) für einen Kurzschluss auf der Etage zu sorgen oder würde ich, um keine wertvolle Zeit zu verlieren, durch das Fenster zum Garten hin fliehen, auf die Gefahr hin, dass ein mit den örtlichen Gegebenheiten bestens vertrauter Komplize mir dort bereits auflauerte, um mich mit anderem Gerät zu traktieren bzw. zu zerschreddern, wie selmols der Müller den Max & den Moritz.

Bei einem vorsichtigen Blick auf das Straßengeschehen stelle ich fest, dass wohl tatsächlich zunächst ein lange abgestorbener Baum gefällt wurde und nun, mithilfe eines Häckslers, zur Vernichtung des Totholzes geschritten wird. Ein großer Mann mit  blondierten Haaren zwingt mit vollem Köprereinsatz die dicken Äste in das hungrig klaffende Maul des Gerätes. Der Boden ringsum ist übersät mit Spänen. Ein Komplize ist weiterhin nicht in Sicht.

Ich schaue ans andere Ende der Straße, wo der riesige Hölzfäller, die Axt lässig geschultert, auf seinem Sockel steht und gen Westen schreitet. Dicke Schneeflocken wehen ihm ins bärtige Gesicht. Ein amerikanischer Straßenkreuzer schiebt sich von links ins Bid und kommt vor meinem Haus zum Stehen. Die Tür des Wagens öffnet sich, eine Frau steigt aus. Sie trägt eine dicke Daunenjacke mit Fellkapuze.

Ihr Mann, der hier ebenso wenig sichtbar ist, wie ihre noch frische Schwangerschaft, hat irgendetwas zu tun mit einer Briefmarke mit Stockentenmotiv, was sie und ihn mächtig stolz macht und mich sofort an New York denken lässt, wo derzeit eine bunte Mandarin-Ente, wie sie auch im Tiergarten manchmal umherpaddeln, die Bewohner und Touristen in Verzückung versetzt, während im Restaurant um die Ecke Knusprige Entenbrust angeboten wird.

Die universelle Regel lautet wahrscheinlich: ein schönes Gefieder kann deine Haut ebenso retten wie gefährden, je nachdem. Oder einfacher: watch out!

 

 

 

 

 

 

Bild: Ausschnitt von  pmi 2008, vigilant birders, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/

Brazil

ToKatzja

Erst zwei, dann drei Finger und schließlich die ganze Hand stecke ich durch das kleine Loch, dehne es behutsam auf, um endlich mit beiden Händen knöcheltief hinein greifen und heherzt die Leinwand zerreissen zu können, wie auch die Flammen die papierne Karte züngelnd zerfressen, immer ausgehend von Virginia City, dem Schoß der Welt. (Virgin Suicide)
Hinter den neu entstandenen Öffnungen, den Brand- und Kraft-, den Wut- und Willenskratern liegt das weite Land. Am Horizont die Berge, mein ewiger Trost.

In meinem Traum sind wir in Brasilien, vielleicht auch in Italien. Das Flachdach unseres verglasten Bungalows ist nierenförmig. Fast berühren sich seine Enden und in dem so entstandenen Patio sitzen zwei Menschen mit Rundfrisur auf einer Betonbank. Die Wangen nah beieinander sind sie vertieft in ein vertrautes Gespräch.

Ich schaue aus dem Fenster wie in ein Terrarium hinein oder wie aus einem Aquarium heraus. Das Licht ist hell, aber nicht gleißend, über allem liegt ein grüner Schimmer, Moos wächst aus den Fugen, ein paar Halme hier und da.
Die Luft zum Klingen zu bringen, genügte ein Gäbelchen.
Ich sehe mich nach dem Hund um, der schlafend hinter mir liegt.

Es ist möglich, denke ich, Unterhaltungen über große Entfernungen zu führen, selbst wenn kein Wort gesprochen wird. Die Töne sind immer da.

Auf dem Perron stehe ich. Der Zug ist eben abgefahren und ich lausche dem Sirren der Gleise. Schwarz die Silhouette der Bäume.

 

 

 

 

 

Bild: Oscar_from_Denmark, flickr, Happy Easter!
Lizenz: All rights reserved (with kind permission of the artist- thanks a lot!)

 

Drachelstaat

 

Die Tage ziehen vorbei und mit ihnen unzählige Bilder. Erlebte und erträumte Szenen. Viel Licht dabei und dazwischen immer wieder düstere Nischen.

Meine Wiege sehe ich. Sie steht unter einem Gaubenfenster. Milchiges Winterlicht fällt hinein, körnig und weiss wie das Mulltuch, das man mir vor den Mund gelegt hat. Eine Schnur ist quer über mir gespannt, kleine bunte Gegenstände sind wie Perlen daran aufgereiht. Ich betrachte sie und schlafe darüber ein.

Später stehe ich auf einer Wiese. Ich bin 5 oder 6 Jahre alt und habe zwei Zöpfe links und rechts. Mein Haar ist haselnussbraun, mein kurzes Kleid rosa gemustert. Ich trage Kniestrümpfe. Vor mir steht ein Schaf und schaut mich an. Ich möchte das Schaf streicheln, aber ich fürchte mich ein wenig. Stattdessen zupfe ich grauweisse Wollfetzen von dem Stacheldrahtzaun und verwahre sie Zuhause in einer alten Zigarrenkiste.

Ein paar Bilder weiter sitze ich in der Schule. Die Lehrerin trägt ein dunkles Kleid mit vielen erleuchteten Fenstern darauf. Wie ein Advendtskalender, denke ich, doch sie sagt: Das ist New York.
Als ich mit dem Hund am Bethanien vorbeischlendere, ist es plötzlich wieder kurz nach der Jahrtausendwende und vor der altehrwürdigen Fassade des Gebäudes steht eine Handvoll Kapuzenträger und grölt in die Schwärze der Nacht hinein:  Ihr seid keine Kreuzberger! und: Geht zurück nach 61! Gemeint sind die Bewohner des eben erst gegründeten Wohnprojektes New Yorck.

Ob es dieselbe Nacht war, in der ich auf der Westseite des Parks auch dem bärtigen Mann mit den kurzen dicken Beinen und der speckigen Lederhose begegnete, der seine drei Hunde spazierenführte, wobei der Kleinste die Leine des Größten zwischen den Zähnen hielt?
Scheißprägungsphase, nuschelte der Mann, als ich ob dieses merkwürdigen Anblicks laut auflachte, und: Kinder haben ihn an den Hinterbeinen gezogen, als er noch ein Welpe war.
Ich spürte einen Schmerz in der Leiste, nickte und ging weiter.

Die Hecken von damals sind verschwunden. Wegen der Ratten und wegen der Obdachlosen. Verschwunden ist der klingende Katamaran, verschwunden die Telefonzelle in meiner Straße und erst kürzlich verschwunden die Litfaßsäule.

Auch der Liebesnagel wäre verschwunden, hätte ich nicht beizeiten, ehe das Einebnungskommando kam, ihn aus dem Boden gezogen unter dem Vorwand, ihn in der Spree versenken zu wollen. In Wahrheit habe ich ihn natürlich in den bunten Seidenbeutel gelegt, wo er seither, zusammen mit dem Lottozahlengenerator, einem Abzeichen der KPD/ RZ und anderen Schätzen, darauf wartet, dem Pferdemädchen übergeben zu werden, welches fortan die Liebe und das Leben und die Erinnerung, weiter tragen wird, wie ein Staffelholz.

Die Hummel am See

Als Leke bezeichnet man in Norddeutschland kleine Entwässerungsgräben.
Schlot heissen sie, wenn sie zwischen zwei Häusern verlaufen.

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Mit gestriegeltem Haar und stramm geschnürtem Fußkorsett marschierst du allmorgendlich davon in deine Welt der sorgfältig hintereinander geschichteten Fokusse: Gedankengänge.

Alles an dir ist Disziplin, ist Ordnung, hat System. Selbst das sonntägliche Sichtreibenlassen und die damit verknüpften Bartstoppeln haben ihre Zeit und ihren Ort.

Dass ich nicht weiß wie du riechst, ist nicht allein meiner Dysosmie geschuldet. Du setzt deine Marken anders. Bewusst.

Wir müssen reden, bin ich geneigt zu sagen, obwohl nichts zu sagen mir einfällt, weil die kleinen Dinge nicht lohnen und die großen unaussprechlich sind wie die Familiengeheimnisse, die wir in uns tragen.
Dinge lösen sich auf, denke ich, das normalste der Welt und weiter nicht der Rede wert.
Nichts wird gut oder anders oder besser durchs Reden, würdest Du vielleicht antworten, wenn dieses Stadium wir nicht längst überschritten und uns dauerhaft eingenischt hätten in der Sprachlosigkeit. Wir können nicht reden über all das was wir beschweigen seit Anbeginn, damit nicht zusammenstürzt was brüchig, was Erbe ist.

 

Unvergessen die Hummel am Wannsee. Wie sie emporstieg in den blauen Frühlingshimmel, vor uns das Wasser und im Rücken die Villa, und wie ich ihr hinterher sah, und als mein Blick sich wieder senkte ich in deine Augen schaute, die auf mich gerichtet und so voller Bitterkeit und Argwohn ich  fand.

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Von Güterzügen wollte ich schreiben und tue es nicht, weil das auf´s falsche Gleis uns führen würde.

 

 

 

Bild: diadà, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

Kolibri

                                                               

Fünf Tropfen meines mühselig aus dem Finger gepressten Blutes

(und wie sie so nähte und nach dem Schnee aufblickte, stach sie sich mit der Nadel in den Finger, und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee)

befinden sich auf dem Weg nach Österreich. Dort soll meine Desoxyribonukleinsäure auf einen angenommenen genetischen Defekt, eine seltene Speicherkrankheit, hin untersucht werden, welche sich hoffnungsspendenderweise mit regelmäßigen Infusionen behandeln ließe. Allein: ich bin sicher, diesen Defekt nicht zu haben.

Mittlerweile frage ich mich, ob es meiner exzentrischen Ausstrahlung geschuldet ist, oder ob das Vorhandensein schwerwiegender Vorerkrankunger die Phantasie der Mediziner derart beflügelt, denn immer, immer soll es der schillerndbunte Kolibri sein, wenn Mutmaßungen über meine Gesundheit angestellt werden, und niemals bloß die gemeine Taube oder der gewöhnliche Gramsamen, beim ersten Atemzug bereits ins frühkindliche Herz gepflanzt und mit den Jahren und mit jedem Rückschnitt vom Keimblatt zum stattlichen Baum heran gewachsen.

Dem Kolibri-Prinzip folgend tippt nun auch die vierte Ärztin auf einen Hirntumor und erbittet ein MRT. Gewiefterweise legt meine röhrenphobische und diagnostikmüde Seele gerade noch rechtzeitig Widerspruch in Form eines Lungeninfektes ein und so kommt es – schade, schade,schade – dass der seit Monaten anstehende Termin in der Radiologie abgesagt werden musste, das Schlaflabor (sleep & work) und die Grippeimfung gleich mit, und dass endlich Ruhe einkehrt in meinem Terminkalender und damit in meinem geplagten Kopf.
Was noch aussteht und worauf ich mich freue, ist der Riechtest beim HNO-Arzt. Anspruchslose Aufgaben, bzw. eine einfache Versuchsanordnung sind genau das Richtige in diesen Tagen. Ich hoffe, dass ich außer Zigarettenrauch noch ein paar andere Gerüche werde erkennen können. Der Fisch stinkt vom Kopf usw.

Einen unerwarteten Lichtblick bringt  die Anwendung des frisch verschriebenen Kortisonnasensprays, das mir beim heutigen Besuch des Paketshops einen sehr besonderen Moment bescherte. Was mir in dem kleinen Laden unerwartet in die Nase stieg, war eine Mischung aus Druckerschwärze, Tabak, Schreibwaren und Holz, ein so köstlicher und seit Jahren für mich nicht mehr riechbarer Duft, dass mir vor Freude und Ergriffenheit die Augen ganz nass wurden und der Mann hinter dem Tresen mich fragend anschaute, als ich ihm den Retourenkarton überreichte.

Auf dem Heimweg die Würze des fallenden Laubes.
Zuhause schmerzjubelnde Bach-Cantaten.

So kann es weiter gehen.

 

 

 

 

Musik zum Text:

(Gunthild Weber singt Bach „Seufzer, Tränen, Kummer, Not“)

(youtube-Direktlink)

Leine ziehen

Aus der Dunkelheit tritt ein Schatten an mich heran und sagt: Entschuldigung, ich bin Türke.
Fiebrige Augen starren mich an. Eine Hand greift nach meiner Schulter.

Ich bin Türke, wiederholt die Stimme und ich schaue mich um. Wir sind allein.

(Wenn doch nur Sommer wär)

Sie haben mich erschreckt, hätte ich sagen können, oder: Zieh Leine, Alter.
Nur bloß nie: Bitte tu mir nichts.

Am Ende bleibt immer nur Flucht.

 

 

Gab schon bessere Texte hier. Gab schon bessere Zeiten.