Saisonbeginn, der erste Cappucino beim Neuseeländer. Köstlich as usual.
Den Späti gegenüber hat die Juxsucht gepackt. Besser Späti als nie! steht in quirliger Funschrift über der Tür. Drin das gewohnte Sortiment.
Im Spieleladen kann man wackelnde Sumo-Ringer erwerben, eine Schleuderknüpfapparatur, sowie eitech-Produkte. Einen Globus aus Papier gibt es auch. Bisschen verknittert und zum Aufhängen. Ich möchte hineingehen und alles, alles, wirklich alles kaufen, jubilierend und kurzatmig. Haben, haben, haben! Der Frühling, mein Leben! Besser späti als nimmermehr. Doch es bleibt beim Wünschen. Mein spontaner Spieltrieb würde auf dem Weg nach Hause an unweigerlich erlöschen. Das Schicksal jeder umgebungsbedingten Passion.
Außerdem wird a la casa nicht gespielt. Da nerve ich bloß den Bekannten. Das muss reichen. Sein anschließendes Kiefermahlen erzeugt familiäre Gefühle, erinnert es doch an meinen Großvater, den gestrengen Patron, Pfarrer, Patriarchen. Ach, die vielen, vielen prägenden Ps im Leben einer Frau. (Plazenta, Plüsch, Plansch, Plausch, Papa, Puppen, Periode, Perlenkette).
Bei der Runde durch mein Viertel stelle ich fest, dass die Menschen, trotz der Temperaturen, weiterhin schwarz gekleidet sind und düstere Mienen tragen. Und: die Anzahl der Mütter ist über den Winter noch einmal signifikant angestiegen. Keine Väter. Nur Mütter. Immer Mütter. Mit Tragetüchern oder chicen Designwägelchen, hinter und neben ihnen ein Kleines mit Laufrad und Helm.
Immer weniger Kopftücher und Gebetsketten sind unterdessen hier im Block zu sehen. Auch die Läden mit den blinkenden Klodeckeln und den singenden Moscheen sind verschwunden. Aus der Kohlenhandlung wurde längst eine Futon-Manufaktur. Das Cake hat den Kiez gewechselt und der abgebrannte Festsaal Kreuzberg wohnt jetzt in den Räumen des White Trash unweit des Badeschiffs, des Freischwimmers, Chalets etc.
Allein der Kotti vermag den Zerfall der gewohnten Strukturen noch aufzuhalten, sie vielleicht sogar zu fixen. Denn wo gedealt, gespritzt, geklaut und gemetzelt wird, wo Oma und Opa bang wird ums süddeutsche Besucherherz, da ist noch Hoffnung für die, die bleiben wollen und das wollen wir alle.
Eine Gruppe besonders Wehrhafter plant übrigens, der Gentrifizierung durch Fäkalisierung etwas entgegen zu setzen. Die Touristenplage soll eingedämmt werden durch kollektivem Widerstandsharn. Die lästigen Stadtbesucher will man verjagen durch hordenweise Zusammenrottung und konzertiertes Urinieren auf die Admiralbrücke, dem touristischen Hotspot. Let it flow.
Die bierseligen Berlinbesucher werden sich über das fancy Event freuen, ein paar Fotos schießen, um sich dann, mit dem Gefühl das echte Kreuzberg erlebt zu haben, wieder der Abendsonne zuzuwenden, die eben hinter einer Baumgruppe am Ufer verschwindet.
Die Revoltäre richten meanwhilst ihre Beinkleider und ziehen weiter in Richtung Kotti, wo die nächste Widerstandspflicht ruft. Ein Grüppchen frustrierter Mieter demonstriert vor der I- love-Kotti-Bude gegen die neueste, drastische Mieterhöhung der städtischen Wohnungsbaugesellschaft. Über 12 Euro kostet der Quadratmeter einer Sozialwohnung inzwischen. Die Einkommensobergrenze für einen Wohnberechtigungsschein liegt bei 16.800 Jahresbrutto. Ihr Zuständigen seid schon echte Schätzchen oder Schlauberger, wie man früher zu sagen pflegte, als Milky Way noch so leicht war, dass es sogar in Milch entschwand schwamm.
Der Bekannte ist abgereist, ich rutsche seitlich in das Vakuum hinein, klemme schräg darinnen, genau mittig, Supertaille sozusagen, und zappele mit die Beene.
Abschied ist ein bisschen wie Lachgas.