Soundtrails, Gras und ein nächtlicher Suchtrupp

An einem Sommerabend war Anton bei mir. Wir saßen in meiner Wohnung, sozialer Wohnungsbau in Neukölln, und die Terrassentür war weit geöffnet. Die einzige Lichtquelle im Raum war das Display der Stereoanlage. Es war sehr schwül, und das Getüm und das Grauchen trieben sich irgendwo in dem weitläufigen Garten herum, an den sich der kleine Friedhof und dahinter gleich eine Schrebergartenkolonie anschlossen. Seit einiger Zeit tauchte in regelmäßigen Abständen eine dicke Perserkatze hier auf, die meine Katzen durch die Gegend scheuchte, und ihnen schon einige Male bis in die Wohnung gefolgt war, wo dann unter markerschütternden Schreien ein wilder Kampf entbrannte, bei dem die Fetzen flogen. Jedes Mal gefror mir vor Schreck das Blut in den Adern und ich hatte Mühe das fauchende Knäuel zu trennen.
Hinterher wehten Fellbüschel durch die Wohnung, und das Grauchen, eine Katze, die sich niemals freiwillig prügeln würde, hatte schon zwei Mal heftige Bissverletzungen. An diesem Abend erzählte ich Anton von dem Ärger mit der fremden Katze, und bat ihn um Rat. Er meinte, ich müsse die Katze, wenn ich sie das nächste Mal sähe, so erschrecken, dass sie sich danach nie mehr meiner Wohnung nähern würde. Diese Aufgabe, könne er für mich übernehmen, falls sie auch in dieser Nacht wieder auftauchen sollte.
Dazu griff er sich den hölzernen Spazierstock aus Ebenholz, mit Silbergriff, der mir als Stütze für eine schief gewachsene Palme diente. Die Pflanze lehnten wir solange an die Wand.
Wir saßen also, Schulter an Schulter, nebeneinander an der Terrassentür, wie ein Rentnerpärchen, jeder eine Flasche Jever in der Hand, er den Stock in der anderen, und schauten in den nächtlichen Garten, in dem ein paar Laternen mit grünlichem Schein, den gepflasterten Weg Richtung Friedhof erleuchteten, und die Bäume und Sträucher in ein geheimnisvolles Licht tauchten.
Wir hatten eine Tüte Gras geraucht und entspannter Trip-Hop waberte wie aufsteigende Blasen durch den Raum. Vor meinen Augen fingen die Lichter der Laternen an zu blinken, und auch das Display der Anlage flackerte rhythmisch. Als ich Anton erzählte, was ich sah, staunte er und sagte, es ginge ihm genau so. Identische Hallus? Das war merkwürdig, passte aber zu der magischen Stimmung des Abends, der sich dampfig-grün, wie die Tropen, und friedlich wie eine Südseeinsel aus dem gleichförmigen Strom der Tage erhob, und nur aus Hitze, Klang und Glück bestand.

drive angry

(Photo credit: noisemedia)

Auf dem Balkon über uns hörten wir die Stimmen der Nachbarn aus Berlinchen, die sich in dem typischen, bellenden Brandenburgisch unterhielten, das in meinen Ohren immer unfreundlich und angriffslustig klang. Ihr
Lachen widerlegte diesen Eindruck, und so füllten sie die Nacht mit ihren Stimmen, die sich zu dem lauten Zirpen der Grillen gesellten, und zusammen mit dem Beat und den Klangteppichen des Trip-Hops in den Berliner Nachthimmel aufstiegen, um sich irgendwo da oben zu
verlieren, oder vielleicht von einer Flugzeugturbine angesaugt, und dann, mit all den anderen Tönen und Klängen der Stadt verdichtet und wieder ausgespien zu werden, und einen klanggefüllten Kondensstreifen zu hinterlassen, der später, wenn die Sonne wieder aufging, und er als rosafarbenes Band auf dem tiefblauen Himmel lag, die ungezählten Menschen, die dem Sommermorgen auf den Dächern der Stadt entgegen blickten, verzücken würde.
So war alles in Bewegung, alles gehörte zusammen, und selbst das Allerkleinste hinterließ seine Spuren am Firmament, und später dann in den Seelen der Menschen, die diese Fährte in sich aufnahmen, und sie in etwas Neues verwandelten.
Soundtrails.
Unsere letzten Worten waren inzwischen  schon eine Weile verklungen, die Zungen schwer, die Köpfe voller schillernder Blasen, und wir schauten schweigend und einträchtig in das tiefgrüne Grün vor uns, als Anton urplötzlich aufspringt, krakeelend wie ein Pennäler losstürzt, und unter Indianergeheul in den Garten rennt, um dort mit dem Stock auf die Büsche ein zu dreschen, in denen die dicke Nachbarskatze soeben verschwunden ist.
Mein Gehirn arbeitet so verlangsamt, dass ich erst verstehe, was er da macht, als er schon wieder zurück auf die Terrasse gestapft kommt, den abgebrochenen Stock in der Hand.
Was hast du gemacht?“, frage ich ihn tranig.
Ich hab die dicke Katze erschreckt, die kommt nie wieder.“
Von oben höre ich jetzt ein: „Hey, Sie! Was machen Sie da?“  Noch jemand, der nicht mehr so schnell schaltet.
Nichts“, ruft Anton, und lässt sich zufrieden neben mir auf den Stuhl fallen.
Der ist mir leider kaputt gegangen“, sagt er, und zeigt mir das sauber abgebrochene Ende des Stocks.
Und womit soll ich jetzt die Palme abstützen“, überlege ich laut, bin aber viel zu träge und breit um mir darüber ernsthaft Gedanken zu machen. „Egal, in der Natur müsste sie ja schließlich auch so klar kommen.“
In der Natur!“ wiederholt Anton und kichert vor sich hin. „In der Natur! Wie geil!“
Ist das lustig?“
Und ob!“ Anton kriegt sich überhaupt nicht mehr ein. Sein Kichern steigert sich zu einem Prusten, und er lacht und lacht, bis ihm irgendwann die Luft weg bleibt, und er tonlos weiter lacht, wie ein Erstickender.
Ich schaue ihn an, fange dann auch an zu lachen, und vergaloppiere mich in die gleiche Hysterie wie er, bis auch mir die Tränen kommen, und ich nach Luft ringe.
Die Stimmen oben auf dem Balkon sind inzwischen verstummt, der Trip- Hop plätschert weiter in die laue Nacht, begleitet vom immerwährenden Zirpen der Grillen.
Da öffnet sich auf einmal die Tür, die gleich neben meiner Terrasse vom Hausflur in den Garten führt, und eine Gruppe Männer kommt, mit Taschenlampen und Stöcken in der Hand, heraus.
An der Statur erkenne ich den korpulenten Polizisten a.D. aus Berlinchen, und zwei seiner erwachsenen Söhne. Dem Körperbau nach, müssen die anderen Herren aus dem selben familiären Umfeld stammen, vielleicht sind es aber auch Freunde mit der gleichen Vorliebe für Bier und Wurst.
Ohne zu uns herüber zu schauen, laufen sie schweigend den beleuchteten Weg entlang und verteilen sich dann über den Rasen in Richtung der niedrigen Dornensträucher, die meine Terrasse von der Tiefgarageneinfahrt trennen. Mit den Stöcken stochern sie, gewissenhaft und stumm in den Büschen herum, und ich muss an Aufnahmen von Polizisten denken, die, auf der Suche nach einer vermissten Person, ein Gelände durchkämmen.
Sofort hören Anton und ich auf zu lachen.
Was soll das denn? Was machen die bloß?
Tatsächlich habe ich nicht den blassesten Schimmer, was sie mit dieser merkwürdigen Aktion zu so später Stunde bezwecken. Still beobachten wir die Männer, die sich mit großer Sorgfalt durch den Garten arbeiten, gesteuert von gelegentlichen, unverständlichen Anweisungen des bellenden Oberpolizisten.
Die sind doch nicht ganz dicht!
Ich frage mich, was so wichtig sein kann, dass sie jetzt, so spät am Abend noch danach suchen müssen. Und wieso fällt ihnen das plötzlich ein. Haben die einfach ein paar Bier zuviel drin? Oder geht es hier um eine Wette, oder eine Art Schnitzeljagd im Dunkeln?
Nach einer ganzen Weile löst sich einer aus der Gruppe und kommt langsam auf uns zu.
Anton und ich schauen uns an, und fangen wieder an zu lachen.
Wenn die uns jetzt fragen, ob wir mitmachen, sage ich nein“, flüstert er mir zu.
Ich mach da auch auf gar keinen Fall mit!“ antworte ich, und lache mich schlapp bei der Vorstellung zusammen mit Anton und diesen Männern eine nächtliche Exkursion durch den Garten zu machen und Polizist zu spielen.
Entschuldigen Sie“, spricht der Mann uns jetzt höflich an, „können Sie mir sagen, wo sie die Katze erschlagen haben?“
Was?
Ich bin so perplex, dass ich überhaupt nicht antworten kann. Bloß nicht  lachen, denke ich und vermeide es Anton anzuschauen, der für einen langen Moment, in dem ich verzweifelt versuche meinen Kopf
zu sortieren und meine Zunge und Mimik soweit unter Kontrolle zu bringen, dass man nicht merkt, wie breit ich bin, stumm bleibt, um dann plötzlich in empörtem Tonfall
„Ich habe niemanden erschlagen!“ hervor zu bringen.
Er hat niemanden erschlagen, bestätige ich seine Aussage und bemühe mich um eine feste Stimme.
Die Antwort scheint dem Mann zu genügen, denn er dreht sich mit einem kurzen Kopfnicken um, und geht zurück zu seiner Gruppe, der er Meldung macht.
Wir ziehen uns in die Wohnung zurück und schließen die Terrassentür, ehe noch einmal jemand auf die Idee kommt mit uns sprechen zu wollen.  Bald darauf gibt auch der Suchtrupp auf, und wir hören die Männer die Treppe hoch poltern.

Die Katze blieb seit dieser Nacht verschwunden, und Anton machte sich schwere Vorwürfe.
Er war sich nicht mehr sicher, ob er anstelle der Sträucher nicht vielleicht doch die Katze getroffen hatte, und der Stock an deren Wirbelsäule zerbrochen war. Eine grausige Vorstellung.
Aber hätte man dann nicht wenigstens einen Schrei hören, und schließlich auch eine Leiche finden müssen, spätestens dann, als die Gruppe am nächsten Vormittag erneut den Garten durchsuchte?
Aus dem Urlaub, den Anton bald darauf mit seiner Mutter machte, rief er mich an, und erzählte mir, wie sehr ihn sein Gewissen plagte, wenn er dem jungen Dackel der Mutter beim ausgelassenen Bad im Meer zuschaute, und daran dachte, viellicht ein ebenso fröhliches Wesen, an dem ein anderer Mensch mit aller Liebe hing, getötet zu haben.

Musik zum Text:

Enhanced by Zemanta

Freunde machen

Deutsch: Meeresfrüchte (Belgische Pralinen) se...

Meeresfrüchte. Belgische Pralinen. (Photo credit: Wikipedia)

Als ich nach Berlin zog, um hier mein Studium fort zu setzen, lernte ich Anton kennen. Er war ein Semester unter mir, hatte blond gefärbte Haare und ein lustiges Gesicht.
Wir kannten uns flüchtig aus einem der semesterübergreifenden Seminare, und so kam es, dass ich ihn eines Tages auf dem Gang ansprach, ob er mir die Unterlagen der vergangenen Woche leihen könne.
Er gab sie mir und schrieb seinen Namen darauf, damit ich wusste, wem ich sie, nach den Semesterferien, zurück geben musste. Anton Glück stand da. Schöner Name.
Ich hatte damals eine Liaison mit I., der in New York lebte. Wir telefonierten täglich, mailten, ich hatte seit 1994 Internet, und sahen uns so oft wir konnten.
Eines Nachts träumte ich von Anton. Es war ein sehr lebendiger Traum, der im Görlitzer Park spielte, später in einem Club, und dessen zentrales Thema eine tiefe Freundschaft zwischen ihm und mir war.
Am nächsten Tag erwachte ich mit einem regelrechten Glücksgefühl, schnappte mir das Telefonbuch und suchte nach seiner Nummer. Nachdem ich noch einmal drüber geschlafen hatte, rief ich bei ihm an. Anrufbeantworter. Ich war enttäuscht.
In den folgenden 3 Wochen versuchte ich es täglich mehrmals, und zu immer verwegeneren Uhrzeiten. Irgendwann musste er doch da sein.
Ich gewöhnte mich an den tiefen Klang seiner freundlichen Stimme auf dem Beantworter, und manchmal rief ich gleich mehrmals hintereinander an, nur um Anton noch einmal sprechen zu hören. Es gab mir ein Gefühl der Geborgenheit.
So ging das Tag für Tag und Nacht für Nacht, und als ich schon aufgegeben hatte ihn jemals zu erreichen, hob er plötzlich ab.
Hallo?“
Vor Schreck legte ich ganz schnell auf. Meine Hände zitterten, so aufgeregt war ich.
Seit meinem Traum war schon einige Zeit vergangen, und der Spruch, den ich mir für unser Telefonat zurecht gelegt hatte, war mir irgendwo auf der Strecke abhanden gekommen. Ich überlegte, was ich hatte sagen wollen, und wie ich meinen Anruf am besten erklären konnte, um nicht den Eindruck zu erwecken andere Absichten zu haben.
Am nächsten Tag versuchte ich es erneut und hatte ihn gleich nach dem ersten Klingeln an der Strippe.
Umständlich erklärte ich ihm, dass ich diejenige sei, die seine Unterlagen entliehen hatte, und dass ich sie ihm gerne zurück geben würde.
Das habe gar keine Eile, beruhigte er mich, ich könne damit getrost bis zum Semesteranfang warten.
Da rückte ich mit der Wahrheit heraus.
Es ist so“, sagte ich „ich habe von dir geträumt. Keine Sorge, kein Mann-Frau-Traum. Wir waren unterwegs, und du warst mein bester Freund, und ich würde gerne wissen, ob das stimmt.“
Am anderen Ende der Leitung hörte ich ein kurzes Glucksen. Er fand das lustig. Immerhin.
„Und was machen wir da jetzt?“ fragte er.
„Ich würde vorschlagen, wir treffen uns, und trinken eine Flasche Wein zusammen.“
Die Idee fand er gut. Allerdings verreise er erst einmal für 10 Tage nach Tschechien, und dann habe er Zeit und würde sich freuen mich zu treffen.
„Bringst du mir was mit?“ ich wurde übermutig.
Er lachte. „Was willst du denn?“
Irgend etwas Kleines, Landestypisches. Eine Streichholzschachtel oder so.“
Mal sehen, was ich finde.“
Ich gab ihm meine Nummer, und als wir aufgelegt hatten, war ich froh. Regelrecht euphorisch.
Nach 10 Tagen meldete er sich, und wir verabredeten uns, für den darauf folgenden Samstag bei mir.
Ich wohnte damals knapp außerhalb des S-Bahn-Rings in Neukölln, er in der Nähe der Flughafenstraße, also nicht weit weg.
Anton betrat meine Wohnung mit einem Lächeln, einer Sektflasche und einem Geschenk in der Hand.
Er hatte mir tschechische Pralinen mitgebracht, die sich in einer grotesk kitschigen Verpackung präsentierten, und die aussahen, wie eine schlechte Kopie belgischer Pralinen. Ich freute mich darüber.
Anton öffnete den Sekt, und wir tranken ein Glas zusammen. Schon nach wenigen Schlucken hatte ich einen sitzen, und meine Befangenheit wich einer ausgelassenen Sektlaune. Wir redeten und lachten, und fanden immer neue Themen. Als eine Pause entstand wurde er auf einmal ernst.
„Ich bin seit 12 Jahren liiert“, sagte er.
„Aha? Und, biste froh dabei?“ fragte ich ihn.
„Ja. Soweit.“
„Prima, ich bin seit 3 Jahren liiert und halbfroh dabei.“
Ich wusste, dass er mir das hatte sagen müssen, um nicht das Gefühl zu haben seine Freundin zu hintergehen, oder falsche Erwartungen in mir zu schüren. Dass eine Frau einen Mann anruft, ihm sagt, dass sie von ihm geträumt hat, klingt vermutlich hundertprozentig nach „Würdest du mich bitte flachlegen.“
Ich erzählte ihm von der Schwierigkeit meiner long-distance-Beziehung, er mir von dem Auslandsaufenthalt seiner Freundin, die Ärztin war, und in Deutschland keine gute Stelle gefunden hatte.
Als Anton morgens um drei, nach sieben Stunden vergnügten Redens und Lachens, meine Wohnung verließ, verabredeten wir uns für den kommenden Dienstag. In den nächsten zwei Wochen sahen wir uns noch ein paar Mal.
Als ich dann meine Koffer packte, um für drei Wochen, erst nach Nevada und dann nach Kalifornien zu reisen, gab ich ihm meine Wohnungsschlüssel und bat ihn auf meine Katze aufzupassen.

Hipsterbeutel und Katzencontent

SAMSUNG

KatzenkampfIn meinem letzten Beitrag schrieb ich über ein Holzkreuz, das ich geschenkt bekommen habe, und über einen Beutel, an den ich selbiges gehängt habe. Das Lustige an dem Beutel ist, dass das Jahr 2000 schon vorbei ist, und dass die Olympiade gar nicht in Berlin stattfand. Der Beutel ist also voll ironisch. :-)))
Anstelle eines Selfies oder Shelfies, möchte ich bei der Gelegenheit auch den Küchenschrank (selbstgemacht!!!) mit kämpfendem Kater und liegender Katze hier vorstellen. In Wirklichkeit spielen die nur. Ich finde die voll süß und hab die total lieb.
Ich hoffe es gefällt allen gut, und das Essen war lecker!!!!
Morgen zeige ich euch/ Ihnen dann (mit Partnerlinks!!!!!), welche Produkte  (pro duck(t)- für die Ente. Hahaha!)
ich im Bad und im Haushalt so nutze.

Stay tuned! ;-))))

Enhanced by Zemanta

Blitztrumpf Wojtyla

SAMSUNGNeulich ging ich mal wieder in die Sparkasse, um zu gucken, ob jemand da war.
Ich traf gleich auf drei Männer. Einer, Mitte 30, stand im Eingangsbereich und öffnete die Tür, und die beiden anderen, schon älter und fast zahnlos, saßen bei den Automaten und teilten sich gerade eine Mandarine. Jedem von ihnen gab ich ein wenig Geld.
Als ich die Sparkasse wieder verließ, nahm der Mann im Eingangsbereich sein hölzernes Kreuz ab, das er mit einem Lederbändchen um den Hals gebunden hatte, küsste es und reichte es mir, mit Tränen in den Augen.
Ich wehrte ab, er solle es bitte behalten, aber er bestand darauf, dass ich es nehmen müsse.
Da er weder Deutsch noch Englisch sprach, verständigten wir uns mit heftigem Nicken und Kopfschütteln.
Katolicki! Katolicki!“ sagte er, und das verstand ich.
Ich nahm sein Geschenk an, und verließ sehr gerührt die Sparkasse. Draußen steckte ich das Kreuz in meine Jackentasche.
Etwa eine Woche später, bei der Post, traf ich ihn wieder. Er saß in dem langen Gang gegenüber den Schließfächern, trocknete seine Schuhe an der Heizung, war sehr blass, sah elend und mitgenommen aus.
Ich gab ihm ein Teil meiner Lebensmitteleinkäufe und ging schnell weg.
Vor wenigen Tagen dann, bin ich in der Wrangelstraße unterwegs, als ich jemanden rufen höre.
„Allo! Allo!“.
Wenn es irgendwo ruft oder pfeift, drehe ich mich, reflexhaft und aus einer schwer zu zügelnden Neugier sofort um. Selbst oder gerade dann, wenn Bauarbeiter vom Gerüst herunter pfeifen. Dieses Mal ist es kein Arbeiter, sondern Katolicki, der bekleidet mit dunklen Bermudashorts, Reiterstiefeln und Parka winkend über die Straße hastet, um mich einzuholen. Wir begrüßen uns und er fängt ganz selbstverständlich ein Gespräch auf polnisch an. Als er merkt, dass ich ihm nicht folgen kann, spricht er einfach etwas lauter, so, als trennten uns nicht verschiedene Sprachen, sondern lediglich mangelnde Dezibel. Kopfschüttelnd und schulterzuckend gebe ich ihm zu verstehen, dass ich nicht weiß, was er mir sagen möchte, bis er aufgibt.
Er denkt kurz nach, greift in die Innentasche seines Parkas und holt einen Brustbeutel hervor, aus dem er einen Zeitungsausschnitt zieht.
„Papież. Polski!“ sagt er, und überreicht mir das Stück Papier mit dem Foto des verstorbenen Papstes Johannes Paul II.
Wie schon bei dem Holzkreuz (das inzwischen an dem Umhängeriemen meiner Olympia-2000- in- Berlin- ich- bin- dafür- Tasche hängt) ist Ablehnen sinnlos. Ich bedanke mich ganz herzlich bei ihm und stecke das Geschenk verlegen in meine Jackentasche. Dann fällt mir etwas ein. Ich nehme mein Portemonnaie zur Hand, sehe im Augenwinkel wie er gekränkt abwehrt und fische dann eine grüne Plastikkarte aus dem Kartenfach hervor.SAMSUNG
Ein argentinischer Freund, mit dem ich einmal in Rom war, wo ich mich in verschiedenen Kirchen mit Heiligenfiguren versorgte, um sie für Kitsch-Installationen zu verwenden, hatte mir von seiner letzten Romreise dieses Geschenk mitgebracht: eine hellgrüne Plastikkarte mit dem Konterfei des argentinischen Papstes, in die ein kleines Amulett eingelassen war, das man herausdrücken und umhängen konnte. Diese Karte überreiche ich jetzt dem völlig perplexen Katolicki. Damit hat er nicht gerechnet.
Ah Papież!“ sagt er und fügt nach einer  kurzen Pause „argentyński“ hinzu.
Der polnische Papst Wojtyla scheint viel mehr wert zu sein in unserem religiösen Quartett-Spiel als der lateinamerikanische Franziskus. Der Blitztrumpf sozusagen. Ich hebe die Hand zum Abschied und gehe mit Töle los, Richtung Ostbahnhof.
„Katolicki?“, fragt er noch.
Nein.“
Großes Erstaunen „Nie?“
Nein,“ entschuldigend zucke ich mit den Schultern.
Meine Antwort lässt ihn ratlos zurück.

Hilft nur noch Notwehr gegen die NSA?

Normalerweise verlinke ich ja nicht einfach irgendwelche Artikel.
Bei diesem möchte ich aber eine Ausnahme machen, weil ich so überrascht war, ihn zu lesen, und ich mich insgeheim auch so über das dort entworfene Szenario freue, dass ich es unbedingt teilen muss.
Lars Berster hat diesen interessanten Text für die Zeit-Online verfasst.
(Erstaunlich, dass soetwas hierzulande noch veröffentlicht wird/ werden darf).

National Security Agency Seal

Hilft nur noch Notwehr gegen die NSA?
Bürger B. ist enttäuscht: Die Regierung unternimmt
nichts gegen die NSA. Er will sich selbst helfen, notfalls mit Gewalt.
Dürfte er das? Unter gewissen Umständen schon.

Von Nacktmullen und Grottenolmen, oder Der Einkaufswagenmann

English: Compact shopping cart with 2 baskets,...

(Photo credit: Wikipedia)

Bei den endlosen Spaziergängen durch das Häusermeer Berlins, streifen mich manchmal Geschichten, denen ich gerne nachgehen würde.
Oft stelle ich mir das Leben der Menschen vor, die an der gegenüberliegenden Ampel, so wie ich, darauf warten, dass es grün wird oder der Verkehrsstrom eine Lücke zum Passieren freigibt, um dann, von unsichtbaren Fäden gezogen, ihrem jeweiligen Ziel entgegen zu streben.
Während des Wartens schauen wir uns über den dunklen Asphalt hinweg an, schätzen uns ab.
Sortieren vor oder gleich ein.
Beim Überqueren der Straße dann, vermeiden wir direkten Blickkontakt, hasten aneinander vorbei, und haben einander meist schon vergessen, wenn wir das andere Ufer erreichen und die nächste Welle uns fortreisst. Vorbei an noch mehr Menschen, neuen Gesichtern, Schuhen, Körpern, Taschen.
Episoden.
Mit manchen Menschen ist es anders. Da passiert mehr. Schon an der Ampel sehen wir uns an, erkennen uns, wie Komplizen, und sobald wir auf einer Höhe sind, treffen sich unsere Blicke, die Pupille weitet sich ein wenig und lässt das Bild hinein. Dort bewahren wir es auf, um es irgendwann wieder hervor zu holen, oder es einzuweben in den fortlaufenden Teppich unseres Lebens.
Spät kehre ich nach Hause zurück, und die eher flüchtigen Eindrücke des Tages schaukeln wie Treibgut auf dem Wasser. Einzelne werden an Land gespült und stumm betrachtet. Andere finden den Weg in meine Träume und verschwinden danach für immer.
Von all den Menschen, die mir da draußen begegnen, finde ich jene attraktiv, denen das Leben sich ins Gesicht gegraben hat, und deren Augen wach sind oder leuchten, wie die des afghanischen Flüchtlingsmädchen Sharbat Gula.
Neben den Attraktiven, gibt es noch die Solitären.
Ihre Einsamkeit umhüllt sie wie eine Husse, unter der sich das Eigentliche zwar abzeichnet, aber doch immer verborgen bleibt.
Da gibt es zum Beispiel diesen Mann Anfang Fünfzig, der in den frühen Morgenstunden, wenn die Straßen fast leer sind, unter zischenden Flüchen, mit einem Schaber Aufkleber von Mülleimern, Plakaten und Verkehrsschildern herunterkratzt. An seiner Seite der geduckt laufende, alte Schäferhund dessen zotteliges Fell so glanzlos ist, wie das seines Herrchens.
Wut ist sein Motor, Wahnsinn sein Auftraggeber.
Dann dieser furchtbar dünne Mensch, das Skelett, der halbbekleidet in der Welt der U-Bahnstationen lebt und aus dessen hohlen Augen der Tod blickt. Ich habe ihn oder sie schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen.
Der Vollbärtige, Ende Fünfzig, der verhalten lachend, leise argumentierend und gestikulierend durch Kreuzberg läuft, und jener, der den Graefekiez in einer Art Stechschritt auf und ab spaziert, meist mit einem Becher schwarzem Kaffee in der Hand. Jeden Tag werden Haar und Bart ein Stück länger, die Nägel und das Gesicht ein wenig schwärzer, die Klamotten zerschlissener. Und dann, eines Tages, steht er plötzlich wieder blitzsauber, frisch rasiert, mit Kurzhaarschnitt und tiptop gekleidet da, und man kann seine klaren Gesichtszüge und die schönen Augen sehen. Bis wieder alles zugewuchert ist, und das Ganze von vorne los geht.
Dann der nette Typ aus der unmittelbaren Nachbarschaft, der ganz in schwarz gekleidet, mit schweren Stiefeln, breitem Nietengürtel, blondgefärbter 90er-Jahre-Matte, gespaltenen Ohrläppchen und unzähligen Ritznarben, die Knie leicht nach innen gedreht, durch den Kiez trabt und mit dem Hintern wackelt, wie eine Professionelle. Schon von weitem hört man den dumpfen Klang seiner Schuhe auf den Gehwegplatten.
Wir grüßen uns. Er eilt weiter.
Und schließlich gibt es noch ihn, den Einsamsten von Allen: den Einkaufswagenmann.
Er ist sehr klein und drahtig, hat weder Haare noch Augenbrauen, und trägt meist einen erstaunten Gesichtsausdruck. Seine Schuhe sind altmodisch und seine Hosen zu kurz. Er gehört zu den Menschen, deren Alter ich nur schwer schätzen kann. Er könnte Ende dreißig, oder schon sechzig sein.
Seine Aufgabe ist das Einsammeln, Sortieren und Zurückbringen von Einkaufswagen.
Wieselflink und hochkonzentriert läuft er in Mitte und Kreuzberg umher, und schielt und späht hinter jede Ecke, in jeden Hof und in jede Einfahrt. Oft sieht man ihn, wie er gleich mehrere Wagen vor sich herschiebt, um sie dahin zurück zu bringen, wo sie hin gehören.
Früher wartete er die meiste Zeit vor einem kleinen Supermarkt unweit des Alexanderplatzes und kümmerte sich darum, dass die Wagenschlange möglichst gerade in dem dafür vorgesehenen Bereich stand. Diese Aufgabe hielt ihn so auf Trab, dass er beinahe zu verzweifeln schien, wenn er zusehen musste, wie jemand einen Wagen, aus dem Konvoi entnahm, den er eben erst hinein geschoben hatte, oder, schlimmer noch, ein Kunde mit einem Wagen voller Einkäufe von dannen zog und er nichts dagegen tun konnte, weil er hier, vor seinem Markt die Stellung halten musste. In diesen Momenten schien es, als würde ihn die Bürde seiner Sisyphostätigkeit beinahe erdrücken.
Wie sollte er das alles auf einmal bewältigen? Wagen einsammeln, zusammenschieben, ausrichten, anderen
hinterherjagen und immer den Überblick behalten.
Trotz seiner ungewöhnlichen Erscheinung, und obwohl er so emsig hin- und herlief, um sein Terrain halbwegs in Ordnung zu halten, nahmen die Wenigsten Notiz von ihm, aber die, die ihn bemerkten, starrten, als wäre er ein Nacktmull oder ein Grottenolm am Badestrand.
Irgendwann schloss der Supermarkt, und der Flachbau stand zur Zwischenvermietung frei, um eines Tages abgerissen zu werden, und das Grundstück für den Bau profitabler Immobilien zu nutzen.
Mit der Schließung verschwand auch der Einkaufswagenmann und blieb eine ganze Weile verschollen.
Irgendwann, als ich an dem ehemaligen Supermarkt vorbei kam, fiel mir auf, dass ich ihn schon lange nicht mehr gesehen hatte, und ich fragte mich, was aus ihm geworden war. Immer mal wieder dachte ich in den nächsten Monaten an ihn, bis ich ihn schließlich vergessen hatte.
Vergangenen Sommer dann, stand er plötzlich am Straußberger Platz, natürlich in Begleitung eines Einkaufswagens, und ich spürte eine Freude und Erleichterung, die mich selbst überraschte. Es gab ihn also doch noch, und er ging seinem  gewohnten Geschäft nach.
Am liebsten wäre ich gleich zu ihm rüber gegangen, und hätte mit ihm gesprochen. Aber was hätte ich sagen können? Schön, dass Sie da sind, ich beobachte Ihr merkwürdiges Verhalten seit geraumer Zeit, und Sie haben mir gefehlt?
Danach sah ich ihn wieder öfter, und kürzlich erst begegnete er mir auf der Schillingbrücke, wo er gerade mit vogelartigen Kopfbewegungen das Gelände vor der Magdalena beäugte.
Er muss gespürt haben, dass ich ihn beobachtete, denn plötzlich drehte er sich zu mir um und schaute mich an. Ich lächelte und grüßte, was ihn für einen Moment zu verwirren schien. Dann ging ein Ruck ging durch seinen Körper, er richtete sich ganz gerade auf, strich innerlich seine Würde glatt, und stolzierte an mir vorbei.
Auf dem Gelände standen ohnehin keine Wagen.

Musik zum Text:

Enhanced by Zemanta

Spaß mit Frauke Raffel-Potzkoten

Spaß 14/07/07

Spaß 14/07/07 (Photo credit: Dykes And The City)

Da ich seit Ende Dezember ein wenig niedergeschlagen bin, verordne ich mir als Therapie, neben den täglichen, meist sehr ausgiebigen Hundespaziergängen, bei denen ich allerdings oft mitten in die scheußliche Fratze der Gentrifizierung blicken muss, was meiner seelischen Genesung leider nicht förderlich ist-
-na, Faden verloren?
Um also wieder besser drauf zu kommen verordne ich mir:  Spaß.
Freude geht ja leider nicht, aber Spaß kriege ich hin. Ohne Mario Barth.
Heute war es folgendes kleines Vergnügen, über das ich sowohl vorher, als auch hinterher Tränen gelacht habe, und mich jetzt beim Schreiben schon wieder freue (ist irgendetwas nicht in Ordnung mit mir?):
unter Angabe eines falschen Namens eine Kundenkarte beantragen (nein, nicht besonders komisch, ich weiß) um künftig sämtliche Produkte in der Apotheke günstiger zu bekommen.
Der Name, den ich mir dafür ersonnen habe lautet: Frauke Raffel-Potzkoten. (Zuerst wollte ich Mandy Kropotzki nehmen, hatte aber Sorge, man würde mir das nicht abnehmen. Die Mandy, meine ich. Das „Potz“ im Namen immerhin, blieb erhalten – meine Tourette-Veranlagung).
Zu meinem Bedauern wollte die Apothekerin meinen neuen Namen nicht buchstabiert haben. Sie fragte lediglich: „Wie man es spricht?“
„Ja. R-a-f-f-e-l P-o-t-z-k-o-t-en.

Sicherheitshalber doch buchstabiert. Ohne zu lachen, wie ein englischer Palastwächter.
Nun habe ich die Plastikkarte einer fremden Frau im Portemonnaie.

Nachtrag: das nächste Mal nehme ich Wilma Geröllheimer oder Rosa Blut, wer dann nicht
lacht, ist besser als Buster Keaton (in den ich übrigens auch lange verliebt war).

Noch ein Nachtrag: ich hoffe in Kürze zur gewohnten Katastrophenform zurück zu finden.

Enhanced by Zemanta

Jesus, Donald, Liebe

Eine Freundin von mir war als Kind in Jesus verliebt. Wie es dazu gekommen ist, weiß sie selbst nicht mehr, immerhin wuchs sie in einem religionsfernen Haushalt auf.
Aber sie liebte Jesus mit Inbrunst, betete Abends zu seinem Vater, und besuchte regelmäßig die Messe.
Sie wusste, dass Jesus gestorben war, es folglich niemals etwas werden würde mit ihnen, aber gerade diese Unerreichbarkeit befeuerte ihre Liebe umso mehr.
Bei mir war das so: Religion spielte im Elternhaus eine Rolle, denn Onkel und Großvater waren Pfarrer und meine beiden Elternteile sind im Glauben erzogen worden. Der Vater als protestantischer Pfarrerssohn, die Mutter als Schülerin im Erziehungsorden der Ursulinen.
Bei soviel religiösem Hintergrund konnte meine erste Liebe nicht Jesus gelten, sondern nur einem, dem es so erging wie mir, und der so fühlte wie ich: Donald Duck.
Ich las jedes Micky-Maus-Heftchen und sämtliche Lustige Taschenbücher, und liebte diese Ente wie einen leibhaftigen Menschen. Meine Gefühle musste ich vor meiner Familie geheim halten, denn ich ahnte, dass ich dafür ebenso Spott ernten würde, wie für meine Pläne Banjo spielen zu lernen.

Magical Donald Duck

Magical Donald Duck (Photo credit: JD Hancock)

Mein größter Wunsch war es, irgendwann einen Mann zu treffen, der so war wie Donald.
Mein Wunsch sollte erfüllt werden.