Hemd

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Warum war ich appetitlos? fragt einer ins Internet und erzählt einer anonymen Gemeinschaft, dass er einmal keine Scheibe Toastbrot herunter bekam, obwohl er Sportler ist (Bodybuilding) und normalerweise Unmengen an Nahrung benötigt. Ein wenig schlapp war er außerdem, aber ansonsten ging es ihm gut.
Grippaler Infekt, mutmaßt eine helfende Stimme im Netz. Davon möchte der Fragende nichts wissen.

Das erinnert mich an die Erzählungen der Tierärztin über Kunden, die sorgenvoll ihren Rat suchen, weil der extrem übergewichtige Hund nichts mehr essen mag. Der Hund ist satt, antwortet die Tierärztin dann wahrheitsgemäß, was die Hundebesitzer zu einer anderen Veterinärmedizinerin wechseln lässt. Einer, die ihnen zuhört und Appetitanreger verordnet, damit das Hunderl wieder zu Kräften kommt.

Schreibe einen banalen Satz im Imperfekt (ich kam, sah und siegte), lausche ihm nach und alsbald wird ein Echo an dein Ohr branden, welches jenem ähnelt, nachdem du 30 Mal hintereinander Hemd gesagt hast. Das Leben ist seltsam, im Kleinen wie im Großen.

Außerdem: die neue Datenschutzverordnung gilt ab heute. Macht aber nix, ist ja ein Familienblog hier und ich bin gut beraten.

 

Alles was hier nicht steht, ist viel interessanter. Allein, die Worte sind mir fremd (Hemd).

 

 

 

 

 

Bild: Sergio, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/

 

Armeslänge

 

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Eine Grundregel hast du gleich zu Beginn unseres Kennenlernens gesetzt: keine Fragen. Und da von selbst und nur über ausgewählte Dinge und am liebsten nicht über dich du reden magst, weiß ich wenig nur von dir und deinem Leben und so bleibt mir ratloses Schulterzucken, wenn nach dir sich erkundigt wird: ich weiß es nicht.

 

I´m on my way, sagst du, ehe du gehst, und ich nicke, ohne aufzuschauen.

Ob ich dich begleiten dürfe, ein kleines Stück nur auf deinem Weg zum Bahnhof, hatte ich dich am Vorabend gefragt, als wir in ausgelassener Stimmung bei Tische saßen, die Hemden gebügelt und wir innerlich aufgeräumt und zufrieden waren. Dabei wußte ich schon, zumindest ahnte ich.
Nein, das sei dir nicht recht, sagtest du, das habest du anders geplant und unwillig legte deine Stirn sich in Falten.

Auch nach Jahren sind wir keine Handbreit weiter und noch immer rutsche ich an der glatten Wand deiner Verschlossenheit ab wie Sonnencreme an einer Plastiktüte. Und ich versuche es nur selten noch, denn ich kann nicht einziehen bei dir, ich soll es nicht.
Manchmal vergesse ich und du erinnerst mich.

Nachdem du am Morgen die letzten Dinge für deine Heimreise an den mir unbekannten Ort, zu den mir unbekannten Menschen, in ein mir unbekanntes Leben zusammen gepackt und die Thermoskanne geleert hast, setzt du dich noch einmal mit erfrorener Miene zu mir und sagst: Deine Mundwinkel hängen.
Dann fällt die Tür schon schnappend ins Schloss und bald seufzt schwer auch die Haustüre und du bist fort.

 

 

 

Es ist die gleiche Vergeblichkeit, mit der man ein sterbendes Küken beweint.
Es ist Trauer auf Armeslänge.

 

 

Ehre, wem Ehre usw.*

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Seit Herr Ackerbau sich vom Acker usw.* muss man alles selbst machen, und das nur halb so gut.

 

 

 

*Wir brauchen jetzt die
Klärung des Begriffes der atomistischen Funktion und des Begriffes „und so weiter”.

Der Begriff „Und so weiter”, in Zeichen „ …”, ist einer der allerwichtigsten und wie alle anderen unendlich fundamental.

Durch ihn allein nämlich sind wir berechtigt die Logik resp. Mathematik „so weiter” aus den Grundgesetzen und Urzeichen aufzubauen.

Das „Und so weiter” tritt sofort im Uranfang der alten Logik ein
wenn gesagt wird daß wir nun nach der Angabe der Urzeichen ein Zeichen nach dem anderen „so weiter” entwickeln können.

Ohne diesen Begriff würden wir bei den Urzeichen einfach stehen bleiben und könnten nicht „weiter”.

Ludwig Wittgenstein
Aus den Kriegstagebüchern
21.11.1916

Firnis, römisch

 

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Regen prasselt wie Applaus auf meine Bettdecke. Neben mir dein Atem. Ich lege die Hand auf deinen Rücken, du schüttelst sie ab. Ein Traum.

Der Kanzler ist zu Besuch. Er redet über die Evolution als eine Geschichte deren Ende jetzt gekommen sei, denn wir sind ja da. Das Großhirn übernimmt das Steuer und lenkt die Geschicke der Menschen zum Guten. Es braucht nur noch die Apostel für die Verkündung der alleinzigen Wahrheit: Gerechtigkeit. Der ungläubige Thomas.

Der Bekannte hört ihm zu. Wir sprechen über Endlichkeit, über den Tod, der unser gemeinsames Schicksal ist, der uns voneinander trennt und zugleich auf ewig miteinander verbindet. Immer wieder fängt der Kanzler damit an. Er bereitet sich vor und sucht nach abschließenden Antworten, nach Trost. Alles soll schön und rund und heil werden. Es macht mich traurig, ihn so zu hören. Der Tod wohnt im Nebenzimmer, immer schon, doch nun hat er sein Ohr an die Wand gelegt.

Derweil ist es Sommer geworden in der Stadt, auf den Frühling hat sich Staub gelegt und allem Glanz einen matten Firnis verliehen. Am Morgen scheint eine römische Sonne in die Häuserschlucht.

Ich liebe diese Stadt.

Auch der Cousin, der Prof. Dr. und seine Frau, die Frau Dr. sind zu Besuch. Gemeinsam mit dem Kanzler sitzen wir in der Abendsonne, der Kanzler erzählt von früher und in der familiären Vertrautheit alter Tage packt ihn die Kalaueritis. Hundermal gehörte Scherze gibt er zum Besten, Erbwitze in dritter Generation. Ich fühle mich geborgen.  Weh und schwer wird mein Herz als am Sonntag alle wieder abreisen.

 

 

 

 

 

Bild: october bay, flickr, Berlin (Kreuzberg), Oranienstrasse x Mariannenstrasse
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/