Himbeere

Während ich mich zur Diätspezialistin mausere, schleppt der Bekannte tagein, tagaus Bücher und Knäckebrot in den Bau. Beides verschlingt er schweigend. Ich bleibe bei Salat und anderem Frauenfutter.

Wie ich bereits ahnte und unkte, hat der Handwerker eine saftige Rechnung für den Verleih des Trockengerätes gestellt und der Vermieterin gegenüber behauptet, er habe das Ding aufgrund meiner mangelnden Kooperationsbereitschaft wochenlang nicht abholen können. Ich glaube der Mann weiß nicht, dass es sowas wie sms- Chatprotokolle gibt. Wird er schön staunen, wie die kurzen Lügenbeinchen ihn nicht ins Ziel tragen werden. Trotzdem blöd: hab ich gleich die nächste Baustelle an der Backe und muss mich wieder mit der angriffslustigen weil dauerverkaterten Vermieterin herumschlagen.

 

Das Internet behauptet übrigens allen Ernstes ich hätte Lungenkrebs im Endstadium oder einen Hirntumor. Ich gebe das Recherchieren auf und mich zufrieden mit der bereits vorhandenen Diagnose, die mir plötzlich ganz passabel erscheint.

 

In diesen Stunden wurde ein Kind geboren. Das Pferdemädchen ist Tante geworden. Wir freuen uns alle über die kleine Himbeere. Die Sonne scheint. Frühling!

 

 

 

 

 

Bild: Ken Walton, untitled, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/

Fatigue

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Meiden macht mehr Arbeit, als man meinen sollte.
Und es ist teuer.
Und es macht schlank.

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Zucker nicht, Käse nicht, Fleisch sowieso nicht, Fritten und Erdnüsse nicht, Chips nicht, Sonnenblumenkerne nicht, Milch nicht, Butter nicht, Sahne nicht, Bananen nicht, Joghurt nicht, Quark aber schon, Weizen nicht, Sonnenblumenkerne nicht. Gerne Walnüsse, Hasel sind auch gut. Kein Sesam. Kein Palmfett, kein Kokosöl. Kein Kaffee, kein Schwarztee.
Mir fehlt Fett. Und Zucker. Ich behelfe mir mit Himbeeren mit Agavendicksaft in Sojajoghurt an Kürbbiskernöl und trinke heimlich das verbotene Schwarz. Becherweise. Die weitestgehende Enthaltsamkeit hilft. Bloß die Müdigkeit, die bleierne, bleibt mir treu.

 

 

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Das Gutachten missfällt dem Kostenträger. Ein neues muss her.
Ich richte mich darauf ein, dass die Sache sich mindestens ein weiteres Jahr hinziehen wird. Verplemperte Lebenszeit. Der Versuch sie zu genießen, während das Zelt neben der Kloake aufgeschlagen ist. Gestank als Frühlingsduft interpretieren, den Abgrund als Möglichkeit.

Schicksal als Schongse

Unterdessen hallen Paragraphen durch die Korridore meines Seins.
Existenzsicherung ist ein zeitraubendes, ein ernstes Geschäft.
Der Hauptverantwortlichen, die ich gerade in einem Interview sah, geht es blendend. Pumperlgesund lächelt sie in die Kamera. Ein warmer, ein herzlicher Blick. Tja

Nachts im Bett höre ich Dokus über die RAF. Über den Deutschen Herbst. Über Hungerstreiks. Ich hab nicht das Zeug, mich zu radikalisieren. Den verweifelten Zorn aber kann ich verstehen.

Lieber wütend als traurig. Lieber Sonne als Regen. Lieber lebendig als tot.

Einmal filettiert und stückchenweise an die Bürokratie verfüttert ist es irgendwann vorbei mit der Vaterlandsliebe. Muttersprachliche Ankündigungsschreiben vergällen das letzte Dazugehörigkeitsgefühl. Die Mitte mischt mit. Ich gehöre nicht dazu.

Meine Mutter hat, ein blöder Zufall?, ein entscheidendes Scherflein zu meiner aktuellen Lage beigetragen. Morgen übrigens verpasst sie schon zum zweiten Mal Ihren Geburtstag. Zeit für einen Ausflug nach Lübeck. Ein Pikkolöchen in die Fluten kippen. Besser noch einen Mariacron.

Übrigens: am point of no return gibt es kein Zurück. Falls Sie es nicht wussten.

Das lässt sich 1:1 auf zerstörtes Vertrauen übertragen. Was futsch ist futsch, da ziept nur  ein leises, ein wehes Bedauern, ab und an, wie eine verblasste Narbe wenn das Wetter wechselt. Flügelschläge im Nest, ich könnte davonfliegen, doch ich muss es nicht mehr.

 

 

 

 

 

Bild: flickr, FA , R
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

Richtfest oder The Unknown Audience

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Der Weg nach Marzahn führt mich am Biss-Tro und der offenbar dazu gehörenden Kost-Bar vorbei. Die fünfspurige Straße ist dicht befahren. Der Hintermann drängelt. Im Rückspiegel ragt silbern der Fernsehturm ins dräuende Dunkelgrau. Ein Geschäft zur Linken nennt sich Silver Plast. Im Laden daneben wird Berufsbekleidung und Imagekleidung feilgeboten. Mir fällt der Alkoholiker ein, der jeden Vormittag zu seiner Trinkergruppe auf dem großen Platz stößt und stets eine Arbeiterhose mit Zollstock in der Seitentasche trägt. Ob er den Männern jedes Mal die Geschichte von der verlängerten Mittagspause und dem bevorstehenden Richtfest auftischt und ob seine Beerbuddies ihm diese nach der siebten Flasche endlich abkaufen und ob sie ihn, während sie rauhbeinig herumlamentieren und johlen und krakeelen insgeheim bewundern, weil er der Einzige in der Runde ist, der sich scheinbar eine gesicherte bürgerliche Existenz bewahren konnte.

Image, denke ich, ist ja irgendwie alles. Sich selbst erfinden. Eine Rolle in der man sich für präsentabel und liebens- oder wenigstens bewunderns- zur Not auch nur für fürchtenswert hält. Twitter ist Imagepflege in Reinform. Eine Bühne auf der Jeder Alles sein kann und wo alle Welt so tut, als möge und bewunderte und wertschätzte man einander, als schenkte man dem anderen Glauben (was für eine schöne Formulierung!) oder zumindest Beachtung. Des Kaisers neue Kleider. Barock! Total Barock! riefe jetzt die Schauspielerin mit weißgepuderter Perücke und rotem Herzmündchen im zeitlosen Gesicht.

 

Niemand möchte Gejammere und immer nur bad news hören. Leuchten möge es. Scheinen. Weshalb sollte man sich das Elend  reinziehen, zumal wenn´s noch nicht mal richtig zur Sache, also zu Ende geht. (Spring, spring!), wenn´s doch nur Mittelmaß oder halbherzig ist.
Der Mann, der immer wieder ins Hospiz gebracht wird, immer wieder Abschied nehmen muss und sich dann doch berappelt und noch einmal aufschwingt, bis schließlich niemand mehr die Kraft und die Tränen hat ihn zu begleiten. Anteilnahme versiegt auf dem trockenen Boden der Vergeblichkeit. Auch so ein Kalenderblättchenspruch. Ich sollte umsatteln.

Überall in der Welt sterben die Menschen. Das Nordseemädchen ändert nachts um 1.36 Uhr ihr Profilbild. Eine Kerze, ein gerahmtes Foto. Es tut mir so Leid.

Aber das ist nur die eine Seite, die sonnenabgewandte des Mondes. Andere Dinge sind schön und machen mir Freude. Zum Beispiel durchschlafen und mit Kaffeeduft begrüßt werden am Morgen. Oder die Schwester am Telefon deren Sohn gerade zu Besuch ist. Gulasch gibt es, sagt sie, und ich kann hören wie glücklich sie die  Erwartung des gemeinsamen Abendessens macht.

Auch das Tölchen im Sommerkleid hat einen neuen Schub Lebensenergie. Fröhlich schüttelt sie ihren Biber und knurrt den alten Stoffesel an.
Die Tigerin indes hat sich aufs Markieren bzw Protestpinkeln verlegt. Ich ermögliche ihr den freien Zugang zum Duschabfluss. Sehr ungern zwar, aber besser, als wenn sie verstohlen die Strümpfe des Bekannten besudelt.

Der Kanzler, der wunderbar Wahnsinnige, erzählt von einem fremden Mann, der ihn aus dem Auto heraus angesprochen habe und den er schließlich mit nach Hause nahm, weil dieser ihm ein Geschenk machen wollte. Das Präsent entpuppte sich als ein zugegebenermaßen recht schöner und sportlicher Mantel. Irgendwann im Laufe der Anprobe schnappte der Unbekannte sich das Portemonnaie des Kanzlers, nahm es ihm aus der Hand, fischte alle Scheine heraus und zog schließlich zufrieden von dannen. Wie froh ich bin, dass weiter nichts passiert ist. Keine Platzwunde oder schlimmeres. Der Kanzler aber lacht und nennt die Geschichte Der betrogene Betrüger. Warum, weiß er allein.

Nadelöhr

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Vor dem Verzehr des Kuchens müssen die Körper eine Runde durch den Kiez drehen. So will es der Brauch und wir beugen uns seinen Regeln. Bei schönstem Sonnenschein schlendern wir also zum Oranienplatz, wo ein Dutzend Polizeiwannen Stellung bezogen hat und Polizisten rauchend daneben stehen und auf Kundschaft warten.
Vorbei am Tauthaus, den Segitz- und den Erkelenzdamm entlang, spazieren wir in Richtung Süden zum Ufer. Ein neuer Weg wurde dort angelegt, nicht barrierefrei, wie ein gleich zu Beginn angebrachtes Schild ausweist. Weiter vorne sehe ich ein Pärchen einen sperrigen Zwillingskinderwagen die Stufen nach oben tragen. Hätte man auch mal, denke ich und formuliere den Satz aus Faulheit nicht zuende.

Auf der anderen Uferseite, vor dem Urbankrankenhaus, watscheln ein paar kräftige Schwäne auf den letzten milchigen Eisschollen umher, Menschen versammeln sich an den Uferwiesen und werfen ihnen trockene Brotreste zu. Zartgrün glimmen die ersten Weidenzweige, Möwen kreuzen kreischend die Luft, eine Gruppe Enten paddelt gemächlich in Richtung Osten. Hier und da taucht ein Blässhuhn zwischen den Eisplatten auf. Rostig und vertraut sein Ruf.

Den Rückweg nehmen wir über die Prinzenstraße, doch statt geradeaus in Richtung Moritzplatz durchzustoßen, biegen wir an den 70er-Jahre-Bauten vor der Gitschiner ab. Die etwas zurück gesetzten und von der Straße durch immergrüne Büsche getrennten Häuser sind in einem erbarmungswürdigen Zustand. Alles ist  dreckig und herunter gekommen. Auf einer unmotiviert irgendwo in die Wand eingelassenen violett gestrichenen Türe steht Müllraum. Davor und daneben türmen sich Berge stinkenden Unrates.
Ein Stück weiter sind die Abfalltonnen eingegittert. Eine alte Frau tritt aus dem abschließbaren Käfig heraus und schaut uns müde an. Zu ihren Füßen liegt ein Puppenbein.

Bei der Hausnummer 38 surrt ein Türsummer im Dauerbetrieb. Weit und breit ist niemand zu sehen. Begegnungsstätte steht auf einem Schild mit Berliner Bär. Daneben hat jemand einen Zettel an das Panzerglas geklebt. In case of emergency, steht da, Police department 53, 24 h a day und darunter eine Telefonnummer. Wir schauen, dass wir Land gewinnen.

Wenig später sind wir zurück am Oranienplatz. In der Zwischenzeit scheint hier eine Demo stattgefunden und sich schon wieder aufgelöst zu haben. Menschen stehen in Grüppchen beieinander. Manche tragen zusammengerollte Fahnen. Afrin, denke ich und gehe weiter. Ich schäme mich für meinen tatenlosen Gleichmut, doch ich bin so entsetzlich müde und stumpf.

Am Engelbecken kommt mir ein menschgewordenes Plattencover aus den 70ern entgegen. Zwei Lockenköpfe mit wehendem Haar und einem zuversichtlichen Lächeln im friedfertigen Gesicht. Wir freuen uns, uns zu sehen, lang ist´s her. Die Griechin erzählt, dass sie nun in einem Hausprojekt im Kiez untergekommen sind. Sehr angenehm ist es dort, die Miete günstig. Ach, wie schön!
Jeder, der bleiben kann, ist ein kleiner Triumph gegen das Unaufhaltsame.

Zuhause angekommen schmeckt uns der Kuchen, den der inzwischen schon wieder abgereiste Kanzler mitgebracht hat, ganz ausgezeichnet. Seine ältere Schwester, die treue Seele, hatte ihn extra für mich aus Mandelmehl, Marzipan und Schokolade gebacken. Dem Gemüt bekommt das köstliche Süß, dem Körper hingegen nicht. Doch gerade kann ich es ihm eh nicht recht machen, nicht mal mit einem guten Espresso. Ich muss schauen, dass ich wenigstens die Stimmung ein wenig hochhalte und dazu eignet sich nichts besser als Zucker und Koffein.

Inzwischen bin ich so erschöpft und kurzatmig, dass ich beschließe, die Telefone für zwei Tage abzustellen und weder nach Mails noch nach Post zu schauen. Bin ja sowieso  noch immer und schon wieder krankgeschrieben. Einfach mal die protestantischen Skrupel überwinden, und sich auch ohne gearbeitet zu haben zur Ruhe legen.

Nachdem das Spezialfutter für den Hund für die nächsten 48 Stunden vorbereitet und portioniert ist, die Merkzettel geschrieben sind und die Tigerin mit ihren abendlichen Medikamenten versorgt ist, lege ich mich schlagkaputt ins Bett und erwache erst 15 Stunden später wieder. Heute, am Tag zwei des Schonprogrammes, bringe ich es am Morgen bereits auf insgesamt 30 Stunden Schlaf. Zum ersten Mal nehme ich nun auch Tabletten gegen die Entzündungen und spüre ein wenig Erleichterung. Es wird vorbei gehen, das weiß ich, es geht immer vorbei, irgendwann. Ruhe ist der Schlüssel zur Genesung und die hole ich mir jetzt, fast ohne schlechtes Gewissen.

Ab Morgen werde ich mich dann wieder in den Alltag stürzen müssen. Ich hoffe im Briefkasten lauert keine Vogelspinne oder ähnlich Toxisches.
Der Bekannte ist da, das ist gut.
Alles andere wird auch wieder werden.
Hinter dem Müllraum liegt ein weitläufiger Garten.

 

 

 

 

 

 

 

Bild: Elena Mazzanti, flickr, Berlin_Kreuzberg
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/

 

Das erste Gutachten ist übrigens in meinem Sinne ausgefallen, was eigentlich bedeuten müsste, dass jede weitere Behandlung überflüssig geworden ist. Leider ist das nicht der Fall. Augenblicklich scheint so ziemlich jede Zelle in meinem Körper entzündet zu sein. Ich bin schwach, fiebrig und immer müde. Insofern hat die Behörde, die die Kosten für meine Behandlung nicht übernehmen möchte, sich selbst ein Bein gestellt, indem sie mich mit ihrem andauernden Zirkus in einen neuen heftigen Schub hineingeschubst und meinen Gesamtzustand erheblich verschlechtert hat. In meinem Sinne bedeutet also, dass es mir mies geht und die Gutachterin dies auf voller Linie bestätigt hat.
Ob ich mich darüber freuen soll, weiß ich auch nicht so genau.

Die Verweigerung der Behörde, den Vereinbarungen des gerichtlichen Vergleichs nachzukommen, konnten wir mit einer Vollstreckungsdrohung beikommen.
Sie werden es wieder und wieder versuchen, da mache ich mir keine Illusionen. Sadismus und Machtmissbrauch sind fest implementierte Teile der Verwaltungsstrukturen. Jenseits  von Legislative und Judikative hat sich da eine ganz eigene Gewalt etabliert, die letztlich nichts anderes durchsetzt, als das was mehr und mehr gesellschaftlicher Konsens zu werden/ sein scheint.

Zufällig verfolge ich die Tweets einer der Hauptverantwortlichen für meine Misere. Und manchmal juckt es mich schon in den Fingern, ihr darauf zu antworten. Denn das was sie schreibt und wie sie sich nach außen darstellt, hat mit ihrem konkreten Handeln so gar nichts gemein.

Ich versuche, nicht ständig daran zu denken was mir noch alles blüht. Lieber von Tag zu Tag sich hangeln und an dem freuen was ist. Zum Beispiel an den Blumen zum Weltfrauentag, die ich mir unemanzipierterweise gewünscht und von dem müden Bekannten geschenkt bekommen habe.

 

 

Der Kanzler ist zu Besuch. Wir machen uns ein schönes Wochenende. Trotz allem und erst recht.
Meiner Leserschaft wünsche ich ein ebensolches!

 

 

let it flow

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Ich lese von einer Flaschenpost, die nach über 130 Jahren auf der anderen Seite der Erde gestrandet ist und ich stelle mir vor, wie in dieser Zeit, noch vor Errichtung des Eiffelturms und dem Aufsteigen der ersten Zeppeline, ein kleiner Junge in kurzen Hosen an einem sonnigen Sonntag nach dem Kirchgang am weißen Isarstrand stand und seine in Glas verpackte Botschaft in den Fluss warf über den der bayerische Himmel sein ewiges Blau spannte. Vorbei an treidelnden Lastkähnen und an schaufelradbetriebenen Ausflugsschiffen trieb die Flasche sodann in Richtung Meer, um schließlich nach einer langen Reise, vier Generationen später in Australien anzukommen.
Womit der Beweis erbracht wäre, dass die Meere tatsächlich miteinander verbunden sind, schließe ich die Geschichte und warte darauf, daß du als Küstenbewohner diese Bemerkung fachgerecht kommentieren wirst. Was ja vorher noch völlig offen war? sagst du dann auch erwartungsgemäß und da ich auf dem Ironieohr aus Prinzip und aus Verständnismangel taub bin, frage ich dich was du denkst, welche Route die Flasche von München aus wohl genommen haben wird. Ich mag deinen Blick, wenn du nicht sicher bist ob ich dich auf den Arm nehmen möchte oder ob ich gerade echtes Interesse bzw. Wissenshunger zeige und ich begegne dieser Prüfung mit aufmerksamen und arglosen Gesichtsausdruck. Naja, sagt du, die Isar mündet in die Donau und die Donau bekanntermaßen ins Meer und da war die Flasche dann wohl ein bißchen unterwegs.
Dann ist die Isar ja gar kein richtiger Fluss, sage nun ich und du, der du dich gerade wieder in deine Lektüre vertiefen wolltest, lässt das Tablet sinken und schaust mich an. Wieso das denn nicht, sagst du nach einer Weile und deine Stimme klingt ein klein wenig gereizt. Da erkläre ich dir, dass ein Fluss, der in einen anderen Fluss hineinfließt für mich kein eigener Fluss ist, so wie etwa ein kleiner Finger auch nichts eigenständiges ist und deshalb z.B. auch keine separate Geburtsurkunde bekommt, selbst dann nicht, wenn ich ihm einen Namen gegeben habe, was ja manche Leute durchaus mit ihren Körperteilen oder mit Flussbruchstücken zu tun pflegen. Du machst also ganz im Ernst die Einordnung ob ein Fluss ein Fluss ist oder nicht, davon abhängig, ob er in einen anderen hineinfließt?, fragst du mich jetzt und übergehst zu meiner Überraschung die Körperteilanalogie. Genau das mache ich! sage ich keck und als vernunftbegabter und ordnungsliebender Kopf erklärst du mir sogleich, dass diese Kategorisierung falsch ist und dass ein entscheidendes Kriterium für einen Fluss doch sei, dass er eine Quelle habe. Diesem Gedankengang kann ich mich nach kurzem Überlegen anschließen, gebe aber zu bedenken, dass dann aber die Flüsse, die aus lauter Flüssen bestehen, die irgendwo mal ineinandergeflossen sind auch keine richtigen Flüsse mehr wären, obwohl sie vom Ufer betrachtet doch genau so aussähen wie jene mit einer Quelle. Ob es solche Flüsse, die nur aus Flüssen bestehen und die möglicherweise nicht einmal eine Mündung haben überhaupt gibt, fragen wir uns jetzt beide, haben aber auf die Schnelle keine Antwort darauf parat, denn Geographie und Geologie interessieren uns nur mäßig und so wenden wir uns wieder unseren Rechnern zu.

Eines der Geheimnisse unserer Beziehung ist, dass du den Ball immer im Spiel hälst und ihn mir niemals ganz überlässt.

 

Keep the embers burning!

 

 

 

 

 

 

Bid: Matt Zimmerman, flickr, Morning on the Ganges at Varanasi, India
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/

zermatt II oder Dem Elend etwas entgegen setzen

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Theobromin (von griech. „theos“, „Gott“ und „broma“, „Speise“) ist eine organische Verbindung, ein Alkaloid aus der Gruppe der Methylxanthine, und gehört zu den psychotropen Substanzen aus der Gruppe der Stimulantien. Es ist strukturverwandt mit dem Coffein und hat wie dieses eine anregende Wirkung auf das Nervensystem. Theobromin kommt in einigen Pflanzen wie dem Kakaobaum […] vor.

 

 

 

 

 

zermatt

 

Das satte Plocken der Sicherung im Kasten. Ein Anruf und der Argentinier eilt, die Sache zu richten. Plock, die zweite Sicherung. Dunkelheit nun auch im Flur.

Später im Lichtschein der Taschenlampe betrachte ich das Toilettenpapier mit den kleinen aufgedruckten Walen darauf und ihren Spundlöchern (heißen die so?) aus denen blaue Fontänen sprudeln und ich denke: Zermatt. Zermatt als Adjektiv. Irgendetwas zwischen erschöpft, zerstört und matt, aber positiver, zuversichtlicher, weil der Gipfel des Berges (Matterhorn) nicht weit, der Abstieg einfacher sein und die Zerstörung sich dann doch nur als tiefe Erschöpfung erweisen wird, als ein Ausgehöhltsein, eine Grube, die bald schon zum erfrischenden Badesee, in dem der Himmel sich spiegelt, sich füllen wird. Bilder, Bilder. Helfen fast immer.

Jeden Morgen horchen wir auf Geräusche im Treppenhaus. Heute ist es soweit. Der Briefträger ist früh dran und bringt ein 16-seitiges Gutachten. Das erste und das rechtlich maßgebliche von zweien.

Zufällig feiert der mürbende Rechtsstreit in diesen Tagen seinen ersten Geburtstag. Ich bin gespannt mit welchem Geschenk man mich von der Gegenseite bedenken wird. Beinahe bin ich sicher, dass Frau Kleyngeyst, meine behördlich zuständige Peinigerin, schon an der nächsten Schikane tüftelt, die sie mit unhaltbaren Behauptungen und unpassenden Paragraphen versehen wird, um meinen Anwalt und mich zu beschäftigen. Immer neue Stöckchen hält sie uns hin, über die wir im Rahmen der vorgegebenen Verwaltungsabläufe springen müssen, ohne die Contenance zu verlieren (und ihr wohlverdient in ihre saudumme Visage zu schlagen) obwohl diese schon auf den ersten Blick als dummdreist und nichtig zu erkennen sind. Wenn die Nazis wiederkommen, so denke ich manchmal, dann wird Frau Kleyngeyst in der ersten Reihe marschieren und mit ausgestrecktem Zeigefinger auf mich deuten. Sie wird die Sonderbeauftragte für unwertes Leben werden, für Schädlinge und Schmarotzer am deutschen Volkskörper. Sie wird ihre Sache gut machen, das Soll übererfüllen und später wird sie aufsteigen zur Gauleiterin in Sachsen-Anhalt.

Heute aber wehren wir uns noch mit vereinten Kräften, vertrauen auf Recht und Gesetz und mein Anwalt, den Frau Kleyngeyst inzwischen nicht mehr bei seinem Namen nennt, sondern auf wenig subtile, neodespektierliche Weise als den Herrn Rechtsanwalt anschreibt, hat vorsorglich eine vollstreckbare Ausfertigung des gerichtlichen Vergleiches besorgt. Wir sind gewappnet.

Leider hat unterdessen meine hochgradig alarmierte und auf Touren gebrachte Immunabwehr sich mal wieder auf die unsinnige Bekämpfung der körpereigenen Zellkerne verlegt. Das innere Ordnungsamt putzt mit blindem Eifer und viel zu scharfen Mitteln, bis alles wund und weh ist. Am Morgen habe ich Fieber, zum Einschlafen friere ich bis auf die Knochen. Die Lunge, immer die Lunge.

Den Bekannten haben die Monate auf eine ganz andere Weise müde gemacht. Hinter seinen Büchern und dem Rechner verschanzt sind ihm Mimik und Wärme abhanden gekommen.
Es wird Zeit, dass Frühling wird und der Schnee auf dem Matterhorn schmilzt.

 

 

 

 

 

 

 

Spandau bei Berlin

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I bought a ticket to the world but now I´ve come back again

 

Vergeblich versuche ich, mich an den Namen des baumlangen Mitschülers zu erinnern, der während der Mittelstufe mit dürren Kranichbeinen hinter mir saß und auf dessen Federmäppchen Lasst Heß frei geschrieben stand. Auf meine Frage wer Heß sei, zeigte er mir ein schmales Druidenlächeln und erzählte mit leiser Stimme von Verschwörungen und von Abschaum. Vorne an der Tafel zeichnete unterdessen unser braun becordhoster Physiklehrer die Flugbahn eines Basketballs und meine Härchen stellten sich beim Quietschen der Kreide auf.

Viel später, lange nach Heß Tod, las ich irgendwo, dass der schon sehr alte Mann sich während seiner Haft allerlei Gedanken gemacht habe. Beispielsweise soll er, der seit Jahrzehnten hinter Gittern saß, sich empört haben über die maßlose Energieverschwendung außerhalb der Gefängnismauern. Um dem abzuhelfen, schlug er vor nachts alle Straßen hell zu erleuchten, anstatt irrwitzigerweise jedes Automobil sein eigenes Lichtlein entzünden zu lassen.

Ein wenig erinnert mich diese Geschichte an einen andere, die ich auch nur vom Hörensagen kenne, dass nämlich in Norwegen die Gehsteige und Ausfahrten im Winter beheizt werden, um den Menschen das Schneeschippen und den Oberschenkelhalsbruch zu ersparen.

Wenn sie kein Salz haben. sollen sie Strom nehmen

Ich weiß nicht, ob das stimmt, doch mich fasziniert die Vorstellung dieser nebeneinander aufgereihten Schüttelgläser, der abgeschlossenen kleinen Welten, in denen Jeder gewissenhaft und mit großem Ernst seinen täglichen Verrichtungen nachgeht, ganz gleich ob es sich um einen Seelsorger handelt oder um einen Kannibalen.

Denke ich an Heß, habe ich zwangsläufig auch Spandau und damit, neben den 80er Jahre Popsofties, natürlich auch die berühmte Zitadelle und die Fledermäuse im Kopf. Vor allem aber erinnere ich mich an die Begegnung mit einem Taxifahrer, den ich vor vielen Jahren, ich war erst einige Monate zuvor nach Berlin gezogen, an einem Sommerabend in Schöneberg heran gewunken hatte und der sich, ehe er mich einsteigen ließ, nach meinem Ziel erkundigt hatte. Bei Neukölln willigte er schnarrend ein und während wir durch die sonnenvergoldete Stadt glitten und bei geöffneten Fenstern ein Zigarettchen pafften, erklärte er mir, dass er mich überall hingefahren hätte, außer nach Spandau. Kurz vor seinem verdienten Feierabend gab er mir noch einen Rat mit auf den Weg, an den ich mich bis heute gehalten habe. Wenn es sich irgend vermeiden ließe, empfahl er, solle ich mir auf gar keinen Fall einen Liebhaber in Spandau zulegen, denn:

Wennse sich da ma inne Haare kriejn mitten inne Nacht, da kommt keen Taxi se wieder zurück zu bringn nach Balin.

 

 

 

 

Musik zum Text:

(youtube-direktlink, Spandau Ballet „True“)

 

 

 

Bild: Duckafterduck, flickr
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