Danke, Titanic!

Frankfurter Grüngürteltier auf der Robert-Gern...

Frankfurter Grüngürteltier auf der Robert-Gernhardt-Brücke am Alten Flugplatz in Frankfurt-Bonames (Photo credit: Wikipedia)

Seit über 20 Jahren habe ich die Titanic im Abo. Mein Vater war Abonnent des Vorgänger-Magazins Pardon, aus dem die Titanic, durch Abspaltung der hellsten Köpfe,  hervorging. So wurde ich früh an die Neue Frankfurter Schule heran geführt. In der Westend-Wohnung des inzwischen verstorbenen Gründungsmitgliedes F.K.Waechter, haben wir in unserer libertären Jugend gute, kühle und  regionale Gerstenerzeugnisse getrunken, denn das war unser Auftrag. Gastgeber muss wohl der Sohn des Autors gewesen sein. Die Kinderbücher des Wohnungsinhabers, hatte ich lange zuvor, anstelle der durch Pulver ersetzten Muttermilch, eingesogen.

Über Robert Gernhardt, ein weiteres Urgestein der Titanic, bin ich, auch knapp 7 Jahre nach dessen Tod, noch untröstlich und voll des Rühmens.

Unvergessen sind viele Cover des Magazins:  Zonen-Gaby, die gedopte Birne,  der Papst. Schön auch: Weihnachten bei Legasthenikers und einige andere. Besonders die Verbotenen (Sehr komisch, Herr Engholm), hole ich von Zeit zu Zeit aus dem Privat-Archiv.

Über die neueste Ausgabe, die mir vor ein paar Tagen ins Haus flatterte, habe ich wieder laut gelacht.

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Große Freude. besten Dank!

(Gerühmt sei, wer bis hierher , bei der Menge an Links durchgehalten hat!)

Nordweststadt-Hymne

1961 Chevrolet Impala

1961 Chevrolet Impala (Photo credit: Georg Schwalbach (GS1311))

Rote Ampel. Nordweststadt.

Es ist 6 Uhr abends. Hochsommer. Die Hitze steht zwischen den Häusern. Über der geteerten Straße flimmert die Luft. Wir hören „England“ von Angelic Upstarts, und wiegen unsere Köpfe  zur salbungsvollen Oi!-Punk-Hymne. Ein Polizeiwagen kommt rechts neben uns zum Stehen. Der Fahrer schaut rüber, mustert mich und raunt seinem Kollegen etwas zu. Beide taxieren mich jetzt, und begutachten anschließend, mit geschultem Blick,  meine Mitfahrer.

Logo, jetzt werden wir kontrolliert.
Dreckige Karre. 6 Leute, 5 Haarfarben. Abgebrochene Mercedessterne an den Lederjacken. Alle, außer mir, ein
Binding in der Hand.

Ich stelle die Musik leiser. Protest von allen Seiten. Der Polizist kurbelt die Scheibe herunter und bittet mich nach der Ampel rechts ran zu fahren. Meine Freunde johlen betrunken, in freudiger Erwartung einer Begegnung mit der Frankfurter Exekutive.

„Besoffene Idioten! Hoffentlich hat
niemand was einstecken.“

Als es grün wird, setze ich ordnungsgemäß den Fahrtrichtungsanzeiger, fahre langsam an und lenke den Wagen an den rechten Straßenrand. Die Polizei kommt hinter uns zum Stehen. Der Fahrer steigt aus, während sein Kollege uns im Auge behält.

Als er gerade meine Türe erreicht, kommt von hinten ein alter Kadett angschossen, aus dessen Fenstern 3 Kerle ihre Oberkörper hängen.

„Ihr seid Arschlöcher!“

rufen sie den Polizisten im Vorbeifahren, mit sich vor Übermut überschlagenden Stimmen, zu.

Der Beamte, dem ich eben die Fahrzeugpapiere reichen will, zuckt zusammen. Blitzschnell reisst er den Kopf herum, starrt ungläubig dem davon rauschenden Opel hinterher, dessen Radialreifen bei der leichten Linkskurve ein
Quietschen erzeugen, das an Verfolgungsjagden in den Straßen von San Francisco denken lässt.

Was haben die eben gesagt?“  fragt er mich fassungslos.

IHR SEID ARSCHLÖCHER!“  krakeelen meine hilfsbereiten Freunde unisono aus dem Fond und schmeissen sich weg vor Lachen.

Der Polizist macht seinem Kollegen ein Zeichen, wedelt mit der anderen Hand in unsere Richtung, und spurtet zu seinem Einsatzfahrzeug. Mit Blaulicht und Martinshorn nehmen sie die Verfolgung auf.

Ich setze den Blinker nach links, und schippere hinaus in diesen vielversprechenden Abend.

Goethe war gut, oder j´en ai marre

English: Goethe-House, Grosser Hirschgraben, F...

Goethe-Haus in Ffm-Innenstadt (Photo credit: Wikipedia)

Frankfurt erscheint mir so multikulturell und urban, wie Berlin stets tut und niemals ist.

Da existiert tatsächlich eine (vergleichsweise) weltoffene Gesellschaft, in der Menschen mit dunkler Hautfarbe nicht nur Tellerwäscher, sondern Geschäftsführer werden, und jeden Stadtteil betreten können, ohne Angst haben zu müssen zusammen gedroschen zu werden. London habe ich ähnlich erlebt.

Ich habe die Tage zwischen Wolkenkratzern und Paulskirche, zwischen Bankern und Drogenstrich, zwischen Museumsufer, Nizza und Rotlichtviertel genossen. Gut geschlafen, trotz einigen Kummers. Gerade und klar aus den Augen schauen können.

Das Unfreundlichste, was ich und Töle dort zu hören bekamen, als wir am Main entlang spazierten: Geh weg du Hunde!

Oh! Davon träume ich hier in Berlin, wo aggressive Pöbeleien zum Alltag gehören.

Zurück in Kreuzberg gleich wieder in die dummheits-verrammelten dreisten Visagen geschaut und mich nach Goethe gesehnt. Wird Zeit die Zelte abzubrechen.

J´en ai marre, wie der Franzose sagt.

Mal sehen, wann ich wieder schwach werde, und wie Lou Reed weiter davon träume, one day, dem Moloch zu entfliehen.

Antifaschistische Heilpraktiker

Elli und der Heilbutt

Heilbutt (Photo credit: Joachim S. Müller)

Heute ist der beste Suchbegriff, meiner Blogstatistik: Antifaschistische Heilpraktiker. Wie kommt es denn zu so einer Suche? Steht jedes Exemplar dieser Gattung allein durch die erste Silbe der Berufsbezeichnung unter einem Verdacht, der nur durch den Zusatz antifaschistisch entkräftet werden kann?

Wird das Praxisschild entsprechend beschriftet: XY, antifaschistischer Heilpraktiker und Phytologe, Mitglied des Verbandes Antifaschistischer Heilkünstler.

Was ist mit Heilquellen? Müssen diese ebenso als antifaschistisch gekennzeichnet werden, um sie vom Club 88 zu unterscheiden? Und die Heilsarmee? Der Heilbutt, das Heilfasten? Der Heiland gar?

Verliert der Begriff antifaschistisch dadurch nicht an  Schärfe und…

Einbruch

 

Das Poltern der Berliner Stadtreinigung rüttelt mich aus dem Tiefschlaf in ein angenehm oberflächliches Dösen.
Es ist noch dunkel. Sie sind besonders früh dran heute.
Töle knurrt, fängt an zu bellen, und dann höre ich es auch: jemand macht sich an meiner Wohnungstür zu schaffen!
Hey! rufe ich laut.
Der Hund bellt nun wie toll. Draußen schraubt einer einfach weiter an meinem Schloss herum.
Ich fasse es nicht.
Als ich den Flur erreiche und durch den Spion schaue ist niemand zu sehen. Das Licht im Treppenhaus brennt noch. Draußen rumpelt weiter die BSR.
Ich habe zwei Schlösser an meiner Türe, die zudem gegen Aushebeln geschützt ist, und da meint jemand tatsächlich, er könne morgens, wenn garantiert noch alle in den Federn liegen, hier einbrechen?
Erstaunlicherweise kann ich wieder einschlafen und träume sogar etwas Lustiges, so dass ich zwei Stunden später in guter Stimmung erwache.

Erst im Laufe des Tages, bei einem Gang durch den Tiergarten, dringt die Erinnerung  in mein Bewusstsein, und je mehr ich über diesen Zwischenfall nachdenke, umso mulmiger wird mir.
Wenn einer um diese Uhrzeit versucht in eine Wohnung einzudringen, dann muss er davon ausgehen, dass jemand Zuhause ist. Die Jalousien waren halb geschlossen, und die Stadt schlief noch.
Wie stellt derjenige sich denn die Begegnung mit der Bewohnerin einer Wohnung vor, in die er gerade eingebrochen ist, um sie leer zu räumen?
Oder wurde ein Zusammentreffen nicht nur billigend in Kauf genommen? Wollte da etwa jemand eine solche Begegnung, die ja angesichts des gewaltsamen Eindringens in die Wohnung nur eskalieren konnte?
Ging es gar nicht um Diebstahl?
Mir wird schlecht. Ich kämpfe mit mir. Soll ich jetzt alle Welt alarmieren?
An meiner Türe finden sich Kratzer. Viele.
Welche davon sind alt, welche neu? Das Treppenhaus ist ziemlich abgeranzt, vollgetaggt, siffig. Keine Ahnung, welche Macke von wann ist.

Was, wenn es jemand auf mich abgesehen hat?
Jetzt wird’s paranoid.
Wenn mich irgend ein Mensch hasst?
Wer denn bloß?
Und warum eigentlich?

Vor Jahren hat mich eine Frau am Paul-Lincke-Ufer regelrecht angefallen.
Sie war unglaublich wütend. Außer sich. Keifte mit verzerrtem Gesicht und ging auf mich los. Zwei Männer mussten die völlig Entgleiste von mir wegzerren.
Ich hatte sie noch nie zuvor gesehen.

Jedenfalls habe ich jetzt Angst, und das fühlt sich nicht gut  an.
Morgen hole ich mir Pfefferspray.
Die Wohnung bleibt abgeschlossen, auch wenn ich Zuhause bin.

Zum Glück ist Töle immer da.

Im Frühling

Foto 3

Mit dem Rollsplitt verschwindet auch der Grimm über diesen endlosen und düsteren Winter. Was spielt das noch für eine Rolle? Die Sonne scheint, und alle Welt ist auf den Straßen. Wachgeküsst. Beschwingt. Das Starre weicht dem Lebendigen. Der Hund freut sich, dreht ausgelassene Runden durch den erwachenden Tiergarten und wälzt sich im vertrockneten Laub des Vorjahres.
So sind wir, jede auf ihre Art, zusammen glücklich an diesem warmen Sonntag im April, bis die Sonne sich glühend verabschiedet und Wehmut mir bis zum Halse  schlägt.

Hier lieg ich auf dem Frühlingshügel;
Die Wolke wird mein Flügel,
Ein Vogel fliegt mir voraus.
Ach, sag mir, alleinzige Liebe,
Wo du bleibst, daß ich bei dir bliebe!
Doch du und die Lüfte, ihr habt kein Haus.

(Eduard Mörike)

Grütze, verhagelte (Sbst., f.)

Hail Hagel

Abgesehen davon, dass meine Friseurin gestern irgendwie nicht verstanden hat, was ich mit „nicht so kurz“ meine, hat sie mir zusätzlich noch den verregneten Tag mit ihrem berechtigten Geunke verhagelt.

Soll ja warm werden jetzt bald, sagt sie.

-Das behaupten die schon die ganze Zeit. Durchhalteparolen, entgegne ich.

-Na, im Süden isses warm. Mein Vater wohnt da.

-Prima. Wo ist denn Süden?

-Minger.

-Naja. München. Dafür muss man halt dann da leben.

-Ja, das will ich auch nicht mehr. Aber ist ja eigentlich auch gar nicht so gut, wenn es bei uns warm wird.

-Isses nich?

-Ne. Dann sind die Touristen wieder ü-b-e-r-a-l-l.  Davor graut es mit jetzt schon.

-Scheiße! Stimmt. Hatte ich fast vergessen. Sind ja so schon genug.

-Und für dieses Jahr werden noch mehr erwartet, als für das letzte.

-Ja, hab´s auch gelesen. Schlimm.

-Wenn es dann nachts warm ist, kann ich nicht mehr schlafen, weil die auf dem Spielplatz am Weichselplatz durchfeiern. Und die Bullen will man ja auch nicht rufen.

-Ich kenn´ welche, die das inzwischen machen. Zwei  Ferienwohnungen im Haus und jede Nacht Party bis Anschlag. Immer wieder neue Leute. So oft kann man gar nicht die Treppe hochlatschen und um Ruhe bitten, weil man am nächsten Tag arbeiten muss. Das hälste nich aus.

-Die rufen jetzt jeden Tag die Bullen?

-Ja. Aber es kommen ja immer neue Touristen, die Kreuzberg für ein Bierzelt halten. Bringt also nix.

-Scheiße.

-Ja. Meinst du nicht meine Haare sind ein bisschen kurz geworden?

-Bisschen vielleicht. Aber die wachsen ja eh so schnell.

Kurze Haare, schlechte Laune.

Danke.

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Nachtrag: Heute scheint die Sonne, und die Haare sehen

“ awesome!!“ aus.

Vulpus vulpus

Vorgestern Nacht höre ich wieder dieses merkwürdig raue Kläffen. Es kommt vom Grundstück gegenüber. Töle schreckt auf und knurrt in den dunklen Garten, der von einem einzigen Fenster erhellt wird. Ein Hund ist das nicht. Vielleicht ein Fuchs? Aber können Füchse bellen?

Ja, das können sie.

Ich belese mich flüchtig zu Vulpus vulpus. Na klar, die haben jetzt Junge!

Mein Tierschutzherz ist voller Mitgefühl: wahrscheinlich sind die Kleinen in Gefahr und die Fähe warnt sie mit ihrem heiseren Bellen! Sicher wird sie von einem Hund verfolgt,-  ein abgerichteter Staffordshire-Rüde, der ihr ans Leder will!

Wie schwer die Tiere es durch diesen langen Winter haben, denke ich. Sogar die Zugvögel sind wieder umgekehrt und verursachen jetzt Zugvogelstau in Nordhessen.

Aber der Fuchs? Ist der nicht ein echter Ubiquist, der überall leben kann?

Was, wenn die Tiere ständig  gestört werden und nicht genügend Nahrung für sich und ihre Jungen besorgen können? Immerhin werden seit einiger Zeit die Mülltonnen da drüben weg geschlossen.

Von der Putenbrust für die Katzen ist doch noch ein großes Stück übrig.

Ja, ich weiß, Wildtiere soll man nicht füttern und zahm machen.Wenn gar ein anderer Hund das Fleisch findet und frisst, glaubt sein Besitzer bestimmt, dass es vergiftet war und sorgt sich sehr. Morgen ist dann wieder der ganze Kiez voll mit Warnungen vor Giftködern, die es noch nie gegeben hat. Ein paar Tage danach folgen Berichte über die ersten Todesopfer, die der Giftnotruf, wie immer, nicht bestätigen kann.

Aber wiegen die Nöte der Fuchsfamilie, diese Einwände nicht auf?

Ich schlüpfe in meine Jacke und schleiche hinaus in den nächtlichen Garten. Töle bleibt in der Wohnung. Mit Schwung werfe ich/ mit Verve schwinge ich, den großen Fleischlappen über den Zaun, höre ihn satt aufklatschen, und fühle mich wie Lady Gaga, die heimlich ihre Altkleider entsorgt.

Gestern Nacht dann, beim Einschlafen, lausche ich mal wieder einem Rollkoffer, der die Straße entlang rattert. Kurz darauf folgt das heisere Bellen.

Die Vision des Fuchses,  der am Hosenbein des Touristen hängt, begleitet mich in meinen heiteren Traum.

Morgen Nacht füttere ich ihn wieder.

 

Adieu, Henninger-Turm!

 

Wieso sagt mir eigentlich keiner, dass der Frankfurter Eiffelturm abgerissen wird?  In dem Drehrestaurant ganz oben, habe ich schon als Kind gegessen und auf die Stadt geschaut. Zur Henninger-Brauerei mit den riesigen Kupferkesseln haben wir einen Ausflug mit der Schule gemacht. Hat das gestunken!
Um das Bier ist es nicht schade. Um den Turm schon.
Und stattdessen? Ein Wohnturm mit Luxuslofts, was sonst.
Kennen wir ja aus Berlin.
Ganz oben soll es dann ein Restaurant für alle Bürger_innen der Stadt geben.
Ob das mal nicht ein zweites „Lafleur“ wird. Ein Gourmetrestaurant nämlich, das sich kein Normalverdiener leisten kann.