Moha

Was waren das für Zeiten, als man mir hier die Bude einrannte und die Kommentartorinnen sich die Klinke in die Hand gaben, während ich die Gastgeberin spielte, die ich im richtigen Leben nicht bin, weil ich denke, dass schon Jede sich selbst nehmen wird was sie braucht und möchte und sich nach Gusto versorgen wird mit Kaffee und Speis und Trank.
Mein Leben ist ein Selbstbedienungsladen, mein Blog inzwischen eine sporadisch-monologische Angelegenheit.

Beim Einschlafen stelle ich fest, dass das Tölchen in diesem Sommer schon seit 12 Jahren bei mir ist (unvergessen unsere erste Begegnung im Parkhaus des Düsseldorfer Flughafens) und das Besuchstölchen seit nunmehr 10 Jahren zu Besuch kommt, dass die Tigerin in ihrem 18. Lebensjahr ist und die Miezemaunz, die gestern noch ein Kind war jetzt schon 5 Jahre auf dem Katzenbuckel hat. Wie alt bist dann du, hätte Frau K., die Grundschullehrerin jetzt wahrscheinlich gefragt und ich hätte mich auf mein linkes Bein gesetzt, mir Bleistifte in die Haare gedreht, kurz nachgedacht und wahrheitsgemäß: Acht! gerufen.

Frau K. hatte einen schwarzgefärbten Pagenkopf, trug schmale, dunkle Kleider mit faszinierenden Mustern, hatte sieben Katzen und lebte mit ihrem Mann, dem Direktor (der sie später für eine jüngere Version ihrerselbst verließ) in einem ultramodernen Betonbungalow hinter einem Dschungel aus schief gewachsenen Eibensträuchern. Zu Beginn eine freundliche Frau, entpuppte sie sich später als eine gemeine Person, die auch ganz anders konnte. Wenn bei der täglichen Kakaolieferung (von Moha) ein Tetrapack übrig blieb, weil eines der Kinder krank war und fehlte, bekam nach und nach (dem Alphabet folgend) ein anderes Kind diese Köstlichkeit zugewiesen. Irgendwann kam also Jedes einmal an die Reihe und in den doppelten Genuss.
Nur ich und der H. nicht. Denn: „Eure Eltern sind Ärzte, die können euch soviel Kakao kaufen, wie ihr nur trinken mögt.“

Endgültig in meiner kindlichen Gunst gesunken war sie, als sie mich am Ende der großen Pause zwang, ins Klassenzimmer zurück zu kehren, obwohl auf dem Schulhof ein verletzter Star lag, den Pedro und ich gerade im Begriff waren, zu retten.
Als wir nach Unterrichtsschluss wieder nach ihm sahen, war er verschwunden.

Abgehoften

Jeden Tag, auf der Toilette, drehe ich einen Joint, den ich beim Verlassen des Bades in den Müll werfe.
Drogen habe ich aus Angst oder Vernunft schon lange aufgegeben.
Angst und Vernunft sind mehr oder weniger dasselbe, wenn man ich ist, also ich ich bin (Arbeitshypothese bzw. sachgrundlose Behauptung).

Geschichtenweise werfe ich den Hausstand der Erinnerungen ab, indem ich sie aufschreibe. Zu meiner Entlastung ist das Meiste schon abgehoften (wie R. sagte) und in die Cloud gelegt. Mag danach greifen wer mag.

Gestern habe ich eine Postkarte an den Kanzler geschrieben.
Vorher, danach und währenddessen habe ich geweint.

Auf dem M-Platz jagen zwei Krähen ein Eichhörnchen. Am Stamm einer großen Silberpappel hängend (schau doch, wie das Laub zittert!) entkommt es nur knapp ihren Angriffen.
Als plötzlich lautes Krächzen zu hören ist und wie aus dem Nichts ein Schwarm Krähen am sturmdunklen Himmel auftaucht, lassen die Jakobs von ihm ab und fliegen davon.

Ich bin froh, wenn meine Welt mir erhalten bleibt wie sie ist.
ich bin froh, dass meine Welt sich jeden Tag verändert.
Ich liebe den Müll und das Leben in der Stadt.



Schneise

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Beim Abbiegen in die Mariannenstraße flasht weisses Licht mir ins Gesicht, trifft mich, schlägt gegen meinen Körper, ein warmer, ein gleißender Microburst. Mit geschlossenen Augen taumele ich weiter in Richtung Süden. Tränen laufen meine Wangen herunter, ich lache.
Overacting.

 

 

Was dabei rauskommt, wenn man gerne wieder schreiben möchte, jede Menge zu sagen hat, aber weder an die Tiefe noch den Ehrgeiz vergangener Zeiten heranreicht, weil man entweder abgerieben wie ein Kiesel (vielleicht auch eine Stufe- die Katze tritt die Treppe krumm) oder einfach stinkendfaul ist und der zeitweise aufflammende, frühere Eifer sich der überlegenen, weil naturgegebenen Trägheit, einer echsenspezifischen Variante der Teilnahmslosigkeit (Zen) und des Soseins, untergeordnet hat, veranschaulicht dieser misslungene Text.
Möglicherweise war ich in der Vergangenheit entweder empathischer oder geduldiger, wahrscheinlich auch offener, ließ mich auf Menschen und Dinge, die mir begegneten ein, machte mir Gedanken und die Mühe, diesen mit (selbstgefälliger) Präzision gerecht zu werden und andere an ihrer Existenz (und damit an meiner Welt) teilhaben zu lassen, indem ich sie in Worte fasste oder mit Worten bis aufs Mark herunter schälte. Logosektion.

Heute scheint alles flüchtiger (fugaz) als es je war.
Vielleicht ist auch bloß mein Bedürfnis, mich und es festzuhalten, zu bannen, einzubrennen, ein Denkmal zu schaffen, etwas das bleibt (wo bist du, dass ich bei dir bliebe) verschwunden oder nicht mehr stark genug, den Stein des Schweigens zu durchbrechen, um in langen, elaborierten Wortketten Netze zu weben, die tragen.

Corona ist nicht einfach eine vage Bedrohung. Es ist ein Zustand geworden, eine Ära, schon jetzt. Eine Schneise in oder durch unser aller Leben.

Beim Einschlafen sehe ich mich barfüßig auf dem Balken der Waage entlang balancieren, die Arme ausgebreitet, schreite ich von links nach rechts, vor und zurück, zwischen den Schalen hin und her, schnüre auf kalten Metall entlang, atme flach und schaue nicht nach unten.

In Erwartung einer Böe, einer Unachtsamkeit, eines Fehlers feiere ich jede Minute und jeden Tag, der mir bleibt. Nur ein kleiner Teil, der, der schon immer in der Grube stand und um die Jahre trauerte, die Zeit, die verstrich, die ich im Begriff war zu verlieren und noch verlieren würde, beklagt vorauseilend und in einer Art (paradoxem) Beschwörungsglauben die losen Enden, die nicht mehr zusammen finden könnten, das was nicht mehr fertig wird bzw. werden könnte, die schönen Dinge, die zurück bleiben/ blieben, wenn und falls erst die große, in jedem Augenblick zu erwartende Hafenwelle mich unter sich begrübe/ begräbt.

 

 

Aus dem Schatten der Muskauer Straße trete ich, Sonne flasht mir ins Gesicht, Leben und Tod reichen sich die Hand.

 

 

 

 

 

 

Auf dem Terrasse blüht das Portulakröschen.

 

 

 

Bild: Frank Janowski, flickr, Ballerina Projekt Dresden – Altea
Lizenz:Attribution-NoDerivs 2.0 Generic (CC BY-ND 2.0)

Schlammspringer

Beim Einschlafen sehe ich wie die Intensivschwester ausrutscht und mit einem Knall auf dem Steiß landet. In meiner Erinnerung erkrankt sie bald darauf an der Schweinegrippe und die Schlammspringer, auf dem Land lebende Fische, die sie mit ihrem Freund dem Bankkaufmann hält, sterben einer nach dem anderen in ihrem Glasverlies. Eine Zeitlang kaufen die beiden für jedes verstorbene Exemplar ein neues nach und geben ihm einem Namen. Die Trauer über das frühzeitige Ableben ihrer Lieblinge verarbeiten sie durch das Erzählen kleiner Anekdötchen, die die Eigenarten des jeweils Verstorbenen hervorheben.
Doch das Sterben geht weiter und weil die Tiere teuer sind, gibt die Intensivschwester das besondere Hobby nach etwa einem Jahr wieder auf. Sie heiratet ihren Freund und schon bald erwarten die beiden ein Kind, dessen Namen sie auf eine Postkarte schreibt und mir schickt.

Inspiriert von dieser Erinnerung frage ich Wilhelmine, die neben mir auf einem Mäuerchen balanciert, wann sie zum letzten Mal hingefallen ist und was danach geschah.
Um mir zu bedeuten, dass sie nachdenkt (sie trägt einen Mund-Nasenschutz) kneift Wilhelmine die Augen zusammen, runzelt die Stirn und schaut in die Ferne. Nach einer kurzen Weile sagt sie: Das war vor einer Ewigkeit. Da wollte ich einem großen Stapel Scheitholz vom Hof ins Haus tragen, als ich auf einer vereisten Stufe ausrutschte, mich im Stürzen an dem Holz in meinen Armen festhielt und viel zu spät erst alles von mir warf. Gebrochen habe ich mir nichts, aber gestaucht, und gefühlt habe ich mich wie ein Kind. 

Ich nicke und mir fällt der Kanzler ein, wie er vor ein paar Jahren, während eines schneereichen und frostigen Winters in Kreuzberg weilte, auf dem nächtlichen Heimweg zum Tagungshotel Esta (mit den Konferenzräumen Buda und Pest) auf dem Gehweg ins Rutschen kam und sich im Fallen an einem der zahllosen Fahrräder vor Ricos Reparaturkeller festhielt, was eine Kaskade umstürzender Räder und einen Mittelfußdurchbruch zur Folge hatte.
Am nächsten Tag reiste der humpelnde Kanzler mit meinem Fahrrad im Gepäck wieder ab. Geschenkt hatte ich ihm das geliebte Teil, weil er während mehrerer Besuche in Berlin so begeistert von dessen hervorragenden Fahreigenschaften gewesen war und mich immer wieder gebeten hatte, falls ich noch einmal ein ähnliches fände, es unbedingt für ihn zu besorgen.
In Frankfurt angekommen verlor der Kanzler fast augenblicklich das Interesse an meinem treuen Gefährt und überließ es großzügig der G. Die aber wurde bald darauf sehr schlimm krank und an Radfahren war nicht mehr zu denken.
Inzwischen, Jahre nach ihrem Tod, steht das Fahrrad noch immer ungenutzt in der Garage ihrer Mutter, der Kanzlergefährtin.

 

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Am Morgen erwache ich und Wasser tropft von der Zimmerdecke auf mein Gesicht. Ich versuche zu atmen, doch es gibt keine Luft oder der Balg hat ein Loch, was auf dasselbe hinausläuft. Hinter geschlossenen Augen sehe ich mein früheres (das rauchende) Ich unter der der Dusche. Der heiße Wasserstrahl trifft auf meinen Brustkob und ich drehe den Rumpf schnell von links nach rechts und umgekehrt, was meinen Bronchien fiepende Töne entlockt und aus den Tiefen der Lunge ein leises Knarzen emporsteigen lässt. Minutenlang stehe ich unter dem warmen Regen, drehe mich hin und her, lausche dem Konzert meines Körpers und vergesse darüber meine Angst.

 

 

Das Loch hat sich geschlossen, unter der Knochenpergola trommelt mein Herz.

Helikopter

Ein altes Weblog wiederentdeckt. Eine Weile war es verschwunden, doch Irgendwer muss es ins Netz zurück geholt haben.
Ich lese mich durch Zeilen der Enttäuschung, der Kindesmisshandlung, der Verwahrlosung und des wiederholten und vergeblichen Andockens. Misogynie und Selbsthass.
Vor ein paar Jahren hat der Autor sein Leben beendet. Dies wissend liest sich jeder Satz  eine Nuance dunkler und bedeutsamer. Die unvermeidbare Zuspitzung zum point of no return.  Selbst bösartige Ausbrüche scheinen verzeihbarer. Der auratische und seligsprechende Schimmer des Todes.

Gestern auf einmal das Gesicht meiner Mutter vor Augen gehabt. An einem Morgen in Metz. Die Kippe in der Hand. Ihre Uhrglasnägel rot lackiert bis zum Limes der zusammen geschobenen Nagelhaut. In der anderen Hand ein Café au lait. Ihr dümmliches, postalkoholisches  Grinsen auf den pink verschmierten Lippen, der Sprit der Jahre in den verlebten Zügen, das bleiche Tal zwischen den schweren Brüsten. Mein Ekel über ihren würdelosen Verfall. Verachtung für die Zurückweisung und das Nichtlieben des eigenen Kindes.

Und sonst: die Entzündung im Mund klingt ab. Noch immer bin ich sehr erschöpft und möchte ständig schlafen. Mir den Kummer aus dem Kopf träumen.
Die Geburtstagsausladung auf Anordnung der Kanzlergefährtin, die nicht allein den Namen mit meiner Mutter teilt, schmerzt wie offener Herpes im Mund.

Die Portulakröschen blühen, der Waldmeister blüht, die Quitte ebenso.
Schweigend sammeln sich die Revolutionäre auf dem Mariannenplatz. Wozu das System stürzen? Ein Zuschlag von 200 Euro auf die Grundsicherung würde für´s Erste genügen.
In der Ferne Sirenen, am Himmel wummernde Helikopter.