Als der Bekannte nach beinahe 9 Monaten zu Besuch kommt, gehen wir, um warm zu werden, ein wenig spazieren und setzen uns schließlich auf eine Parkbank am Heckmannufer.
Unterhalb unseres Radars geschieht etwas, das ich erst bemerke als zwei Sperlinge auf dem blühenden Strauch neben der Bank landen und uns interessiert beäugen: auf dem grau melierten Shirt des Bekannten hat sich eine Versammlung von ca. 50 kleinen Stubenfliegen eingefunden, angeordnet zu einem vollkommen symmetrischen, rautenförmigen Muster. Ich zeige dem Bekannten das lebendige Kunstwerk. Er wischt es mit einer gleichmütigen Handbewegung beiseite und wir unterhalten uns weiter über Annalena Baerbock und den Hass der alten Männer.
Mit den Fliegen verschwinden auch die beiden Spatzen und wenig später der meeresumschlungene Bekannte.
Ich aber begebe mich zurück auf Los, wo die Tischlerin beim Welpen weilt. Gemeinsam versuchen wir einen ersten postoperativen Gang über den Platz, doch Welpi schafft es kaum, mit den dicken Verbänden zu laufen und legt sich nach wenigen Schritten in einen Haufen Scherben.
Ich klaube den winzigen Hund auf und trage sie zur Rückseite des Künstlerhauses, wo die Tischlerin und ich uns im Schatten der Kastanie auf ein Mäuerchen setzen und schweigen. Das spätnachmittägliche Licht fängt sich in den silbrigweißen Schirmen der Pusteblumen, die in diesem Jahr viel größer und zahlreicher sind als gewöhnlich. (Ich denke an Maria Sibylla Merian, die Berger Straße, den Merianplatz, die Junkies, die Bedürfnisanstalt, den Bethmannpark, die antisemitischen Eskalationen).
//
Nachdem die Nebenwirkungen der ersten Impfung sehr unangenehm waren und zum Teil bis heute anhalten (Brennnesselbrennen unter der Haut, Ödeme in den Beinen, erhöhte Temperatur, Kopfschmerzen) versuche ich mithilfe hypochondrischen Kalküls und selbstmitleidiger Weinerlichkeit, weitere schwerwiegende Symptome zu entwickeln, um der gefürchteten zweiten Injektion zu entkommen. Voller Gram und trotzigem Vorsatz schleppe ich mich gestern, am Dienstag, in die Praxis meiner Hausärztin, gewillt der Frau all meine Unbillen und Malaisen auch ungefragt entgegen zu schleudern und sie aufzufordern, diese umgehend dem Paul-Ehrlich-Institut zu melden. Doch die Ärztin begrüßt mich so charmant, gratuliert mir so herzlich zu meiner bevorstehenden Immunität und rühmt voller Begeisterung das Wunder der mRNA-Impfstoffe, dass fast augenblicklich alle Angst von mir abfällt und mein Gesicht unter der Maske zu leuchten beginnt.
Wenig später verlasse ich innerlich jubilierend und mit leichtem Herzen die Praxis und schwebe, den gelben Impfpass in der Hand, hinaus in meine neue Freiheit.
(Der kleine Wannsee kann mich mal).