Was kann man von einem Leben erwarten, dem es von Beginn an an Liebe fehlte.
(Im Treppenhaus anderer Leute hängen Tonmasken, zur Erinnerung an Kinder, die längst schon Eltern sind.
Im Treppenhaus meiner Kindheit liegt ein zerknülltes Milky-Way-Papier)


Das Kokettieren mit dem Unglück ist mir vergangen. Ich bin müde von allem und das Nachlassen der Todesangst holt die dunkle Einsamkeit und das brennende Verlassenheitsgefühl zurück.


(Ich weine am Telefon. Der Kanzler legt auf)

Du hast nicht mehr Pech als jede andere, sagt die Feuerwehrfrau und ich hasse sie dafür.
Nicht einmal diese Auszeichnung gebührt mir.


Wie wertlos ich mich fühle, wie verloren.

Fliegen

Als der Bekannte nach beinahe 9 Monaten zu Besuch kommt, gehen wir, um warm zu werden, ein wenig spazieren und setzen uns schließlich auf eine Parkbank am Heckmannufer.
Unterhalb unseres Radars geschieht etwas, das ich erst bemerke als zwei Sperlinge auf dem blühenden Strauch neben der Bank landen und uns interessiert beäugen: auf dem grau melierten Shirt des Bekannten hat sich eine Versammlung von ca. 50 kleinen Stubenfliegen eingefunden, angeordnet zu einem vollkommen symmetrischen, rautenförmigen Muster. Ich zeige dem Bekannten das lebendige Kunstwerk. Er wischt es mit einer gleichmütigen Handbewegung beiseite und wir unterhalten uns weiter über Annalena Baerbock und den Hass der alten Männer.
Mit den Fliegen verschwinden auch die beiden Spatzen und wenig später der meeresumschlungene Bekannte.

Ich aber begebe mich zurück auf Los, wo die Tischlerin beim Welpen weilt. Gemeinsam versuchen wir einen ersten postoperativen Gang über den Platz, doch Welpi schafft es kaum, mit den dicken Verbänden zu laufen und legt sich nach wenigen Schritten in einen Haufen Scherben.
Ich klaube den winzigen Hund auf und trage sie zur Rückseite des Künstlerhauses, wo die Tischlerin und ich uns im Schatten der Kastanie auf ein Mäuerchen setzen und schweigen. Das spätnachmittägliche Licht fängt sich in den silbrigweißen Schirmen der Pusteblumen, die in diesem Jahr viel größer und zahlreicher sind als gewöhnlich. (Ich denke an Maria Sibylla Merian, die Berger Straße, den Merianplatz, die Junkies, die Bedürfnisanstalt, den Bethmannpark, die antisemitischen Eskalationen).

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Nachdem die Nebenwirkungen der ersten Impfung sehr unangenehm waren und zum Teil bis heute anhalten (Brennnesselbrennen unter der Haut, Ödeme in den Beinen, erhöhte Temperatur, Kopfschmerzen) versuche ich mithilfe hypochondrischen Kalküls und selbstmitleidiger Weinerlichkeit, weitere schwerwiegende Symptome zu entwickeln, um der gefürchteten zweiten Injektion zu entkommen. Voller Gram und trotzigem Vorsatz schleppe ich mich gestern, am Dienstag, in die Praxis meiner Hausärztin, gewillt der Frau all meine Unbillen und Malaisen auch ungefragt entgegen zu schleudern und sie aufzufordern, diese umgehend dem Paul-Ehrlich-Institut zu melden. Doch die Ärztin begrüßt mich so charmant, gratuliert mir so herzlich zu meiner bevorstehenden Immunität und rühmt voller Begeisterung das Wunder der mRNA-Impfstoffe, dass fast augenblicklich alle Angst von mir abfällt und mein Gesicht unter der Maske zu leuchten beginnt.


Wenig später verlasse ich innerlich jubilierend und mit leichtem Herzen die Praxis und schwebe, den gelben Impfpass in der Hand, hinaus in meine neue Freiheit.


(Der kleine Wannsee kann mich mal).


Zum Glück ist Welpi nicht gelähmt, wie es zunächst schien. Die Reflexe sind wieder vollständig zurück gekommen. Das Röntgen hat gezeigt, dass beide Hinterbeine mehrfach durchgebrochen sind. Der rechte Unterschenkel leider auch in der Wachstumsfuge.
Welpi wurde gestern über 2 Stunden operiert und am Montag muss sie noch einmal auf den Tisch.
Es wurden und werden Platten und Schrauben eingebracht und jetzt hoffen wir, dass die Beine weiter und gleichmäßig wachsen werden. Allein die OPs kosten 4t Euro. Der stationäre Aufenthalt mit allen Untersuchungen usw. nochmal ca. 2t. Wer soll das bezahlen.
Kaum flaut die Pandemie ab, kehren die Katastrophen zurück.

Danke für Eure Anteilnahme und die guten Wünsche!

Es ist etwas sehr Schreckliches geschehen und ich weiss nicht mal was genau.
Ein gellender Schrei heute morgen und jetzt ist Welpi an allen vier Beinen gelähmt.