7 Scheine

Das vielleicht Merkwürdigste war, dass ich plötzlich, wenn auch nur für wenige Tage, alles riechen konnte: das Heu, den Diesel, das Hundefutter, die Zitronen.
Seit ich wieder in der Stadt bin, ist die alte Hyposmie zurück gekehrt. Ob nun der gezogene Zahn oder das Antibiotikum für die kurzzeitige Heilung gesorgt haben –

Wegen Bauarbeiten muss ich für einige Tage die gegenüberliegende Straßenseite benutzen und treffe dort auf Paul mit einem Klienten. „Immer auf der Sonnenseite! Haste recht!“, ruft er mir entgegen. „Ne, Bauarbeiten“, antwortet die Katastrophenchronistin; die Frohnatur, öffnet ihre Schranktür einen winzigen Spalt und wispert „Was für ein schöner Tag!“.

Jemand schickt mir Mails mit Bildern von 6 Monate alten Tierschutz-Welpen, die 55 Kilo wiegen. Ein solcher (Owtscharka) war mir auch irgendwann mal auf der Skalitzer Straße zugelaufen, stark humpelnd und fiepend und auf der Suche nach seinen Leuten. Ich nahm ihn mit nach Hause, rief die Tierrettung, die ihn bald abholte und mich informierte, als Finderin in ein paar Monaten Anspruch auf den Hund zu haben.
Den Kelim, auf dem der Riesenwelpe sich erleichtert hatte, brachte ich zur nahegelegenen Reinigung, die 70 € von mir verlangte, bei der Abholung einige Tage später aber leugnete jemals auch nur einen Cent erhalten zu haben, und dieselbe Summe noch einmal forderte. Ich weigerte mich.
Zuhause erinnerte ich mich plötzlich, dass der Laden exakt die gleiche Masche schon einmal mit mir abgezogen hatte. Damals musste ich die Reinigung des Duvet, auf dem meine sterbende Katze ihren letzten Harn hatte fließen lassen, bei Abgabe wie auch bei Abholung bezahlen. Durch den Gram und über die Zeit, musste ich diesen Betrug ins Nirgendwo meines Gedächtnisses verklappt haben.

Kurz nach dem neuerlichen Betrug kam der Argentinier zu Besuch und erkundigte sich nach dem Verbleib des schönen, dunkelblauen Teppichs, den er seit jeher sehr mochte. Ich erzählte ihm, was geschehen war und wie zu erwarten bot er mir Hilfe bei der Erledigung der Sache an, was ich ablehnte. Der Teppich habe mir ohnehin nie richtig gefallen, weil das Muster eine übertriebene Symmetrie aufwies, mich an den Reichsparteitag erinnerte und mich deswegen ständig Hitler denken ließ (true), doch weil der Argentinier nicht locker ließ, und sich mit funkelnden Augen erbot den Teppich persönlich abzuholen, versprach ich ihm vorsorglich, gleich am nächsten Tag selbst nochmal bei der Reinigung vorzusprechen und den Besitzer, notfalls unter Drohungen, zu zwingen, mein Eigentum wieder heraus zu rücken.
Anderntags ging ich also mit hängendem Kopf und 7 Scheinen in der Tasche zu dem Ort der Niedertracht, um mir zurück zu kaufen was mir gehörte, und den Argentinier vor einem großen Fehler zu bewahren. Doch statt mir endlich die Nazimatte zurück zu geben, erklärte der Chef des Ladens, er habe diese inzwischen zur Versteigerung an einen anderen Ort gebracht.

Um es kurz zu machen: nach einer längeren Auseinandersetzung und meiner Zusage den Preis ein zweites Mal zu entrichten, wurde der Teppich von herbei telefonierten Helfershelfern aus obskuren Auktionsräumen zurückgebracht und mir nach triumphalem Nachzählen der 7 Scheine übergeben. Noch auf dem Heimweg rief ich den Argentinier an, er möge bitte sofort bei mir vorbeikommen.

Merkwürdigerweise hakt an dieser Stelle der Geschichte mein Gedächtnis. Ich weiss nicht mehr, ob ich ihm die Wahrheit über die Herausgabe des Teppichs erzählt, oder mir eine heroisch-souveräne Durchsetzungskraft angedichtet habe.

Irgendwann jedenfalls, soviel ist sicher, steht der Argentinier bei mir auf der Matte, ich erzähle ihm, wie einmal meine Schwester zu Besuch gekommen war und ich aus Zeitmangel, statt zu saugen, Staub und Tierhaare unter den Reichsparteitagsteppich gefegt und mich insgeheim über die kleine Rebellion gegen die Ordnung-ist-das-halbe-Leben-Dressur meiner Mutter gefreut hatte.

Der Argentinier hört mir interessiert zu und verlässt kurz darauf meine Wohnung mit dem frisch gereinigten Teppich.



Eine große Holzkiste steht vor dem blauen Haus. Niemand wagt, den Deckel anzuheben und hinein zu schmulen, seit Tagen schon. Auf dem Rückweg vom Park fasse ich mir ein Herz.
Aus sicherem Abstand fragt eine Passantin ob etwas drin ist, sie sei neugierig.
Später telefoniere ich mit dem Unterfranken. Er hatte schon vorgestern rein geguckt. Das Ganze könnte ein Experiment sein, eine Studie.

Die alte Dame stellt zwei Holzengel unter ihr Bett. Einen für sich selbst, einen zum Schutz ihres betagten Hundes. Die Heilpraktikerin hat ihr diesen Rat gegeben und die Figuren verkauft. Ob es nützt, sagt sie achselzuckend und lächelt schmal. Ich tätschele Tölchens alten Kopf und lächele schwesterlich zurück.



Nächste Woche fahre ich mit der Malerin nach Dresden, zu Vermeer. Wir freuen uns so sehr darauf.

Ende des Monats werde ich dann endlich, endlich nach Lübeck reisen, in der Bucht Abschied von der Mutter nehmen und mir die Stadt zurück holen. Für den Bekannten, als Ostseeanrainer, werde ich eine Flaschenpost ins Wasser werfen. Er behauptet, man könne eine Flaschenpost nicht adressieren bzw. personalisieren. Ich werde ihn eines Besseren belehren.

Der/ dem erstbesten Zweifelnden schicke ich auf Wunsch und Zuruf auch gerne eine Flaschenpost. Einfach lieb in die Kommentare krähen.


Wenig Bücher, mäßige Aktivität, viel Ruhe. Fast täglich, zumindest stundenweise, Regen und ein kleiner Hund, der sich sehr viel Mühe gibt, alles richtig zu machen- trotz Pubertät.
Der Weisheitszahn folgten keine weiteren Katastrophen mehr.
Schön war es. Bin wieder zurück.