Der Spinnengürtel

Merkwürdige Dinge geschehen und die Filmemacherin erzählt, der Gürtel ihrer Barbiepuppe sei im Beisein ihrer kleinen Schwester davongehuscht wie eine Jagdspinne und nicht wieder aufgetaucht. Meine Geschichte mit dem Batteriefach, das nach der Entnahme der alten Batterie plötzlich viel größer war, so dass die neue Batterie lose darin herum rutschte und ich den feinen, von der Goldschmiedin eigens für mich angefertigten, Silberring abziehen und zwischen Zelle und Gehäuse klemmen musste, überrascht sie insofern nicht. Mich hingegen erstaunt, dass der Arzt, als ich ihm erzähle, wie nach der Extraktion eines Weisheitszahnes im vergangenen Sommer mein Riechvermögen ein paar wunderbare Tage lang wieder hergestellt war und ich sogar frisch geschnittene Gurke, einen meiner Lieblingsdüfte neben Druckerschwärze, Papier, Kaffee und Brot, riechen konnte, nicht ungläubig den Kopf schüttelt, sondern interessiert nachfragt, ob der Zahn denn möglicherweise im Oberkiefer saß. Als ich seine Vermutung bestätige, nickt er wissend und weist mich darauf hin, dass die geplante Stoßtherapie nicht nur die mutmaßlich impfbedingten Entzündungen im Körper beseitigen, sondern zusätzlich helfen könne, meine Anosmie zu heilen.
Kommende Woche werde ich also anfangen, hochdosiert Kortison zu nehmen und damit hoffentlich die Impfnachwirkungen mildern und mein olfaktorisches und gustatorisches Leben zurück gewinnen. Denn inzwischen schmecke ich leider nicht eimal mehr Zimt, Kumin, Rosmarin oder Pfefferminze. Essen ist für mich jetzt so, wie ich als Kind Musik hörte. Unfähig auch nur ein einzelnes Instrument heraus zu hören, wippte ich unbedarft zu ihrem wundersamen Zusammenspiel.

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Tölchens und mein Alltag ist in verschiedene vertraute und gut eingeübte Abläufe gegliedert.
Kommt es bei einem unserer Rituale zu einer Abweichung oder Unterbrechung, müssen wir von vorne beginnen.
Gestern z.B. wollte ich sie in gewohnter Weise im Anschluss an die morgendliche Tablettengabe füttern, musste aber den Napf versehentlich an einer für sie nicht korrekten Stelle abgestellt haben, worauf sie mehrmals den Tisch umkreiste und schließlich ratlos und mit hilfesuchendem Blick darunter sitzen blieb.
Als alles Locken, gut Zureden und den Napf wiederholt an die richtige Stelle stellen (stellstellstell) nicht fruchtete, holte ich die eingeweichten Reisflocken aus dem Kühlschrank, formte noch einmal 3 Kügelchen daraus, versteckte vor ihren wachsamen Augen die ausgedachte Morgentablette darin und ließ die Bällchen in ihr Maul rollen. Dann erst stellte ich den Napf wieder vor sie hin und nach kurzem Zögern fiel ihr endlich auch der zweite Vers unseres Gedichtes ein und sie konnte den Seelachs mit Reis, roter Beete und Möhren rückstandslos genießen.

Mein Rechner ist hinüber, meine Korrespondenz erledige ich per Handy, für längere Texte fehlt mir die Geduld, für ein neues Macbook Air das Geld und für kostengünstigere Windows-Lösungen die Bereitschaft, in eine trostlose blue screen- Vergangenheit zurück zu kehren.
Doch, wie der Sport, lebt auch das Schreiben von der Regelmäßigkeit. Je länger die Pause umso steifer die Gelenke und desto ungelenker der Sprachgebrauch.

Im Stundentakt passieren Dinge, natürlich auch Katastrophen, jede einzelne einen eigenen Text wert, aber mir fehlt, neben dem Handwerkszeug der Leidensdruck oder die Larmoyanz vergangener Tage. Meine Gefühlslage ist irgendwo zwischen Aufbruch und Resignation, je nach Schlafausbeute und Lichteinfall, angesiedelt. Meine Empathiefähigkeit taumelt zwischen den Polen Gleichgültigkeit und tränenschwangerem Mitgefühl hin und her.


Die ersten Tulpen schieben sich aus der nassen Erde und ich hoffe darauf, dass mit dem nahenden Frühling auch mein Gemüt sich wieder festlegen wird: zum Beispiel auf ein fragloses, sich verausgabendes, jubilierend seidiges Blühen.