#7

Am Morgen hängt eine tote Krähe im Netz über der Terrasse. Das Veterinäramt schickt jemanden, sie zu holen. Eine Nackenverletzung deutet auf den Habicht hin, sagt die Expertin, und: bloß keine Vögel anfassen, immer das Amt verständigen, die Vogelgrippe geht um.

Nachts weckt mich laut pumpendes Magenstülpgeräusch. In der Schwärze des Raumes taste ich nach dem Handy und beleuchte Tölchens Korb. Mit hängendem Kopf sitzt sie da und zittert. Ich stehe sofort auf.

Als ich die letzte Hunderunde drehen will, schallt aus dem Dunkel desTreppenhauses gruselig exaltiertes Clownslachen. Ich verzichte auf den Spaziergang und lasse die Hunde sich in der Wohnung erleichtern. Sie tun es mit dem gleichen Widerwillen, mit dem ich am nächsten Morgen, unter Einsatz des rückenschonenden Wischpresseimers, die gesamte Bude gründlichst reinige.

Müde von allem, stelle ich mich unter die Dusche, doch sowohl Heizung als auch Warmwasser sind ausgefallen, und in dem stillgelegten Kaminschacht höre ich ein Scharren und Kratzen, das dort nicht hingehört.


Die vegane Mortadella immerhin schmeckt erstaunlich gut.

Fragt nicht, woher diese merkwürdigen, farblichen Markierungen im Text kommen.
(I dunno)

#6

Vor dem Einschlafen sehe ich Zusammenhänge und Verknüpfungen, die mir im Licht des Tages verborgen bleiben.
Am Morgen versuche ich, die Fäden wieder aufzunehmen. Vergeblich.

Mit dem Welpen und dem alten Tölchen spaziere ich zum Treptower Hafen. Auf der gegenüberliegenden Uferseite steht der Unterfranke auf dem Balkon und winkt. Ein Stück weiter östlich, auf dem alten Friedhof, liegt Emma, die Fremde, deren Grab ich als Ersatztrauerstätte für meinen Mutterschmerz nutze. Heute werde ich sie nicht besuchen.

Der kleine Hund setzt sich neben mich und schaut mich mit ernstem Blick an. Ihr Gesicht ist das einer alten, klugen Frau. Wie sehr sie mir in so kurzer Zeit ans Herz gewachsen ist.

Meine Ärztin hat eine Bescheinigung für die Dringlichkeit einer Impfung ausgestellt.
Ich schicke sie an die zuständige Stelle und erhalte umgehend eine automatisierte Antwort, dass die Bearbeitung wegen der vielen Anfragen sehr lange dauern könne und ich von weiteren Mails bitte absehen solle. Pling!

Dass das die Realität und nicht einfach ein übler Traum ist, sickert langsam in mein Bewusstsein.
Unser altes Leben ist verloren und wird nicht wiederkehren.
Mir fällt der Song „Freakshow“ und das dazugehörige, geradezu prophetische Video von Ghostpoet ein, aufgenommen 2017.

(youtube-Direktlink)

#5

Der Nacken schmerzt und gegen jede Gewohnheit nehme ich Tabletten. Als wir im Park sitzen massiert die Freundin meine Schultern. Kein Polizist schreitet ein.

Inzwischen bröckelt mein Verständnis und meine Akzeptanz für die Corona-Maßnahmen. Die Buchhandlungen haben auf, die Baumärkte zu, Kardinäle und Virologen samt Lebenspartner werden geimpft. Lüftungsanlagen fehlen. Keine Masken und keine Unterstützung für die Ärmsten.
Die Schnellteststrategie wird abgeblasen und die Schulen bei steigender Inzidenz geöffnet.

Kann es sein, dass die Pandemie überhaupt gar nicht beendet werden soll, weil sich im Windschatten der Ereignisse so schön regieren lässt?

Wann werden die gewählten Volksvertreterinnen, anstelle des Bankkaufmanns im Maßanzug, wieder die Entscheidungen treffen? Wo Zeit für langfristige Strategien ist, ist doch die Akutphase längst überwunden, oder verstehe ich das falsch?

Soviele Fragen

#4

Ein geschlossenes Blog kommt einem Logbuch nahe. Nur wenige lesen hier mit (hallo!) und es schreibt sich leichter über meine Erkrankung, die pandemiebedingt eine viel größere Bedeutung in meinem Leben einnimmt, als mir gut tut.

Vor ein paar Tagen hatte ich, das erste Mal nach Monaten, Besuch vom frisch getesteten Unterfranken. Wir aßen zusammen zu Abend und er blieb etwa drei Stunden. Am Ende der Woche rief er mich an, um mir mitzuteilen, dass sein Mitbewohner an Corona erkrankt sei und er, in der Pflege arbeitend, jetzt auch für zwei Wochen in Quarantäne bleiben müsse.

Das Virus ist nun schon so oft an meiner Tür vorbei gegangen. Eines Tages wird es anklopfen und ich hoffe, bis dahin geimpft zu sein.

Der Kanzler hat seine beiden Dosen bereits bekommen, der Schwager (Chirurg) ebenso und die Schwester, als Ärztin die ein Altenheim betreut, ist in ca. zwei Wochen dran. Allesamt mit dem guten Biontech.
Ich fühle mich sehr allein.

#3

Mithilfe eines drahtlosen, am Bettrahmen angebrachten Herzradars lässt sich der Tod eines Menschen vier Tage vor dem Eintritt vorhersagen.
Für Angehörige von Palliativpatienten sei dies eine gute Sache, lese ich und stelle mir vor wie die Familie am Bett des Moribunden gemeinsam den Countdown herunterzählt und jeder Gang auf die Toilette mit der Gewissheit verbunden ist, diese nicht zusammen verbrachte Zeit nie mehr nachholen zu können.

Nach der schnöden Absage der Charité mag ich plötzlich auch den Professor Drosten nicht mehr und die Leitung der für mich zuständigen Abteilung erst recht nicht. Und das, obwohl sie einen sehr klangvollen Namen mit gleich drei Doppelkonsonanten trägt.
Ich beschließe, ihr eine letzte Mail zu schicken, in deren Verlauf ich ihren Namen, unter Auslassung jeweils eines Zwillingskonsonanten, gleich mehrfach falsch schreibe, verwerfe den Plan aber schnell, weil Schweigen mir kuhler und klüger erscheint (but: never underestimate the Kuhlness of Kauzigkeit).

Mit den ersten Sonnenstrahlen nehme ich meine langen Spaziergänge wieder auf. Den Welpen packe ich in einen Rucksack, das alte Tölchen trage ich auf dem Arm und der Besuchshund trabt konzentriert neben mir her.
Bei Fannys Grab angekommen setze ich mich auf deine Bank.

#2

Beim Sprung von der Mauer taten die Fußsohlen weh, beim Rauchen auf der Mauer die Lunge. Die braunen Finger wurden auch mit Bürste kaum sauber. Das kleine Überbein am rechten Mittelfinger aber stammt vom Füller.

(Totalste Mutterausflippung beim Schreibenlernen mit Tinte!)

Mit 14 nahm ich Eiswürfel und Stopfnadel und durchstach (wie stets um mich selbst kreisend) mein rechtes Ohr so oft, bis es in der Zusammenschau mit dem linken mein Geburtsdatum anzeigte.

Zum Glück hast du nicht am 31.12.!, würden fortan alle ausrufen, denen ich wichtigtuerisch diese lame Geschichte auftischte, doch bald schon langweilte, ja genierte mich die Reaktion, ich nahm die Ringe aus den Ohren und schwieg fürderhin über die Bedeutung der Löcher.

Einmal, ich war nicht Zuhause, hatten meine Eltern Besuch von einer Frau, der sie von meiner rätselhaften Erkrankung erzählten und die ihnen erklärte, wie abträglich das Durchbohren diverser bedeutsamer Punkte im Ohr meiner Gesundheit gewesen sein musste.
Um herauszufinden zu können, unter welcher Krankheit ich litt, bat sie meine Eltern an meiner gebrauchten Wäsche schnuppern zu dürfen, was diese ablehnten.
Weshalb diese Frau überhaupt Zutritt zu unserer Rabenvilla bekommen hatte, habe ich nie erfahren.

Beim Scannen der vielen Untersuchungsberichte aus Freiburg, Würzburg, Frankfurt, Berlin, La Habana und San Francisco fühle ich mich plötzlich sehr weitgereist, sehr tapfer und stark wie eine Frau mit großem Hut.


Morgen werde ich die gesammelten Befunde an die Charité mailen.
Wenn alles nichts nützt, versuche ich mein Glück beim Resteimpfen.

Exil (#1)

Mit einem schnellen Kopfstoß hat der Nachbar die Scheibe der Korridortür zertrümmert und sich die Stirn der Breite nach aufgeschlitzt. Schreiend vor Zorn steht er im Treppenhaus, die Wimpern tropfnass vom Blut.
Später erfahre ich, dass ein unkündbares Abo Grund bzw. Auslöser seiner Wut waren.

Zwei Männer bringen mit einer noch nie gesehenen Treppensteigmaschine ein schweres Elektrogerät nach oben. Miele steht auf dem Karton. Gute Wahl.
Ich frage mich, wie es der B. geht, die seit Monaten in ihrer Wohnung gepflegt und ab und zu von einem Krankentransport abgeholt wird.

Die Nachbarsfamilie hat die Auseinandersetzung mit dem treppenlahmen Kleinkind ritualisiert. Inzwischen drehe ich laut Musik auf (und fühle mich schlecht dabei) wenn das Mädchen weint und jammert und die Mutter dazu schreit.

Mein Tölchen ist in der Klinik. Die Ärztin sagt es sei der Rücken und nicht der Tumor. Sie hängt am Schmerztropf und mit dem Welpen soll sie besser nicht mehr spielen.
Wie soll das gehen.

Nach dem Schnee kam der Matsch und mit dem Frühling kommt die dritte Welle.
Von der Charité könnte ich eine Impf-Dringlichkeitsbescheinigung bekommen. Dafür müsste mein Befund genetisch überprüft werden, was etwa zwei Monate dauern, mir also nichts mehr bringen würde.
Diesen letzten Schritt der Diagnostik hatte ich bisher gescheut. Es gibt keine Heilung für Erkrankungen dieser Art. Eine genaue Diagnose wäre also nur ein Fahrplan für die Reise in den Abgrund.

Vor ein paar Jahren bat der Kanzler mich, doch wenigstens meinem Bruder zuliebe diese Untersuchungen machen zu lassen, damit er und seine Freundin im Falle einer Schwangerschaft gezielt nach Jemandem wie mir suchen und den Fötus abtreiben könnten.
Ich habe mich geweigert.

Solidarität beginnt im Uterus.

Ein Pingback passiert nicht einfach so.
Man rutscht nicht auf der Maus aus und -zack- ist ein Link auf das Blog der „Gegenseite“ (!) gesetzt.

Man verlinkt, weil man das so entschieden hat und für richtig hält.