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Wenn es heute läutet, ist es meist nicht in meinem Kopf. Wenn es kracht, ist es manchmal nur mein Knie. Wenn es weint bin´s immer seltener ich (eher schon das quengelnde Nachbarkind, das mir früh am Morgen ins Walkie Talkie funkt und kräht. -Wozu braucht die Frau überhaupt ein Walkie Talkie? -Too long, you would not read it).
Wenn keine Antwort kommt, ist es weiterhin das große Schweigen mit seinen wechselnden Protagonistinnen. Heute: die Alpen.

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Vor einem Jahr, denke ich, als mein Blick auf den Laternenfuß mit dem verwaisten Fahrradschloss fällt, vor einem Jahr genau, es war ein heißer Augustnachmittag, so wie heute, hat mir die Malerin hier, an dieser Stelle, die grausame Geschichte des armen Berliner Dackels erzählt, von der ich lieber niemals erfahren hätte. (Ob man den Täter je gefasst hat?)

Dass ich mir Dinge derart situationsabhängig merke, wundert mich schon lange nicht mehr. Erstaunlich finde ich hingegen, dass der Nachbar am Mittag aus einem Polizeiauto mit Rosenheimer Kennzeichen steigt.
Und zwar als Fahrer. Im Adidas-Jogginganzug. Dabei ist er Landwirt.
Sein kleiner Hund patrouilliert unterdessen routinemäßig die Straße auf und ab. Die Fellzeichnung mit den steilen Augenbrauen lässt ihn grimmig aussehen. Der tippelnde Gang und das aufgeregte wie grundlose Dauerschwanzwedeln indes wirken töricht und unbedarft, was man von seinem Besitzer, der in geducktem Gang und sich verstohlen umblickend ins Haus schlüpft, nicht behaupten kann.

Mit offener Fahrertür steht der Streifenwagen in der Hofeinfahrt.

 

Den ganzen Tag erlebe ich solche Mikrogeschichtchen. Manche drehen sich nur um einen dicken Apfel, der an einem winzigen Ästchen hängt. oder um grün schillernde, wunderschöne Käfer, die ich aus einem Ameisenhinterhalt, der sie das Leben gekostet hätte, rette. Andere handeln vom einzigen Blatt eines ansonsten kahlen Baumes und sind genau genommen gar keine Geschichten sondern eher Gleichnisse. Dem Grunde nach wahrscheinlich sterbenslangweilig (außer für mich).
Doch aus jedem dieser Bilder, ließe sich mit etwas Engagement und Geschick eine interessante Story spinnen, wenn nicht der Aufwand des Schreibens wertvolle Zeit binden würde, in der ein weiteres Dutzend solcher Erlebnisse verloren gingen.

(Experience, sagt der Engländer. Vivencia, weiss der Spanier)

So könnte ich, wenn ich anstatt zu prokrastinieren fleißig schriebe, schwerlich von meinem topfitten Hund berichten, wie er mit fliegenden Ohren im trommelnden Galopp den Feldweg entlangprescht, und den auch die unvermeidlichen Funktionsradfahrer, die mit ihren schotterspritzenden Mountainbikes (mit E-Motor) im Vorbeibrettern zeternd auf die Hundeanleinpflicht hinweisen und, um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen und nebenbei mich und den verfluchten Drecksköter zu erziehen, voll auf das liebe Tölchen draufhalten. (Wo doch Hunde bis Kniehöhe gemeinhin als Fußhupen gelten, aber jetzt auf einmal eine Gefahr für Wald und Flur darstellen).

Denn statt unangeleint spazieren zu gehen und eben diese Dinge zu erleben, säße ich jetzt am Küchentisch unserer Unterkunft, vor mir ein Gemälde Gabriele Münters, neben mir ein Fenster mit Blick auf einen Malvenstrauch, und schriebe über in der Vergangenheit liegende Eindrücke, wie etwa die Landung der ersten Störche, die trächtigen Kühe auf der Weide, die im Schatten eines Baumes lagern und wiederkäuen, über die beiden Fohlen, eines davon mit Karpfengesicht, und ihre blondbeschweiften Mütter. Darüber, wie die Gastgeberin mich am Abend vor dem Haus mit ausgebreiteten Armen, glückseligem Lächeln und den Worten „Ich bin jetzt Königsmutter“ begrüßt und mir einen Zeitungsartikel zeigt, in dem ihr Sohn abgebildet ist. Von den nächtlichen Wieseln, die mit ihren kleinen Pfötchen über das Dach unserer Hütte trippeln schriebe ich. Vom Blätterwerk des alten Gartens und vom klaren Wasser des Sees, von den Hühnern vor der Kirche und von der Sandkuhle in der sie baden, von der Baustelle am Bahndamm, der Eichenallee und dem Moos und vom rätselhaften Verschwinden des alten Ziegenbocks.
Das brave Tölchen läge währenddessen zu meinen Füßen, zuckte mit den Beinen und erträumte sich all die Dinge die sie  hätte sehen und all die kleinen Tieren die sie hätte aufspüren können, wenn ich statt auf den Monitor zu schauen und die Finger über die Tastatur tanzen zu lassen, meinen großen  Hut aufgesetzt, das Walkie Talkie geschnappt hätte und durch den Garten in Richtung Feld davon marschiert wäre.

 

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Die Nacht über hat es stark geregnet. Am Morgen, es ist noch dunkel, erwache ich vom hektischen Gebimmel der nahegelegenen Kapelle. Für einen kurzen Augenblick habe ich Angst etwas Schlimmes könne passiert sein. Doch dann fällt mir wieder ein wo ich bin.

 

Während die  Katatstrophenchronistin urlaubt, setzt die Apokalypse aus.

 

 

 

 

 

 

Zwetschgen

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Vielleicht sind mir nicht die Worte abhanden gekommen sondern bloß das Bedürfnis, die Außenwelt weiterhin an meinem Innenleben teilhaben zu lassen. Mich darzustellen, gehört und verstanden werden zu wollen.

Heute sind es Bilder, die ich wie Kiesel aus dem Wasser fische, sie herumzeige und ein paar Meter weiter wieder ins Nass zurückwerfe. Von Belang nur während der kurzen Zeitspanne, die sie in meiner Hand liegen. Danach nicht mehr als Erinnerung und weiter nicht der Rede wert.

Was in mir vorgeht, was mein Leben bestimmt, hat nicht die Dringlichkeit der vergangenen Jahre. Die großen Beben liegen hinter mir. Kraft sammeln für die nächste Welle.

Ich weiß, dass hier (auch) Menschen mitlesen, die mir nicht nur nicht geheuer sind, sondern vor denen ich mich auch hüte. Manche haben mich im Laufe meines Lebens verletzt, andere bloß gekränkt, zwei haben mich verraten, ein weiterer wird es noch tun. Um das zu wissen, braucht es keinen Propheten oder besondere Antennen. Die Kenntnis der universellen Schmierwurstigkeit des Neiders und des Enttäuschten, dessen dornengekrönte Ikone zu Fall gekommen ist, reicht vollkommen aus. Mitleid ist nicht Mitgefühl. Es ist, ganz im Gegenteil, oft nichts anderes als Verachtung oder eine bizarre Mischung aus sublimiertem Selbstekel und übersteigerter Selbstherrlichkeit. In other words:      .

 

Der Hahn kräht auf dem Mist. In der gekiesten Auffahrt stehen Kälbchen in Plastikiglus. Die Ohren gespitzt, die neue, fremde Welt in sich aufzunehmen: der Ruf der Mutter aus dem Stall, das helle Zwitschern der Rauchschwalben, wenn sie im schnellen Flug durch die Lüfte jagen. Das blecherne Scheppern der Äpfel, die in eine Schubkarre fallen. Das Tuckern eines Dieselmotors. Regenprasseln, Wind. Abendliche Stille und nächtliche Ruh.

Nur neunzig Tage werden die Kälber haben, sich ein Bild von dieser Welt zu machen. Einige dürfen sechs oder sieben Jahre bleiben. Doch keines von ihnen wird an Altersschwäche sterben.

 

Die Apfelbäume im Garten tragen weniger Früchte, als im letzten Sommer. Die Wiese, auf der beinahe nur noch Löwenzahn wächst (scheußlich, würde der Kanzler sagen, dem ebenso, wenn auch aus anderen Gründen, die Worte ausgegangen sind) ist noch grüner als gewohnt und die Pflaumen sind angesichts mangelnder Alternativen allesamt verwurmt.
Oma Gustl, die Mutter meines verstorbenen Zahnarztes, hätte bestimmt noch einen Kuchen daraus gebacken, nachdem sie die halbierten und entkernten Früchte auf ein gezuckertes Blech gelegt hätte, um die Würmer aus dem gelben Fleisch zu locken. Am nächsten Morgen hätte sie das Obst in ein Sieb gegeben, abgewaschen und die Hälften auf dem sehr dünnen Teig verteilt.

Der Gedanke an das zuckrige Blech mit den sich windenden Würmern ekelte mich und machte mich gleichzeitig traurig. Mir taten die Tiere Leid und insgeheim hoffte ich, Oma Gustl würde sie, statt sie im Abfluss hinunter zu spülen, im Müll entsorgen, wo sich gewiss neue Nahrung für sie fände. Vielleicht, so hoffte ich, entwickelten sie sich auf der örtlichen Müllkippe zu Schwärmen bunter Schmetterlinge, die im nächsten Frühjahr zu den Obstbäumen ihrer Geburt zurückkehren und dort, wie schon ihre Vorfahren (Väterväter), für verwurmte Früchte sorgen würden.

Einem Teil der Würmer, davon war ich überzeugt, war die Süße der Heimatfrucht genug gewesen. Sie hatten das Obst nicht verlassen und fanden nun den Tod im Ofen von Oma Gustl, die uns später mit ihren krummen Fingern und den dunkel geränderten Nägeln ein Stück des lauwarmen Kuchens auf den Teller legen und dazu einen Kakao oder ein Glas trüben Apfelsaft servieren würde.
Die gebackenen Würmer, so stellte ich mir vor, traten in Oma Gustls Küche ihre letzte Reise, durch meinen Körper, der ihnen zu einer Art Krematorium wurde, an, ehe ihre Überreste dann doch noch den Weg in die Kanalisation fanden und sich später im Fluß und schließlich im Meer verloren.

Am Ende unserer Besuche klaubte Oma Gustl für ihren Enkel und dessen besten Freund, meinen Bruder, jeweils eine Silbermünze aus ihrem gut gefüllten Kellnerportemonnaie und fragte „Is des´n Rischtische?“ Meist waren es Richtige, doch manches Mal beförderte sie auch einen unbekannten Silberling hervor, beäugte ihn von beiden Seiten, kam zu keinem Ergebnis und wurde dafür von den beiden Jungen lachend geneckt. Schließlich  hielt jeder von ihnen ein Zwei-Mark-Stück in der Hand. Wir Mädchen gingen leer aus.

Oma Gustl betrieb ein in linken Kreisen beliebtes Café im Frankfurter Nordend.
Nach ihrem Tod erbte ihr Enkel das große Mietshaus aus der Gründerzeit und erhöhte, so hörte man, zuerst einmal allen Parteien kräftig die Miete, was ihn selbst in die komfortable Lage versetzte mit hochgelegten Beinen an seinem Punk-Fanzine herumtippseln, und sich auch sonst ganz seinen Hobbies widmen zu können.

Geschichten, alles nur Geschichten. Weit weg, wie die Scholle auf der ich geboren wurde, und das Eis, so lese ich, ist inzwischen vollständig geschmolzen.
(Was verschwunden ist, lässt sich weder suchen noch finden. Ein beruhigender wie auch beunruhigender Gedanke. Vergeblichkeit (die kleine Schwester der Endlichkeit) als Trost und Abgrund).

Und sonst?
Ich schlafe gut und tief. Die pulsierende Ader an der Schläfe scheint harmlos zu sein. Das Moos ist weit, die Berge hoch, die Luft ist frisch, der Himmel tiefblau und selbst die Brezn aus dem Aldi-Backautomaten schmecken besser als jedes Gebäck in Berlin, ausgenommen die Kunstwerke des Belgiers, den ich mir lieber als Franzosen vorstelle und der backen kann wie kein Zweiter in der Hauptstadt, dem allerdings sein aufbrausendes Gemüt und seine unzuverlässigen Öffnungszeiten im Wege stehen, eine wirklich große Karriere zu machen (die ihm offenkundig sowieso nichts bedeutet).
Das hiesige Rockerpärchen wohnt noch immer neben der Autowerkstatt. Er trägt weiterhin einen langen weißen Bart und schraubt an seinem Motorrad herum. Als Satteltasche dient ihm ein alter Scout-Schulranzen und seine schwarze Lederjacke hat Fransen. Seine Frau sitzt auf einer Bank, streichelt den Hund und blinzelt zufrieden in die Sonne.

Wir rufen nicht die Polizei, wir rufen die Familie, steht am Eingang ihres Häusls.

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Mensch, prima, sagt die Filmemacherin, als wir antiquierte Redewendungen austauschen. Ich kontere mit: Echt klasse!

Alto, Alta

Immer wenn ich versuche, faul zu sein, kommt irgendetwas dazwischen. Zum Beispiel Planung und Vorbereitung einer Reise.

Auf meinem Rechner befinden sich Dutzende angefangener Texte.
Sie tragen Titel wie Chronische Tachinose oder El idiota eres tu.
Natürlich wird keiner von ihnen dem Ernst der Lage und der Leichtigkeit i.S.v. Gewichtslosigkeit des Lebens gerecht.

In meinem Küchenschrank liegt eine ausgetrocknete Zitrone.
Wieso sie, anders als alle ihre Vorgängerinnen, keinen Schimmel angesetzt hat, weiss ich nicht. Gerne hätte ich etwas zu Herrn Ackerbaus einzigartiger Mould-Sammlung beigetragen.

 

Und sonst?
Der Grat auf dem ich mich bewege, lässt mich ob der Aufstiegshöhe bzw. der Falltiefe jubeln und erschaudern. Alles eine Frage der Perspektive.

 

Der Unterfranke schickt ein Foto vom Zugspitzengipfel.
Noch drei Tage bis zu den Alpen.