not just sad

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Wie es mir geht, willst du wissen, einen Fuß in der Tür und die Hand auf dem Lichtschalter, um vom Helllichten ins Verborgene zu entschwinden, dem unbekannten  Ort.

Ich könnte dir erzählen von dem Mann, der Helikopter reparierte und Frühstücksbrettchen aus Kirschholz fertigte und zufrieden war, dass es vor- und aufwärts ging mit seinem Leben. (Sein Bruderkuss, der zum Schwesternkuss wurde. Sein nächtliches Wachen, seine tägliche Suche).

Von den Güterzügen könnte ich berichten, den Talfahrten, den Gleisen ins Nichts, von der Grabesmüdigkeit, dem Dunklen Raum und den Himmelsleitern.

Auch von der Kuh auf dem Hänger, würde ich dir sprechen, von ihren Rufen, ihrem Klagen, ihrer Einsamkeit und ihrer Furcht. Von den Wimpern des Kälbchens, seinen Marken im Ohr, von der alten Frau und der Handvoll Steine, mit der sie das rote Kätzchen von der Straße scheucht. Von dem Traktor und vom Apfelregen würde ich dir erzählen und von dem Adler über dem See.

 

Auf dem Rücken liege ich, der Himmel trägt grau. Ich atme ein, ich atme aus.

 

 

 

 

 

 

 

Bild: Fermín Guzmán, cdmx 2017, flickr
Lizenz: All rights reserved (mit freundlicher Genehmigung des Künstlers- muchas gracias, Fermín!)

Schornsteinfeger ging spazier´n

Mit Jemandem, der mir bei einem Waldspaziergang erklärte wie einfach sich eine Leiche in der Höhle unter einem umgestürzten Baum verstecken lässt, würde ich nie mehr spazieren gehen, denke ich, als die kleine Polin mir lachend von den sonderbaren Äußerungen ihres Kollegen erzählt. Das ist ungefähr so schräg wie die Geschichte von dem Arzt, der mir gleich bei der zweiten oder dritten Verabredung seine frühkindliche Leidenschaft Tiere zu quälen und anschließend zu töten gestand. Glücklicherweise, so resümierte er, bot ihm später die Medizin ein geeignetes Ventil seinen Neigungen zu folgen, ohne Serienmörder werden zu müssen.
Es gab kein weiteres Treffen mehr zwischen uns.

 

(Nein mein Kind das darfst du nicht)

 

 

Bei Edeka an der Kasse steht ein zerzauster Mann. Während seine Wodkaflasche sich langsam auf dem Laufband nach vorne schiebt, schaut der Mann sich um und entdeckt zu seiner rechten den Absperrgurt, der bei Kassenschluss vor den Gang gespannt wird. Interessiert greifen seine derben Hände nach dem Gurt und ziehen ihn bis zum Anschlag aus der Halterung. Nachdem er den Gurt eine Weile beäugt und für die umstehende Komparsenschaft  in Clownsmanier hin und her gewendet hat, kommt ihm eine Idee. Mit ausholenden Armbewegungen und glucksenden Kehllauten wickelt er den Gurt nun um seine kreisenden Hüften und schaut entzückt an sich herab. Nach ein paar Sekunden, seine Flasche wird gerade eingescannt, setzt er seine zu einem Krönchen geformte Hand auf den Kopf und dreht sich tippelnd um die eigene Achse bis der sich lösende Gurt zurück in die Halterung schnappt.
Während der gesamten Darbietung verzieht keiner von uns Komparsinnen und Komparsen eine Miene.

 

 

Morgen wird die Tigerin operiert. Ich hoffe es läuft alles glatt.

Flor

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Die Nachbarin sorgt sich um die Florfliegen in ihrem dschungelartig zugewucherten Hinterhof und beklebt die von der Hausverwaltung aufgestellten Halogenscheinwerfer mit violetter Folie. Wenn die Florfliegen sterben, sagt sie, sterben auch die Vögel, und da hat sie wahrscheinlich recht. Die Hausverwaltung indes, vertreten durch den gewissenhaften Hausmeister, lässt die violetten Schutzfolien regelmäßig entfernen, um auch in der Nacht das sichere Betreten des Hofes zu gewährleisten und etwaigen Schadenersatzansprüchen vorzubeugen. Sie weiß um die Not der Florfliegen, die an dem gleißenden Licht zugrunde gehen. Auch wurde sie unterrichtet über die ökologischen Folgen des Insektentodes. Doch Fünfe gerade sein zu lassen, könnte das Unternehmen teuer zu stehen kommen und so müssen die Folien weg, es hilft alles nichts.

Das Prinzip der Körperschaft, der Corporate Identity oder des Teamgeistes wäre auch mal eine kleine Gedankenreise wert, überlege ich, während ich mit brummendem Schädel aus dem Fenster schaue und mich frage wo der Sommer geblieben ist. Immer weiß ich von allem nur ein bißchen, anders als beispielsweise der Bekannte, der sich sein Leben lang durch Papier arbeitet und den Dingen ordentlich auf den Grund geht. Die gewonnenen Erkenntnisse speichert er in seinem überaus gebildeten Kopf, ruft sie bedarfsweise ab und verarbeitet sie weiter. Zu welcher Entscheidung er wohl bezüglich der Florfliegen käme und wie er sie begründen würde, frage ich mich und verfolge weiter den Streit der Krähenvögel vor dem Haus. Mein Denken ähnelt leider nur einer auslaufenden Welle voller Treibgut. Flüchtig, wenig substanziell und ungeordnet. Ich bin eben ich.

 

In der Denkerei, so lese ich gestern, treffen sich ein paar Männer und machen, in Umkehrung der luhmann´schen Vorgehensweise, aus dessen Texten Zettel. Jeder Teilnehmer trägt dabei einen Tarnnamen. Wer keinen hat, dem wird einer zugewiesen.
Die Denkerei ist mit wandhohen Fenstern ausgestattet und von der Straße gut  einsehbar.

 

Verliebt wie in das Wort klandestin war ich einmal in einen Mann von dem ich jetzt erfahre, dass er tot ist. Wir waren so lebendig, dass ich gerade von ihm am Allerwenigsten erwartet hätte, zu erkranken,  geschweige denn zu sterben. Eine Ausstellung hat Ende vergangenen Jahres posthum seine Werke aus 2 Jahrzehnten präsentiert. Ich hätte sie mir nicht ansehen können.

Merkwürdig berührt bin ich auch von dem tweetweisen und vielfach gefavten und kommentierten Bericht über das Sterben eines geliebten Menschen. Öffentlicher Abschied, zeitecht dokumentiert. Bis zum Schluss. Die Hände vor´s Gesicht schlagen, schluchzen, resümieren, Selfies machen.

Je verstörender und bizarrer die Dinge um mich herum sich zeigen, umso schwerer fällt es mir, den Blick abzuwenden.

 

 

 

 

 

 

 

Bild:  Lieven Soete, danseurs en transit, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/