Die Welten der Anderen (7)

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Es ist schon ziemlich lange her, seit ich das letzte Mal eine Linkliste zusammengestellt habe.
Das hatte verschiedene Gründe, die hier aber ganz unwichtig sind, geht ja heute um andere.
Deswegen unumschwiffen (nur) eine knappe handvoll Lieblinks:

 

Iris, Herbstfragment (ohne Punkt und Komma)
Der Herbst ist da und Iris schreibt darüber, atemlos. Ecriture automatique.
Ich hab´s verschlungen, mehrmals hintereinander.
Y!

Einfach schwimmen ist nach einer kurzen Pause wieder da. Dieses Mal mit Kuchen, der blutgetränkt aus dem Mund fällt. Schleppende Tage in der Psychiatrie.

GlamourDick, There is thunder in our hearts
Eine Entdeckung für mich ist GlamourDick. Schon lange bin ich immer wieder um das Blog herumgesurft, hab hier und da hineingeklickt und stieß nun plötzlich auf diesen Text, der mich die Arme ins All werfen ließ.
Ich sage nur Emotionskathedrale.

meertau, Das eine Thema…
Je älter wir werden, desto mehr wird der Tod als unausweichliches Ereignis zur Gewissheit. Frau meertau möchte das nicht einfach hinnehmen. Das kann ich gut verstehen.

Und zum Schluss noch ein Beitrag von Don Alphonso Warum wir das als Vermieter nicht schaffen
Was will er uns damit sagen? Sieht so inzwischen der bürgerliche Mainstream aus?
Lesenswert auch die Kommentare.

 

 

 

 

 

Streifendes Licht

Leuchtturm in Blankenese

Bei Gaga Nielsen lese ich von der Nationalen Kohorte und verliebe mich sogleich in dieses Wort, wie ich mich einst in Caracas verliebte, als Wort, als Idee, als Traum (longing) und jahrelang vorgab Botschafterin an diesem fernen Ort werden zu wollen. Botschaften haben, teilen, in die Welt tragen, ganz egal, jemand sein. Das Meer atollklar, lagunengrün, azur, turquoise, (frisch), die Schildkröte mit hellem Bauchpanzer im kühlen Wasser, Verheißung, Zukunft, Leben, nach oben zum Licht. Urzeitlich unbeirrbar.

So geht es mir auch mit anderen Wörtern, die Stimmungen erzeugen oder wecken (wer weiß das schon), vage Gefühle, ein Bild, die Julius-Leber-Brücke in Schöneberg zum Beispiel, die Rote Insel, Gleise, das alte Berlin, ein Kino, die Goltzstraße, wenn ich an die Schlussmacherin via sms denke. Ich selbst am Strand von Kerleven, eine Jugenderinnerung, die ich bereits pflegte, als ich noch sehr jung war. Jeanne Moreau, das müde Lächeln im juvenilen Gesicht, Augenbrauen, wie auf Porzellan gemalt, weiche Lippen, schmale Fesseln, Kontur.
Stimmungen, mein ganzes Leben. Der Leuchtturm, dessen Feuer sich einsam dreht, en passant das Verborgene streift, schemenhaft erhellt, um es sogleich wieder in abgewandtes Vergessen sinken zu lassen. Die Krabbe im Sand, in der Bewegung erstarrt, wie das nächtliche Reh auf der Landstraße im Zauberwald.

Verborgene Existenzen. Klandestines Leben. Geheimnisse, die niemand lüften möchte. Tiefsee des Alltags. Überall Moos.

Planlos nach vorne handeln und klar nach hinten denken. Die Spuren entdecken, die das ziellose Schlendern hervorbringt, mein Weg einer Schneckenspur gleich. Deuten, einordnen, begreifen, hinnehmen. Das vor allem.

Schon wieder Bombenalarm am Jüdischen Museum. Die übergewichtigen Polizeibeamten, die zur Bewachung gefährdeter Bereiche eingeteilt sind, plötzlich ins Licht gestellt, getaucht. Getroffen vom öffentlichen Blitz, harte Schatten. Der Stein unter dem sie ruhten. Das Potenzielle als Tatsächliches, ganz kurz nur. Haltung annehmen, die Welt schaut zu, türloser Abort. Am Abend Zuhause, kaum hebt die Frau den Blick,
Dein Essen steht in der Küche,
Hast du es gehört?
Keine Zeit jetzt, ich schaue gerade fern.

Das geht vorbei. Wieder zurücktreten in den flutlichtumdunkelten Alltag, unter den Stein, in die feuchte Erde, die bemooste Heimeligkeit. Wesen.

Ein veritabler Lichtblick: der relevante Pankreaswert des Hundes liegt bei 30 Irgendwas. (ab 400 wird’s blöd, darunter ist es gut). Mehr als zufrieden, wenn nicht glücklich, jubelnder Festtagseinkauf bei Olmo, italienische Delikatessen im Kreuzberger Herbst. Die Sonne kämpft sich durch den Hochnebel.

 

 

 

Bild: http://photoblog.hildania.de/2008/08/06/leuchtturm-in-blankenese-i/

 

 

 

 

 

Wohlan

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Es ist übrigens reiner Egoismus, wenn ich um sterbende Arten trauere. Aussterbende Arten, genau genommen.
Arten gibt es zum Einen sowieso nicht, sie sind eine Erfindung der Biologie, und zum Anderen war das schon immer so: sterben, vergehen, entstehen. Platz für Neues schaffen.
Der Gipfel der Menschlichkeit ist Logik, nicht aber das egoistische Dahinschmelzen über die eigenen Verluste.
Trauern, weil ich etwas nicht missen möchte.

In egomaner Selbstumkreiselung wünsche mir sogar, dass mein Hund wieder gesundet, mein Kiez nicht weiter gentrifiziert wird und der Winter nicht so kalt werden möge.

Wohlan!

 

 

 

 

 

Morgenröte

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Fluchtmotiv und Fluchtrichtung der Gefangenen sind unbekannt, sagt der Polizeisprecher.
Darüber muss ich wirklich lachen.

Ansonsten sind das eher zähe Tage und Wochen, die meiner Frohnatur (ja, Frohnatur!) ziemlich viel abverlangen und den Menschen um mich herum inzwischen auch, weil meine Mimik einfriert und der Ton scharf wird, der Geduldsfaden reisst und der Regler sich Stück für Stück in Richtung totale Eskalation schiebt, während die Tür der Kapsel sich schließt.

Über den Hund mag ich gerade nicht schreiben, weil sich sowieso alles jeden Tag wieder ändert und ich erst, und auch nur unter der Bedingung, dass sie dann ohne weitere intravenöse Infusionen und Antibiotikum auskommt, am kommenden Montag mit ihrer Entlassung rechnen kann.
Neue Pankreaswerte erwarte ich für morgen, die Eosinophilie bleibt rätselhaft, aber ein Satz hat mich heute wirklich zuversichtlich gestimmt. Auf meine Frage nämlich, ob sie sich große Sorgen machen würde, wenn Töle ihr Hund wäre, sagte die zuständige Internistin:
Nein, so wie es jetzt gerade aussieht nicht.
Ihr entspannter Gesichtsausdruck und das leichte Lächeln um ihre Mundwinkel haben mir sehr, sehr gut getan und es fiel mich plötzlich leicht ihr zu glauben.

Vielleicht ist das noch kein Grund zu feiern, aber es fühlt sich doch ein wenig  an, wie die beginnende Morgenröte.

 

 

Bild: „Noctilucent clouds bargerveen“ von Hrald – Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons – https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Noctilucent_clouds_bargerveen.jpg#/media/File:Noctilucent_clouds_bargerveen.jpg

 

 

 

 

 

Knochen

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Ich könnte es lang und breit und ausschmückend erzählen, aber wer hat schon Lust auf ständig neuen Tiercontent, wenn nicht einmal ein Hundekampf drin vorkommt, wie er in Kreuzberger Kellern noch immer Usus sein soll.

Also:

Der Zustand des Hundes hat sich am Sonntag erheblich verschlechtert: Erbrechen, Krampfen und Hechelatmung. Ich also Tierklinik (wer braucht noch Verben?)
Die diensthabende Ärztin äußert Zweifel an der bisherigen Diagnostik, will noch einmal röntgen und schallen und entdeckt dabei tatsächlich einen großen Fremdkörper in Töles Magen, der beim letzten Röntgen und Schall nicht zu sehen war. Ein Knochenstück. Rätselhaft, da sie seit ihrer Erkrankung für die kurzen Spaziergänge nur noch mit Maulkorb das Haus verlassen darf und Zuhause keine Knochen verfüttert werden.
Die Bauchspeicheldrüsendiagnose scheint fraglich, weil die Werte dafür zu unspezifisch sind und das Tier fast durchgehend Appetit zeigte.
Jetzt muss sie in der Klinik bleiben, der Fremdkörper wird beobachtet und gegebenenfalls endoskopisch oder sonstwie entfernt und in der Zwischenzeit bekommt sie weiter Infusionen und Schmerzmittel. Man vermutet irgendeine Allergie oder eine Autoimmungeschichte. Die extrem erhöhten Eosinophilen sprechen dafür.
Mein kleiner Hund ist arg abgemagert und ich bin auch nicht mehr geworden in den 13 Tagen, die das nun schon geht.

Überflüssig zu erwähnen, dass der Kaffeeautomat in der Klinik kaputt war (oh boy), ich auf dem Rückweg mitten in den zähen Fliegerbombenstau geriet, meine Wohnungstür durch den Tischler geöffnet werden musste, weil das Schloss defekt ist und Zuhause eine Katze auf meinen Laptop gebrochen hatte.

 

 

 

 

 

 

Klinsi killt King Kahn

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Immer wenn du denkst es geht nicht mehr kommt von irgendwo das Schicksal her (arrgh, ein grottenschlechter Reim und noch dazu so dumm. Das tut weh! Als wären wir nicht bei Tag und Nacht schicksalsumzingelt bzw. todesumfangen, wo bleibt bloß die Lyrikpolizei?) schnappt sich deinen Arm und dreht ihn dir brutal auf den Rücken (das Schicksal immer noch, nicht personifiziert, obwohl, könnte natürlich auch, wo wir gerade bei Polizei waren, eher metaphorisch gesprochen, mal wieder).
Kein Reim, sondern die ganze Wahrheit. Schei**Schick*** oder Schö**Schei**.
(Alliterationen aller Art/ Klinsi killt King Kahn)

Eine kurze Zeit lang dachte ich, ich könnte ja mal meinen Titel Katastrophenchronistin ablegen, möglicherweise sogar einmotten; könnte mich wenn schon nicht Glückskind dann doch wenigstens Gehtschon oder Naja nennen.
Ich dachte, gesundheitlich wird’s ja wieder und in der Liebe ist es auch schön und die Tiere machen mir Freude und die Freunde erst recht. Und das denke ich immer noch, wenn ich nicht gerade das Gegenteil glaube, dass nämlich das Leben eine einzige Talfahrt und das Schöne so flüchtig in rasendem Fall (verlogen, hässlich, hinterhältig).

Wenn ich übrigens (außerhalb jedes Kontextes) lese, dass eine Trollin eine befreundete Bloggerin trollt (wenn Fliegen hinter Fliegen fliegen fliegen Fliegen Fliegen hinterher), dann kommt mir die kalte Wut.
Trollt euch, ihr trutscheligen Trolle!
Ich stelle sie mir vor, diese fiesen feigen Frauenzimmer und tumben Toren. Wie sie Zuhause hinter dem Rechner sitzen, ungepflegt und nasepopelnd, wie sie im ungelüfteten und zugequarzten Wohnzimmer hocken, halb abgedunkelt und getrennt von der Welt, wie sie so mampfend und flatulierend sinnieren, sich überlegen, wie sie es allen heimzahlen können, der gesamten verfluchten Menschheit, wie sie das Gift, das aus ihren verstopften Poren quillt wie altes Fett, in bittere Worte verwandeln und mit ihren groben, ungepflegten Klauen mittels bierverklebter Tastatur auf die virtuelle Reise schicken, um anderen Menschen, Leuten, die sie nicht einmal kennen und auch niemals kennenlernen werden aus ihrer seelischen Verwahrlosung und Einsamkeit heraus, das Leben zu erschweren (wieso sollst du es besser haben als ich?) um sich selbst für einen kurzen Moment ein kleines bisschen besser fühlen zu können, machtvoller, stärker, bis sie wieder zusammen sacken, in sich selbst, ins Nichts, in die Bedeutungslosigkeit, die ihr Leben ist, ihr Dasein, stumm geifernd, einsam und verloren. Das stelle ich mir vor und dann weiss ich schon gar nicht mehr, wer mir mehr Leid tun soll, Troll der Getrollter.

Armer, armer Troll.

In meinem eigenen Leben läuft es auch nur so mittel und die kleinsten Besorgungen gestalten sich als beinahe unlösbare Aufgaben. Ringer-Lösung soll der Hund am ersten außerstationären Mittag unter die Haut kriegen und das Zeug ist in ganz Kreuzberg nirgends aufzutreiben, nur Ringer Lactat könnte ich haben, soll ich aber nicht wegen des pH-Wertes und der Leber und weil immer noch Bauchspeicheldrüse. Dafür geht der ganze Tag drauf und schließlich hat selbst der Tierarzt am Ufer nicht das Ersehnte (und zuvor Behauptete). Und deswegen machen wir den  ganzen langen Weg, an dessen Ende ich mein liebes Tier tragen muss. Erst am Abend gelingt es mir die Lösung aus einer Apotheke zu besorgen und den gestressten Bruder um Mithilfe beim Infundieren zu bitten. Er sticht die Nadel just in dem Moment in ihre Flanke, als der Kanzler, der aus Frankfurt angereist ist, die Wohnung erreicht und wir drei viel zu viel und zu laut und durcheinander reden mit roten Köpfen und geschwollenen Halsschlagadern und Töle unsicher mit dem Schwanz dazu wedelt ganz sachte, und später als der Bruder weg ist reden der Kanzer und ich überhaupt nicht mehr, so erschöpft sind wir beide. Er, weil die Stieftochter so krank und ich, wegen des Hundes und mir selbst und wegen der lauten Worte und der unüberwindbaren Hindernisse.

Ich muss wohl tief geschlafen haben, auch wenn es mir vorkommt, als hätte ich die halbe Nacht über Töles Schlaf gewacht, über ihren Atem, das Schnorcheln, die leisen Seufzer aus tiefster Seele, denn am Morgen finde ich eine riesige Lache Erbrochenes neben und auf ihrem Schlafplatz, im hohen Bogen, wahrscheinlich liegend, und dann gleich wieder zum Tierarzt.
Das gleiche Karussell. Angst, Infusionen, Medikamente, Stress, finanzieller Ruin.

Einsteigen und die Türen schließen.

Tuttut

weh.

 

 

 

 

 

 

Bild: „Gustave Doré – Dante Alighieri – Inferno – Plate 22 (Canto VII – Hoarders and Wasters)“ by Gustave Doré – [From the Title Page:]Dante’s Infernotranslated byThe Rev. Henry Francis Cary, MAfrom the original ofDante Alighieriand illustrated with the designs ofM. Gustave DoréNew EditionWith Critical and Explanatory notes, Life of Dante, and ChronologyCassell, Petter, Galpin & Co.New York, London and ParisThe book was printed c. 1890 in America.. Licensed under Public Domain via Commons – https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gustave_Dor%C3%A9_-_Dante_Alighieri_-_Inferno_-_Plate_22_(Canto_VII_-_Hoarders_and_Wasters).jpg#/media/File:Gustave_Dor%C3%A9_-_Dante_Alighieri_-_Inferno_-_Plate_22_(Canto_VII_-_Hoarders_and_Wasters).jpg

Florett

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Wie gerne ich mit ihm raufen möchte, boxen, in die Seile fallen, zurückgefedert werden und wieder zu Boden gehen. Immer weiter, bis ich nicht mehr kann. Erschöpft und frierend. Auf dem Parkett sitzend, den Rücken an die Wand gelehnt, mit verbundenen Augen. Er liest mir etwas vor und ich klappere mit den Zähnen dazu.

Die Stimme vibriert sich durch den Raum, propellert auf mich zu, erwischt mich, streift den Hals, die Brust, die Hüfte. Jedes Wort ein Schmiss.

Fechten. Wie gut der Sport ihm steht. Den Gegner mit ausgestrecktem Arm und Eleganz auf Distanz halten. Überhaupt: komm mir nicht zu nah. Ganz unaufgeregt, souverän selbstbewusst.
Es gibt nichts Attraktiveres.