Ständig und immer setzt alles überall Rost an. Fluchrost, wie meine Großmutter gesagt hätte.
Frau Tonari sammelt die Korrosion und ein Mal pro Monat stellen Blogger im Rahmen der, von ihr ins Leben gerufenen Rost-Parade, ihre Fundstücke vor.
Eine schöne Idee, wie ich finde.
Heute mache ich auch mal mit.
Voilà:
Ein verrostetes korinthisches Kapitell an der Eingangstüre zum Großbeerenkeller in Kreuzberg 61. Aufgenommen im vergangenen Sommer (etwas, unscharf, ick weeß).
Gerade wird dort aufgewertet saniert, mal sehen, was von der Patina übrig bleibt.
Der Mittvierziger denkt über über den Rückzug in ein Brandenburgisches Dorf nach, das einen Tiernamen trägt.
Dort möchte er in einem Haus mit diversen Nebengebäuden leben (Asbestplatten. Kann man wegmachen), die sich um einen Innenhof gruppieren.
In einem dieser Gelasse will er eine seltene Katzenrasse züchten.
Morgens, noch vor der Arbeit, wird er sich um den Wurf und die laktierende Mutterkatze kümmern, jedes Tier wiegen und die Katzentoiletten reinigen.
Abends, wenn er nach Hause zurück kehrt, wird er sie noch einmal säubern, die Katzen füttern, kraulen und nach dem Rechten sehen.
Anschließend lässt er eine Maschine Wäsche durchlaufen, kocht Nudeln, macht die Bolognese vom Vortag warm und raspelt sich Parmesan darüber. Während des Essen schaut er in den Rechner. Was so passiert ist in der Welt. Manchmal hat er noch Lust einen Film zu gucken oder ein wenig zu schreiben. Meist ist er zu müde dafür.
Am Wochenende macht er den Großeinkauf bei Kaufland, fährt wegen der Hanfschnur beim Baumarkt vorbei, putzt später das Haus, bezieht das Bett frisch und repariert den tropfenden Wasserhahn.
Wenn es warm genug ist dürfen die Kitten zum Spielen in den abgeschlossenen Innenhof.
Für soziale Kontakte bleibt keine Zeit. Davon gab es genug in Berlin.
Jemand, dem zu Anna Loos bloß anal einfällt.
Jemand, der seinen Darm auf dem Fahrersitz des Nebenbuhlers entleert.
Der eine schwere Armbrust im Haus hat, weil Selbstverteidigung Bürgerecht ist.
Jemand, der auf Koks am besten läuft.
Jemand, der Messer mit Blutrinne sammelt.
Jemand, der nur mit einer Schürze bekleidet kocht.
Jemand, der 3 Abende pro Woche in der Sauna verbringt.
Jemand, der beim zweiten Date seine Zahnbürste ins Bad stellt.
Jemand, der seine geschiedene Frau Fotze nennt.
Jemand, der seinem Hund einen Schlafsessel kauft.
Von Praxis zu Praxis. Die Nadel im Heuhaufen. Den Weg finden. Wie es mir zum Halse heraus hängt. Und wie es mich in Panik versetzt- warum sollte es immer nur die Anderen treffen?- und wie ich wieder ganz gelassen bin und mir alles so absurd und abwegig erscheint. Man kommt rum, das immerhin. Urban, Charité, Hausärztin (nein, der unqualifizierten Mutmaßung des Charité-Arztes will sie sich nicht anschließen), Zahnarzt, HNO.
Geduldig erdulden.
In der Röntgenpraxis steht ein ausgemergelter Mann vor dem Anmeldetresen. Gibt es Brustkrebs auch bei Männern? Manchmal macht Frau Doktor auch bei Männern eine Mammographie, antwortet die Sprechstundenhilfe und schaut dabei auf ihren Monitor. Also gibt es Brustkrebs bei Männern?
Sie nickt.
Ich stehe hinter der Diskretionslinie und tue, als hätte ich nichts gehört. Plötzlich erscheint mir der raspelkurze Haarschnitt der kurvenreichen Schönheit vor mir wie eine nachwachsende Nebenwirkung.
Kranksein macht krank und lenkt den Blick auf das Kranke, das Versehrte.
Das Leben ist nicht nur Siechtum, aber es endet häufig darin.
Die parapelvine Rucksackzyste, ein Nebenbefund, ist dem Anschein nach gutartig, sagt der Internist. Sicherheitshalber solle ich sie alle 3 Monate schallen lassen.
Je häufiger ich mich untersuchen lasse, umso kränker (am kränksten) scheine ich zu werden.
Auf dem Heimweg prophylaktisch grünen Tee gekauft. Wegen der Antioxidantien und des tipsi-topsi Krebsabwehreffektes. (Nicht mehr lange, dann ziehe ich den Katzen das Fell ab um Rheuma vorzubeugen).
Seinem Schicksal entkommt man nicht, behauptet Neunmalklug und ich frage mich was genau das Schicksal sein soll. Der fehlspritzende Notarzt, oder der reanimierende Feuerwehrmann? In guten Momenten weiß ich, dass Letzteres stimmt.
Die schlechten Gedanken versuche ich abzuschießen, wie vorbeiziehende Entensilhouetten in der Jahrmarktbude. Plong!
Und, ermutigende, empiriegestützte Binse: auf Regen folgt doch immer Sonnenschein, falls nicht gerade Apokalypse,
was Bokonon verhüten möge.
Das Schicksal ist nicht nur Verhängnis, Tod und Siechtum, sagt der Eine.
Für diesen Satz, zu diesem Zeitpunkt, könnte ich mich direkt nochmal in ihn reinverlieben.
Zum Glück ist es nämlich auch Begegnung, Liebe, Licht und all die anderen wunderbaren Dinge.
Eine kleine Freude in diesen Tagen ist die Anfrage des Deutschen Literaturarchivs Marbach, ob man mein Blog dort langzeitarchivieren dürfe.
Für das Kommentariat bedeutet dies, dass alles, was hier so an Meinungen geäußert wird und wurde ebenso im Archiv landet.
Es gibt Schlimmeres. Zum Beispiel Verhängnis, Tod und Siechtum.
Vielleicht erzähle ich von dem barfüßigen Mann im roten Kleid und den sechs Stunden Wartezeit in der Notaufnahme der Charité ein anderes Mal.
Ich bin der Katastrophen so müde.
Schön war, trotz der Aufregung, der Weg dorthin. Vorbei am wummernden Carnival of Subcultures über die rote Spree zum glühenden Postbahnhof. Ein Abend wie ein Versprechen.
Der heruntergekommene Wartesaal, der Getränkeautomat, die Tomatensuppe mit Milchschaumhaube. vielsprachige Anweisungen vor der Triage. Ein schlaksiger Pfleger, der nach Gutdünken vorsortiert, während sein Kollege mit offenem Mund in den Rechner starrt, die Hand auf der Maus.
Dass wir die Frage, wie wir unterwegs sind wahrheitsgemäß mit BVG beantworten, katapultiert uns direktemang ans hinterste Ende der Warteliste.
Die Morgenfrische, viele Stunden später, entschädigt ein wenig für die vertane Zeit. Kühl und verzaubert liegt die erwachende Stadt im ersten Licht. Selbst der Hauptbahnhof sieht schön aus im pudrigen Schimmer.
Zuhause fallen wir bleischwer ins Bett. Die Kirchenglocken am Mariannenplatz läuten den Pfingstsonntag ein.
Hack ma jedacht, wennick ma nochma n Hund holen tu, dann nenn ick n Fass.
An besten wär dit ja, wenna dann ooch kujelrund wär, wie´n Fass ehmt.
Ick meene jezze nich fett oda so, sondern so von Natur aus vollschlank, wie man ja imma jerne sajen tut, wenn Eene anne Hüften und übahaupt, vastehnse?
N Mops wär son Hund, zun Bleistift, haha. Un der Mops, den tät ick dann nich Otto oda so nenn, sondern Fass.
Und dann froick ma heute schon, wie ick dann, wenn mir Eeena irjendwie komisch komm tut, wejen de Mülltonnen oda so, wie ick dann den Köta, also den Mops rufe und „Fass!“ zu ihm sahre un wie ick dann dem Andan inne Oogen kieke und ern Riesenschreck kriecht, weila denkt, meen Hund tät ihm jezze anne Waden jehn, wa?
Und dit würdick zu jerne so machn.
Un wenna dann eenes Tahres vastürbt, der kleene Fass, dann krichta ne Beerjung vom Feinsten. So mit alm Pipapo, da lass ick ma nich lumpn, wa. Un in sein Grabstein lass ick Lebawürste rinmeisseln, un Schinkn un dit janze Programm. Un als Übaschrift oben drüba steht dann in jroßn Lettan: Fass adé. Vastehnse? Adé, dit sacht ma doch so in Westdeutschland bei de feine Pinkels, wemma sich vaabschieden tut. Fass adé steht also da, über die Würste, un da könnse sich in hundat Jahr noch anne Birne kratzn und sich frahrn, was dit nu zu bedeutn hat un se komm doch nich druff.
Schade is nur, dass ick keen Hund mehr inne Wohnung halten darf, wa? Schon lange nich mehr. Früja jing dit noch, aba heute kieken se schon schräch, wemma den Müll inne falsche Tonne reintut. Un dit is wirllich n Jamma. Vadient hättenses nämlich, die neujn Nachbarn.
Dit eenzig Jute daran ist wiederum, dasser dann wenigstens ooch nich sterben muss, der kleene Fass, wenn er jar nich erst da is. Dit spart ma n Haufn Kumma un Jeld un noch mehr Ärga.
Un so is dit im Lehm. Ma muss nur jenau hinkiekn, dann sieht ma ooch dit Jute im Schlechtn un den tieferen Sinn in Alm.
Aba schön wärs schon jewesn.
Dieser Text wurde geschrieben für dieses Projekt (Stichwort: Fassade) und ist zugleich eine Hommage an Manfred Dumke