Löffelchen

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Ich brauche eine neue Matratze (Madradse, sagt der Eine, klingt weicher), genau genommen ein Futon. Das Alte taugt nicht mehr, ist unbequem geworden und meine Rückenschmerzen werden auch nicht besser davon. Nach ein wenig Recherche stoße ich auf eine Firma im Rheinland, die genau das in Handarbeit herstellt, was ich will. Einen Rückruf später spreche ich mit einer supersoften, schleppenden Althippiestimme.
Wieso ich überhaupt eine solche Matratze haben möchte, fragt die Stimme, nachdem ich meinen Wunsch vorgetragen habe.

– Wiederkehrende Rückenschmerzen.
– Da brauchen Sie keine neue Matratze, sondern Physiotherapie.
– Hab ich schon.
– Ich kenn mich ein bisschen aus damit,
sagt die Stimme.
– Ich auch, und meine Lebenserfahrung sagt mir, dass ich dringend eine neue Matratze brauche.
– Ich bin viel älter als Sie,
sagt die Stimme.
– Kann sein, deswegen können Sie mich sicher prima beraten.
– Wieviel wiegen sie und wie groß sind Sie?
– Gewicht Ende fuffzig, einsneunundsiebzig.
– Wow, groß und schlank!
– Sozusagen.
– Haben Sie einen Mitschläfer,
fragt der Hippie jetzt.
– Manchmal, antworte ich zögernd.
– Verstehe, wer gerade so da ist,
er lacht.
– Nein, immer der Gleiche,
antworte ich und bin inzwischen ziemlich  irritiert.

Auch von meinem „Mitschläfer“ möchte er jetzt Gewicht und Größe wissen.

– Aha. Da passen Sie ja sicher gut zusammen, so rein optisch. Und sonst auch?

Ich übergehe die Frage.

– Wie wäre es denn mit einer einfachen Latexmatratze? fragt er weiter.
– Geht nicht. Allergisch.
– Ach! Das ist ja ganz schlecht. Im Bett. Also, wenn man kein Latex verträgt.

Jetzt lacht der Hippie wieder und freut sich seines eigenen Schalks.
Ich schweige.

– Gut, dann nehmen wir die Multikombi-Twin Matratze. Wie breit?
– Einszwanzig.
– Was? Ist das nicht ein bisschen schmal zu zweit?
– Nein.
– Verstehe. Löffelchen, ja?

Idiot, denke ich und schweige wieder.

– Jetzt brauchen Sie noch einen Bezug. Ich denke sie nehmen am besten Satin. Baumwolle ist    zu warm, fährt er nach einer kurzen Pause fort.
– Lieber Baumwolle, ich friere schnell.
– Ach, also doch typisch Frau,
sagt er jetzt, da hätte ich Sie ganz anders eingeschätzt.

Ich schweige.

– Gut. Dann kommen wir zur Auflage. Schurwolle, Baumwolle, Kokos, Rosshaar oder Torf?
– Auch Baumwolle.
– Ich würd ja Torf nehmen. Sehr kuschlig.
– Ich nicht,
antworte ich, Umweltsauerei.
– Das bisschen, sagt der Hippie.
– Ich möchte keinen Torf.
– Dann Schurwolle?
– Nein, immer noch Baumwolle.
– Sie wissen, was Sie wollen.
– Ja.
– Ich mag das, wenn Frauen so stark und bestimmend sind.

Schweigen.

– Ich habe ein sehr großes Schlafzimmer, sagt der Hippie plötzlich.

Vollidiot, denke ich.

– Wohin wollen Sie die Matratze denn geliefert bekommen? lenkt er ein.
– Berlin. Machen Sie das über DHL oder Spedition?
– Ich könnte Ihnen die Matratze persönlich vorbei bringen. Meine Tochter wohnt in Berlin. Eigentlich wollte ich dieses Jahr nicht mehr fahren, aber für Sie würde ich eine Ausnahme machen
– Nein danke.
– Schlafen Sie noch mal drüber und sagen Sie mir Montag bescheid. Ich komme gerne.
– Das glaube ich. Vielen Dank für die Beratung.
– Gerne. Bis Montag!
– Hmhm.
– War angenehm mit Ihnen zu telefonieren.
– Hmhm.
– Schönes Wochenende!
– Hmhm.
– Bis Montag!


Ich lege auf.

 

 

 

 

 

abomama abasexy

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mein vater der war ein kapitän
ein seemann war`s
der konnnte mich verstehen

 

Mein Blog entwickelt sich zu einem Fachmagazin für Erotik, Fetisch und Tod.
Zumindest legen dies die Suchbegriffe nahe, mit denen Menschen auf meiner Seite landen und die ich dann in meiner Statistik entdecke.

Als da wären:

an erster Stelle, immer noch ungeschlagen, das Reisezubehör der besonderen Art, die travel pussy und die künstliche vagina (sind künstliche vagina gut?) gefolgt von kreuzberg südost und tikerscherk, oder sogar von zauberhafte tikerscherk. Hach!

Dann kommen die altbekannten Tags wie Pisse und Porno und Pimmel. Eine besondere Variante: dieses Mal der Mondporno (voll und prächtig steht er am Himmel, der Mond?).
Familienporno will ich hier bitte nie wieder lesen, ebenso wenig wie deutsche familie anal und anderen Arierscheiß.
Gut gefällt mir hingegen fox on the run sex. Klingt wie eine interessante Metapher für irgendwas (frag mich nicht).

Häufig gesucht, in meinem Reich der Abgründe und der Düsternis, sind auch Tod durch Selbstmord oder Herzversagen (z.B.: herztod augen glasig selbstmord kreuzberg, versuchter selbstmord).
Passend dazu: als bohrer im gesicht eingesetzt verliert er seine bedeutung – was immer „er“ sein soll, ich bin sicher „er“ würde sich als Selbstmordtool gut machen. Später dann kommt wahrscheinlich Soko und friedhof exhumierung.

Immer wieder gefragt wird nach Stefan, dem U-Bahn-Poeten bzw. dem U-Bahn Skelett. Leider ist Stefan inzwischen verstorben, wahrscheinlich verhungert, also auch tot.

dutt mit bart,
dutt ohne bart,
die ganzen nerdbrillen und dutts an der uni
– sind immer noch beliebte suchbegriffe und, man kann es drehen und wenden wie man will, es bleiben würdelose Gockel, um nicht zu sagen gentrifizierte arschgeigen. Auch wenn ich längst heiser und müde geworden bin, und nicht mehr so laut krähe wie früher, meiner innigen Verachtung für die Berufssöhne in Röhrenhosen, die Pacmen des Kiezflairs, sowie die Bugaboo-Spießerinnen mit Kontoauszügen als Handtasche und Markenhund an der Leine, tut das in keiner Weise Abbruch.

Ein begabterer Schreiberling würde nun, um die Aufmerksamkeit der geneigten Leserschaft nicht länger durch eintönige Aufzählung irgendwelcher Suchbegriffe zu ermüden, zu einem Kunstgriff greifem (Griff greifen?) und die Wörter stattdessen in eine kurzweilige Geschichte mit viel Sex und ein wenig Crime einbinden, die ungefähr so aussehen könnte:

Morgens licht durchdringen aus den kleinen löchern in den dunklen raum. Dort verbringt sie ihre einsamen Nächte, doch manchmal, bei Vollmond, zieht es sie nach draußen ins rotlicht kreuzberg, wo sie im Swingerclub ihres Herzens ihrem fetisch in einem sitzsack freien Lauf lassen kann. Befeuert wird die Leidenschaft der Gäste durch engelsex bilder, die allüberall im Pimmelhaus für knisternde Erotik sorgen. Als sie sich aus dem knautschigen Lacksessel schält, um an die Bar zu gehen, hört sie eine freundliche Stimme ihr zuraunen: Zieh mir die Hose aus. Sie dreht sich um und sieht ein pinkes Plüschmaskottchen, das sie erwartungsvoll anblickt und freundlich winkt. Keinen Augenblick zögert sie und tut, wie ihr geheissen. Meine erste Zonengabi! haucht das Maskottchen und seine blauen Plastikaugen leuchten, als sie ihm die engen Plüschhosen über seine Füße zieht. Verwundert hält sie inne. Sie irren, mein treu ergebener herr, ich bin ein frankfurter mädsche. Wie schade, seufzt das Maskottchen, ich suche eine geliebte für analverkehr ost, jemanden, der gut zu vögeln ist. Sie möchte noch etwas entgegnen, doch da fühlt sie einen Stich, ein kleines Pieksen, fährt herum, und hört schon nicht mehr was das Maskottchen sagt, so schwummrig wird ihr auf einmal. Mit beiden Händen greift sie um sich, versucht verzweifelt sich an irgend etwas festhalten, sieht aber überall nur noch anstarrende dinos optische täuschung und stürzt.
islamischer staat trinkt bier?
schießt ihr noch durch den Kopf, ehe sie das Bewusstsein verliert. Im Hintergrund hört sie das grillenzirpen in der Wohnung, dann wird es dunkel um sie.

Die meisten geschichten mit propofol sind heiter und beschwingt, diese jedoch endet sehr, sehr traurig.
Es ist ein Tag im August, heiss wie lava in den tropen oder eine mikrowelle im kadewe, als die Frau stirbt an puls 240 spritzen hilft nicht mehr. Beerdigt wird sie in einem old school kostüm eisverkäuferin. Doch zum Leichenschmaus erscheinen, neben der wunderbaren Kreuzberger Urbevölkerung, leider auch viele prenzlauer berg arschgeigen mit Kuchen von der verhassten gentrifizierungs-bio company am schlesischen tor. Der Gipfel der Geschmacklosigkeit allerdings ist die vagina aus dem automatencappucino, die einer von ihnen mitgebracht hat um an das Faible der Verstorbenen für Swingerclubs zu erinnern.
Bei so wenig Taktgefühl möchte man wirklich bulimie kotzen lernen.

 

 

 

 

Bild: flickr commons

Neue Beiträge sind nicht nur gut für die Statistik, sie verdrängen auch den letzten Beitrag von seiner Pole-Position und sorgen mitunter für bessere Stimmung

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Der Eindruck verdichtet sich zur Gewissheit: die Bauarbeiter kommen nur deshalb jeden Morgen zur Arbeit, um einmal mit dem Kabinenlift aufs Dach zu fahren, von dort ein paar Ziegel und Latten unter lautem Gepolter herunter zu schmeissen, auf diese Weise treffsicher alle noch schlafenden Bewohner der umliegenden Häuser zu wecken und alsdann beschwingt und laut redend das Gerüst hinabzusteigen und zum zweiten Frühstück nach Spandau oder Grünheide zu fahren, von wo sie erst am nächsten Morgen um 6.30 h oder 7 h voller Tatendrang wieder zurückkehren- pünktlich zum Wecken.

Besonders lästig ist dieser ungebetene Service, wenn man eigentlich erst um 8 h aufstehen müsste und gleich um eine ganze Stunde betrogen wird, die man irrtümlicherweise in den sorgsam errechneten Mindestnachtschlaf einkalkuliert hatte, weil man jeden Abend zu müde oder zu stulle ist, sich an das morgendliche Lärmdesaster zu erinnern und ihm Rechnung zu tragen.

Unter dem Gerüst sammelt sich einstweilen Müll, in meinem Herzen Groll gegen die Arbeiterklasse.

Freundin A. hingegen gerät schon ins Ekstase, wenn sie nur hört, dass irgendwo Bauarbeiter oder Handwerker zugange sind. Wird die Nachbarswohnung für neue, solvente Mieter saniert, so schmiegt sie sich mit dem ganzen Körper und voller Inbrunst an die Wände ihrer Wohnung um möglichst nahe und auf Tuchfühlung mit der malochenden Männlichkeit zu sein. Gentrifizierung ist für sie pure Erotik.

Nicht auszudenken, sie wohnte in meiner Straße und jeden Morgen weckten sie die Geräusche der Arbeiter. Ich bin fast sicher, sie würde sich nackt und bei geöffnetem Fenster ins Bett legen und einen vorbei kletternden Dachdecker bitten sie zuzudecken.

 

 

 

Bild: https://www.flickr.com/photos/abuaiman/12071085003/in/photostream/
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/

Zärtliche Polizisten

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Im Briefkasten liegt ein Benachrichtigungsschreiben für ein Paket aus Usbekistan. Abholbar bei der hiesigen Zollbehörde innerhalb von 10 Tagen, Lagerungsgebühr 50 Cent daily. Ich schaue auf den Kalender und stelle fest, dass ich schon ziemlich lange nicht mehr nach der Post gesehen haben muss, denn übermorgen geht das Paket bereits zurück. Angeblich per shipping.
Wie soll das denn gehen? Welches Meer könnte das sein?
Ein Blick in die Wikipedia und ich lerne, dass Usbekistan nicht bloß ein Binnenstaat ist, sondern sogar ein Binnenstaat inmitten von Binnenstaaten. Nur Liechtenstein (nicht Roy) ist ebenso binnig in der Welt unterwegs. Ein bisschen kann man sich das vielleicht vorstellen, wie eine Kapsel in einer Kapsel, oder ein innenliegendes Bad n einem fensterlosen Bunker, nur halt ohne Deckel oder Decke und natürlich viel heller, also doch irgendwie ganz anders, aber binnen durch und durch.

Usbekistan hat also, wie ich schon ahnte,  gar keinen Meereszugang und shipping ist deswegen nicht.
Überhaupt sieht es bezüglich Wasser ziemlich mau aus in dem zentralasiatischen Staat. Ein Großteil der Flüsse führt kaum noch Wasser und wenn das so weiter geht, lese ich, kann man in in absehbarer Zeit nicht mal mehr auf dem Aralsee herumschippern, dessen südwestlicher Teil sich im Nordosten des Landes befindet und dessen Austrocknung immer weiter voranschreitet. Bald wird es dort nur noch Wüste geben, die mit Kamelen zu durchqueren sein wird, nicht aber mit Frachtern. Und Schuld daran sind allein die Russen. Die haben nämlich damals zuviel Wasser aus dem See entnommen und damit ein ökologisches Desaster angerichtet. Das Einzige was heute und für die Zukunft vielleicht noch helfen könnte den Aralsee zu retten, wäre das gezielte Abregnen-lassen großer Wolken. Darunter litten dann allerdings die umliegenden Binnenländer. Eines davon ist (im Süden) Afghanistan.
Wenn ich an Afghanistan denke, habe ich gleich viel deutlichere Bilder und Vorstellungen im Kopf als zu Usbekistan, über die ich mich jetzt und hier nicht auslassen möchte.

Ähnlich muss es dem Zollbeamten ergangen sein, der, nachdem ich ihm das Benachrichtigungsschreiben und meinen Ausweis vorgelegt habe, alles gründlich prüft und mich mit strengem Blick fragt, was ich denn ausgerechnet aus Usbekistan erwarte und was genau drin sei in dem Paket.
Ich kläre ihn auf, dass es sich bei der Sendung um Frauenzubehör handelt und bilde mir ein in seinen Augen ein abwinkendes, War ja klar, zu lesen.
Das Interesse des Polizisten an mir und meinem Paket erlischt augenblicklich, er händigt mir eine Wartemarke aus und bedeutet mir Platz zu nehmen.

Nachdem ich einen schlechten, zuckersüßen Automatencappucino geschlürft und mir die Vitrine mit den durch Einfuhrverbote belegten Waren angeschaut habe (z.B. Schildkrötenpanzer), wird meine Nummer angezeigt. Ich darf die einzige Tür an der Stirnseite des Raumes öffnen, die in einen riesigen Saal mit grauem Linoleumboden führt, dort zu dem hintersten Schreibtisch gehen, wo mich ein freundlicher Beamter erwartet, vor seinen Augen den zugenähten und mit mehreren Siegeln verschlossenen Leinensack, auf dem mein Name steht, mit einem Teppichmesser öffnen und ihm die Ware vorzeigen.

Was ist das für ein Material? will er wissen.
Kaschmir, antworte ich.
Ob er mal anfassen dürfe.
Gerne.
Er fährt mit der Hand ganz vorsichtig über die schwarze Wolle, als handele es sich um ein scheues Tier und schaut mich dann an.
Das ist aber nicht besonders weich, in seiner Stimme schwingt Enttäuschung mit.
Das wird noch, beruhige ich ihn und mich gleichermaßen, nach dem ersten Waschen, so wie der Schal hier.
Aus einem unkontrollierten Impuls heraus greift der Mann über den breiten Schreibtisch hinweg zu mir herüber, nimmt einen Zipfel meines Schals zwischen Daumen und Zeigefinger und prüft die Weichheit der Wolle mit konzentriertem, in die Ferne gerichteten Blick. Dabei streichelt er, sozusagen en passant, mit dem Handrücken ganz sachte über mein Kinn.
Das ist weich, sagt er und sieht so selig aus, als hätte ich ihm einen großen Wunsch erfüllt. Zur Belohnung darf ich mitsamt meines Paketes das Zollamt durch den Haupteingang verlassen und muss nicht, wie alle anderen, wieder in den Wartesaal zurück und dann erst über den Seiteneingang ins Freie treten.

Ich gehe zu dem Parkplatz vor dem Haus, lasse den ganzkörperschwanzwedelnden Hund aus dem Auto, lege ihr den Maulkorb an und drehe eine kleine Runde durch den angrenzenden Volkspark Wilmersdorf.
Eigentlich mag ich an Polizisten nur ihre Uniform, denke ich und schaue in den abendlichen Himmel, aber dieser hier war wirklich sehr sehr niedlich.

 

 

 

 

Bild: „Zentrale Unterstützungsgruppe Zoll – Beamter (1)“ von High Contrast – Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY 3.0 de über Wikimedia Commons – https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Zentrale_Unterst%C3%BCtzungsgruppe_Zoll_-_Beamter_(1).JPG#/media/File:Zentrale_Unterst%C3%BCtzungsgruppe_Zoll_-_Beamter_(1).JPG

burn before reading

ajobilovetohate

I am the heroine of this story,
I don’t need to be saved.
I don’t need feedback from anybody.
Go fuck yourself, cunt.

 

Ich bin die Heldin dieses Blogs.
Ich will nicht erlöst werden.
(- die Stute verweigert das Hindernis).

/

Stück für Stück wird das Land weg gespült von einem bleifarbenen Meer ohne Brandung. Ein sachtes, stetiges Schwappen, friedlich und still. Kein Sturm, nicht einmal das. Alles wird zu Sand und erst die Beben der Zukunft werden neue Berge errichten. Perspektiven.

Eingeschlafen am frühen Morgen, bin ich schon bald mit wundem Hals und Fieber erwacht. Rückenschmerzen, nicht allein von der nächtlichen Mail und den Fragen, die sie aufwirft, auch von all den anderen Dingen, die zu tragen sind, obwohl und gerade weil sie nicht existieren oder sichtbar sind.
Sie drohen nur.

Ich zurre alles was lose ist fest und beruhige mich mit Märchen.

Die Ziege, die kein Blatt gefunden haben will und keinen Mucks macht, als der Vater ihre Lügen aufdeckt und sie mit Peitschenhieben davonjagt.
Stumm auch die kleine Meerjungfrau, die ihren Prinzen so sehr liebt, dass sie über Scherben geht, schweigend jeden Schmerz erduldet um bei ihm sein zu können und schließlich in Meeresschaum aufgeht.
(So tapfer werde ich nie sein).

Die Geschichte von Frau Holle habe ich gleich mehrmals hintereinander angehört. Nicht wegen der Werksgerechtigkeit, die der Wahren, Schönen, Guten widerfährt, und noch weniger wegen des Schicksals der faulen Pechmarie.

Das Märchen macht mich auf eine unbestimmte Art froh und gibt mir Hoffnung:

dass es hell sein wird, auf der anderen Seite des Brunnens,
dass das um Hilfe rufende Brot aus dem Ofen geholt werden wird, ehe es verbrennt,
dass auch der Apfelbaum von seiner schweren Last befreit werden wird,
und
dass Frau Holle jeden Tag aufs Neue ihre Betten aufschütteln und Schnee herab rieseln lassen wird, auf die stille Erde.

Für heute erwarten wir die ersten Flocken hier in Berlin.

Das Obst ist längst geerntet.
Ich möchte nicht verbrennen.

I am the heroine of this story.
Cover me.
Please.

 

Bild: http://www.bighappyfunhouse.com/archives/07/04/ Lizenz: http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.5/

 

Die Wahrheit

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Immer mehr Fallstricke und mögliche Gruben (nicht Gräben) tun sich auf, die mit berücksichtigt werden wollen. Und immer häufiger stellt sich die Frage, ob und wie aus der Geschichte wieder heraus zu kommen sei.
Plötzlich eine ganz andere Version erzählen oder die eigene Biographie neu erfinden? Einfach von vorne anfangen in einer fremden Stadt? Und dort von Beginn an auftreten als der Mensch, der man ist?
Und ist man überhaupt derjenige, der eine Biographie hat, oder jener, der sie erfindet, ein Geschichtenerzähler? Jemand, der die Skulptur durch Schweigen und Weglassungen, durch Unterschlagungen und das Fördern falscher Annahmen aus dem Klumpen Leben herausformt, sichtbar für andere und fühlbar für sich selbst.

Familienaufstellungen, bei denen fremde Menschen sich weinend umhalsen, weil einer so sehr in der Geschichte des anderen aufgeht.
Stellen wir auf, inszenieren wir nur? Sind wir alle Burgschauspieler, die ihre authentischsten Augenblicke auf der Bühne erleben und in der heimischen Einsamkeit zusammensacken wie Heißluftballons am Boden? Oder ist es umgekehrt und nur wenn wir alleine sind, fällt alles Beiwerk und jede Zierde von uns ab und wir sind ganz wir, frei und ohne Rollenerwartungen?
Wieviel Geheimnis und Privatleben darf sein, und wem gegenüber?

Die Wahrheit erzählen, die äußere. Auf die Menschen zugehen und ihnen zeigen, wer man ist. Ein Setzkasten voller Erinnerungen und Erfahrungen. Wem schulden wir die Wahrheit? Jenen, denen wir nahe sind? Und wieder: welche Wahrheit wäre das? Die erfundene, inszenierte, die selbstgeschöpfte, erdichtete, oder jene Wahrheit der Formalitäten und Fakten, der objektiven Umstände? Eckdaten.

Was bedeutet Nähe überhaupt, wenn wir uns nicht zeigen?

Wenn es so etwas wie ein empfundenes Geschlecht gibt, das von dem phänotypischen, dem aktenkundigen Geschlecht abweicht, ein Mensch sich z.B. als Frau fühlt, aber im falschen Körper geboren wurde, gibt es dann nicht auch falsche Umstände, die dem Selbstbild, den Empfindungen, der Idee von sich widersprechen, und mit denen man einfach nicht leben möchte?

Sind wir nicht alle schon Prinzessinnen oder Helden gewesen und nicht bloß schnöde Durchschnittsmenschen mit einer Durchschnitts-Vita? Müssen wir vor uns selbst eingestehen, dass wir klein und unbedeutend sind, und es dann wahrheitsgemäß den anderen mitteilen, um sie nicht zu täuschen und um bei ihnen zu sein. Nackt und nah und schutzlos?
Oder dürfen wir erzählen, behaupten, lügen und manipulieren, wenn es um unseren Lebenslauf geht? Wem schaden wir damit?

Bis zu welchem Grad spricht man noch von Ehrlichkeit und wann ist die schonungslose Aufrichtigkeit bereits exhibitionistisch und somit eine Zumutung? Möchten wir, dass der andere uns seine Tagebücher vorliest und über die geheimsten Empfindungen detailgenau informiert? Uns explizit auf dem Laufenden hält über seine ever changing moods, seine Entwicklung, sein Werden?
Wieviel Selbstbeherrschung, Selbstinszenierung und Dichtung erwartet man von uns, und wann erreicht das Theater ein Ausmaß, das als Lüge zu werten ist?
Was dürfen wir unterschlagen und was schulden wir einander, an Diskretion, wie auch an Offenheit?

Ich erfinde mich und versuche heraus zu finden, mich zu erinnern, wer ich bin oder sein könnte. Ich weiss es nicht.
Jeden Morgen, wenn ich erwache, bin ich eine andere, als die, die sich am Abend ins Bett gelegt hat, und ich staune, wie ich über die Jahre hinweg Beziehungen zu Menschen aufrecht erhalten kann, die mich immer wieder erkennen und lieben, trotz aller Wandlungen, die ich erfahren habe.
Ich scheine die Rolle gut zu beherrschen.
Ich kann gar keine andere.
Ich zeige mich niemandem, nicht einmal mir selbst.

Nur meine Zellen teilen sich ungefragt weiter. So lange ich lebe.

 

 

 

 

Mein Beitrag zu txt, das sechzehnte Wort (Distanz)

 

 

 

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Sandy Ego

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Wir sitzen vor dem Hangar und schauen ins Feuer.
R. schichtet mit einem langen Stock die Holzscheite um. Mit der anderen Hand legt er die Flasche auf seine vorgeschobene Lippe, neigt sie ein wenig und lässt etwas Bier in seinen leicht geöffneten Mund laufen, gerade soviel, dass die Flüssigkeit ans Zäpfchen flutet und den Schluckreflex auslöst. Die Flammen tanzen in dem grünen Glas.

Früher waren alle Bierflaschen braun, denke ich, und die Weinflaschen waren noch kegelförmig. 

– Vergangene Woche soll eine Frau in der Nähe vom Hangar vergewaltigt worden sein, nachdem jemand ihr etwas in den Drink geschmissen hatte.

– Wer lässt auch sein Glas unbeaufsichtig rumstehen?

Krass finden es aber dann doch alle. Ich glätte meinen Wellengang indem ich an meine Großmutter denke. Das wirkt fast immer.

/

Ich sitze auf einem Betonpoller bei der Rettungstelle. Neben mir steht ein Aldiltüte voller Bierflaschen. Vor den Augen des Pförtners trinke ich mich Schluck für Schluck in den Vollrausch, heule zwischendurch und warte darauf, dass man mich herein bittet. Irgendwann sind alle Flaschen leer, meine Nase vom Rotz verklebt und die Alditüte liegt zu meinen Füßen.
Inzwischen ist es dunkel, aber immer noch sehr warm. Drinnen heimelt die Neonbeleuchtung professionellen Ernst. Emergency.
Als erstes muss ich die Ärmel hochkrempeln.
Ich bin kein Junkie!
Unter den Verbänden das Haus vom Nikolaus in allen Größen. Die Haut brennt.
Ich kann es immer noch nicht, höre ich mich lallen.
Meine Zunge ist schwer doch tief in meinem Ohr ist es hell und aufgeräumt, ein Raum aus weißem Wachs.
A
ber besser als vorher. Dann fange ich wieder an zu heulen.

– Wollten sie Selbstmord begehen?

Auf gar keinen Fall, sonst wär ich doch nicht hier. Deswegen bin ich ja hier. Kein Selbstmord. Seh ich so aus?

Niemand lacht oder lächelt auch nur.

Das Verhältnis vom Himmel zur Erde stimmt nicht. Es muss mehr Himmel als Erde sein, denke ich. Viel mehr Himmel, damit die Erde nicht so schwer ist. So, wie in New Mexico, wo der Himmel erdrückend und groß war.

Ich erinnere mich an den Mann, der im Schneidersitz am Strand von San Diego (Sandy Ego) saß und auf seiner uralten schwarzen Schreibmaschine heraumklapperte. Unter Einsatz seiner gebräunten Arme mit dem goldenen Flaum tippt er auf der Maschine herum und hinter ihm, auf der Promenade, gleiten die Inlineskaterinnen, mit ihren langen Beinen und den extrakurzen Shorts, vorbei und der Mann performt weiter mit seinem athletischen Kreuz und dem Gesicht zum Meer. Es reicht ihm, zu wissen, dass man ihn sieht. Er muss nicht sehen, wie er gesehen wird. Er spürt das und haut es in seine Maschine:
Sie schauen mich an. Ich spüre ihre Blicke im Rücken und aus dem Pazifik vor mir blicken tausend Augen auf mich. Nachts kommen die Haie und warten auf weiße Beine und Hüften und Brüste. Wenn sie zubeißen drehen sie ihre Augen nach hinten, ganz so als wollten sie das Sterben nicht sehen. Sie müssen es nicht sehen, es reicht ihnen, wenn sie es schmecken.

An einem Tag fahren wir rüber nach Tijuana. Das Auto müssen wir an der Grenze lassen, so steht es im Vertrag. Am Morgen schaue ich aus dem Panoramafenster im 7. Stock. Eine Boeing steigt auf in den rosablauen Himmel. Summend betrachte ich meine Schlüsselbeine im Spiegel.

 

 

 

 

Mein Beitrag zum txt-Projekt, das fünfzehnte Wort (Tanz)


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