Veneers

Die ersten längeren Spaziergänge des Jahres führen mich aus der Luisenstadt ins nahegelegene Mitte. Die Köpenicker Straße ist inzwischen fast vollständig gentrifiziert. Nur die besetzte Köpi, die letzte Amalgamfüllung im ansonsten perfekt verblendeten Gebiss und der schrabbelige Wurstpate (Wurstparte) halten sich wacker. Gleich neben der planenverhangenen Fressbude haben Privatiers sich einen neo-brutalistischen Klotz mit bodentiefen Fensterfronten errichtet. Drei übereinander gestapelte Showrooms für Designklassiker in denen stilvolle Menschen selbstbewusst und konzentriert an ihren Apfel-Geräten sitzen und networken.

An der Michaelkirchbrücke, ein Stück weiter, verstellen neu gebaute
Eigentumswohnungen den Sonnenstrahlen den Weg ans abendliche Ufer, und den Bewohnerinnen und Besuchern des Spreefeld den Blick auf´s Rote Rathaus.
Goldene Tagesausklänge mit Kater Blau, Le Dorf und den ratternden Zügen der S-Bahn vis à vis, dazwischen die großen weichen Wellen vorbeischippernder Boote von deren Deck Sommermusik in den weiten Himmel dudelt, hier und da die krächzenden Rufe eines einzelnen Blässhuhns, sind damit Geschichte und ich werde mir ein neues Sujet für meine Berlin-Elegie suchen müssen.
Ob wohl das niederländische Paar mit dem supernoblen Appartment direkt an der Spree, beide in ihren Vierzigern, er schwarz gekleidet, sie in Cowboystiefeln und luftigen, knöchellangen Designkleidern, auch schon weiter gezogen ist?
Kurz nach ihrem Einzug hatten sie elegante, metallene Gartenmöbel, flankiert von amphorenartige Pflanztöpfen mit exotisch anmutenden, großblättrigen Pflanzen vor ihrer Terrassentür aufgestellt, deren Pflege sie jedoch mit der Zeit aufgaben, bis nur noch Gestrüpp übrig blieb, trocken wie der märkische Sandboden. Irgendwann blieben die Vorhänge der Wohnung durchgehend zugezogen und drinnen bellten mit tiefer Stimme ihre zwei großen Hunde.
Nur noch selten begegneten wir uns draußen im hellen Tageslicht. Dann grüßten sie mich freundlich, die Pupillen ihrer Augen stecknadelgroß.

4 Kommentare zu “Veneers

  1. Deinen melancholischen Abgesang auf die Köpenicker möchte ich in die Schlesische verlängern. War lange nicht mehr da. Dort, wo in den Nullerjahren das Yaam gegenüber dem Astra auf einer Brache Multikulti-Musik machte , grinste mich gestern ein braun gewürfelter Klotz an, der aussah als hätten ihn meine Jungs in Minecraft entworfen.

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    • Ja, die Schlesische ist auch so ein trauriges Beispiel, wie man ein Korallenriff in eine Wüste verwandeln kann, wenn man es nur in reichlich Schotter erstickt.
      Ich versuche, mich mehr zu erfreuen an dem, was noch ist, statt mich der Trauer über das Verlorene hinzugeben. Nicht einfach..

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