
Als der Onkel mit seinen schmierigen langen Haaren und der öligen Haut in unser Wohnzimmer trat und schluchzend sagte, er habe soeben seine Frau verlassen, wunderte ich mich. Wieso weinte er, wenn doch er gegangen war?
(Hör auf zu flennen, höre ich die Stimme meines Vaters sagen und wische mir die Tränen vom Gesicht).
Wie viele andere Dinge auch, habe ich erst spät verstanden, wie schmerzhaft und rettend zugleich eine Trennung sein kann.
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Die meiste Zeit geht es mir gut. Die immer währenden starken Schmerzen sind Teil meines Alltags geworden und kaum noch der Rede bzw. des Analgetikums wert.
Aus Selbstschutz und nach vernünftiger Abwägung aller Vor- und Nachteile habe ich mir eine Apfelbäumchenpflanzmentalität antrainiert, der den Menschen der ich noch vor Kurzem war in Erstaunen versetzt hätte. Seither interessieren mich neue Corona-Varianten (variants of concern) so wenig wie ein möglicherweise bevorstehender und durch russische Verbrecher herbeigeführter Blackout, der immer wieder prophezeite Einsatz von Chemiewaffen sowie dessen großer Bruder: der Atomkrieg. Das Rasseln und Trommeln der Schlagzeilen und der social media Akteure treiben mich nur immer tiefer in die Geborgenheit meines Dschungels, das innere Kloster, die Welt der Moose, Farne und Flechten.
Mit derart leichtem Seelengepäck betreibe ich mein kleines Tiersanatorium nun beinahe mit links, gehe mit der anderen Hand meiner Arbeit nach und nachts huste ich, bis sich mir der Magen nach außen stülpt.
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Woki ist für ein paar Tage mit Hundefreundinnen am Meer. Mich selbst trennen nur zwei Wochen vom Nass der Nordsee, das ich gegen den bretonischen Atlantik eintauschen musste, weil Tölchen keine Tollwutimpfung mehr bekommen und folglich nicht nach Frankreich einreisen darf.
Das alte Getüm ist durch die Narkose bei der Zahnsanierung desorientiert und schwerhörig geworden. Ihrer Fröhlichkeit tut der innere Nebel keinen Abbruch und so will ich nicht klagen und mich freuen, dass sie noch immer bei mir ist. Time goes by.
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Geplant waren außerdem ein paar Tage in Frankfurt, um nach langen Jahren endlich wieder des Kanzlers Geburtstag mit ihm zu feiern. Die Vorfreude war groß, doch nachdem ich das (nur kostenpflichtig stornierbare) Zimmer gebucht und einen sehr gut bezahlten Job abgesagt hatte, kam prompt die Ausladung. Der Kanzler hatte es sich anders überlegt und zieht es nun vor, auch in diesem Jahr seinen Sohn zu besuchen (denselben, der ihn an Weihachten unter wüsten Beschimpfungen des Hauses verwiesen hatte). Ich sei aber sehr herzlich eingeladen für ein Stündchen und einen Kaffee vor das Haus meines Bruders zwischen Gleisen und Straßen inmitten brandenburgischer Ödnis zu kommen, um als Zaungast an des Kanzlers Wiegenfest teilzuhaben.
Manchmal braucht es nur einen letzten Hinweis, einen ultimativen Fingerzeig, um den Weg aus dem Labyrinth zu finden.
(Der Ball liegt in der Brombeerhecke. Dort bleibt er)