Dornröschen

Als der Onkel mit seinen schmierigen langen Haaren und der öligen Haut in unser Wohnzimmer trat und schluchzend sagte, er habe soeben seine Frau verlassen, wunderte ich mich. Wieso weinte er, wenn doch er gegangen war?

(Hör auf zu flennen, höre ich die Stimme meines Vaters sagen und wische mir die Tränen vom Gesicht).

Wie viele andere Dinge auch, habe ich erst spät verstanden, wie schmerzhaft und rettend zugleich eine Trennung sein kann.

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Die meiste Zeit geht es mir gut. Die immer währenden starken Schmerzen sind Teil meines Alltags geworden und kaum noch der Rede bzw. des Analgetikums wert.


Aus Selbstschutz und nach vernünftiger Abwägung aller Vor- und Nachteile habe ich mir eine Apfelbäumchenpflanzmentalität antrainiert, der den Menschen der ich noch vor Kurzem war in Erstaunen versetzt hätte. Seither interessieren mich neue Corona-Varianten (variants of concern) so wenig wie ein möglicherweise bevorstehender und durch russische Verbrecher herbeigeführter Blackout, der immer wieder prophezeite Einsatz von Chemiewaffen sowie dessen großer Bruder: der Atomkrieg. Das Rasseln und Trommeln der Schlagzeilen und der social media Akteure treiben mich nur immer tiefer in die Geborgenheit meines Dschungels, das innere Kloster, die Welt der Moose, Farne und Flechten.
Mit derart leichtem Seelengepäck betreibe ich mein kleines Tiersanatorium nun beinahe mit links, gehe mit der anderen Hand meiner Arbeit nach und nachts huste ich, bis sich mir der Magen nach außen stülpt.

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Woki ist für ein paar Tage mit Hundefreundinnen am Meer. Mich selbst trennen nur zwei Wochen vom Nass der Nordsee, das ich gegen den bretonischen Atlantik eintauschen musste, weil Tölchen keine Tollwutimpfung mehr bekommen und folglich nicht nach Frankreich einreisen darf.
Das alte Getüm ist durch die Narkose bei der Zahnsanierung desorientiert und schwerhörig geworden. Ihrer Fröhlichkeit tut der innere Nebel keinen Abbruch und so will ich nicht klagen und mich freuen, dass sie noch immer bei mir ist. Time goes by.

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Geplant waren außerdem ein paar Tage in Frankfurt, um nach langen Jahren endlich wieder des Kanzlers Geburtstag mit ihm zu feiern. Die Vorfreude war groß, doch nachdem ich das (nur kostenpflichtig stornierbare) Zimmer gebucht und einen sehr gut bezahlten Job abgesagt hatte, kam prompt die Ausladung. Der Kanzler hatte es sich anders überlegt und zieht es nun vor, auch in diesem Jahr seinen Sohn zu besuchen (denselben, der ihn an Weihachten unter wüsten Beschimpfungen des Hauses verwiesen hatte). Ich sei aber sehr herzlich eingeladen für ein Stündchen und einen Kaffee vor das Haus meines Bruders zwischen Gleisen und Straßen inmitten brandenburgischer Ödnis zu kommen, um als Zaungast an des Kanzlers Wiegenfest teilzuhaben.

Manchmal braucht es nur einen letzten Hinweis, einen ultimativen Fingerzeig, um den Weg aus dem Labyrinth zu finden.

(Der Ball liegt in der Brombeerhecke. Dort bleibt er)

Gutdünken

Gutdünken will Weile haben

 

 

Der Kanzler hat den Verstand verloren, oder den letzten Anstand. Ich weiss nicht, was ich schlimmer finden soll und habe selbstfürsorglich den Knopf gedrückt. Vorn beim Schaffner leuchtet bereits das rote Licht, in meinem Kopf läuten tonnenschwere Glocken.

 

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Von Westen zieht die Nacht heran. Im Osten unseres Landes ist noch kaum jemand infiziert. Was werden sie frohlocken am Stammtisch in Velten, dass man (CDU, NPD und AfD) aus „Angst vor Entfremdung“ jeden Zuzug sowie Autobahn- und S-Bahn-Anschluss unterbunden bzw. gekappt hat. Die Suppe dickt ein zu braunem Matsch aka Volkskörper.

 

 

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(Wie schlimmer Liebeskummer fühlt sich das plötzliche Abgeschnittensein an)

 

 

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Jeder Mensch ist berechtigt, nach Gutdünken mit seinem Geld umzugehen, auch wenn er z.B. durch verschwenderischen Lebensstil eine Bedürftigkeit herbeiführt, die ihn vom zigarrerauchenden Casinobesucher zum darbenden Sozialhilfeempfänger macht (korrekterweise müsste ich Sozialhilfeempfänger*in schreiben, doch die Bedürftigkeit überlasse ich den Männern, die haben naturgemäß mehr Schotter).

Den obenstehenden Satz habe ich ehrlicherweise nur geschrieben, um das Wort Gutdünken, nicht zu verwechseln mit dem standesgemäßen Dünkel oder den beineschleudernden Funkemariechen (hä?) verwenden zu können, rangiert es bei mir doch in der gleichen Liga wie herumfuhrwerken, herunterwirtschaften, Streichholz, Auspuff und Schneeschuh – nämlich ganz weit oben.

Schneeschuh, so dachte ich, als ich demletzt unter der Dusche stehend der braunen Lavaerde hinterhersah, die das warme Wasser von meiner Haut und an den Rand des Abflusses gespült hatte wo sie sich als unschönes Sediment kreisrund um das Sieb herum absetzte, was, so ich nicht die tüchtige und gewissenhafte Hausfrau wäre, die ich bin, beim nächsten Besucher meines winzigen (inconvenience) Bades zweifelsohne Fragen aufwerfen und mich in Verlegenheit bringen würde (haste kein Katzenklo?).

Schneeschuh als Sinnbild für netzwerken, dachte ich, nur das Geflecht trägt Alle sicher durch die Gefahr. Ohne den Zusammenhalt versackt bzw. versinkt der Einzelne in der Kälte, dem Winter, der Klamm und erfriert. Zugegebenermaßen eine etwas billige und vordergründige Symbolik, wie etwa der in den Keller fahrende Lift, der den Untergang ankündigen soll, und in Wahrheit nur den Blick auf die Einfallslosigkeit des Regisseurs freilegt, doch in Anbetracht der Sauerstoffknappheit des fensterlosen, zugedampften Minibades, sind solche Gedänkchen mehr, als ich von meinen grauen Zellen (um auch einmal diese gründlichst vernutzteste hässlichsteste Formulierung zu verwenden, die in einer Liga mit Gehirnjogging und Powerfrau spielt) erwarten kann bzw gewohnt bin.

Mein privater Schneeschuh jedenfalls hat sich ganz unerwartet (mir nichts, dir nichts) und mit einem Streich bzw., mit einer Streichung (what a difference a word makes) auf ein handtellergroßes Netzchen bzw. Fetzchen reduziert, kaum geeignet irgendwen noch zu schützen oder auch nur zu stützen, geschweige denn, überhaupt nur ein Ferrero-Küsschen zu tragen. Genauso gut könnte ich gleich aufgeben, mit der Ferse ins Eis hacken und auf meinen sicheren Untergang warten.

Alles auf Neuanfang; der Frühling naht.

Für April, dem grausamsten der Frühlingsmonate, war eine Reise  an den Starnberger See nach Frankfurt geplant. Drei Tage zum Geburtstag des Kanzlers. Doch wegen der neuen Sachlage und des Unerwünschtseins nicht nur seitens der bösen Stiefmutter, musste ich umdisponieren und werde stattdessen an die Lübecker Bucht fahren wo vor inzwischen fast vier Jahren meine Mutter bestattet bzw. in die Ostsee verklappt wurde und in deren Nähe ich mich seither trotz langjährigem Lübeckfantums, nicht mehr heran gewagt habe. Zu groß die Angst vor klaftertiefen Schmerzabgründen.

Ironischerweise ist der 20. April aber nicht nur Hitlers Geburtstag der Geburtstag des Kanzlers, sondern zugleich auch Hochzeitstag meiner Eltern (angesichts der erzwungenen Eheschließung eine doppelt bittere Pille) sowie das Datum der beiden letzten Begegnungen mit meiner Mutter (zwischen denen 20 Jahre lagen).

Um meine zu erwartende Melancholie schon im Vorfeld abzufedern, haben die mitreisenden Freundinnen mir in glucksender Vorfreude und bei einem guten Gläschen Rioja versprochen, sich in Lübeck an meiner Statt gemütlich volllaufen und mich mittels Telelallie an ihrem rasenden Reiserausch teilhaben zu lassen.

Dass unsere Unterkunft unweit der Fackenburger Allee liegt, werten wir drei als ein gutes Vorzeichen. (Hoffentlich gibt´s auch Hundescheiße in Lübeck, sagt Wilhelmine. Bestimmt, beruhige ich sie, und wenn nicht, kümmern wir uns drum).

Flor

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Die Nachbarin sorgt sich um die Florfliegen in ihrem dschungelartig zugewucherten Hinterhof und beklebt die von der Hausverwaltung aufgestellten Halogenscheinwerfer mit violetter Folie. Wenn die Florfliegen sterben, sagt sie, sterben auch die Vögel, und da hat sie wahrscheinlich recht. Die Hausverwaltung indes, vertreten durch den gewissenhaften Hausmeister, lässt die violetten Schutzfolien regelmäßig entfernen, um auch in der Nacht das sichere Betreten des Hofes zu gewährleisten und etwaigen Schadenersatzansprüchen vorzubeugen. Sie weiß um die Not der Florfliegen, die an dem gleißenden Licht zugrunde gehen. Auch wurde sie unterrichtet über die ökologischen Folgen des Insektentodes. Doch Fünfe gerade sein zu lassen, könnte das Unternehmen teuer zu stehen kommen und so müssen die Folien weg, es hilft alles nichts.

Das Prinzip der Körperschaft, der Corporate Identity oder des Teamgeistes wäre auch mal eine kleine Gedankenreise wert, überlege ich, während ich mit brummendem Schädel aus dem Fenster schaue und mich frage wo der Sommer geblieben ist. Immer weiß ich von allem nur ein bißchen, anders als beispielsweise der Bekannte, der sich sein Leben lang durch Papier arbeitet und den Dingen ordentlich auf den Grund geht. Die gewonnenen Erkenntnisse speichert er in seinem überaus gebildeten Kopf, ruft sie bedarfsweise ab und verarbeitet sie weiter. Zu welcher Entscheidung er wohl bezüglich der Florfliegen käme und wie er sie begründen würde, frage ich mich und verfolge weiter den Streit der Krähenvögel vor dem Haus. Mein Denken ähnelt leider nur einer auslaufenden Welle voller Treibgut. Flüchtig, wenig substanziell und ungeordnet. Ich bin eben ich.

 

In der Denkerei, so lese ich gestern, treffen sich ein paar Männer und machen, in Umkehrung der luhmann´schen Vorgehensweise, aus dessen Texten Zettel. Jeder Teilnehmer trägt dabei einen Tarnnamen. Wer keinen hat, dem wird einer zugewiesen.
Die Denkerei ist mit wandhohen Fenstern ausgestattet und von der Straße gut  einsehbar.

 

Verliebt wie in das Wort klandestin war ich einmal in einen Mann von dem ich jetzt erfahre, dass er tot ist. Wir waren so lebendig, dass ich gerade von ihm am Allerwenigsten erwartet hätte, zu erkranken,  geschweige denn zu sterben. Eine Ausstellung hat Ende vergangenen Jahres posthum seine Werke aus 2 Jahrzehnten präsentiert. Ich hätte sie mir nicht ansehen können.

Merkwürdig berührt bin ich auch von dem tweetweisen und vielfach gefavten und kommentierten Bericht über das Sterben eines geliebten Menschen. Öffentlicher Abschied, zeitecht dokumentiert. Bis zum Schluss. Die Hände vor´s Gesicht schlagen, schluchzen, resümieren, Selfies machen.

Je verstörender und bizarrer die Dinge um mich herum sich zeigen, umso schwerer fällt es mir, den Blick abzuwenden.

 

 

 

 

 

 

 

Bild:  Lieven Soete, danseurs en transit, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/

 

 

 

Immer Heute


Staubige Hitze und verbrannter Rasen. Schlingpflanzen ranken entlang der Schrebergartenzäune. Dahinter dösende Datschen mit halbgeschlossenen Lidern. Sirrende Wespen kreisen über fauligem Obst.

In der kurzen Stille des Atemholens zwischen Abend- und Nachtstunde liegt schweigend die Stadt.

Kopfruckelnd laufen die Tauben im Kreis umher. Es riecht nach Kleister, Kippen, Bier und Hundekot.

Die Fahrkarte hundertmal in den Spalt schieben und es ein ums andere Mal zuschnappen hören, das Stempelgebiss. Violette Abdrücke wie beim Zahnarzt, der den Überstand mit Färbepapier prüft. Schicht für Schicht die Zeit übereinanderlegen, synchron zu ihrem Vergehen. Zeitmesser auch die an den Rändern aufwellende Plakatlasagne an den eisernen Streben der Hochbahn. Lage für Lage vergangene Erwartungen. Obenauf die Heutige. Bald schon erfüllt oder enttäuscht und überdeckt von neuen Wegweisern zu einem nahenden Morgen.

Das Haus ist fertig, beendet der Nestbau. Der Augenblick entscheidet über das Überleben, alles andere ist eine Frage des Komforts.

April is the cruelest month. Noch ein Mal die Koffer packen und abreisen in ein neues Leben, in eine unbekannte Stadt. Weg von hier und von allem. Nur das Tölchen, das nähme ich mit.
Abends, wenn sie zusammengerollt und mit untergeschlagenen Beinen wie ein wartendes Kitz auf dem Teppich unseres sepiafarbenen Hotelzimmers läge, zündete ich mir eine Zigarette an, die erste in 8 Jahren, und bliese, auf dem Bett liegend, den blauen Rauch in die Luft. Schwindlig vom Nikotin überließe ich mich dem  Sehnen meines klopfenden Herzens und später, viel später in der Nacht atmete ich mich in einen traumlosen Schlaf.

Immer ist nur Heute und gestern bloß eine Illusion.

 

 

 

 

 

 

Bild: Mografik, Plakate, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/

Chiffon, nonchalant

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Unbeschwerte Zügellosigkeit

Zur Vermeidung der weiteren Offenbarung privater Details, könnte ich mich in diesem Blog darauf verlegen, nur noch über´s Bloggen zu bloggen. Ganz und gar selbstreferenziell auf die tantenmäßig langweiligste Art (ich darf das sagen, ich bin selber eine).
Ich könnte mich beipielsweise darüber auslassen, wie gut der Rückhalt durch ein wohlwollendes (Blog-)Publikum tut, wenn man das anfasst, was man früher als heißes Eisen bezeichnete und heute irgendwie anders nennt (wie eigentlich? Brisant?).
Hier in meinem angestammten Blog kann ich z.B. getrost erzählen, dass die Schauspiellehrerin mir von der Weigerung ihrer (Privat-)Schülerinnen berichtete, ein Stück einzuüben in dem das N-Wort vorkommt, gleichwohl das Stück in kolonialen Zeiten spielt und die Kolonialherren und Sklaventreiber bekanntermaßen nicht poc oder woc sagten, sondern N****.
Das Wort zu benutzen findet heute niemand kaum jemand, nur noch 8 % der Bevölkerung gut und mir fällt es überaus schwer, es überhaupt so nonchalant hinzuschreiben. Drüben im Versuchsblog würde ich das überhaupt nicht wagen. Doch hier wähne ich mich einigermaßen in Sicherheit und hoffe auf Verständnis dafür, dass die zu erzählende Geschichte diese Ausdrücklichkeit ausnahmsweise erforderlich machte.
Möglicherweise, so denke ich, habe ich mir über die Jahre vielleicht einen klitzekleinen Bonus zusammengeschrieben und die hier Mitlesenden ahnen, dass ich nicht rassistischer bin, als die Zeit in der ich lebe, und dass ich, wenn ich diskriminiere dies meist durch positive Zuschreibungen tue. Durch zweischneidige Bewunderung für sogenannte Randgruppen (die ich förmlich vor mir sehe, wie sie so am Tellerand stehen, kurz vor dem Sturz ins Bodenlose).

Die Schauspielschülerinnen wollen also nicht das N-Wort aussprechen und können deshalb kein Stück aus der Kolonialzeit einstudieren und somit auch nicht auführen.
Aus ihrer eigenen Blase heraus zu treten und in die Welt zu blicken, die ihnen den Weg bis hierhin bereitet hat, verursacht ihnen schlimmes Unbehagen und die Schauspiellehrerin muss sich, um weiterhin ihr Brot verdienen zu können, dem Wunsch und Willen der Schülerinnenschaft beugen und nur noch moderne Stücke, ohne Reizworte, mit ihnen einstudieren, denn der Kunde ist König und die Vergangenheit lässt man besser ruhen. Oder man benennt sie um.

So, wie ich mein Blog, könnte ich jetzt noch hinzufügen, um irgendwie den Bogen zu spannen zum Anfang des Textes.

Liebe Lesers, es ist schön, dass Ihr hier seid!

Bild: diada, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

(Tod und Trotz, oder Trotzdem tot)

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Von einem gefährlichen Druiden lese ich in der Zeitung und denke: Hallo, wo leben wir denn (wobei ich natürlich niemals Hallo! denke, geschweige denn es je in dieser Weise sage). Einen Absatz weiter geht es dann um die Reichsbürger. Auch das etwas, was ich einen längst ausgestandenen Wahn zugehörig wähnte. Das Reich mit seinen Bürgern. Sind das eigentlich Leute, die auch auf Mittelaltermärkte gehen oder Schlachten nachspielen, weil die Kostümierung sie größer oder besonders macht und weil früher sowieso alles besser war?
Atavistische Scheiße, sagst du (deine wüste Wortwahl der frühen Stunde geschuldet) und wir schauen uns ratlos an ob des Schleudergangs in den die Welt geraten ist oder scheint. Schein, Sein, empfinden und wissen, Fakten und Lüge, alles löst sich auf. Man weiss es nicht, man behauptet es nur. Mir schwindelt.

Auf der Kinderonkologie sterben mehr Kinder als üblicherweise, sagt die Psychologin, (streben schrieb ich zuerst, statt sterben und sah die kleinen Engelein schon gen Himmel aufsteigen ins güldene Licht, aber dann starben sie doch und wurden begraben unter nasser, schwerer Erde, wie morgen die arme G). Bereits am Jahresende, erzählt die Psychologin weiter, waren es so viele tote Kinder, dass selbst die Sterbehelfer es kaum mehr ertrugen.
Hoffentlich finden sie alle einen schönen Platz dort oben und erfrieren nicht vor geschlossenen Toren
, denke ich und der Himmel verdunkelt sich und ich mache das Licht an.

German Angst, so las ich kürzlich in einem  Interview mit einem Soziologen, is over, Geschichte sozusagen. Und Geschichte ist ja irgendwie alles, sogar ich. L´histoire c´est moi, könnte man sagen. Ich reite auf der Welle, die ich bin. Eine tödliche Schlammlawine ist Geschichte, sind wir, und ich sowieso. Over ist hier gar nix, es geht doch gerade erst richtig los.

Locker machen für die Hölle.

Der Kanzler ist voller Trauer. Erst starb die Schwester, jetzt die G.
Der kleine Junge möchte seiner toten Mutter die Wohnungsschlüssel in den Sarg legen, damit sie zurück kommen kann, nach Hause.

Jeden Tag geht die Welt unter, für so viele, und darüber stehen Mond und Sonne und Milliarden Sterne.

Die O2-Arena heisst jetzt Mercedes-Benz-Arena, aus Raider wurde Twix, aus Haider schließlich Wix und geändert hat das nix. Der Verkehr tost vorbei an dem architektonischen Halbrund, eine heulende Sirene nähert sich, ihre Klage hin und her geworfen zwischen den Mauerresten am Ufer und der gläsernen Arena, dolby surround und ich mittendrin und oben am bleigrauen Himmel ein Schwarm Krähen auf der Jagd nach einem jungen Täublein. Flieg um dein Leben, schnellschnell!, denke ich und schaue rasch weg, weil ich sie nicht sterben sehen kann, wie damals den Spatz auf dem Mauerstreifen, mitten im Flug von zwei Krähen zerrissen, gellend der Schrei, mit dem er diese Welt verließ. Den Ringfinger der linken Hand hätte ich für sein Leben gegeben, oder zwei Zehen oder ein Ohr, am liebsten etwas, was doppelt vorkommt in meiner Arche, oder was sonst geholfen hätte. Aber er hilft ja nichts, da kann man sich ausdenken und anbieten, was man will. Leben gegen Leben gegen Leben. Der Tod bleibt mein Feind und die Natur sein schamloser Handlanger.

Musik zum Text:

(youtube-Direktlink,  The Smashing Pumpkins, Bullet With Butterfly Wings)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bild: wikimedia, Repronegatief. Varanus komodoensis, ± 8 jaar en 5 weken,
Lizenz: CC BY-SA, 3.0

I follow rivers

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(…)

1 Blick
in dein Auge würde mir sagen ob du müde
bist oder ob es noch weitergeht. Weinen
würden wir trotzdem oft, weil
der Abschied noch vor uns läge –

Friederike Mayröcker

 

 

Am Morgen ruft der Kanzler an. Ich sehe seine Nummer auf dem Display und weiß, daß das nichts Gutes bedeutet. Nicht um diese Uhrzeit. Mit klopfendem Herzen hebe ich ab.
Ganz ruhig redet er und mir laufen die Tränen, während er erzählt was geschehen ist, völlig unerwartet.
Ich kann gar nicht trauern, sagt er, nach einer Pause, so ist eben das Leben. Grausam.

Mich schüttelt es und ich denke: es steht mir gar nicht zu, so zu weinen, sie ist ihm viel näher als mir.

Heute Nacht habe ich sehr intensiv geträumt, sagt er dann unvermittelt. Ganz ungewöhnlich für mich. Ich träumte, dass ich fliegen kann. Nicht nur ein bißchen, sondern richtig. Zwischendurch dachte ich immer: das kann nicht sein, ich träume. Und dann war es doch so und ich flog 2000 und dann 3000 Meter hoch und immer höher.
Flieg du nicht auch noch davon, Papa, denke ich und sage es nicht.

Sie ist in dem gleichen Alter, wie unsere Mutter, als sie starb, dabei ist sie die Jüngste von uns fünfen.
Sie ist meine Lieblingstante,
sage ich.
Ja, ich weiß, antwortet der Kanzler, sie ist ein so sanfter Mensch.

Die Geräte sind abgeschaltet, wir warten auf den Tod.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Quelle Zitat: http://www.poetenladen.de/theo-breuer-friederike-mayroecker.htm
Bild:
陶德, flickr, 20100829-0090,
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

still alive

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Der Oktober naht und mit ihm mein Geburtstag. Der zweite.
Das Licht ist ähnlich jenem vor zwei Jahren, die Luft ist mild, der Herbst kommt heran mit großen Schritten und ich fühle mich sehr Zuhause in dieser Zeit des Wandels.

Am 5. Oktober 2014 hat mich ein Feuerwehrmann der Berliner Feuerwehr wieder ins Leben zurückgeholt.
Wer sich diesen besonderen Menschen anschauen und etwas über seine wichtige Arbeit erfahren möchte, kann das hier beim Kiezrekorder tun.

Im zweiten Teil des Interviews erzählt er ab ca. Minute 6 davon, wie er es erlebt, wenn ein Mensch, mit dem er eben noch gesprochen hat, stirbt und die Seele den Körper verlässt. Direkt im Anschluss berichtet er, wie er mich nach meinem Herzstillstand wieder ins Leben zurückholen konnte.
Das noch einmal zu hören hat mich sehr berührt.
Ich bin für jeden einzelnen Tag dankbar, den ich seit dem 5. Oktober erleben durfte und ich freue mich auf und über meinen nahenden Jahrestag.

Ein Hoch auf Feuerwehrmann Ludwig (und auf die Berliner Feuerwehr. Auf alle anderen Feuerwehrleute und Lebensretter natürlich auch)!

 

(Dank an Stony für den Hinweis und den Link!)
Bild: screenshot v Teil II des Interviews

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Only the Lonely betritt den Saloon,
kriecht nicht hinein;
dreht sich nicht um,
wenn von hinten die Türe nervös,
klappklapp,
in den Angeln tanzt
und Gläser erwartungsbang klirren von vorn.

Schaut in den Spiegel und hebt die Hand.
Mutter bist du es, dein Stallgeruch.

Ein weiter Bogen von gestern bis heute.
Schicksalswink, ich danke Dir.

 

 

 

 

Bild: Melina Hermsen, Pferd, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/