postpunk

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Als Andere bereits tiefgründig waren, war ich noch immer unglücklich und tat so als sei ich deep indem ich Worte wie „wahrhaftig“ gebrauchte, Zeichnungen von gesichtslosen Menschen anfertigte, regelmäßig nach Paris fuhr, ins Städel oder in die Staatsgalerie ging und vorgab, Botschafterin werden zu wollen. In Caracas natürlich. Manch einen beeindruckte das und der B., der später mit Ganzkörperherpes bis in den Rachenraum hinein auf Intensivstation lag, verliebte sich in meine traurigen Augen und den großen leidenden Mund.

Als Andere bereits Ziele hatten, trug ich einen schwarzen Mantel und gab vor, schlau zu sein, indem ich fundierte Bemerkungen ironisch lachend oder augenrollend mit schlanker Hand wegwischte und beim Hinausgehen die Türen offen stehen ließ.

An einem Abend saßen wir in der Villa des Theaterkritikers, als Corby der Punk plötzlich erzählte, er wolle Theaterschauspieler werden, worauf mir Tränen der Enttäuschung in die Augen stiegen und es mir die Sprache verschlug. Doch Corbys redlich rotbäckiges Gesicht ließ keinen Zweifel: es war ihm ernst damit, und als er längst schon die Bühnen des Landes bespielte und seine Frau mit Kolleginnen betrog, war mir noch immer kein Ziel eingefallen, das anzustreben mir lohnend erschien.
Selbst aus Ludwik dem Pöbelpunk wurde schon bald ein erfolgreicher Geschäftsmann in sauberer Kleidung, und als Ludwik eine Familie gründete, war mein einziges Kind schon lange tot.

Meinen Kummer verkaufte ich inzwischen als hartgesottene Unabhängigkeit und wenn ich nach dem Beischlaf durch die Haare eines Liebhabers strich und ihm Namen gab, war ich Jean Seberg, bereit, ihn von hinten zu erschießen, um ihn endlich betrauern zu können.

 

 

 
Hätte der Kanzler sich gegen meine Mutter durchgesetzt und mich Daisy nennen dürfen, wäre mein Leben anders verlaufen.

 

 

 

 

 

 

Bild: Dmitri Yurchenko, Tallinn Estonia, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

Der schönste Ort der Welt

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Der M-Platz ist der schönste Ort der Welt, sagt der Bekannte, dem Superlative fremd, wenn nicht zuwider sind, der aber so erleichtert über die Freigabe der Parkbänke ist, dass er sich nach einem Lesestündchen im Schatten der Platanen ausnahmsweise zu einer so undifferenzierten und emotionalen Bemerkung hinreissen lässt.

Mein Geistestzustand ist mittlerweile derart aufgeweicht, dass ich mich wie toll über seine Äußerung freue, fast so als hätte ich in irgendeiner Weise an der Gestaltung des Platzes mitgewirkt, oder als hätte der Bekannte mir ein außergewöhnliches Kompliment gemacht. Stunden später, beim Einschlafen, lächle ich noch immer darüber und auch beim Niederschreiben dieser Begebenheit steigt ein kleines, helles Glücksgefühl in mir auf und die coronabedingten Permatränchen in den Augenwinkeln wechseln ihre Farbe von dunkel zu kristallklar.

Schreibt man gebe oder gäbe, frage ich den Bekannten, um im Gepräch zu bleiben und ihn bauchpinselnd zu unterfordern.
Als ob es tausend StÄbe gÄbe, antwortet er lässig und favt sich entspannt durch Twitter. Auch ein neuer Zug an ihm.