Perlmutt

Wie ich aus dem Fenster schaue und die Blätter grün tropfen und der Sand sich dunkel saugt und die Bluse in Falten sich legt, ein Fischauge jeder Knopf, und das Windrad sich artig dreht und die Waage sich geneiget hat und die Nacht nicht mehr weit;

da denke ich an dich und den sommertrockenen Rasen der vergangenen Zeit und die Salami im Schlafsack am See und meinen Rock gegen rechts und deine Haut und meine Seele auf links und das Glitzern im Abendlicht und die Hand auf der Hüfte und später dann der Arm hinter dem Kopf und die Sterne über uns und mein Erschrecken über die vielen Leben und Tode die es brauchte, uns an diesen Ort zu dieser Stunde zu bringen.

 

Im internet sah ich ein Bild von dir. Du lachst und baust Häuser und verheiratet bist du auch.

Als der erste Tropfen Regen auf den trockenen Asphalt fällt, denke ich an den Moment, als ich meinen Hund am Flughafen in Düsseldorf in Empfang nahm und ob der Verantwortung, die ich im Begriff war zu übernehmen und der Rührung, die mich angesichts dieses klapprigen struppigen Tieres ergriff, zu weinen anfing.

Carolina hatten sie den kleinen Welpen, den sie auf der Straße gefunden hatten, genannt, und ihn sodann in eine sogenannte Perrera, eine Tötungsstation gebracht. Dort war es üblich die Tierboxen mit einem harten Wasserstrahl zu reinigen, während die Insassen sich verängstigt in eine Ecke ihres Gefängnisses drückten.

Und so kommt es, dass mein Tölchen eine beinahe unüberwindbare Abneigung gegen Wasser hat und dieses in jeder Form scheut. Selbst dem Wassernapf weicht sie aus, so dass ich ihrem Futter Wasser beimischen muss, damit sie nicht verdurstet.
Sie möchte außerdem keinesfalls gewaschen werden und wälzt sich unmittelbar nach jeder Dusche im Dreck, bis sie wieder staubgrau ist. Bei Regen weigert sie sich, das Haus zu verlassen.

Nur in den bayerischen Bergsee läuft sie zumindest bis auf Kniehöhe hinein. Doch der ist weit weg und die heimischen Gewässer sind ihr nicht geheuer.

Aus Liebe zu meinem Tölchen sitze ich deswegen heute, am Sommeranfang mit ihr in der Wohnung, statt die Fête de la Musique zu besuchen, denn es regnet. Doch der Duft der Stadt weht durch die geöffneten Fenster herein und wir lauschen dem Schwipp-Schwapp der Waschmaschine, die Runde um Runde ihre Arbeit tut und uns in wohlig duftende Geborgenheit lullt.

Happy Sommeranfang allerseits!

Spirit

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Mit dem Verlangen nach Anhaftung verliert sich auch das Schmiegen, die Elastizität, die Offenheit.

Meine Risikofreude indes kehrt zurück und schubst mich geradewegs auf den Asphalt vor den uralten, spirituell dudelnden Bhagwan-Bus, der sich blau heranschiebt und eine Wolke patchouligetränkter Gläubigkeit in den Engeldamm keucht.

Meine Haut wird anders dünn, als ich erwartet hätte. Meine Stärken und Schwächen verschränken sich unerwartet zu etwas Neuem das aussieht wie ein Käsetwister und auch so schmeckt. Sturheit?

Auf dem Gehweg jedenfalls behalte ich ebenso die Oberhand wie auf der Straße. Blickkontakt vermeiden, das ist das Entscheidende, keine Diskussion, und schon steht alle Welt mürrisch Spalier. Maulend, hupend – ich fühle mich geadelt.

Die Abende sind lang, das Wasser schwarz und die Stadt voller Staub. Das Tölchen wälzt sich nach Herzenslust und ist schon wieder so schmutzig, dass die nächste Tierarztrüge uns gewiss ist. Auch ein Orden, wenn man bedenkt wie krank der Hund ist und wie ausweglos die Lage immer wieder scheint. An manchen Tagen geht es ihr so gut, dass sie sogar große Schäferhunde, die uns zu nahe kommen, wegknurrt. Wie die Frau, so der Wau.

In einer Woche erhebe ich Klage vor Gericht.

Hier passiert nicht viel.
In meinem anderen Leben umso mehr.

Der Film ist fertig. Es ist merkwürdig für mich, mich so zu sehen und zu hören – erwachsen, aufgeräumt und klar. Nicht flatterhaft von Thema zu Thema springend wie üblich.

Ich bin gespannt, ob er den Erfolg haben wird, den die Filmemacherin sich erhofft. Verdient hätte sie es. Wirklich gut, was sie aus dem Material zusammen geschnitten hat. Das findet auch El Capitan, der schärfste Kritiker des Universums. Und wenn er den Hut zieht, möchte man erröten.

 

Das Bloggen passt so wenig zu meinem Leben gerade.

Der Gedanken sind viele, es gibt keinen Willen, sie zu formulieren. Die Bloglandschaft erscheint mir wie eine träge Kulisse. Das Leben indes fließt weiter Richtung Meer.

Vielleicht braucht es die Stille der Alpen, um wieder schreiben zu wollen.
Noch 7 Wochen- ich kann es kaum erwarten.

In Spiegeln

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Zu Beginn der blauen Stunde pilgern wir für einen letzten Nachdreh auf die nahe gelegene Brücke. Unter uns fließt träge der schwarze Fluss, im Osten werfen die Wohn- und Versicherungstürme das goldene Licht der untergehenden Sonne zurück. In der Ferne leuchtet ziegelrot die Warschauer Brücke, darauf schiebt eine gelbe U-Bahnschlange sich in Richtung Süden, darunter ein orange-weißer Blitz mit  flackerndem Blaulicht. Ein Mensch ist in Not. Ich atme Farben.

Schöne Bilder hat sie gedreht, die Filmfrau. Schmerzjubelnde Abendstimmung und ich flaniere mit dem müden Hund auf dem Arm über die Brücke, ringsum Wasser und Klang und Lichter und das sich ausbreitende Himmelsschwarz, Lachen, Scherben, Musik, mein Berlin.

Zwischen Aufbruch, Euphorie und Melancholie schwankt meine Stimmung. Jeder Tag ist ein Abschied, jeder Atemzug eine Geburt. Altbekannte Trauer über die Vergeb-und die Vergänglichkeit. Ra-fri- und Haareschneiden, wie der Kanzler witzeln würde.

Vibrierendes Sommerglück als zweite Melodie.

Der Teilzeitgefährte, El Capitan, ist wieder in der Stadt. Die Wand bleibt steil und abweisend. Unser Beisammensein ähnelt einem bizarren Nordic-Walking-Parcours bei Nacht, quer über einen Soldatenfriedhof. Jeder stolziert in eine andere Richtung.

 

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Gelb blüht das Springkraut. Sind die Schoten erst reif, zerplatzen sie bei leichter Berührung und Samenkügelchen spritzen in alle Richtungen davon. Zurück bleibt einen aufgerollte grüne Hülle.
Rührmichnichtan nannte der Kanzler diese Blume als wir klein waren und ich nenne sie noch heute so.

Zwei Monate schon ist es warm. Wo Rasen wuchs dörrt bleiches Stroh, darunter staubt der märkische Sand. Der Hund wälzt sich im Dreck. Am Abend bürste ich sie 100-fach, wie die Großmutter einst ihr Haar. Es geht uns so gut wie es uns gehen kann und ich entspanne mich trotz der wandhohen Wellen im Rücken.

Nur das Schreiben geht mir nicht von der Hand. Was das Auge sieht, will der Kopf nicht in behäbige Worte zwängen. Nicht aus schillernden oder federleichten Flugwesen betonstarre Schmetterlinge machen.

Der schönste Klang ist das Plätschern der Springbrunnen und das Läuten der Kirchenglocken auf dem Platz, in der Nacht das Schnurren der Katze neben meinem Ohr. Von draußen wehen Stimmen herein.