Wels

Den Moral- und Besserwisserkanal habe ich über. Schon der Abruf meiner Direktnachrichten im Backstage kostet mich Überwindung. Die Beflissenheit und Ernsthaftigkeit mit der Grund und Boden in tausendfach gleichem Duktus verteidigt und die Grenze gezogen wird zu den Anderen, den Unredlichen, die sicherheitshalber alle Nazis oder zumindest falsch gewickelt oder dumm sind; die virtuelle Bildungsangeberei, die monochrome Einsamkeit hinter den Accounts, die Floskeln. All das und natürlich der Plattformbesitzer, machen twitter zu einem Ort an dem ich nicht mehr sein möchte.

Ungefragte Einblicke auch bei tiktok, einer vergleichsweise unterhaltsamen App, deren Stumpfsinn stumpft wie Testosteron törnt und ansonsten, zumindest in meinem Algothytmus, weitestgehend moral- und empörungsfrei bleibt.

Die Kopfschmerzen sind unerträglich. Meine Nächte verbringe ich zum Teil sitzend mit Atemnot, Herzrasen und Ohrensausen. Die Sättigung vergangene Nacht durchweg knapp unter 80%. Übelkeit, Schwindel, Hirnnebel. Trauer über das was übrig ist von mir. Schluchzende Verzweiflung unter der Dusche.


Gründeln im Brackwasser zwischen Leben und Tod.

Auf dem Orannienplatz suche ich nach dem fehlenden Puzzlestück, dem Bindeglied zwischen Gestern und Heute, der Abschlusskappe für meine Zeitenkapsel.
Wenn mein Instinkt mich nicht trügt, gibt es eine Bodenplatte mit Griff, unter der ich mich zur Ruhe legen kann. Ich muss sie nur finden. Die Stimme aus dem Off sagt: warm!





Als Personalerin bin ich unschlagbar.

Die Schlechten erkenne ich sobald sie den Raum betreten, die Guten wandern ins Töpfchen. Wozu eine unsichere Mutterbeziehung doch gut sein kann.

les belles choses

Das Auto ist jetzt auch hinüber. Als der Abschleppwagen die Straße vorübergehend dicht macht, ruft ein Anwohner laut zeternd die Polizei. Mir ist die Lust vergangen detailgenau über solche Menschen zu schreiben.

Die Klinik ruft an und bestellt mich für unbestimmte Zeit zur stationären Behandlung ein. Ich werde nicht gehen.

Ehe meine Lunge mich schließlich ins Aus narkotisieren wird, möchte ich noch mit dem Unterfranken eine neue Laube aufbauen und Hochbeete bepflanzen.


Ich putze die Fenster, den Kühlschrank, die Flächen, den Boden und sortiere die Schrauben im Werkzeugkasten.




Pier 3

Kein helles Rechteck am Himmel, wo es nicht hingehört. Dafür ein Delfin in der Lübecker Bucht (und endlich ein Wiedersehen mit der Fackenburger Allee und der Mutter. In dieser Reihenfolge).

Das Vertrautwerden des Fremdseins.


Fasane und Hasen zwischen Teer und kadmiumgelbem Raps.
Krüppelweiden. Hundesportverein. Wind, den ganzen Tag lang.


Die Frau unter deren wasserblauen Augen Bengalkatzen als hinduistische Göttinnen wiedergeboren wurden, was sie mittels eines fernabhörbaren kosmischen Anrufbeantworters herausfand, wie sie auch die Todesstunde der Mieze vorhersah, ein Irrtum, wie sich später zeigte, erklärbar nur durch einen himmlischen Schluckauf.

Die Tage vergehen, ich weiß nicht ob schnell oder langsam. Wegen der erzwungenen Häuslichkeit (Sturmböen) neige ich zu langsam weil gleichzeitig öde. Monotonie vernebelt meinen Geist und heute könnte genauso gut gestern gewesen sein.

Zwei bis fünf Jahre noch. Daraus lässt sich etwas machen. Etwas Schönes mit Rolle rückwärts ins ewige Schwarz.

Zuversicht ist alles.

Ob ich noch ein Mal auf den Hausberg gehen werde, wo der Kanzler unter der blühenden Kastanie beide Arme ausstreckte um nach den üppigen Brüsten meiner Mutter zu greifen und wo kurz darauf der dicke Mann mit dem Down-Syndrom aus dem Irgendwo auftauchte, den Kanzler umhalste und „Herr Dokter, Herr Dokter, ich hab dich so lieb“, rief und wir Kinder uns verschämt von soviel Gefühl und Überschwang und Fremdheit abwendeten und ich anschließend, auf der Seite liegend, mithilfe leichter Wellenbewegungen den grünen Hang hinunterkullerte auf dessen Scheitel die beiden Söhne der Geliebten meines Vaters viele Jahre später ein Lokal betreiben würden.


Ans Licht gekommen, war die Affäre, als meine Mutter zu Besuch bei Freundin D., ein Päckchen mit der vertrauten Handschrift des Kanzlers, und an den Ohren der Frau genau den Schmuck entdeckte, den sie selbst im Beisein meines Vaters beim Juwelier am Opernplatz für sich erkoren hatte. Der schenkfreudige Kanzler war ihrer Anregung sogleich gefolgt und hatte seiner klassisch gekleideten Geliebten den Glam meiner überkandidelten Mutter ins Haus getragen.


Die Entdeckung des Betruges führte zu einer handfesten Auseinandersetzung zwischen meinen Eltern, von der ich mitten in der Nacht erwachte. Nie gehörte Schimpfworte gellten durch das Haus und am Morgen sah ich meine Mutter in ihrem cremefarbenen Seidennegligé in der Küche stehen, die Augen leer und der Hals voll dunkler Striemen.
Weder an diesem, noch einem anderen Tag haben wir darüber gesprochen und ich begrub die häßliche Wahrheit über meinen Vater bis ich erwachsen war.

Des Kanzlers Geburtstag und mir fehlen die Adjektive und vielleicht auch die Verben.
Es wäre schön, wenn du wieder Teil des Familienkreises werden würdest, sagt er vorgestern am Telefon und erklärt mir anlasslos, weshalb seine Freundin mich ablehnt.
Mit ihr und meinen Geschwistern wird er seinen Ehrentag begehen.
Ich bin zu krank und zu schwierig, um dabei zu sein.

Bald werden die Imkerinnen am Mariannenplatz wieder ihren Schaukasten aufstellen und wie in
jedem Jahr werde ich von Zeit zu Zeit dort vorbeikommen, das Türchen öffnen und das Leben hinter der Glasscheibe betrachten.

z.B. letztes Jahr im Frühling

Frühlingsanfang und wir putzen die Fenster. Gegenüber steht eine Frau und späht mit dem Fernglas auf unser Haus. Ich erwäge, nur für sie, halsbrecherische Elemente in die Putz-Performance einzubauen, wähle Gangnam und vorsorglich die 112.

Die Fenster sind inzwischen sauber, ohne dass meine Freunde von der Berliner Feuerwehr anrücken mussten. Das Glas ist zum Durchgreifen klar und meine Stimmung entsprechend heller.

Der Nachbar hat die ganze Nacht Klaviermusik gehört.

même combat

La danse est un outil de lutte

Karfreitag als Revolutionsbremse.

Doch der Kampf nimmt Fahrt auf:


in Paris steht nun auch die Jugend auf der Straße, allen voran Mathilde Caillard. Sie tanzen zu Technobeats, ihr Schlachtruf: Taxer les riches, on va taxer les riches! Retraites, climat : même combat.
Streikende Eisenbahner setzen unterdessen die Bastille Blackrock in Brand und Macron versucht in einem unbemerkten Moment seine Luxusuhr in der Jackentasche verschwinden zu lassen.


Ein Stück Kirschstreusel* kostet derweil 4 Euro fuffzig. Der Griff ins Brotregal lohnt sich wieder.


  • ein Wort, dass die Filmemacherin ohne Nuscheln oder Pause zwischen dem ‚sch' und dem 'st‚ klar und beinahe überdeutlich auszusprechen vermag

Saw

Die Schrift scheint von einer mir vertrauten Person zu handeln. Jede Seite stürzt mich tiefer in das Dilemma des Voyeurs.
Alles beginnt und endet in der Psychiatrie, in der der Mensch seit vielen Jahren lebt. Die Interviews finden außerhalb, bei Kaffee und Kuchen, in Privatwohnungen statt. Davor, bereits in der Kindheit, gab es schon Klinikaufenthalte. Der erste wegen einer Pneumonie, der nächste aufgrund einer simulierten Gehunfähigkeit, die viele Jahre später, zu seinem Nachteil, als Wahn (und nicht als Schutz) fehlinterpretiert werden würde.
Für das Kind waren die Verstrickungen und potenziellen Gefahren dieses Spiels nicht vorhersehbar.

Goldhelm sagt, ich müsse Aufträge geben statt Wünsche zu äußern. Fordern statt bitten. Im nächsten Moment bekommt sie Fieber, wird matt und immer matter und ich frage mich, ob auch das eine Bestellung beim Universum war oder einfach nur Nachlässigkeit.
Ich selbst fordere das Schicksal heraus indem ich meine Beine zwischen die Streben des Treppengeländers stecke, um heraus zu finden, ob die gleiche Maßnahme erforderlich sein wird wie selmals bei der Stuhllehne. Die Antwort lautet: ja.

Um die Geschichte abzurunden: das Kennzeichen für Salzwedel ist SAW.