Die Erde ist ein Lebewesen, sie ist innen hohl
stand lange Zeit auf der halbrunden Hauswand der Commerzbank, gleich neben dem Blauen Affen, einer inzwischen untergegangenen Neuköllner Trinkeinrichtung. Wann immer ich es las, musste ich an jenen Kommilitonen denken, damals in Franken, der sich, wie so viele an diesem Ort, auf hauchdünnem Eis bewegte.
Da saß er mit uns, im Winter, in dem dunklen Lokal, die Ärmel seiner Jeansjacke hochgekrempelt, die nackten Unterarme auf der steinernen Tischplatte abgelegt, dass es mich fröstelte, und schaute mich an, folgte mir mit höchster Konzentration, wenn ich sprach, jedem Wort, jedem Zungenschlag, meinen Blicken, den Augenbrauen, den Händen, wie einer Verkündung, starrte er mich an, aus zusammengekniffenen Augen, um nur ja nichts zu verpassen, bis seine Füße unter dem Tisch zu tanzen begannen, die Lider flatterten und es ihm entfuhr, es aus ihm heraus wollte, sofort, er es zur Sprache bringen oder vielmehr zu Sprache, zu Worten, machen musste endlich, was er empfing, die Register, die ich gezogen, mittels einer Macht, die ich hatte, weil ich den Schlüssel besaß, zu dem Schloss, von Anfang an. Entstanden oder auferstanden, geweckt und in Form gebracht seine Worte, die ich ihm souffliert hatte aus einem Skript, das er in- und auswändig kannte. Die Erde ist ein Lebewesen raunte er mir zu, ein Hinweis, ein Wink, dass er mich verstanden hatte und mit der nickenden Gewissheit, dass auch ich ihn verstand, ohne Zweifel. Sie erkennen mich immer, sie wissen, dass ich die Weihen habe.
Ein anderer im offenen Ledermantel und mit langem Haar, ein großer schwerer Mann, betritt mit lautem Schritt das Lokal, sieht mich von hinten, mein Haar, schon an der Türe höre ich ihn poltern, die Art, wie er den Raum einnimmt, dass die Holzbohlen unter den schrammelnden Lautsprechern knarren und ich weiß, ohne mich umzudrehen, wem dieses Lärmen gilt, nur gelten kann. Ein Code. Er nimmt den Arm hoch, meine Nackenhaare stellen sich auf, und wirft seine Messer über meinen Kopf hinweg in das große schwarze Ölgemälde, dass ich lachen muss insgeheim. Ich weiß doch wer du bist.
Disch kenn isch, ruft die Wirtin meiner Schwester hinterher, als sie nach dem Flohmarkt die Toilette benutzen möchte. Disch kenn isch? fragt sich die Schwester in ihrer anderen Welt, die dieses Kennen nicht kennt, wie niemand es kennt, der es nicht kennt, selbst wenn er dabei war, während ich auf der Bank sitze und nicke, als sie es ezählt. Kinder derselben Mutter, sind wir zwei ganz verschiedene Wege, die das Leben genommen hat, um ein Flussbett zu formen am Fuße des dunklen Berges in dessen Schatten wir leben.
Ich kann sie sehen, selbst wenn sie nicht da sind, ich spüre sie durch Wände, wie mein Vater das Unheil. Immerzu.
Verlassen liegt der große Platz in der Mittagsglut, kurz und hart sind die Schatten der roten Kapelle. Am oberen Ende der gleißenden Ebene steht mit ausgebreiteten Armen ein Prediger auf einer Kiste. Um ihn herum Ratlose und Ratsuchende, sich am Kinn kratzend, oder am Hinterkopf, während er spricht. Zwischen Hoffnung und Empörung über die heilsbringende Vermessenheit und den Mut, der keiner ist, sondern reine Pflicht. Ich wende mich ihm zu, wie ein Magnet dreht er meinen Kopf und ich schaue ihn an, tu ´s nicht, sagt die Freundin noch, schau da nicht hin!, treffen sich unsere Blicke, und im Weitergehen sehe ich den hageren Mann über die Schulter mit unbeholfener steifbeiniger Hast rückwärts von seiner Kiste steigen, wie ein Elefant, oder doch eher eine Giraffe, von einem kleinen Schemel. Kaum, dass seine Füße den Boden berühren, wirft er die Arme in die Luft und ruft und segnet sie und mich und die Stadt und den Landkreis und die ganze Welt schon von weitem und immer näher kommend auf leichten Füßen mit allem, was er zu geben hat.