voranschreiten

(Ein alter Text von mir. Wenn ich wieder in der Verfassung bin, so zu schreiben, geht´s hier bestimmt wieder mit Verve weiter)

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Es ist so, zumindest im Augenblick, und der gilt eben jetzt, ist die Wahrheit, so, wie alles, wovon ich, und sei es auch nur für einen kurzen Moment, überzeugt bin, aus tiefstem Herzen oder sogar bei vollem Verstand, die Wahrheit ist, die ganze absolute und unumstößliche Wahrheit, für alle Zeiten, in diesem Augenblick. Das alte Autofahrer-/ Radfahrer-Ding. Egal in welcher Rolle, die anderen haben Unrecht und ich habe Recht.
So ist es.

Im Winter, wenn es dunkel ist und meine Gedanken sich nach und nach grau einfärben, ab und an von heiteren Anfällen überbunt, beinahe lackglänzend und blendend überpinselt, weil mir in der düsteren Atmo jedes Maß für Farben fehlt- das ist wie Schminken im Dunkeln, was soll schon dabei rauskommen außer einer Horrorfratze –

nein Mutti, es ist alles gut, geh schön in dein Zimmer, der Arzt kommt gleich-

Der Rest des Satzes ist mir irgendwie abhanden gekommen, war wahrscheinlich nicht wichtig.

Wenn ich jetzt alles oben Geschriebene lösche, fehlt der halbe Text und bis hierher war´s doch gar nicht so übel, denn nicht jede Sackgasse ist ein Irrtum, so wie die Evolution zwar nicht gerade auf mich gewartet hat, vielleicht sogar just noch dachte, es läuft sehr gut derzeit, so könnte es ewig weitergehen, mal gucken, was noch kommt, und dann kam schon ich (immer nur als klitzekleines Splitterchen vom großen Wir gedacht), und mit mir ist völlig überraschend das Ziel und somit das Ende der Evolution erreicht.

Mission erfüllt

Eine super Sackgasse, in der man es sich endlich einmal gemütlich machen und mit den Beinen baumeln kann, sich einnischen, ein paar Fehlerchen, na gut, aber im Großen und Ganzen ist es vollbracht, wollen wir nicht kleinlich sein.

Die Evolution ist vorbei, ich bin da!

Wenn man denkt, wie das früher zuging. Da waren alle Menschen noch schwarz-weiß, sahen komisch aus und wackelten wie aufgezogen durch die Gegend. In den 80ern ist auch noch mal irgendetwas ganz stranges (so sagte man damals) passiert. Lag wahrscheinlich an Reagan, Thatcher und dem Peter Dingens, der Formel 1 moderierte (die Frisur!), danach aber wurde die Welt modern und glitt auf lautlosen Kufen durchs All und tut es bis heute und könnte auf diesem Höchststand den totalen Stillstand ausrufen und endlich Ruhe geben.

Tut sie aber nicht. Partout kaputt gehen möchte sie, unter Spielkonsolen und voll schönen Dingen begraben. Im überheiteren Krisenloop chong chong chong dreht sie sich in rasender Ausgelassenheit und blindem Übermut, dass es die Ecken abschlägt bei jeder Runde, wie ein Klapptisch auf´m Kopf und immer round about in der dunklen Kammer, in der sich schon Mutti schminkte, mit bekanntem Ergebnis, spratzt es die Ecken weg, es splittert, wenn schon nix mehr zu tun ist und die Entwicklung vorbei, das Rad erfunden, sich nur noch dreht, ganz langsam im Wald im Wind, im rostigen Gestern.
Der hüpfende Ball auf dem Wasser, er schwippt und schwappt und schwimmt obenauf und landet doch irgendwann im Magen der Möwe, die daran zugrunde geht und wir mit ihr und am Schluss ist er das Ende der Welt Menschheit. Ein kleiner Plastikball.

Wer hat´s erfunden?

Den Kopp unter´m Tisch oder den Spiegel vor´m Bauch und dann durch die Wohnung getapst, die Zimmerdecke spiegelt sich im Spiegel (logisch) und man schaut unentwegt hinein, hält sich das Teil mit beiden Händen vor den Bauch, wie ein Tablett, klettert über Lampen und Kabel und spaziert so aus dem Haus, ohne Schuhe, sieht ja keiner. Ganz vorsichtig, damit man nicht stürzt, stelzt man ins Treppenhaus, die Stufen von obendrüber hinab, Schritt für Schritt, mit Maß und Würde, als trüge man einen Reifrock oder eine Schleppe und ginge zum Altar, die spitze lange Scherbe im Bauch immer vor Augen, ohweh, und vorbei wäre der Gipfel der Evolution – welche Verantwortung man trägt! – und dann an der Türe, nachdem man endlich den vollgesprayten, nach Gras und Pisse stinkenden Hausflur durchquert, die letzte Stuckrosette mit einem Satz übersprungen hat- obacht!-  trete ich auf die Straße. Ich schreite mit geradem Rücken, den Walzer im Ohr, und
sehe,
sehe,
sehe: den HIMMEL,
so blau und weit (el cielo es azul) und mache einen großen Schritt, einen Satz, hart wie Stein unter den Füßen, laufe durch das Blau, den Himmel, das Universum. Ich bin ein Engel oder bin ich schon tot?

 

 

 

 

 

Arolsen (en famille)

Schloss Arolsen

Das neue Jahr steckt sein ausgeschlafenes Gesichtchen ins Abteil und schaut in die Runde.
Ohne aufzublicken nicken die Reisenden und lassen sich zurück in den Schlaf schaukeln.

Das vergangene Jahr ist bereits, von seinen Vorgängern am Bahnsteig erwartet, in Arolsen ausgestiegen. Gemeinsam kriechen die (nunmehr vollständig versammelten) Teenager auf dem Friedhof an das Grab Rudolf Klapps heran, wo ganzjährig die Schlüsselblumen blühen und welches täglich vom alten Studienrat Pfeifer besucht wird.

Sogar der gelbe Golf steht noch vor dem Haus und durch den alten Garten fließt immer noch das Bächlein, gesäumt von Dahlien in allen Größen und Farben. Die Bewohner sitzen in der Küche und zeichnen Stammbäume.

Aus der Seniorenresidenz klingt glockenhell eine Stimme. Es ist das Gundel, mit ihrem langen geflochtenen Haar.

Darum bist du so schön!“ ruft sie, als ich mich auf ihre Bettkante setze und ihr von meiner Arbeit erzähle. Ihre faltigen Hände greifen nach meinen goldenen Ohrringen.

Schlaf, Arolsen, schlaf

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bild: Schloss Arolsen, Thomas Huth, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

 

Im Bällebad

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So, geklagt ist. Gleich zweimal. Nicht länger in der heimischen Tränenkammer, all by myself, sondern trompetenlaut vor Gericht.

Außerdem habe ich ein Darlehen aufgenommen, um weiterhin die notwendigen Behandlungen bezahlen zu können und jetzt warte ich auf eine Lösung ehe das Geld aus geht.

Normalerweise wären längst ein paar Texte fällig und in meinem inneren Kalender steht für den 14. Januar ein nicht einmal begonnener Gemüsebeitrag. Aber es hakt im Kopf und ich kann nicht schreiben. Was hier seit Monaten passiert ist anstrengend und grotesk und so verrückt, dass man es gar nicht erzählen kann, ohne selbst für übergeschnappt gehalten zu werden. Ich mag den Mist nicht auch noch hier breittreten.

Auch für Andere ist gerade Ausnahmezeit. Flughunde fallen in Australien zu Tausenden von den Bäumen und sterben. 50 Grad hat es dort. In den USA indes regnet es vereiste Leguane und die Krokodile frieren ein. Minus 78 Grad waren es dort in einer Nacht.
Wir in unserem sicheren Europa schippern derweil jemütlich vor uns hin. Aber auch das soll sich langfristig ändern, lese ich: Hochwasser.

Wetter und Klima sind irgendwie nicht das Gleiche, sind aber eng miteinander verbandelt und wer in der kalten Jahreszeit der Sonne hinterher reist, sollte diesen Aspekt im Auge behalten.

 

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Eine Familie hat ein Kitz in ihrem Hause großgezogen. Jetzt reift es zum Bock. Es steht zu befürchten, dass dieser den Hausherren in Bälde zu Rangkämpfen heran ziehen wird. Deswegen soll das Tier nun in einen Wildpark abgegeben werden.

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In das nachmittägliche Schlafzimmer sickert weißes Licht. Stimmen steigen von der Straße herauf. Die Katze macht Milchtritt auf meinem Bauch.

Ich möchte liegen bleiben.

 

 

 

 

 

 

Foto: on a road fork, Misha Maslenikov, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

Silber

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Manchmal wenn der Verdacht sich mir aufdrängt nicht ganz bei Trost zu sein, weil Dinge fehlen in meinem Schrank (beispielsweise Tassen) und ich nach dem Duschen in den beschlagenen Badezimmerspiegel schaue und an schwarz beborstete Zahnbürsten denke, die die Kinder sich über die Oberlippe hielten und sich dabei wie fröhliche Hitler im Bademantel fühlten, versuche ich die Wege nachzugehen die mein Verstand genommen haben könnte, folge ihnen mit System, gelernt ist gelernt, und finde mich wieder im elterlichen Schlafzimmer mit den weißen Interlübkeschränken und einer Weltkarte über dem Bett in einem Haus mit rosa Sandstein und Fachwerk, einer dramatisch geschminkten Mutter und schwarz gekleidetem Vater mit der Klarinette an den Lippen und der Schwester mit den roten Haaren wie die Urgroßmutter, von deren 9 Geschwistern eines den Namen meines jetzigen Hundes trug, und hinter dem Haus der Blick auf die Berge, die mittleren: ein Taunus, ein Spessart und ein Vogelsberg, der Odenwald nicht weit, und Hochhäuser in der Mainebene, wie Pilze nach dem Regen. Alles weit weg, geschmolzen wie die Scholle die der Eisbär nicht erreicht und unterdessen die Robbe ihm entkommt und nun sind es plazentahungrige Möwen die die Robben töten. Anpassungsspezialisten. Ich und die Möwen deren Rufe den Hund  noch immer aufhorchen lassen, die größten Futterkonkurrenten waren sie auf der Insel, neben den anderen Hunden oder meinen Geschwistern, wie wir so da saßen mit unseren Frottierlätzchen auf Hochstühlen bei Tisch und ich narkoleptisch und anorektisch und die Mutter mit dem Blattlausaugenmakeup und dem zischenden bösen Mund und ihrer heillosen Wut.

Ich sehe aus wie Hitler, denke ich im beschlagenen Badezimmerspiegel, wenn die Haare so strähnig und glatt auf der Stirn kleben, weil erst Trockenheit die Locken dreht und Hitler zurückdrängt in den Zahnputzbecher mit den (heutzutage) weißen Bürsten mit denen nur ein Greis sich nachahmen ließe, doch gottseidank ist er lange schon tot und sein Ende besiegelt mit dunklem Haar. Wie eine Anorektikerin fühle ich mich wieder, mein ausgemergeltes Rhesusaffengesicht und die Hosen die von den Hüften rutschen, überdiszipliniert und traurig sehe ich aus, der Ehrgeiz einer Ballerina über dem Zenith und der Stress, dieser Stress und sein Spaten im Gesicht und immer in meinem, die harten Kanten, grobe Schnitzer mit dem scharfen Messer gehöhlt. Es wird heilen, bald schon in den Bergen mit ihrem schroffen Grat oberhalb der Baumgrenze, wo der Fels auf sich selbst gestellt ist, nur Stein, nur Zeit und Wind und das Fieber brennt und ich zähle die Stunden rückwärts und die Kilometer nach vorne. Kühl soll es werden, am Fuße der Berge spielt mir Petrus in die Hände. Schlafen, schlafen, die Kuhlen füllen, grasüberwachsene Kanten, die Berge, die Ebene und der See und ich freue mich so, ich freue mich und über den Alpen die Sonne.

 

 

 

 

 

 

Bild: Modifica cfs 6512, carmelo fabrizio scordini, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/

schrei wenn du brennst

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Dieser Text endet viel heiterer als der Titel vermuten ließe

Schrei wenn du brennst, steht auf der Betoneinfriedung am Eingang des Parks und ich gedenke des unbekannten Menschen, der dort (selmals) kauernderweise seinen Schmerz in die Welt gesprayt haben muss. Schrei, wenn du brennst.

Hätte er doch bloß ein Bündel Geldscheine zur Hand gehabt, es angezündet und in stummer Zufriedenheit über das kurze Aufscheinen einer ungeahnten, neuen, alten Freiheit oder Autonomie den hellgrauen Ascheflocken hinterhergeblickt während diese mottengleich aufstiegen in die nächtliche Luft und sich in der Dunkelheit verloren, hätte dieses Erlebnis möglicherweise alle Pein von seiner Seele genommen.
Unten das Feuer und oben Ihr.

Schrei wenn du brennst begleitet mich seit Jahren und manchmal betrete ich den Platz vorsätzlich von der anderen Seite, um den Schriftzug nicht sehen und nicht darüber nachdenken zu müssen. Doch der Fleck an der Wand macht das abgehängte Bild noch präsenter.

Es ist genau diese kleine, besprayte Betoneinfriedung, dieses unwirtliche Mäuerchen, zu der es mich an manchen Abenden als dem letzten warmen Fleckchen zieht, ehe die Sonne, die es eben noch mit ihren Strahlen bedacht hat, hinter den Türmen des Künstlerhauses Bethanien verschwindet und bald schon die Fledermäuse über die Wipfel der Platanen streifen.
In diesen vergoldeten Minuten ist schrei-wenn-du-brennst der Ort, an dem ich mit geschlossenen Lidern verweile, das Geflecht der roten Adern die hinter meiner Stirn aufleuchten betrachte und mich so lebendig fühle wie selten.

Der Sommer macht uns alle unsterblich, auch wenn der Brunnen tief und schwarz, sein Gluckern unheimlich und der Geruch modrig ist.
Jede Wirklichkeit ist saisonal.

 

 

 

 

 

 

(Musik zum Text: Nick Cave, Mercy Seat, https://www.youtube.com/watch?v=t6p5nw6zZig – youtube-Direktlink)

 

 

bei Nacht (rewind / forward)

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Ein Texaner erlegt einen kindsgroßen Ochsenfrosch und hält das Opfer seines Rekordmordes zufrieden in die Kamera.

Der neue Trend heisst Pussy Slapping – Mädchen schlagen sich gegenseitig heiter zwischen die Beine. Paleo-Diät und ein leichtes Kleidchen aus ungebleichter Baumwolle könnten gut dazu passen. Im Sommer auch ein Gurken-Zitronen-Eis, low fat.

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Nachts um eins quert eine Wildschweinrotte die Potsdamer Chausee. Ein Scherenschnitt aus fünf großen beschnauzten Kästen und acht kleinen schwanzwedelnden Kästchen die hintereinander her laufen. Ohne nach links und rechts zu schauen, traben sie durch die Nacht und vertrauen in die Geborgenheit der Herde. Ich bremse und lasse sie mit angehaltenem Atem passieren.

Nach der Fahrt durch die nahezu ausgestorbenen Straßen und über die Stadtautobahn kehre ich von meinem Ausflug mit der kranken Katze zurück. Zu meiner Freude ist die Spülmaschine ausgeräumt, der wedelnde Hund gefüttert und alles in schönster Ordnung. Der Bekannte sitzt nach getaner Arbeit über seinen Büchern und laboriert im Lichtschein der gußeisernen Tischlampe an der Ausdifferenzierung seines Geistes und der Erweiterung seiner Gedankenwelt. Das bisher Gedachte verwahrt er, abgefüllt in Gläsern unterschiedlicher Größe, in seinen inneren Katakomben, wo die Behältnisse nach einer geheimen Ordnung und in einem für Uneingeweihte undurchschaubaren Regalsystem der wechselnden Gewichtungen, Strömungen und Bezüge aufgereiht sind. Ich blicke da weder hinein noch durch und er schweigt sich, wie stets, über seine Welt aus,

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In der Tierklinik sitzt ein attraktiver Mann in einem lindgrünen Hemd und hält eine Kiste mit zwei Vögelchen auf dem Schoß. Er wird diese, ausgerüstet mit einer Zuckerlösung und ein paar guten Tipps, wieder mit nach Hause nehmen. Alle zwei Stunden füttern, feed them all two hours, sagt die Ärztin und fügt hinzu, don´t worry, they are thick.
Die Fragezeichen über des Mannes Kopf schweben noch im Raum, als er längst schon verschwunden ist.

Gleich neben mir wartet ein junges Paar, Mittzwanziger. Er mit Vollbart und zeitgenössischen Tätowierungen, sie langhaarig in enger Stretchjeans und mit silbernen Riemensandälchen. Auch sie haben einen Karton dabei, darin ein halbnackertes Küken, welches die Tierärztin im Vorbeihasten als Taube identifiziert. Später wird sich herausstellen, dass es sich, wie bei meiner Selma, um eine Amsel handelt, denn ich lotse das Paar zu derselben Dame, bei der ich Vorgestern, nach einer erneuten nervenaufreibenden Aktion (dieses Mal: Rettung vor der hungrigen Elster) meinen kleinen Findling abgegeben hatte. Die Vogelexpertin erkennt es auf den ersten Blick: was hier den dünnen  Hals nach oben reckt, kann keine Taube, sondern nur eine Drossel sein.
Selma und Amselina (wie ich das Küken im Geiste taufe) werden nun bis zu ihrer Auswilderung in Staaken leben. Amselina, so schreibt mir die Vogeldame gleich am Morgen per WhatsApp, hätte die Nacht nicht überlebt, wäre sie nicht in ihrer Obhut und damit auf einer Wärmescheibe in einem Frotteenest voll puckernder Schützlinge gelandet. Ich freue mich.

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Das tagelange, unstillbare Erbrechen der Katze endet übrigens rätselhafterweise so plötzlich wie es gekommen ist. Das Neonlicht der Klinik reicht aus, ihre Magensäfte gerinnen zu lassen und nachdem die Ärztin mit den lagunenblauen Haaren den Bauch der Tigerin abgetastet und für weich befunden hat, trete ich nach Stunden des Wartens hinaus in die seidige Nacht und hoffe, dass der rabiate Besitzer des angefahrenen Welpen, der aussieht wie  der bärtige Geiselnehmer von Gladbeck und sich aufführt wie die Axt im Walde, mich nicht auf den im Dunkeln liegenden Parkplatz verfolgen und mir dort den Schädel spalten wird (weil ich als Nichtraucherin seine Frage nach einer Kippe abschlägig bescheiden musste). Meine Bitte wird erhört, nichts Böses widerfährt mir und im Schutze des leise rauschenden Blätterdachs verlasse ich das nächtliche Gelände ohne Zwischenfall.

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Jetzt sitze ich nach einer traumlosen Nacht müde am Küchentisch, schaue hinaus ins satte Grün, lausche dem Regen und schreibe diese Zeilen, derweil der Bekannte sich eine Banane schält und seinen Kopf mit Buchstaben und Wörtern a.k.a. Informationsträgern füllt.
Heute Morgen ist es ihm gelungen den metallenen Deckel des Espressokännchens, der seit Langem schon lose ist, scheppernd auf das Glas des Cerankochfeldes fallen zu lassen und zeitgleich und auf unerklärliche Weise eine Kettenreaktion im etwa 2 Meter entfernten Spülbecken auszulösen, das laute Gegenscheppern von aufrecht in einem Becher stehenden Besteckteilen nämlich, die sich just in diesem Augenblicke aus ihrer Verschränkung lösten und klirrend auf dem porzellanenen Boden des Bechers aufschlugen. Wir hatten unsere Freude an dem schrägen Akkord.
Schläft ein Lied in allen Dingen.

 

 

 

 

 

 

 

Foto: Daniele Civelo, Naturkundemuseum 48, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/

Rettung

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Ob es mich erfüllt zu retten und gerettet zu werden, fragst du. Als wären wir nicht alle aufeinander angewiesen. Nichts wiegt irgend etwas auf. Nichts zahlt sich aus. Das Wasser fließt über den Stein und um ihn herum. Der Fluss liegt in seinem Bett. Niemand schuldet dem anderen etwas. Es ist so.
Was „von selbst“ heissen könnte, habe ich noch nie verstanden. Das Selbst speist nicht allein sich aus dem Selbst.

Die Luft in Sri Lanka ist feucht und nicht mehlig trocken, lese ich. Das Licht täuscht. Manche Menschen dort haben dunkelblaue Augen. Wie wenig ich von der Welt weiss.

Gestern hat Selma, das Amselkind, sich davon gemacht. Als ich nach Hause kam, war sie aus ihrem kleinen Gewächshaus, das ich ihr als Nest eingerichtet hatte, verschwunden.

Später am Abend höre ich auf einmal die Amseleltern zetern und schreien. Da weiss ich, dass Selma noch lebt und in großer Gefahr ist. Sofort stürzen wir in den Garten, wo wir sie zwischen den Sträuchern und hinter den Mülltonnen suchen, doch wir finden sie nicht. Die Gefahr indes scheint nicht gebannt, die Eltern krakeelen weiter und sitzen flügelschlagend auf den Fahrradlenkern beim Schuppen. Wir folgen ihren Blicken und der Richtung ihrer Drohgebärden und entdecken Selma schließlich auf dem mit Maschendraht eingehegten Nachbargrundstück stumm am Boden sitzend im Efeu. Die Katze Luzie lauert nur 30 cm von ihr entfernt. Nun schreien auch wir, rudern wie wild mit den Armen, klatschen in die Hände und verjagen die gestromte Jägerin. Die kleine Polin rennt in den Hausgang und hinaus auf die Straße, klingelt bei den Nachbarn und ruft „Ich muss jemanden retten!“. Wie durch ein Wunder öffnet sich im gleichen Moment die Tür, einer der Bewohner verlässt das Haus und die kleine Polin kann hineinschlüpfen.

Zwei Minuten später kehrt sie mit der schimpfenden und krächzenden Selma in den Händen zurück und setzt die braune Federkugel auf der eingezäunten Terrasse ab. Schnell überprüfen wir den Zaun auf Schlupflöcher und stopfen diese mit allem, was zur Verfügung steht zu. Anschließend füttern wir Selma mit ein paar Regenwürmern.
Die Amseleltern scheinen inzwischen zu wissen, dass ihr Junges bei uns sicher ist und lassen uns in aller Ruhe gewähren.

Jetzt sitzt die kleine Selma in einer Ecke der Terrasse auf einem Stück altem Stuck, schaut mürrisch und krächzt dann und wann. Ihre wackeren Eltern versorgen sie weiter so gut sie eben können.

Wir sind alle aufeinander angewiesen.

Stranded

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Ich verstehe in Etwa was mir Andere über ihre Arbeit und ihr Leben, über Indien, Cricket und über die Ferne erzählen. Gleichzeitig verstehe ich nichts von all dem. Ich höre nur Worte.

Einmal sah ich einen Bericht über Menschen, die in Sri Lanka am Strand schlafen müssen, weil sie kein Obdach haben. Überall auf dem nächtlichen Sand gab es dunkle Flecken, von Tüchern bedeckte Erhebungen, die sich dann und wann ein wenig bewegten. Ich sah diese Bilder und auf einmal durchfuhr es mich und ich dachte: wie wenig ich von der Welt und vom Leben weiss.
Die Kamera begleitete die Schlafenden durch die Nacht, bis sich wieder Leben unter den leichten, bunten Tüchern regte, und eine warme Sonne die Erwachenden beschien. Hell wie Mehl war das Licht des Morgens, staubig und trocken das Licht des Tages. Alles sah aus wie aus angebackenem und mit Mehl bestäubtem Pizzateig geformt. Die Lehmmauern, die Straßen, die gekalkten Häuser, die Handflächen der Menschen. Traurig wurde ich, denn mich dauerten die Menschen, die kein Obdach haben, die tagein und tagaus arbeiten und doch immer hungrig bleiben, die im Kielwasser einer gefräßigen Welt umhergewirbelt werden und die kämpfen müssen, um nicht rettungslos unterzugehen in diesem mächtigen Strudel..

Oft macht mich diese gleichgültige Welt sehr traurig und oft überlege ich, was ich tun könnte um einzugreifen, und als ich vor zwei Tagen Selma das Amselkind fand und in meine Obhut nahm, erinnerte ich mich auf einmal an folgendes Erlebnis:
Ich war vielleicht sieben oder acht Jahre alt, meine Eltern verbrachten den Tag mit uns am Kahler See, eine gute halbe Autostunde von Frankfurt entfernt. Wir lagen am Strand, im weißen Sommerlicht und ich blickte auf das Wasser. In Ufernähe planschten schreiende Kinder. Ein Vergnügen das mir fremd war. Noch nie hatte ich Spaß daran in der Gruppe laut zu sein und auch wenn der Lärm mich nicht störte, war ich doch lieber alleine oder hielt mich in der Nähe Erwachsener auf.

Es war ein sehr heißer, ein friedlicher Tag. Im Hintergrund dudelte Jazz. Ein paar Amerikaner saßen biertrinkend im Sand und kauten fremde Worte. Das Wasser glitzerte in der Sonne, die Luft in der Ferne verdichtete sich allmählich diesig und wie ich da am Ufer saß und auf den See blickte, bemerkte ich plötzlich, inmitten der tobenden Kinder und des wogenden und spritzenden Wassers, etwas Kleines, das auf der Oberfläche hin und hergeschaukelt wurde. Es war ein Schmetterling, ein Pfauenauge, der wahrscheinlich von einem Wasserschwall erfasst und in den See gerissen worden war, aus dem er nun nicht mehr heraus fand. Keines der spielenden Kinder, noch deren Eltern, schienen den Überlebenskampf des kleinen Pfauenauges zu bemerken, das wieder und wieder versuchte sich mit Flügelschlägen in die Luft zu retten, während neben ihm kleine Arme ins Wasser patschten, es um Haaresbreite verfehlten und  fröhliche Rufe seine Not übertönten.
Auf einmal verstand ich was passieren würde: das kleine Tier würde sterben. Es würde untergehen und ertrinken und ich allein konnte das verhindern. Dieser Gedanke und die mit ihm einhergehende Verantwortung, diese dringende und schicksalhafte Notwendigkeit zu handeln, ließen mich erschauern, sie schmerzten und euphorisierten mich zugleich und wie ferngesteuert sprang ich auf, rannte zum Ufer und lief so schnell ich konnte in den See hinein. Mit aller Kraft schob ich meinen Körper durch das kühle, schwere Nass und schlängelte mich, den Schmetterling nicht aus den Augen lassend, an den wild rudernden Kinderarmen vorbei. Die Reflektionen der Sonne blendeten mich und es rauschte in meinen Ohren, dahinter, weit entfernt, brandete das Lachen der Kinder, der Sommer, das Leben.
Als ich meinen Schützling endlich erreichte, formte ich mit beiden Händen eine Schale, mit der ich ihn zunächst von oben beschirmte und die ich schließlich unter ihn schob, um ihn vorsichtig abzuschöpfen. Als ich ihn sicher in den Händen hatte, spreizte ich die Finger, ließ das Wasser  ablaufen und stakste anschließend mit weit nach oben gestreckten Armen an den schreienden Kindern vorbei ans Ufer, wo ich mir einen ruhigen Fleck suchte und mich setzte. Ganz still wurde es um mich, die Zeit, die eben noch in schnellem Takt getrommelt hatte, tickte auf einmal ganz langsam, der Tumult in meinem Inneren legte sich und das Rauschen in den Ohren ließ nach. Der Falter auf meiner Hand saß erst wie tot, nur seine Fühler bewegten sich, dann aber breitete er seine Flügel aus und ließ sie von der Sonne bescheinen. Nach einer Weile klappte er die Flügel zusammen, um auch die Unterseiten trocknen zu lassen und verharrte ansonsten auf der Innenfläche meiner Hand. Ich schaute ihm zu, fühlte seine Füßchen auf meiner Haut, atmete vorsichtig und war sehr froh. Irgendwann, es mochten fünf oder zehn Minuten vergangen sein, bewegte er seine Flügel etwas schneller, flatterte ein wenig, wie zur Probe, und flog schließlich davon. Während ich ihm nachblickte, überkam mich  der gleiche tiefe Schmerz und die gleiche Euphorie, wie ich sie in jenem Moment empfunden hatte, als ich mir meiner Verantwortung für sein Leben bewusst geworden war.

Es war derselbe See, an dem ich nur wenige Wochen später in Not geriet. Ich war ohne  Schwimmärmelchen mit dem Schlauchboot hinausgepaddelt und hatte am gegenüber liegenden Ufer angelegt. Dort musste sich, von mir unbemerkt, ein Nagel durch die Bootshülle gestochen haben. Doch erst als ich wieder auf dem offenen Wasser war, entdeckte ich, dass ich Luft verlor und das Heck immer tiefer eintauchte. Da das Boot sehr schnell manövrierunfähig wurde, warf ich das Paddel ins Wasser, hielt mich an dem noch luftgefüllten Bug fest, strampelte mit den Beinen und schaute zum Strand herüber, wo ich meine Eltern vermutete, doch ich fand sie nicht. Zu weit entfernt war ich von ihnen.


An dem Ufer, an das ich kurz zuvor angelegt hatte, befanden sich, inmitten eines kleinen Wäldchens Holzhütten und Lauben. Einer der Männer, die dort mit ihren Familien das Wochenende verbrachten, musste mich gesehen und meine Situation erkannt haben. Beherzt sprang er ins Wasser, kam mit schnellen Zügen zu mir herüber geschwommen, griff nach der Kordel meines Bootes und hieß mich, mit beiden Armen den Bug zu umklammern und keinesfalls loszulassen. Dann schwamm er los und zog mein Boot und mich zurück zu unserer Badestelle. Ich dachte daran, dass meine Schwester mir von Zitteraalen erzählt hatte, die sich in den Tiefen des Sees tummelten und die mit Stromstößen Schwimmer töten konnten. Ich hoffte, dass die Aale den Mann verschonen und wir beide überleben würden. Tatsächlich schienen die Aale zu schlafen, denn wir erreichten das Ufer unversehrt und als wir im brusttiefen Wasser angekommem waren, ließ ich das Boot los und watete mit wackligen Beinen an Land. Statt mich zu meinen Eltern zu bringen, wie ich befürchtet hatte, hob der Mann nun die Hand zum Gruß, ging wortlos zurück ins Wasser und schwamm wieder zu seiner Laube.
Ich ließ das inzwischen vollkommen erschlaffte Schlauchboot liegen, machte mich auf die Suche nach  meiner Familie und fand sie in der Sonne dösend vor.  Wortlos legte ich mich zu ihnen, hielt mein Gesicht ins Licht und betrachtete durch halbgeschlossene Lider meine nassen Wimpern, die in Regenbogenfarben schillerten.

 

 

 

Musik: Stranded, The Saints

 

 

 

 

Bild: Wikipedia
Lizenz: == Beschreibung == {{Information| |Description = Kahler See, holiday home area, near Kahl/Main, Bavaria/Germany |Source = photo taken by Gabriele Delhey |Date = created July 12, 2005 |Author = [[:de:Benutzer:Reise-Line|Gabriele

Schöner wär´s wenn´s schöner wär

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Man kann sich das alles gar nicht ausdenken, was hier so läuft. Hätte mir bei meiner Geburt jemand die Liste der Katastrophen, Widrigkeiten, Unbillen und Schmerzen vorgelegt, die ich abzuarbeiten habe, hätte ich vermutlich den Kopf geschüttelt und dankend abgelehnt. Da bleibt ja kaum noch Zeit für Entspannung und Glück, hätte ich gedacht, wie soll ich das bloß tragen?
Was ich nicht hätte wissen können:  1 Tropfen Glück wiegt einen ganzen See von Kummer auf und einmal erlebte Freude setzt ein Zeichen der Hoffnung und leuchtet den Weg durch düstere Zeiten.

Ich hab keine Lust hier von meinen aktuellen Katastrophen zu berichten. Es ist ernst und ich nehme es ernst. Das Schlimmste: ich habe keine Kontrolle darüber wie es weitergeht.
Doch so, wie ich schon immer überzeugt davon bin,  eines Tages den Jackpot im Lotto zu gewinnen, glaube ich, dass ich auch dieses Mal wieder mit Schürfwunden und ein paar Prellungen davon kommen werde (bildlich gesprochen). Ich hoffe es zumindest.

Das Harmloseste im Reigen der Nervereien und daily hassles ist noch, dass der Kontaktbereichsbeamte, der für unseren Block zuständig ist, sich mit mir und meinem 80 jährigen Nachbarn treffen möchte, um endlich eine uralte Fehde beizulegen. Der betagte Herrn piesackt mich, seit ich vor 17 Jahren in „seine“ Straße gezogen bin. Das reicht von Denunziationen bei der Polizei wegen abgelaufener Agbasuntersuchungen, bis hin zu tätlichen Übergriffen.  Jetzt hoffe ich, dass der alte Querulant nicht auf die Idee kommt, mir beim Ortstermin nächste Woche Batteriesäure oder so, ins Gesicht zu schütten. Zutrauen würde ich es ihm, so sehr, wie er mich zu hassen scheint. Mein Schicksal, oder was immer für den aktuellen Schlamassel verantwortlich ist, ist nicht gerade in Bestform, mich vor Angriffen zu schützen.

Mein Vorsatz weniger zu jammern, ist auf dem Prüfstand.

 

 

 

 

 

Bild. Groundhopping Mersburg, International dog race, Großer Preis von Gelsenkirchen, flickr
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