otra vez

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2017: Wetter durchwachsen. Mehr Regen als Sonnenschein. Immer wieder Ausnahmezustand in Berlin.
In meinem Leben das Gleiche und beim Tölchen ebenso.
Morgen feiern wir ihren 9. Geburtstag.

 

Wir wünschen Euch allen einen wunderbaren Jahreswechsel und ein glückliches neues Jahr 2018!

 

 

 

 

 

Bild: Ken Walton, untitled, San Francisco 2017, flickrLizenz: https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/

 

 

Vom Krähennest

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Gegenüber ragt ein Schlot in den milchigen Winterhimmel. Oben thront ein Metallkorb wie ein Krähennest am Schiffsmast. Gut 15 km sollte man von dort überblicken können, im Osten bis nach Hellersdorf, im Westen bis Halensee.
Als ich in meine Wohnung zog, war der Schlot viel höher als die Bäumchen im Garten. Inzwischen ist er nur noch im Winter zu sehen. Im Sommer vergesse ich, dass es ihn gibt.

In meinen ersten Jahren hier hatte der Schlot meine tägliche Aufmerksamkeit. Er war Teil meiner Landschaft. Welchen Zweck er erfüllen soll, habe ich nie erforscht, doch Besuchern erzählte ich gerne der Muezzin riefe dort zu festgelegten Zeiten zum Gebet.
Am Abend malte die Sonne einen rotgoldenen Streifen auf seine Westseite und mein Herz jubilierte in unstillbarer Erwartung,

Wie die Kaugummiautomaten der Kindheit verschwand der Schlot irgendwann aus meinem Blick, meine Perspektive verschob sich und als ich ihn heute so betrachte, kehrt plötzlich die Zeit in der ich mit ihm lebte noch einmal zurück, öffnet einen Spalt breit die Türe und verschwindet wieder, so wie früher die Lehrerin der Parallelklasse, die kurz ihren Kopf in den Raum steckte, unserem Geschichtslehrer zunickte und wortlos wieder entschwand. Den Rest der Stunde rätselte ich, was das zu bedeuten haben mochte.
In einem Seitentrakt des Schulgebäudes befand sich das Lehrerzimmer. Der Boden war ausgelegt mit dunkelblau-melierten Teppichplatten. Mit ihren abgewetzten Lederschuhen in der Farbe ihrer abgewetzten Ledertaschen würden die beiden Lehrkräfte sich später dort treffen und aussprechen worüber sie durch den Türspalt geschwiegen und womit sie unsere Fantasie angekurbelt hatten. Erfahren würden wir freilich nie worum es gegangen war, doch zusammenreimen konnten wir es uns als schließlich Lehrerin und Lehrer ein Paar und die Lehrerin schwanger wurde und strähnige Haare bekam, derweil der spindeldünne Geschichtslehrer mit Nickelbrille im schmalen Wolldufflecoat wie ein ungelenker Storch über den Schulhof schritt und während des Unterrichtes schlechte Noten verteilte.
Als ich wegen einer Lungenentzündung im Krankenhaus lag, behauptete er Krankheit sei immer auch eine Entscheidung des Erkrankten, dieser allein trüge die Verantwortung für sich und seinen Körper  und deswegen müsse er mein nicht gehaltenes Referat mit 0 (null) Punkten bewerten. Wahrscheinlich hatte er diese pädagogische Glanzleistung zuvor im blaumelierten Lehrerzimmer oder unter erdberroter Seersuckerbettwäsche mit seiner strähnigen und dauerschwangeren Frau besprochen.

Die Wohnung, die ich drei Monate vor dem Abitur beziehen musste (nachdem ich: du Omi, kennst du schon den Blubb-blubb, zu meiner Mutter gesagt und damit ihren lodernden Zorn entfesselt hatte) besaß einen vermüllten Balkon von dem aus man auf eine Bundesstraße blickte. Neben dem Haus ratterten Güterzüge entlang und gegenüber wurde im Bindingzapfhahn gesoffen und gejohlt, was wegen des vorbeitosenden Verkehrs nicht weiter ins Gewicht fiel.

In der Silvesternacht, kurz nach meinem Einzug standen wir auf dem Balkon und warfen die alten Teppichfliesen der Vormieter auf den vereisten Gehweg. Vorbeikommende Fußgänger nutzten die Fliesen als Rutschschutz und hüpften von einer zur nächsten,  mein juveniler Bruder rannte indes fröhlich aus dem Haus und schlidderte unter ein dort geparktes Auto, das eine dicke Schneehaube trug. Der Tochter des Theaterkritikers gefiel sein Auftritt so gut, dass sie ihren Kopf in den Nacken legte und lachte, bis ihre weißen Zähne zum Vorschein kamen und ihr üppiger Busen wackelte, an den mein fröhlicher Bruder im Verlauf des Abends seine unerfahrenen Hände legen würde, während ihr hagerer Freund souverän lächelnd die Wangen einzog und sich durchs strubbelige  Johnny-Thunders-Haar fuhr. An der linken Hand trug er einen Siegelring, vor dem  Haus parkte sein zugeschneiter Käfer.

Am Neujahrstag, die Party war längst vorbei, stiefelte meine Katze über den klebrigen Boden der Wohnung und schüttelte bei jedem Schritt ihre schwarzen Pfötchen.

 

 

 

 

 

 

Bild: Andrej Krashenitza, flickr, 20140829-DSC08207
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

 

Vor dem Kühlregal

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Nahe dem Ort, in dem Freunde von mir wohnen, gibt es eine Fabrik, die regelmäßig mit Baumstämmen beliefert wird. Später kommen LKW und holen dort Molkereiprodukte ab. Der Freund sagt, sie stellen aus den Stämmen Zellulose her und aus dieser machen sie Erdbeerklumpen für Joghurt. Schwer vorstellbar, aber ich glaub´s trotzdem.

Wenn ich Fruchtjoghurts im Supermarkt sehe, denke ich jetzt immer an gefällte Bäume und dann denke ich an München. Das winzige München in Thüringen, unweit von Jena. Dort lagen auch sehr viel Baumstämme herum, als ich einmal nach einem Arbeitstreffen durchfuhr. Wenn ich an Jena denke, denke ich aber auch an die DDR-Lungenheilanstalt und an Blutwurst, noch viel mehr denke ich an Buchenwald und den Todesmarsch. So kommt es, dass ich an der Kühltheke stehe und den Großen Bauer Joghurt betrachte und an Bäume und Jena und Buchenwald denke und  frierende, ausgezehrte Menschen in Lagerkleidung sich durch den Schnee schleppen sehe, während mich von vorne die Kühltheke eiskalt anfaucht. Um die Gedanken abzuschütteln, gehe ich weiter und bleibe vor den Harzer Rollen stehen, dem Käse, aus dem man in meiner Heimat Handkäs mit oder ohne Musik macht. Bei Harz muss ich sogleich an den Puff-Peter denken, der Namenspatron des staatlichen Gängelungsinstrumentes unter dessen Joch so viele Menschen ächzen, auch wenn der Peter sich mit t schreibt.

Aus dem Harz daselbst kam eine Katze, die eine Zeitlang bei mir lebte, bis sie entführt wurde, was eine neue Geschichte wäre, die zu erzählen mich verdrießen würde. Lieber erinnere ich mich an die erste Begegnung mit dieser Katze, die, kaum 11 Wochen alt, auf einer Kücheneckbank herumflitzte, ihren Schwanz jagend über die Polster kugelte und in ihrem Übermut in einen Mülleimer mit Schwingdeckel plumpste. Ich saß zufällig neben dem Eimer und sah, wie der Deckel nach ihrem Fall heftig nachschwang und wie am Boden des Eimers die kleine Katze gurrend vor Freude ihr Köpfchen hektisch hin und her drehte und auf den Hinterbeinen stehend in die Luft tatzte. Da sagte ich: Die da, die möchte ich mitnehmen, und so kam es dann auch. Ich sollte den Katzenbesitzern zuerst noch versprechen, dass die bildhübsche Katze irgendwann im Laufe ihres Lebens von dem hauseigenen Kater gedeckt werden würde. Das wollte ich aber nicht und zahlte lieber eine kleine Ablösesumme, um sie vor organisierter Vergewaltigung im gefliesten Keller des Harzer Hauses zu retten. Wir hatten eine schöne Zeit zusammen, die Katze und ich.
In den Harz bin ich seither nicht mehr gefahren, aber an den Kater, der dort im Keller lebt und die Katzen, die man ihm von Zeit zu Zeit vorwirft, habe ich noch oft denken müssen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bild: flickr, Юля Евдокимова j105_008s Республика Марий Эл, лето, 2013
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel

 

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Weihnachten tritt schon die Türe ein und ich lungere immer noch im Morgenrock herum. Außer den prächtigen Packerln mit Gebackerln gibt es nichts Festliches in der Bude. So soll das. Der Fluss fließt.
Pünktlich zum Fest der Liebe ist mir ein Bescheid ins Haus geflattert. Einer der rückwirkend und für einen vergangenen Zeitraum erlassen wurde und der das ganze Unrecht der Gegenwart legitimieren soll (das er gleichsam abbildet) indem er nämlich Mitwirkungspflichten postuliert, von denen bisher nie (auch nur ansatzweise) die Rede war und die sich im Nachhinein nicht mehr erfüllen lassen. Darüber hinaus sind sie unrechtmäßig. So wird mir beispielsweise mitgeteilt, dass meine (lebensnotwendigen) Behandlungen nur innerhalb Berlins stattfinden dürfen. Nirgendwo sonst auf der Welt  werden sie mehr bezahlt. Falls ich gegen diese Anordnung verstoße, wird man entstandene Kosten von mir zurückverlangen. Bedeutet: meine letzte Sommerreise wäre damit nicht mehr rechtmäßig und wenn man mir böse wollte, was man zweifelsohne will, müsste ich nun ziemlich tief in die leere Tasche greifen.
Wann kommt endlich die elektronische Fußfessel.

Diese Behördenmenschen haben offensichtlich ihre Seele für eine Flasche Mampe halb/ halb verkauft, sich den Verstand weggesoffen, mit geiferndem Zeigefinger wahllos in den Gesetzestexten herum gestochert und dann kurz vor der Weihnachtspause ein kleines, niederträchtiges  Bescheidchen zusammendilettiert.

Ist das jetzt Hatespeech und komme ich dafür in den Karzer?

Zwischen den Jahren, wenn die ersten Wellen des neuen Jahres bereits ans Ufer des ausklingenden Jahres schlagen und wie nasse Zungen an dem trockenen Sand lecken, ihn körnchenweise abtragen und in das dunkle tiefe Meer spülen, werde ich leider nicht die Zeit und die Ruhe haben, um diesen geliebten Schwebezustand, diese Januszeit für mich und meine Gedanken zu nutzen, ich werde stattdessen die Kanzlei meines Anwaltes aufsuchen, mich mit ihm an die Arbeit machen und den ganzen Krempel, den Müll, das Sperrholz und den Eimer voller Pech und Kot und Schleim, der mir die Zufahrt zum freien Leben verstellt, wegschaffen müssen, immer im Wissen, dass die schadenfrohen Saboteure schon um die Ecke schielen, sich voller Freude die Hände reiben und die nächste Schikane ausbaldowern.

Im Januar geht es vor Gericht. Dann ist hoffentlich endlich Ruhe und das neue Jahr kann sich zu einem Guten entfalten.

Ein kleines Band habe ich die Tage schon geknüpft, eine vielversprechende Perspektive für 2018 eröffnet. Lang ist´s noch hin, doch der nächste Sommer wird groß. Ich werde nämlich illegalerweise und trotz Fußfessel die Stadt mitsamt meiner Krankenversicherungskarte verlassen, in die Alpen reisen, auf den See herabblicken, die Stille genießen, meine Kirche aufsuchen, dem Lieblingsengel zuzwinkern und das brennende Haus des Heiligen Florian bewundern. Den kleinen Vincent in seinem Sarg, werde ich betrachten und an seine Mutter denken, später werde ich unter dem tiefblauem, weiten Himmel am Grab von Gabriele Münter stehen, und ein paar Tage werde ich auch in Augsburg verbringen, wo ich mich mir selbst und meiner Lebensgeschichte zuwenden werde, um die Stadt nach getaner Arbeit glücklicher und freier zu verlassen.

 

Liebe Leserinnen und Leser, liebes Kommentariat: ich bedanke mich ganz herzlich für Euer wohlwollendes Interesse, Eure lieben Worte und die vielen schönen, lustigen , klugen und wertvollen Kommentare in 2017. Mein Blog ist und bleibt ein Stück Zuhause für mich und Ihr gehört unbedingt dazu.
Leider schaffe ich es derzeit nicht angemessen und so, wie ich das gerne möchte, auf Eure Kommentare zu antworten, aber ich lese sie alle und sie machen mir Freude.
Auch in Euren Gefilden möchte ich mich gerne wieder viel mehr herumtreiben und an den Gesprächen dort teilnehmen.

Wenn erst der schwere Mühlstein versenkt ist werde ich mit einer Gans unter dem Arm durch Kreuzberg spazieren, das Treiben im Kiez beobachten und mich ins Leben werfen. Hier wie dort.

Ein schönes Fest wünsche ich Euch!

 

 

 

 

 

 

Bild: j686_016s Калининград, сентябрь 2017 flickr, Юля Евдокимова
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/
 
 

Pechkeks

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Zwei Tage vor Weihnachten flattert Ärger der gröbsten Körnung (Sand, Steine, Geröll, Fels) ins Haus, und ich versuche durchzuatmen, und mich nicht zu sehr stressen zu lassen, was leidlich gelingt. Nur Kekse können jetzt noch helfen.
Die liebe U. hat mir heute einen ganz Besonderen vorbeigebracht. Er ist mir auf den Leib gebacken.

 

Wenn man wie die liebe U.weiß, dass ich zum Einschlafen die Bettdeckenzipfel jeweils links und rechts neben meine Ohren ziehe, so dass ich von oben betrachtet wahrscheinlich aussehe, wie ein Glückskeks, eine Vorstellung, die mich, albern wie sie  ist, regelmäßig zum Lachen bringt, dann ist dieser Pechkeks ein besonders schönes Geschenk, denn, schreibt die U.: wann immer ich einen Glückskeks sehe, muss ich sofort an Dich und Dein herzliches Lachen denken.

Dieser Satz wärmt mich und  er erweitert mein grummeliges und pessimistisches Chronistinnenselbstbild um einen sehr schönen Aspekt. Ich Glückskeks.

 

Freiheit

 

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Über das Unglück zu berichten, bedeutet, mich satzweise in die Freiheit zu schreiben.

Mein innerer Archivar heftet die hervorgebrachte Erinnerung ab und ich kann endlich vergessen.
Ganz ungeplant ist mein Blog im Laufe der Jahre zu einem Ort der Aufarbeitung, der Bilanzierung und der anschließenden Verwahrung geworden. Das geschriebene Wort macht die dunklen Schatten, das Raunen, die Angst deutlich sichtbar, meißelt sie heraus und lässt sie zu Buchstaben gerinnen. Ein Bann.
Immer seltener kommen Erinnerungen noch wie Wassereinbrüche. Eine Welle auf weiter Flur. Zum Beispiel jene, die meine Schwester betreffen, die auf eine viel subtilere und ungreifbarere Art vergiftet wurde und der die Befreiung soviel schwerer fällt, auch weil sie glaubt ihr Leiden sei nicht erwähnens- und erst recht nicht betrauernswert im Vergleich zu meinem, dem viel brachialeren, offensichtlicheren und folgenreicheren.
Es ist viel Ratlosigkeit, als wir über die Mutter, aber auch den Kanzler reden, den freizusprechen ich mein Leben lang mich schon bemühe, damit wenigstens ein Guter in diesem Stück noch bliebe. Und Entsetzen bei mir, als sie mich an ihre gebrochene Nase erinnert und an das Luftgewehr. Wie konnte ich vergessen.

Meine Leserschaft mag dieser Geschichten überdrüssig sein. Gerade vor Weihnachten, wo doch alles schön sein soll. Doch schön ist es für mich erst dann, wenn die Dinge geordnet sind. Und im Zuge des großen inneren Aufräumens habe ich nun auch die allerletzte Schmuddelecke meiner Wohnung entrümpelt und gereinigt. Danach telefonierte ich mit der Schwester und anschließend musste ich mich mit plötzlichem Fieber und großer Übelkeit für 15 Stunden ins Bett legen, das ich nun für ein paar Stunden verlassen habe, um mich um mein Tölchen zu kümmern und ihr Futter für die nächsten Tage zu kochen.

Während ich den wenigen Haushaltspflichten nachging, kam die Kindergärtnerin  von nebenan und brachte mir ein Paket, das der Postbote bei ihr abgegeben hatte. Die Sendung kam aus Frankfurt und enthielt eine entzückende Karte und eine Dose voller Kekse. Der Übelkeit zum Trotze habe ich sie allesamt durchprobiert, für superköstlich befunden und nun ist meine Seele sehr zufrieden, die Zunge schmatzt noch nach, nur der Magen zwickt wieder. Der hat die Steine noch nicht fertig verdaut.

 

 

Irgendwann um die Jahrtausendwende stand ich in meiner Kreuzberger Küche, holte ein Jever aus dem Kühlschrank und dachte: ich bin frei zu tun was immer ich möchte. So frei, noch ein zweites Bier zu trinken und zwischen den Schlucken bei geöffnetem Fenster laut zu schreien.

 

 

 

 

 

Bilder: Frau – Broken Chopstick, DSC 00920, flickr , Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/

Kind – Fiore Silvestro Barbato, San Sosti (CS), 1975, Pellegrinaggio e festa per la Madonna del Pettoruto, flickr , Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/