
Ave
Im Eingangsbereich eine Collage mit Babyfotos, über der Anmeldung ein großer Venusspiegel aus neonpinkem Plexiglas, im Wartezimmer ein von Kinderhand gemaltes, blaues Wasserfarbenpferd, das mit gespitzten Ohren aus seinem Rahmen und auf den Tisch mit den Zeitschriften blickt, in der Ecke die hölzerne Skulptur einer afrikanischen Liegendgebärenden und um mich herum schwangere Frauen in schwarzen Leggings, schwarzen Pullovern, schwarzen Ankleboots und einem unstillbaren Kollektivbrand, den sie unermüdlich am kostenfreien Wasserspender zu löschen versuchen. Früher war weniger Durst.
Die Ärztin ist soweit zufrieden und überweist mich zur Allgemeinmedizinerin. Vielleicht weiß die warum. Doch inzwischen will ich´s schon gar nicht mehr wissen. Was von selbst kommt, geht auch von alleine wieder und erfahrungsgemäß expediert mich jede Konsultation bloß weiter in Richtung Abgrund. Einfach mal Vertrauen haben.
Der gute Unterfranke überlegt auszuwandern und ich halte den Kopf über Wasser beim Schwimmen, Rückengraulen war mir immer schon lieber, bis ans Ende der Erdscheibe und dann Überschlag. Der Unterfranke hingegen möchte das hansavirusverseuchte Wohnmobil für seinen Ausstieg nutzen. Fifty ways to leave your beloved ones.
Ob ich anfangen sollte, die Haare zu färben, frage ich mich in einem Anflug von Wandlungswunsch und Eitelkeit, oder doch besser mal wieder die Wohnung streichen, vielleicht sogar mit Kalkfarbe, wie die Bauern die Kuhställe, damit der Schimmel keine Chance mehr hat. Stattdessen entscheide mich für eine neue Hülle zum neuen Handy vom Regenwaldvernichter (das Alte hat der Hund zerstört) transparent, mit extra verstärkten Kanten, zur Sicherheit. Aus China kommt sie und die Rothaarige mahnt mich mit großen Augen, sie vor Gebrauch auf dem Fensterbrett auslüften zu lassen.
In Texas sieht das alles ganz anders aus. Da reichen die saftigen Rinderherden bis zum Horizont und ihr Dung stinkt Meilen gegen den Wind. Doch niemand käme auf die Idee, seine Handelswaren mit diesem Odeur zu behaften, um sie unverwechselbar und auslüftungspflichtig zu machen. Die Formel für die Huftiere ist einfach: Kühe werden entweder gegessen oder therapieunterstützend umarmt, den Wenigsten ist es vergönnt, geliebt zu werden. Leider ist eine der seltenen Begünstigten, die eselsgroße Minikuh Natascha (du sein ein naß-tasch, ein naß-tasch, darin ich stecken mit meinen handen) inzwischen verstorben. Von der Mutter als Zwillingskalb verstoßen und mit der Flasche aufgezogen, war sie ihr Leben lang den Menschen zugeneigt und sie starb innig geliebt im Kreise ihrer Freunde. Ach, gäbe es doch klitzekleine Mikrokühe, denke ich, ich ließe sie allesamt auf meinen Fensterbankmoosfeldern grasen und beim anschließenden Wiederkäuen aus dem Fenster, auf die sich bunt färbende Welt voller Regentropfen, in denen der weite Himmel sich spiegelt, blicken Doch immerhin gehören statt einer Kuh und tausend Mikrokühen jetzt zwei Schwarzkopfschafe zur Familie, das Dritte wurde leider geschlachtet, die beiden verbliebenen sollen nun die Urmütter einer großen Zukunftsherde werden und ein lustiges Leben in Flausch und Plausch führen dürfen. Mimi und Elfie, nenne ich sie und auch ihren Lämmchen werde ich Namen geben mit denen wir sie herbeirufen können, um sie zu füttern, oder ihre schwarzen Köpfe zu kraulen.
Bald, so las ich zu meiner großen Freude, wird es laborgezüchtetes Fleisch und Fisch ganz ohne Tierleid und erschwinglich für jedermann geben. Vielleicht finde dann sogar ich Gefallen am Zermalmen tierischer Zellverbände und dem anschließenden Herunterschlucken des faserigen Blut- Fett- Eiweiß- und Speichelkonglomerats.
Ave.