Ich möchte nicht mehr, dass du zu deinem Vater ins Auto steigst, sagt meine Mutter und ich blicke von meinem Buch auf.
Ihr Gesicht ist ernst, die Hände liegen entspannt auf dem Roman in ihrem Schoß, im Aschenbecher glimmt eine Zigarette, der blaue Rauch steigt in das Schweigen, das ihre Worte hinterlassen haben. Draußen brandet leise der Verkehr.
Ich möchte dich bitten nicht mehr zu deinem Vater ins Auto zu steigen, wiederholt sie den Satz und blickt mir fest in die Augen. Ich schaue so gleichmütig wie möglich zurück und überprüfe meinen Ausdruck im Spiegel an der Wand hinter ihr. Eine fühllose Echse.
Was will sie von mir? Was ist passiert und wieso redet sie so seltsam?
Zu meinem Vater ins Auto steigen. Das klingt gerade so, als wäre er ein bekannter Sexualstraftäter und ich nicht seine Tochter, sondern ein trampendes Opfer.
Ich spüre, wie meine Kopfhaut sich zusammen zieht und anfängt über Stirn und Schläfen zu spannen. Mein Schädel schrumpft und die Knochen drücken auf mein Gehirn, auf die Frontallappen, das Geflecht. Meine Burg.
Teenage lobotomy
Dumpf klingen die Geräusche der Straße an mein Ohr, entfernen sich, mein Herz klopft sehr langsam und in der Zeit zwischen zwei Schlägen sehe ich den Tod, ganz kurz nur. Sehe meine Mutter mit einer übertrieben verzerrten Fratze, wie eine Laiendarstellerin, die eine Geisteskranke mimt. Sehe sie, wie sie beide Arme hebt, wie sie ausholt, die Fontanelle, Sollbruchstelle, kostbarer Flaum, gib acht! und wie sie mit der Kraft und der Gewissheit des Wahnsinns etwas Schweres auf meinen Scheitel herunterkrachen lässt, Metall, ein Beil, ein Leuchter, das Gewehr. Ich höre es bersten, spüre das Splittern, der Druck nimmt zu, scheint unerträglich, doch etwas öffnet sich, gibt nach, die Spinne unter der Sohle, mir wird heiß und dann warm und es rinnt meinen Schädel herunter, die Schläfen, die Stirn, den Nacken entlang. In die Ohren.
Ich schaue sie an, ich sacke zusammen, ich bleibe stumm. Kein Schrei. Nicht einer.
Und wie ich dort liege, sehe ich sie, sehe ihr Entsetzen und ihre Angst. Wie klein sie ist. Ihre Furcht. Sie fürchtet sich vor mir und ihrem Unrecht, und
ich schaue sie an und lege all meine Verachtung in diesen Blick, so wenig mache ich mir aus ihren Worten. Du kannst mich nicht mehr treffen. Aus diesen nicht und auch nicht aus allen anderen, die sie spricht ohne Sinn und Verstand, kraft einer Berechtigung und ohne Befugnis. Worte ohne Wissen, die ihr Ziel verfehlen, weil sie es nicht kennt.
Er möchte mit dir in den Tod fahren, höre ich sie sagen. Bitte steige nicht mehr zu deinem Vater ins Auto. Er wird dich und sich töten.
Ich schluchze.
Musik zum Text: David Bowie, Always Crashing Into The Same Car
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Bild: Egon Schiele [Public domain], via Wikimedia Commons