Zuhause, oder Nächte mit Nietzsche

SAMSUNGNachts bei heimeligem Schummerlicht im Musikzimmer. Blick auf das schwarze Klavier.
Das Bett steht im kleinen Erker, neben dem immer blühenden, wild wuchernden Christusdorn. Kuschelige Biberbettwäsche. Du frierst doch immer so.
Alles ist vertraut. Jedes Bild, jedes kleine Dekozipfelchen. Die Handschrift der Freundin, geschwungen und verschnörkelt wie Briefe an einen König.
Damals im Häuschen am Waldfriedhof die Reste des moussierenden Holunderweines vom Dachboden ausgetrunken. Ihr glucksendes Lachen und das Zitronengesicht, wenn sie sich freut. Esoterische Anwandlungen. Mondschein und eine Menstruationshütte.
Beerenwein während der Medizin-Vorlesungen.
Herr Doktor, Herr Doktor, ich hab einen Knoten in der Brust! Wer macht denn sowas?
Wieder ihr helles Lachen, das mich mitreisst, noch beim albernsten Witz.
Vor Jahren in Würzburg bei strömenden Regen vor dem Immerhin herum geirrt, auf der Flucht vor meinem hartnäckigen Verehrer. Ausgerechnet sie schickt ihn mit klaren Worten davon.
Ringelblumentee und Lavendelblüten. Ein Nest bauen. Ohne Ecken.
Ihre langen blonden Haare, die langen Beine und die großen Brüste. Ihr Kopfschütteln: Männer sind so einfach gestrickt.
Wo immer sie ist, ist Zuhause.

Auf der Hinfahrt Sonnenuntergang bei Amorbach. Am Ende des kurzen Tunnels liegt der riesige, gleißend orangene Feuerball glühend auf dem Asphalt und verschließt die Ausfahrt vollständig. Ein flammender Deckel aus Licht. Geblendet und mit halbgeschlossenen Lidern fahren wir auf ihn zu.
So wird das sein, an jenem Tag.
Die Fähre bei Mondfeld ist außer Betrieb.
Der Main schimmert seidig, die Luft ist weich und mild.

Sils-Maria statt Amorbach wäre seine Wahl.
Nachts die geliebte Stimme am Telefon. Jeden Tag, an jedem Ort.
Kühl und warm, beides zugleich.
Na? So fangen wir an und lachen dann leise.
Wir reden und reden. Manchmal plaudern wir auch.
Das Schlagen der Kirchturmuhr. Alle fünfzehn Minuten und zur vollen Stunde.
Du bist so weit weg. Du bist mir so nah.
Mein Herz.
Nach genau zwei Stunden trennt uns wieder die elektronische Telefongouvernante.
Sofortiger Rückruf. Nur ganz kurz.
Zum Glück ist die Verbindung besser als im Allgäu.
Am Ende kann ich kaum noch sprechen. Ich möchte mit deiner Stimme im Ohr einschlafen.
Liest Du mir etwas vor?
Nietzsche. Das einzige was ich höre ist Leiber, Leiber, Leiber.
Wie gerne ich jetzt meine Hand an deinen Kehlkopf legte um die Töne zu fühlen, die dein Brustkorb hervor bringt und der Mund schließlich in die Muschel hinein formt. Mit den Lippen Wörter schälen
Ich flüstere, Du flüsterst. Wir wispern.
Ein Seufzen.
Ich hab Dich so gern.

Hase, Zen und hohe Berge

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Großer Mann und kleiner Hase.
Ein gemeinsamer Cappuccino. Blick auf die wolkenverhangenen Alpen. Es regnet.

Was ich seit Tagen für Sandflecken halte sind in Wahrheit Schneefelder. Ende Juli! Das lerne ich. Und noch manch anderes. Sprachliche Feinheiten zum Beispiel.
Einmal heisst es Schrank, Zuhause aber sagt man Schank. Bloß nicht verwechseln. Wie intim der Gebrauch von Dialekt sein kann, wenn er nur en famille gesprochen wird.
Auch Sprache ist Heimat.

In Würzburg waren wir beide eine Zeitlang. Ich vergaß zu fragen in welchen Jahren er dort war. Vielleicht saßen wir sogar an einem Regentag nebeneinander im Café oder leerten gar im Zauberberg einen Humpen Würzburger Hofbräu zu schrammelnder Grungemusike.
Eher nicht.

Zen am Fuße des Frauenlandes

Aber in Berlin, da hätte man sich begegnen können. Irgendwo in Kreuzberg.
Hätte.
Stattdessen im Landgasthof Rubihorn am Fuße der Alpen.
Im Hintergrund deutsche Schlager, die Kellnerin im feschen Dirndl mit rauer Stimme und Allgäuer Slang.
Der Emil, der eigentlich Augustin heisst, so erzählt sie mir am Vortag als mich Gewissensbisse wegen der unterlassenen Rettung im Vorjahr plagen und ich mich nach dem Verbleib des bezaubernden Grauchens erkundige, der Emil also, lebt nun mit einem Beistellpferd auf einer Alm. Den Sommer über. Gottseidank! Ich befürchtete er sei längst verpackt und auf der anderen Seite der Alpen verspeist worden. Antipasti. Nein, das sind anständige Leute. Da hat er es gut.
Ich zweifle keine Sekunde daran.

Unsere Taschen liegen schon im Wagen. Wir sind auf dem Sprung. Abreise in den Odenwald.
Die tödliche Doris zeigt den Hunden noch ein Mal den Wald, die rauschende Iller im hellen Kiesbett und die grasenden, karamellfarbenen Kühe mit den friedlichen Gesichtern und dem kastigen Rumpf.
Es hat sich ordentlich eingeregnet. Zeit zu gehen.
Schön war es. Das machen wir wieder. Hier oder dort.
Der große Mann und der weiße Hase (ein promovierter Doktor!) verlassen den Gasthof.

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Pfiat aich!

Die leere Mitte

20140722_09410920140724_094356#120140725_085140Das tägliche Frühstück gerät zum Kampf.
Die, in einem Sieb, im sprudelnden Wasserbad, selbst zu kochenden Eier sind stets entwendet, wenn die Eieruhr am Tisch klingelt und ich zurück gehe ans Buffet, um sie ins Kältebad zu werfen. Seit ich einen Kugelschreiber bei mir habe, ist das Problem gelöst.
Ein anderes, nämlich das, des nicht anständig stocken wollenden Eiweisses, trotz einer Garzeit von 9 Minuten, werde ich nicht selbst beheben können. Die Gartemperatur scheint zu niedrig.
Gut wäre auch, ab und an Eiswürfel ins Abklingbecken zu geben, das durch die Vielzahl an Eiern, die im Laufe des Morgens dort hinein gegeben werden, keinen signifikanten Temperaturunterschied zum Kochbecken mehr aufzuweisen scheint. Das anschließende Schälen gestaltet sich entsprechend schwierig.

Langeweile tötet langsam.

Unterwegs

20140718_212051Dunkle Asphaltschlange, Kilometer um Kilometer. Richtung Süden, die märkische Ödnis im Nacken.
Hitze, Klimaanlage, Stau. Enthauptetes Ford-Cabriolet, hellblau metallic. Rettungseinsatz.
Langsam rollen wir vorbei. K. gefallen die Feuerwehrmänner. Auf starken Armen aus lodernden Flammen gerettet werden. Meiner Erlösung geht die Kreuzigung voraus.
Die Landschaft wird lieblicher. Weiche Hügel im goldenen Abendlicht. Cellokonzert in h-moll von Dvořák.
Noch eine halbe Stunde bis zum Hotel. K. fühlt sich unwohl, fiebrig.
Linkerhand Military Lagerverkauf, daneben eine Grabsteinausstellung, rechterhand ein bayerisches Dörfchen mit Zwiebelkirchturm.

Ihr Ziel liegt in 5,5 km links

Die Hunde schlafen. Tiefblauer Himmel über der Brecht-Stadt. Kühler Tiefgaragenbauch. Erinnerung an eine Überfahrt zur Insel Korčula, im früheren Jugoslawien. So lange her. Die Mutter schlafend in der Kabine. Der Vater auf Chorreise in den USA. Die Schwester Zuhause, der Fürsorge des lüsternen Familienfreundes ausgeliefert, und der Bruder auf Deck im Portwein ertrunken.
Im dunklen Schiffsbauch, zwischen den parkenden Autos, treffe ich Doda, den ersten Matrosen nach Donald, meinem Urmatrosen.

Öl, Jod, Haut, Muskeln, Schweiß.

Am Morgen sitze ich versonnen auf dem Oberdeck und schaue auf das glitzernde Meer. Einer fängt an zu singen, viele stimmen ein.
Yugoslavia
Die Luft riecht nach Salz. Von hinten umfassen mich zwei Arme, ein flüchtiger Kuss im Vorbeigehen. Der Geruch der vergangenen Nacht. Kleine Härchen auf weisser Haut.
Die Mutter kommt an Deck. Drall und tief ausgeschnitten. Die begehrlichen Blicke der Männer. Der kleine Schmerz, als auch er sie ansieht. Ein Lächeln für mich. Mein Herz springt.

Zum Abschied zieht er mich an sich. Wir umarmen und küssen uns. Mit dem Gang an Land endet die Nacht.
Noch Jahre werde ich mich an seinen fehlenden Schneidezahn und das schiefe Lächeln erinnern.

Von der Tiefgarage fahren wir ins Erdgeschoss zur Rezeption. Einchecken.
Im Zimmer wälzen sich die Hunde auf dem Boden. Etwas krabbelt an meinem Hals. Ein Floh.
Nach dem Füttern gehen wir in die Stadt. Wir sind beide müde und es ist immer noch unerträglich heiss.
Gegen jede Gewohnheit nehme ich Laub mit Dressing und gebratenen Schwammerl. Wir essen schweigend und gehen früh, nach einem kurzen Hundespaziergang, zu Bett.

In der Nacht werden die Klimaanlage und das Essen ihr Werk vollenden.
An eine Weiterreise ist nicht mehr zu denken.

All that glitters

Allgäu Bad Hindelang

Allgäu Bad Hindelang (Photo credit: svenmakesphotos)

Ja, ja so geht’s!“ schlossen zwei Bekannte mit einem deutschen, vielsagenden Händedruck ein Gespräch, in welchem sie sich eben nichts zu sagen gewusst. – „Schlechte Zeiten!“ -“Wenn nur der Friede bleibt!“ – „Meinen Sie,- ja, ja – wer weiß!“ – „Hab ich´s Ihnen nicht immer gesagt, es geht, oder es geht nicht.“ „Ja, wenn nicht der Bonaparte wäre!“ – „’ne sappermente Wirtschaft!“ – „Na, man wird ja sehen.“ – „Und das Bier auch immer schlechter.“ – „Sauregurkenzeit, Herr Gevatter!“

Willibald Alexis


Die Tage vor der Erholung.
Innere Sauregurkenzeit.
Am Freitag endlich geht es Richtung Süden.
Den Staub der Stadt aus der Seele klopfen. Das Herz lüften.

Die Weisheiten des heutigen inneren Abreißkalenders:

Da wird man alt wie eine Kuh und lernt immer noch dazu

All that glitters isn´t that gold

Was da weh tut ist nur der Schmerz

Auf Regen folgt Sonnenschein

To whom it may concern

20140712_0910301. Korinther 13

1 Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die
Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.

2 Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüßte alle Geheimnisse
und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben,
so daß ich Berge versetzen könnte,
und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts.

3 Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib
verbrennen, und hätte die Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze.

4 Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht,
die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf,

5 sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre,
sie läßt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu,

6 sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit,
sie freut sich aber an der Wahrheit;

7 sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.

8 Die Liebe hört niemals auf,
wo doch das prophetische Reden aufhören wird
und das Zungenreden aufhören wird
und die Erkenntnis aufhören wird.

9 Denn unser Wissen ist Stückwerk,
und unser prophetisches Reden ist Stückwerk.

10 Wenn aber kommen wird das Vollkommene,
so wird das Stückwerk aufhören.

11 Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind
und dachte wie ein Kind
und war klug wie ein Kind;
als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war.

12 Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild;
dann aber von Angesicht zu Angesicht.
Jetzt erkenne ich stückweise;
dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.

13 Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei;
aber die Liebe ist die größte unter ihnen.