Erntedank

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Aller Augen warten auf dich, und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit.
Ps 145,15

 

 

Die Sorgen werden konkreter und bleiben doch unbestimmt. Verschiedene Fachrichtungen sind inzwischen involviert. Kopfschmerzen, Einbuße des Geruchssinns und Gewichtsverlust. Da muss man auch an was Böses denken, sagt der Rheumatologe und überweist mich in die Neurologie. Die freundliche Ärztin dort wiegelt beruhigend ab, veranlasst aber zur Sicherheit trotzdem ein MRT vom Kopf sowie eine Untersuchung im Schlaflabor. Termine gibt es erst in 4 bis 6 Wochen. Bei Dr. Little Elk können leider nur Private polysomniert werden. Doch immerhin haben die Endokrinologen bald Zeit für mich.

Durch meinen Kopf donnern unterdessen außerplanmäßige Güterzüge, beladen mit Granit. Ihre Wucht drückt mich beinahe zu Boden, benommen stehe ich in meinem Bahnhof, Lautsprecher scheppern und ich hoffe, nicht ins Gleisbett zu stürzen. Dann wird es dunkel.
Inzwischen bin ich so abgemagert wie ich als Anorektikerin immer gerne gewesen wäre. Durchgeistigt, würde der Kanzler sagen. Ihm haben die Ärzte gerade zwei verschiedenfarbige Linsen eingepflanzt. Macht nix, sagt er und erzählt nebenbei von seinem nächtlichen Besuch in der Notaufnahme. Das Herz.
Leider ist die Zeit der leichten Flatterkleidchen vorbei. Ein erschöpftes Gespenst in schlackernd weiten Hosen schleicht langsam über den Platz. Ein schmutziges Tölchen wackelt mit steifen Beinen hinterher.

 

Chinarestaurant Werden Neu

 

 

 

 

Bild: High Ho, Erich Ferdinand, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/

Dornröschen (ungelegen)

Screenshot-2018-9-17 Alle Größen Cortelyou Road Brooklyn NY Flickr - Fotosharing .png

Während ich über mögliche Zusammenhänge und die Verbindungen zwischen Innen und Außen nachdenke, schlafe ich wieder ein. Sogar auf der Toilette nicke ich weg und beim Erwachen dröhnt der Kopf und es hämmert hinter der Schläfe. Auch das linke, das gute Auge will nicht mehr richtig. Milch tropft von den Wimpern auf die Netzhaut und verläuft zu einem opaken Film, der sich nicht wegblinzeln und nicht einmal wegbeten lässt. Zwei heiße Fäuste drücken unterdessen meine Nieren zusammen, der Gaumen ist wund und auf dem Brustkorb kauert ein düsterer Alb. Benommen bin ich und immerzu müde, so müde, todmüde. Ein Krieg tobt in mir. Läuse und Flöhe, der Kolibri auf dem Alexanderplatz. Hätte ich das früher gewusst.

Für die Katzen findet sich möglicherweise ein neues Zuhause. Unfair, sagt der Weltenreisende. Die Kaiserin, selbst eine Gegnerin der Monarchie, torkelt davon und sackt knappe hundert Schritte entfernt zusammen.
Mein Tölchen will ich versuchen zu behalten. Wie lange ich das noch schaffe, weiß ich nicht.

Die dringendsten Pflichten erledige ich in den kurzen und unvorherseh- und -sagbaren Zeitfenstern, in denen ich mich stark genug fühle. Manchmal, so wie heute, mache ich sogar einen kleinen Ausflug in den benachbarten Bezirk, doch dann wieder bin ich zu kraftlos, um überhaupt nur zu essen und zu trinken.

Am Dienstag darf ich endlich den Superspezialisten konsultieren, Monate habe ich auf diesen Termin gewartet. Ich hoffe, ich verschlafe ihn nicht in der S-Bahn, auf dem Weg ans andere Ende der Stadt.

 

Fangt bloß keinen Krieg mit Euch selbst an. Ihr zieht immer den Kürzeren.

 

 

 

 

 

 

Bild: M. Chaussettes, Cortelyou road Brooklyn NY, the better angels, flickr
Lizenz: All rights reserved! (published here with kind permission of the artist- thanks a lot!)