David

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Alles fließt und entzieht sich der Sprache.
Schweigen, Stille, auf See und Feld und die Berge ringsum blicken.
Über allem dieser große weite Himmel und die würzige Luft, die ich atme.

Am Abend die beiden Pferde auf der Koppel, die im Wolkenglühen ausgelassen miteinander spielen. Begleitet jede Bewegung von dem heiteren Klang der Glocken um ihren Hals, ihre warmen Nasen und die vertrauensvollen weichen Lippen, bereit das Gras, das ich ihnen anbiete, sachte von meinen Händen zu pflücken. Große dunkle Augen mit dichten Wimpern.
Klingelnd traben sie davon, als wir weitergehen und ich bewundere die vollendete Schönheit ihrer Flanken, die anmutige Linie des Halses, ihr ganzes fragloses Sein.
Heiser tutet der sich nähernde Zug. Eine Glückskatze huscht über die Gleise und ich halte den Atem an. Geduckt bleibt sie auf der Dorfstraße stehen und dreht sich um, zu den roten Wagen, die rauschend vorbeiziehen und für einen Moment den Blick auf den goldenen Spiegel des Sees verdecken. In der Ferne improvisiert jemand auf einer Trompete, der Hund spitzt die Ohren.
Mein Herz jubelt.

Als ich in Konstanz ankomme erinnere ich mich auf einmal an den Jungen, der die Zwölfjährige, die ich damals war, an der Haltestelle nahe meines Elternhauses ansprach. Wir stiegen zusammen in den fast leeren Bus, setzten uns auf die hinterste Bank und der Junge, der sich dicht neben mir platziert hatte, legte seine ausgestreckten Arme links und rechts auf die Rückenlehne. Eine intime Geste, die mich ob ihrer unbotmäßigen Vertraulichkeit einerseits beschämte, mich aber zugleich auf eine ungekannte Weise elektrisierte und ein helles Gluckern in meinem Innersten weckte, dem eines sommerlichen Brunnens ähnlich. Ein Vorgeschmack auf ein freies Leben als Erwachsene, das ich eines Tages würde führen dürfen.
Entspannt und voller Selbstvertrauen saß der Junge da, sein Gesicht mit den dunklen, geraden Augenbrauen mir zugewandt, und erzählte von sich. Aus Konstanz komme er, sagte er, sein Großvater sei ein erfolgreicher Flugzeugkonstrukteur gewesen, seine Familie infolgedessen sehr reich. Sie lebten in einer Villa am See und besaßen weitere Villen über das ganze Land verteilt. Er nannte mir seinen Nachnamen, ob ich den kennte. Ich schüttelte den Kopf.

Ich interessierte mich nicht für Flugzeuge und alles Wissen, was ich über sie hatte, stammte von einem Quartett, das wir früher bei den Treffen unserer Großfamilie mit den Cousinen und Cousins gespielt hatten. Gemeinsam saßen wir Kinder dann abends an unserem Tisch, tranken Krümeltee, der so süß und zitronig schmeckte, dass wir, wenn kein Erwachsener anwesend war, das Glas aufschraubten und uns das köstliche Granulat löffelweise in den Mund rieseln ließen, derweil wir uns beim Quartett mit  Hubraum, Kubikzentimetern und anderen Dingen, die wir nicht verstanden, übertrumpften. Je mehr von allem, desto besser, das hatten wir begriffen und wer die meisten Karten einkassieren konnte, hatte gewonnen.
Auf einem dieser Treffen entdeckte ich während eines Waldspazierganges eine pulsierende Kapsel, die an der Unterseite eines Buchenblattes klebte und die spitz zulief wie ein Wespenleib. Meine ältere Cousine  sagte, es handele sich dabei um das fast fertig gereifte Ei einer Waldwespe und ehe ich mich versah, riss sie das geriffelte Blatt von seinem Zweig herunter, kratzte die Kapsel zur Hälfte mit dem Fingernagel ab, klappte sie beiseite und zeigte mir das zuckende Innere.
Ich fühlte mich elend, als sie das sterbende Wespenkind achtlos wegwarf und lachend nach vorne rannte, wo die Erwachsenen ins Gespräch vertieft gingen. Traurig bis zur Verzweiflung  trottete ich der Gruppe hinterher. Eine nicht wieder gut zu machende, schwere Schuld lastete auf mir und uns und dem Tag, die um nichts leichter wurde, als die Cousine kurz darauf von einer Wespe in den Rücken, gleich neben das rechte Schulterblatt, gestochen wurde. Sie schrie und weinte vor Schmerz, doch nichts wurde gut davon.

Die meiste Zeit schwieg ich und hörte dem Jungen zu, der unablässig redete. Ab und an lächelte ich verlegen, denn ich wusste nichts zu sagen. Was gab es über mich zu erzählen außer, dass ich gerne zur Schule ging und einmal Ärztin werden wollte. Ich hatte keine berühmte Familie und schon damals pflegte ich keine nennenswerten Hobbies.
David, so hieß er, bat mich, kurz ehe ich ausstieg, um meine Adresse. Ich gab sie ihm.
An der Konstabler Wache sollten sich unsere Wege trennen. David begleitete mich noch zur Tür, und beteuerte, er werde mir schreiben, bald schon, versprochen.
Ich trat hinaus in den hellen Sommertag und auf dem Weg zur nächsten Ampel hatte ich das Gefühl, seine Blicke im Nacken zu spüren. Seufzend setzte der Bus sich wieder in Bewegung und ich drehte mich um, als er an mir vorbei fuhr. David stand an der Tür und winkte. Ich hob die Hand zum Abschied.

Etwa zwei Jahre später würde ich anfangen, hier an der Konstabler Wache, Drogen zu kaufen, doch an jenem Tag wusste ich noch nichts davon. Ich wollte die Zeil entlang spazieren, am Frankfurter Hof und am Theaterplatz vorbei. Bis zum Main würde ich hinunterschlendern, den Fluss an der Untermainbrücke überqueren und dribbdebach zum Städel´schen Kunstinstitut laufen, wo mir mit meinem Ferienpass für kinderreiche Familien kostenloser Einlass gewährt werden würde.
Die Treppe würde ich hinaufsteigen und von Raum zu Raum gehen, bis ich auf den Mann mit dem kurzen roten Bart träfe, der dort im dunkelbraunen Anzug und mit hinter dem Rücken verschränkten Armen auf die Gemälde achtgab und mir stumm zunickte. Sein Gesicht war ernst und schön. Seine Körperhaltung aufrecht und stark.
Den Geruch der alten Bilder und Rahmen, das leise Knarren des Holzbodens und das milchigweiße Licht würde ich in mich aufnehmen, während ich langsam umherging und die vertrauten Bilder zum ungezählten Male betrachtete. Auf einer lederbezogenen Rundbank, gegenüber der Blendung Simsons  würde ich schließlich Platz nehmen, die Zeit verrönne mit einem unhörbaren Ticken und ich lauschte ihr dabei. Erst am Abend, wenn das Museum seine Tore schloss, stiege ich die Treppe der alten Villa wieder hinab, um mich  auf den Heimweg zu machen.
Später wollte ich mit einem solchen Mann an meiner Seite leben, dachte ich.

Vinzenz

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Es gibt eine Weisheit, sagt die kleine Polin, die kann man nicht in Büchern finden. Die hat der Bergbauer oder jeder andere Mensch, der mit der Natur lebt und von ihr abhängt, die lässt sich nicht durch Worte vermitteln, die kann man nicht aufschreiben, die bringt das Leben zu einem. Das ist Glück.

Wir sitzen oberhalb des Sees an einem Feldweg. Ringsum die Berge und über uns der blaue Himmel. Ich höre ihr zu und verstehe was sie sagen möchte. Doch die ganze Zeit über muss ich an Käse denken, wie er zur Perfektion reift und zur Delikatesse wird, oder aber wie er altert, häßlich, mit sich hochbiegenden glasigen Rändern. Und wie er dann schwitzend und nach Fett riechend mit dem Messer vom Teller geschoben wird und in der knisternden Abfalltüte landet, wo der Deckel sich mit einem dumpfen Geräusch über ihm schließt.
Später wird der Müllwagen ihn wegfahren und auf einem großen Haufen wird er verrotten, zusammen mit dem abgenagten Apfel und den angetrockneten Möhrenschalen.

Ich weiss nicht woher dieses Bild kommt und ich habe kein Bedürfnis es zu interpretieren. Stattdessen blicke ich weiter auf den See und nicke.

 

Beim Einschlafen sind es zwei schmalgesichtige Männer, die sich ähneln wie Zwillinge und die nacheinander meinen Traum betreten.
Wir fahren durch eine Ebene. Vielleicht befinden wir uns auf dem hinteren Austritt eines uralten Zuges, denn wir sind in Bewegung und es ist luftig dort, trotz der flimmernden Hitze, die auf dem Tag liegt.
Grüne Augen haben die beiden Männer und schwarze kurze Haare und erst denke ich, wie gut sie aussehen, wie besonders, bis sie den Mund öffnen, einer nach dem anderen und etwas sagen, in eine unbestimmte Richtung, etwas, was ich nicht hören kann, weil der Fahrtwind ihnen die Worte von den Lippen nimmt und sie davonträgt. Beim Sprechen aber entblößen sie ein ungeheuer großes Gebiss, das nicht zu ihren schmalen Gesichtern passen möchte, die trotz des kantigen und hageren Ausdrucks überaus sanft wirken. Ich schaue ihnen zu, wie sie reden, betrachte ihre Lippe, die sich oberhalb des speichelglänzenden Zahnfleisches zu einem schmalen Streifen zusammen geschoben hat und fühle mich an zwei Gorillas erinnert.
Es sind Indigene, bemerke ich auf einmal und wundere mich, dass mir das nicht sofort ins Auge gestochen ist. Unter diesem neuen Aspekt erscheint mir ihr ausgeprägter Kiefer nur noch erstaunlicher.
Vielleicht sind es aber auch zwei Pastoren, denke ich dann, denn sie tragen schwarze Hüte und blicken ernst.

Die Wüste zieht vorbei, dahinter stehen die Berge still und darüber dräut grenzenlos der blassblaue Himmel. Ein paar schüttere Wolkenstreifen zeigen sich auf dem Bergkamm.

 

Jeden Morgen habe ich Fieber. Und jeden Abend ist mir übel.
Dazwischen liegen lange ruhige Stunden.
Manchmal weine ich, weil ich Schmerzen habe, ab und an aus Selbstmitleid oder aus Enttäuschung was dasselbe zu sein scheint, und immer häufiger vor Rührung.
Hier blüht die Dahlie, wie im Garten der Großmutter, dort liegen die Kälber im Schatten des Wartehäuschens des Dorfbusses. Ich sitze unter einem Apfelbaum.
Ich schlafe viel.

Gestern habe ich im Gästebuch der katholischen Kirche eine Nachricht an Mama hinterlassen.
Glassärge waren dort zu beiden Seiten des Altars ausgestellt. In einem von ihnen das Skelett eines sehr kleinen Kindes. Weiß gekleidet liegt es dort, prächtig geschmückt das steife Gewand mit wertvoller Perlenstickerei. Eine hohe Haube sitzt auf seinem winzigen Schädel, ähnlich der eines Kardinals.
In meiner Vorstellung (oder las ich den Namen im Vorbeigehen) hieß das Kind Vinzenz.
Wie merkwürdig, diese Knochen auszustellen, dachte ich. Ob seine Mutter stolz war auf ihren toten Sohn und tröstete dieses Gefühl sie sogar ein wenig über die Wehen des Verlustes hinweg.

Während ich Vinzenz anschaue erklingt auf einmal aus den hinteren Reihen der Kirchenbänke die Stimme eines Mannes.

Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade,
der Herr ist mit dir.
Du bist gebenedeit unter den Frauen,
und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus.

Heilige Maria, Mutter Gottes,
bitte für uns Sünder
jetzt und in der Stunde unseres Todes.

Amen,

sagt er und die drei Frauen, die auf der anderen Seite des Ganges sitzen, wiederholen seine Worte Satz für Satz im Chor. Dabei halten sie die Hände gefaltet und schauen nach vorne zum Kreuz.

Ich blicke nach oben in die bemalte Kuppel.

Als ich aus dem kühlen Schiff heraustrete ist der Himmel so tiefblau, dass ich erschrecke.
Ruhig liegen die Gräber oberhalb des Ortes. Ich fühle mich ihnen nah wie nie.
Im Hintergrund die ewigen Alpen.

Es geht mir täglich besser.

 

 

 

 

Hund, Katze, Pferd

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Dem Hund geht’s wieder ganz gut, seinen Darmparasiten folglich eher schlecht, auch die Katze ist auf dem Weg der Besserung, doch jetzt macht das Pferd (Ferd, wie der Berliner sagt) der Freundin, mit der ich morgen verreisen möchte Sperenzchen. Irgendetwas stimmt mit seinen Muskeln nicht. Es muss zwingend täglich auf Trab gebracht werden, sonst kann das böse enden. Doch wie soll sie das während ihrer Abwesenheit anstellen. Nun sucht sie fieberhaft nach einer qualifizerten Pferdebewegerin.

Meine eigene Gesundheit muss bis nach dem Urlaub warten. Die nervt sowieso und raubt mir tagtäglich viel zuviel Kraft. Natürlich erhoffe ich mir positive Effekte auf Seele und Körper, die den Krankenhausaufenthalt, der mir für meine Rückkehr ans Herz gelegt wurde, überflüssig machen. Wird scho wern.

Ich freu mich auf Ruhe und Langeweile und Ödnis und zwischendurch die eine oder andere Kirche, einen kühlen See und lauschige Biergärten. (Dank an die Dame von Welt und an Diander für die tollen Tipps!)

Wenn´s morgen nicht losgeht, dann eben übermorgen. Ich bleibe zuversichtlich und meld mi aus Murnau.

 

Einen schönen Restsommer Euch allen!

 

 

 

 

 

Bild: Evelin Ellenrieder Murnau, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/

Kiezgespräch

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– Bei uns hängen auch nur so komische Typen rum, sagt die Goldschmiedin, als wir zusammen durch Kreuzberg stiefeln.

-Zum Beispiel?
, frage ich.

-Zum Beispiel Dustin Hoffmann.

-Dustin Hoffmann? Ernsthaft? In Treptow?

-Ja, das ist der CDU-Kandidat zur Wahl des Abgeordnetenhauses demnächst. Sein Bild hängt bei uns an jeder zweiten Laterne.

-Und der heisst D-u-s-t-i-n  Hoffmann? Echt?

-Ja! D-u-s-t-i-n  Hoffmann.

-Seine Eltern müssen ihn von Anfang an gehasst haben.

-Oder geliebt.

-Oder so.

-Wollen wir einen Cappuccino trinken gehen?

-Yep. Oppelner Straße?

Kleine Siege

 

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unpassende Bebilderung

Obwohl ich mich noch nie für´s Abnehmen interessiert habe hört mein Tablet nicht auf, mir marktschreierisch eine Superdiät anzudienern. Es besteht darauf, dass ich 10 bestimmte Dinge niemals essen sollte, damit ich endlich mein Bauchfett loswerde.
Um zu erfahren welche Lebensmittel das sind, soll ich die dilettantische Zeichnung einer knollenartigen Frucht anklicken.
Da der Eine gegen die Installation eines Adblockers ist, weil er das Tablet vorwiegend zum Zeitunglesen nutzt und Netzjournalismus auch über Werbung finanziert wird, bleibt mir diese nervige Werbung vorerst erhalten.

 

Außerdem: Penisverlängerung war gestern. Inzwischen sitzen schon die tollsten, nachgerüsteten Singles meiner Stadt in den Startlöchern und warten auf mich.

 

Und: heute riefen wieder die Krankenversicherungs-Drücker an. Bereits am Samstagmorgen hatten sie mich wachgeklingelt. Angriffslustig nahm ich deshalb heute das Gespräch entgegen und wartete, was sie mir zu sagen hatten. Nach einem kurzen Moment der Stille fragte eine Frauenstimme ob der Argentinier Zuhause sei.
Geben Sie es doch endlich auf, antwortete ich entnervt und legte auf.

Wenige Sekunden später schrillt das Telefon erneut. Gleiche Nummer. Ich hebe ab.
Na, noch ein Versuch?, ich spüre, wie Streitlust meinen Kopf und meinen Körper flutet.

Ja, antwortet die Frau am anderen Ende der Leitung, ihre geölte Stimme klingt selbstsicher, und ich habe keinen Grund aufzuhören Sie anzurufen. Das werde ich ab heute jeden Tag tun.

Na dann viel Spaß. Ich setze Sie jetzt direkt auf die Sperrliste, dann können Sie sich schön weiter an mir abarbeiten, sage ich und lege auf.
Wie zu erwarten erscheint kurz darauf wieder die gleiche Nummer auf dem Display. Sie lässt es lange klingeln, legt auf, ruft noch einmal an usw.
Während ihrer penetranten Telefonattacke öffne ich mit leicht beschleunigtem Puls und diebischer Freude die Benutzeroberfläche meiner Fritzbox, klicke Telefonie an und tippe die Nervnummer in die Sperrliste. Fertig.

Dann ist Stille.
Nach Jahren.

Ich atme tief durch.

Die kleinen Siege schmecken am besten.

 

 

(Jetzt stelle ich mir vor, dass sie nach weiteren erfolglosen Anrufen meine Nummer aus dem Call-Center mit Nachhause nehmen und ihren Privatkrieg gegen mich beginnen wird, weil ich ihr zum Sinnbild der ganzen Schikanen und Demütigungen geworden bin, die sie bei diesem miesen und schlechtbezahlten Job seit Jahren zu erdulden hat. Nachdem sie mich ein Mal von ihrem Handy aus angerufen hat, sperre ich auch diese Nummer und in der Folge jede weitere, mit der sie sich bei mir meldet. Bei jedem Anruf unter neuer Nummer zieht ihr Ton an, und schließlich wird sie mich, mit sich überschlagender Stimme, verfluchen. Zerfressen von Hass, wird sie alles daran setzen, meine Adresse herauszufinden und mir dann einen Brief mit Kontaktgift schicken.
Huhu, ich bin dahaaa!, wird der Eine rufen, als er am Nachmittag nach Hause kommt und er wird sich wundern, dass ich nicht fröhlich zurückhuhue.
Leblos auf dem Boden liegend wird er mich alsdann in der Küche finden, ein Blatt Papier in meiner rechten Hand.

Darauf steht:

Wenn du sterbst wünsche wohl gespeist zu haben.

Falsch zitiert, wird er kopfschüttelnd flüstern, ganz sachte meine Lider schließen und mich ein letztes Mal auf meine kalten Lippen küssen).

 

 

 

 

 

Bild: PMU Photography, deep duck water, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/

Vom Balkon

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Am Morgen klingelt das Telefon. Ich taste in die Dunkelheit hinein und bekomme es nicht zu fassen. Müde ziehe ich meine Hand unter die warme Decke zurück und versuche die Störung zu ignorieren. Irgendwann hört das Läuten auf und ich sinke in einen tiefen Schlaf aus dem ich erst am Mittag erwache.

Nach dem Aufstehen suche ich im Netz nach der unbekannten Rufnummer und entdecke sie dort als Telefonspam vermerkt: Krankenversicherungs-Drücker. Wahrscheinlich wollten sie den Argentinier sprechen, den sie aus irgendeinem Grunde bei mir wohnhaft und an einer privaten Krankenversicherung interessiert wähnen.

Während ich überlege, wie diese Verknüpfung zwischen mir und dem Argentino zustande gekommen ist, und seit wie vielen Jahren sie nun schon vergeblich versuchen ihn bei mir zu erreichen, setzt ein Stockwerk über mir das samstagvormittägliche rhythmische Knarzen ein. Die Nachbarn erledigen den ersten Wochenendbeischlaf. Sie sind spät dran heute.
Nachher werden sie sich schreiend und Möbel rückend streiten und den Nachmittag über kiffend und mit hängenden Schultern auf ihrem Balkon herum lungern, von dem sie im Laufe des Tages alles, was bei ihrem Aufenthalt dort nicht mehr nützlich ist, lässig über die Schulter auf den Gehweg werfen werden. Joghurtbecher, Chipstüten, Plastiklöffel, Kippen.

Zwei Mal in den letzten Wochen ist der Streit zwischen den beiden derart eskaliert, dass dabei jeweils eine Scheibe der Balkontür zu Bruch ging. Die Scherben fegten sie später, nach dem Versöhnungssex, vom Balkon herunter. Auf meinen empörten Warnruf (Ey!), als das Glas klirrend neben mir aufschlug und in viele kleine Splitter zerbarst, reagierten sie mit einem vollkommen teilnahmslosen Gesichtsausdruck. Für einen Moment wusste ich nicht, ob sie mir leid sollten, oder ich Angst vor ihnen haben musste.

Inzwischen werfe ich beim Nachhausekommen stets zuerst einen vorsorglichen Blick nach oben. Das kommt meiner sommerlichen Gewohnheit, nach den Mauerseglern Ausschau zu halten, die sich am Abend mit ihren schrillen Rufen in die Häuserschluchten stürzen, entgegen.
Sehe ich die Nachbarn auf ihrem Balkon sitzen oder sind ihre Fenster geöffnet, suche ich mit einem schnellen Satz Zuflucht unter dem Erker neben der Eingangstüre und krame dort schon mal den Schlüssel hervor, um die Zeit, die ich beim Aufschließen ohne Deckung werde verbringen müssen, möglichst kurz zu halten.

Das klappt ganz wunderbar, ich betrete unversehrt und unbefleckt meine Wohnung, und so bleibt als einziges klitzekleines Ärgernis das nächtliche Getobe und Gepolter der beiden, sowie die Essensreste, die vor der Türe herum liegen und mich zwingen meinen allergischen Hund weiterhin nur mit Maulkorb aus dem Haus gehen zu lassen. Doch wollen wir nicht kleinlich sein, die Kothaufen der anrainenden Dogge sind viel schlimmer. Und so ist sie eben, die junge Liebe.

Neulich Nachts haben die ansonsten sehr berechenbaren Nachbarn es geschafft uns noch einmal in Erstaunen zu versetzen.

Unerwarteterweise gossen sie nämlich auf dem zweiten, zum Garten gelegenen, französischen Balkon ihre Blumen. Das Wasser splatterte herunter, dass es nur so eine Freude war, und nachdem die erste Kanne geleert war, wurde sogleich die zweite hinterher gekippt. Soviel Pflanzenliebe hätte man ihnen wahrhaftig nicht zugetraut.

Doch halt. Irgendetwas stimmte hier nicht. Die Nachbarn, denen nicht nur jedweder Anstand fehlt, haben außerdem auch keinerlei Sinn für Ästhetik und folglich auch keine Blumen auf ihrem Balkon.

Was da so fröhlich herunter gespritzt kam war nichts anderes als Erbrochenes, oder, um im Sprachduktus meiner Nachbarn zu bleiben:

K-O-T-Z-E

Directemang vor die Tür zum Garten gekübelt, von wo sie im Laufe des nächsten Tages, durch die Fahrräder und die Sohlen der Hausbewohner, ihren Weg in den Durchgang und ins Treppenhaus fand.

Und nun raten Sie mal, wer die Schweinerei weggemacht hat.

 

 

 

 

 

Bild: bswise, under the skin, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/