Cynicism

Ich bitte B., Shirt und Hose aus- und die struppigschwarze Flokatihose anzuziehen. Nach minutenlangem Quengeln fügt er sich. Wenig später, vor dem Spiegel, begegnen sich unsere Blicke. Mein Mund öffnet sich und ruft: Gorilla! Später 55, jetzt 30!
Wortlos verlässt B. das Geschäft.

(Schimpansen können so brutal sein, sagt die Tischlerin. Bonobos sind viel sozialer.
King Kong hätte die Frau nie absetzen dürfen, denke ich).


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Unsere Reise hatte uns die Küste entlang von Nevada über San Francisco, Los Angeles und Indio nach San Diego geführt. Dass ich allein in den jeweiligen Hotelbetten schlafen würde, war wichtigste Vorbedingung gewesen.
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Seine Haut war unbehaart und auberginenglatt, doch der beginnende Haarausfall trübte die Anmutung makelloser Jugendlichkeit und brachte mich insgeheim gegen ihn auf.

(Bei Bodie rollten vertrocknete Büsche über den Highway und in den längst verlassenen Häusern standen die Tische noch immer erwartungsvoll gedeckt)

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Wir aßen Erdbeeren und warteten auf dem Parkplatz vor dem Motel auf den angekündigten Regen. Durch die Wedel der hohen Palmen ging eine leichte Brise. Sonst nichts.

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Jeder Satz, den er mit Meines Erachtens begann, kühlte etwaiges, aufkeimendes Verlangen zuverlässig ab
(nur ein Mal, nach meinem Sprung von der Moltkebrücke und unserem apfelweintrunkenen Heimweg unter blühenden Linden lagen wir zusammen auf dem Sofa. Doch seine eifernde und zudringliche Verzückung stieß mich ab)

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Mein gebatiktes Nachthemd, das ich Jahre zuvor auf einem (mit B. besuchten) Festival gefunden und wegen seiner Gelbstichigkeit nie wirklich gemocht hatte, ließ ich in Indio zurück. Er telefonierte dem Hemd vom Flughafenhotel aus hinterher.

Ich schaute aus dem Panoramafenster im 7. Stock. Eine Boeing stieg auf in den rosablauen Himmel. Summend betrachtete ich meine Schlüsselbeine im Spiegel.

(Heute ist B. Professor der Psychologie an einer us-amerikanischen Universität)


This be the verse‘

They fuck you up, your mum and dad. 
They may not mean to, but they do. 
They fill you with the faults they had 
And add some extra, just for you. 

But they were fucked up in their turn 
By fools in old-style hats and coats, 
Who half the time were soppy-stern 
And half at one another's throats. 

Man hands on misery to man. 
It deepens like a coastal shelf. 
Get out as early as you can, 
And don't have any kids yourself.

Philip Larkin

(Mir geht es gut, hier in den Falten der Alpen. Ich erhole mich von allem.)

Jemand schreibt mir in einer Mail: sein Großvater habe (als ethnische Eigenart) Hunde gegessen. Die Tiere spürten dies und mieden daher den Großvater. Aus irgendeinem Grund fällt mir Idi Amin in seiner ordensprunkenden Uniform ein und später am Tag lese ich, dass Uganda Tausende afghanische Geflüchtete aufnehmen wird. Die Mail lasse ich unbeantwortet, meine Streitbarkeit ist ein Nadelwald im Harz.


Morgen wird die Kusine aus Tirol mich besuchen kommen. Ungezählte Jahre haben wir uns nicht gesehen und ich freue mich sehr auf den gemeinsamen Tag, auch wenn ich nicht weiß, was ich antworten soll, falls bzw. wenn sie mich nach meiner Kernfamilie und insbesondere nach dem von allen Seiten hochverehrten und geschätzten Kanzler, dem älteren Bruder ihres Vaters (meines Patenonkels) fragt. Am Besten lächeln und in allgemein gehaltenen Floskeln ein Paradies der Nächstenliebe und Geborgenheit zeichnen. Wieso sollte ich sie belasten (auch wenn ich mir eingestehen muss, wie sehr es mich drängt, wenigstens über die allerschlimmsten und sorgsam verdeckt gehaltenen Grausamkeiten endlich aus zu packen und damit das tadellose Ansehen des Kanzlers zu besudeln. Es ist noch viel zuviel Kränkung in mir und Wut und Trotz).



In vier Tagen jährt sich der Todestag der Kanzlermutter. Zum Glück hat auch sie nie erfahren, was damals geschah. Es hätte ihr das Herz gebrochen.



Kisch & Co. (so lese ich bei Ché & Chandler), haben neue Räume in der Oranienstraße gefunden. Die Zwangsräumung heute oder morgen wollen sie noch mitnehmen, als letzten Protest, bevor sie bei dem neuen Vermieter (Deutsche Wohnen, die hoffentlich demnächst enteignet werden) einziehen. Dem Bekannten leite ich diese immerhin halbgute Nachricht weiter, wähle zuverlässig die falsche Mailadresse und freue mich über seine verspätete und freundliche Antwort.


Kalt ist es geworden und trüb. Dem Tölchen tun die niedrigen Temperaturen sichtlich gut und so will ich mich nicht beschweren.

Schmelze

Immer wieder die alte Geschichte.
Das Verwerflichste war vielleicht, die Schwester zur Mitwisserin zu machen und zum Schweigen zu verpflichten.

Der Glasgang oberhalb der lauten Straße. Die Schmerzen nach dem Erwachen, die dunklen Striemen am Hals und an den Beinen. Meine Verzweiflung. Mein Körper wusste schon was für immer verloren war.

Neurasthenie, sagte meine Mutter, Hysterie mein Vater, Sie beschäftigen sich zuviel mit sich selbst, die Ärztin.

Mein Schmerzgletscher schiebt sich weiter ins Tal. Im Süden die Berge.

Wieviel Glück und Trauer zwischen zwei Atemzüge passen.
Fülle und Untröstlichkeit, kein Widerspruch.


Kein Clou, keine Pointe


Der Brezn-Bäcker hat nur noch von Dienstag bis Samstag geöffnet,
der Konfektbäcker dafür von Montag bis Freitag.
Der Gastronom lässt uns die Toilette nicht benutzen. Die Toilettenanlage im Tengelmanncenter ist geschlossen, die am Bahnhof geöffnet. Der Unterfranke kommt mit dem Radel angefahren, im Korb eine Rolle vierlagiges Klopapier. Ich gehe zurück nach Hause. Er lernt derweil einen Motorradfahrer kennen. Zusammen reparieren sie dessen Gefährt. Auf dem Rückweg kauft der Unterfranke Gebäck beim Bäcker Ihle im Kemmelpark. Der Mann hinter dem Verkaufstresen kommt aus Wasserlos, einem Ortsteil von Alzenau. Seine Herkunft hatte ich mühelos am Dialekt erkannt. Strack besaß dort einen Weinberg (erzählt der Wasserlose).

Auf Twitter bezichtigt man sich weiterhin gegenseitig des Lacksaufens.

Der Außenminister im schmalen Einreiher ist sich keiner Schuld bewusst.


Das Volksfest auf dem großen Parkplatz ist vorbei. Die Musik ist verklungen (Es tut mir leid!)
Die Wiesen sind gemäht, das Heu abgeräumt.

Die Biohühner am Bahnübergang werden tagsüber mit Radiomusik bedudelt. Die Kühe weiden leider nicht mehr dort. Auch den Bauern habe ich noch nicht getroffen. Sein Traktor steht unten im Dorf. Die Kürbisse auf seinem Misthaufen sind die größten.


Die Indianerbanane trägt Früchte.

Seit zweidrei Jahren treibt ein Braunbär sich im Moos herum. Im Frühjahr hat er sich von Bärlauch ernährt.

Die Montbretien lässt die letzten Blüten fallen, das argentinische Eisenkraut blüht auf.
Die Pflaumen am Baum sind schön wie Geschmeide (schöner als Seide).
Der Birnbaum hat rostige Blätter.
Die uralten Apfelbäume entlauben sich.
Der Walnussbaum trägt nicht.
Die Blautannen wurden ausgewildert.

Zur blauen Stunde sitzen die Menschen in der Holzsiedlung an einer langen, auf der Straße errichteten Tafel, trinken und essen und warten auf den Perseidenschauer.

Mein Lieblingsberg ist weiterhin Le Schraffeur.

Das Braunvieh heisst in Wahrheit Murnau-Werdenfelser (Hercule lebt und ist wohlauf).
Die Disteln entpuppen sich als Karden aus der Familie der Geißblattgewächse (Jelängerjelieber).
Die stets verschlossene Kappelle soll eine Kirche sein und das kleine Puzzlestück an der Hauswand bleibt verschwunden, wie auch die Ziegen in diesem Jahr nicht zu sehen sind.

In der Kirche zünde ich vier Kerzen für zwei Mütter und zwei Väter an.

Der kleine Hund gewöhnt sich langsam an das Landleben. Kühe und Pferde werden nur noch angeknurrt und nicht mehr verbellt.
Seit ein paar Tagen schlafe ich tief und traumlos. In den Nächten davor starben mein Bruder und mein Vater im Wechsel.
Jetzt sterben echte Menschen in Afghanistan. Entsetzlich.

Um 8 waren wir aufgestanden, um 4 Uhr am nächsten Morgen gingen wir wieder ins Bett. In der Zwischenzeit trafen wir den betagten Mann und die Frau mit der stillen Hündin. Wir nahmen das alte Hercules Fahrrad in Empfang, plauderten mit der Deggendorfer Familie, brachten die Hunde an den vollgelaufenen See, ließen sie schwimmen und toben. Gingen zum Zahnarzt und wurden auf den nächsten Tag vertröstet. Liefen zur Apotheke um ein Mittel gegen Gürtelrose abzuholen. Telefonierten mit dem Hausarzt, plauschten mit der Vermieterin, versuchten Unterstützung herbei zu telefonieren, erfuhren dabei von einer sehr schlimmen Diagnose und argem Herzeleid, fuhren nach München, bewunderten den schönen Brunnen am Künstlerhaus und fanden nach dem Ansteuern verschiedener falscher Kulissen den Weg in die Klinik, die ich blutend verließ, einen Weisheitszahn in der Hand.