Muschi

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C. sitzt am Tisch, einen Arm lässig über die Rückenlehne des Stuhles gehängt. Mit dem anderen öffnet er sein Hemd. Ich tue es ihm gleich.
Halbaufgeknöpft und mit gekipptem Becken sitzen wir auf unseren Stühlen, dazwischen der Tisch.
Seine Augen sind dunkel, die Pupillen nicht zu erkennen.

Er nimmt die schmale Streichholzschachtel vom Tisch und dreht sie zwischen zwei Fingern ohne sie anzusehen. MUSCHI steht darauf.

Ich rutsche ein wenig auf dem Stuhl nach vorne.

 

 

 

 

 

 

Bild: K.Günter Sturm (Bildausschitt von Geflecktblättrige Flämmlinge (Gymnopilus penetrans) Lamellen
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/

Der Trichter

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Ständig fällt alles runter, den ganzen Tag lang. Immer. Das Deo vom Waschbeckenrand, der Füller auf den Fußboden, das große Messer in die Untiefen der Spülmaschine und der Deckel des Espressokännchens auf´s Cerankochfeld. Immer laut, immer scheppernd, immer nervtötend, aber immerhin weiß ich so, dass ich noch lebe und ein Zuhause habe, in dem es klappert und lärmt, während draußen der Ostwind die Wolken über den Winterhimmel jagt und mit kalter Hand an den Zweigen rüttelt.
Die Hölle klingt anders. Einsamer, dumpfer, düster wie ein tiefes Erdloch und gefährlich zischend wie prasselnd brennender Reisig.

Im Flur rutscht mir der Schlüssel aus der Hand, der Kater reisst die Lampe mit dem gusseisernem Fuß zu Boden, der Karabiner der Hundeleine knallt gegen die Wand und beim Einkaufen rollen die 50-Cent-Stücke unwiederbringlich unter die Supermarktkasse. Damit sie nicht ganz verloren gehen, oder das Personal sich nach Feierabend unerlaubterweise daran bereichert, werden sie, über einen im Boden eingelassenen Trichter, nach unten in den Keller geleitet und dort in einem groben Leinensack gesammelt. Bei Einbruch der Dunkelheit sieht man den Filialleiter, wie er den Parkplatz mit einem schweren Sack auf dem Rücken überquert, diesen in den Kofferraum seines Wagens wuchtet und sich verstohlen ins Messingfäustchen lacht.

In einer unbemerkten Ecke des Ostbahnhofs, konnte man eine Zeitlang sein überschüssiges Kleingeld auf interessantere Art loswerden. Der Tierpark Berlin hatte dort einen sogenannten Spendentrichter aufgestellt, bei dem man die Münzen auf eine Startrampe stellte, von der aus sie mit Schwung in den breiten Trichter gelenkt wurden, sofort an Fahrt aufnahmen, sich in die Kurve legten und zügig Runde um Runde drehten, wie beim Sechstagerennen. Enger und enger wurden die Kreise, schneller und immer schneller die Münzen, bis sie schließlich von einem unsichtbaren Strudel ergriffen -rasend- in den dunklen Hals des Trichters gezogen wurden, dort, in der Senkrechte, geradezu hektisch weiterkreiselten und es sie am Ende in die Tiefe, in den schwarzen Krater hinunter riss.

Eines Tages stehe ich wieder vor dem Trichter und schaue zu, wie mein gesamtes Kupfergeld im Orkus verschwindet, während neben mir eine Familie an der Vitrine der  „American Sportsbar“ aus zwei Dutzend, kunstvoll zu Bergen modellierten, Eissorten ihre Auswahl trifft. Die Schuhe der vier spiegeln sich in dem breiten Chromband wider, das den unteren Rand der Vitrine einfasst, und ich sehe, aus dem Augenwinkel, die Füße der beiden Kinder unruhig vor der gefrorenen Vielfalt hin- und hertippeln.
Aber da ist noch etwas, eine wiederkehrende Bewegung, die ich unbestimmt am Rande meines Gesichtsfeldes wahrnehme. Ich kann den Blick nicht von der trudelnden Münze lassen, die kurz vor dem Abgrund ihre verzweifelten Pirouetten dreht und deren Reise schon bald zuende sein wird. (Metaphern, überall Metaphern), doch die Bewegung neben mir hält an, scheint sich nach und nach zu steigern, hochzuschrauben, schneller zu werden. Ich halte es nicht länger aus und drehe mich schnell um.

Dort, an der Seite der Vitrine, sehe ich ein aufgeplustertes Taubenmännchen, das sich, in vertrauter Weise, kopfruckend um die eigene Achse dreht, sich dabei rhythmisch verbeugt und neugierig sein Spiegelbild beäugt.

Ich vergesse meine Münze und wende mich ganz dem tanzenden Täuberich zu.

Wie ist er hierher gekommen? Hat er sich irgendwann, so wie die wärmesuchenden Obdachlosen, unter den Strom der Reisenden gemischt und ist durch den Haupteingang hereingeschlichen, oder ist er bereits in zweiter oder dritter Generation, als Nachkomme der ersten Einwanderer, irgendwo dort oben in der Dachkonstruktion geboren?

Hat er eben gerade, in diesem Augenblick, sein Spiegelbild entdeckt, sieht sich zum ersten Mal im Leben und ist davon so gefangen, dass er sich immer und immer wieder anschauen muss, von allen Seiten? Sich betrachten, seine Wirkung erkunden, seine Choreographie überprüfen, seiner selbst gewahr werden? Wer bin ich?

Oder kommt er regelmäßig zu der Vitrine, weil er in der bahnhofsinternen Taubenkolonie noch nicht die richtige Partnerin gefunden hat und sich mithilfe des Spiegels eine Begegnung simuliert, die ihn über seine Einsamkeit hinwegtröstet.
Vielleicht ist er auch homosexuell und balzt sein eigenes Bild an, weil er es als schwule Taube noch schwerer hat jemanden zu finden, der zu ihm passt. Oder ist es ganz anders und er ist einfach nur eitel, ein Narziss im Taubengewand, der hier ganz selbstverliebt die Chromleiste der Eisvitrine nutzt, um sich an seiner Schönheit zu berauschen und der sich schier nicht satt sehen kann an der eigenen stattlichen Erscheinung.

Und während ich so über ihn nachdenke, über sein Leben, über seine Beweggründe ganz alleine neben einer Vitrine zu tanzen, hält er plötzlich inne und schaut mich an. Wir schauen uns an. Aug in Aug. Mit schräggestelltem Kopf und angelegtem Gefieder sieht er zu mir herüber, in der Bewegung erstarrt. Er blinzelt und schaut.

Zwei Sekunden nur. Dann dreht er sich um und stolziert durch die Bahnhofshalle davon.

Ich blicke ihm hinterher, wie er sich unter die Reisenden mischt und dabei geschickt ihren achtlosen Schritten ausweicht. Beim Dunkin Donuts– Pavillon verliere ich ihn schließlich aus den Augen. Ich wende mich wieder dem Trichter zu. Die Münze ist längst verschwunden.

 

 

 

Musik zum Text: Nexther List, Can´t Take My Eyes Off You

(youtube- Direktlink)

 

voranschreiten

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Es ist so, zumindest im Augenblick, und der gilt eben jetzt, ist die Wahrheit, so, wie alles, wovon ich, und sei es auch nur für einen kurzen Moment, überzeugt bin, aus tiefstem Herzen oder sogar bei vollem Verstand, die Wahrheit ist, die ganze absolute und unumstößliche Wahrheit, für alle Zeiten, in diesem Augenblick. Das alte Autofahrer-/ Radfahrer-Ding. Egal in welcher Rolle, die anderen haben Unrecht und ich habe Recht.
So ist es.

Im Winter, wenn es dunkel ist und meine Gedanken sich nach und nach grau einfärben, ab und an von heiteren Anfällen überbunt, beinahe lackglänzend und blendend überpinselt, weil mir in der düsteren Atmo jedes Maß für Farben fehlt- das ist wie Schminken im Dunkeln, was soll schon dabei rauskommen außer einer Horrorfratze –

nein Mutti, es ist alles gut, geh schön in dein Zimmer, der Arzt kommt gleich-

Der Rest des Satzes ist mir irgendwie abhanden gekommen, war wahrscheinlich nicht wichtig.

Wenn ich jetzt alles oben Geschriebene lösche, fehlt der halbe Text und bis hierher war´s doch gar nicht so übel, denn nicht jede Sackgasse ist ein Irrtum, so wie die Evolution zwar nicht gerade auf mich gewartet hat, vielleicht sogar just noch dachte, es läuft sehr gut derzeit, so könnte es ewig weitergehen, mal gucken, was noch kommt, und dann kam schon ich (immer nur als klitzekleines Splitterchen vom großen Wir gedacht), und mit mir ist völlig überraschend das Ziel und somit das Ende der Evolution erreicht.

Mission erfüllt

Eine super Sackgasse, in der man es sich endlich einmal gemütlich machen und mit den Beinen baumeln kann, sich einnischen, ein paar Fehlerchen, na gut, aber im Großen und Ganzen ist es vollbracht, wollen wir nicht kleinlich sein.

Die Evolution ist vorbei, ich bin da!

Wenn man denkt, wie das früher zuging. Da waren alle Menschen noch schwarz-weiß, sahen komisch aus und wackelten wie aufgezogen durch die Gegend. In den 80ern ist auch noch mal irgendetwas ganz stranges (so sagte man damals) passiert. Lag wahrscheinlich an Reagan, Thatcher und dem Peter Dingens, der Formel 1 moderierte (die Frisur!), danach aber wurde die Welt modern und glitt auf lautlosen Kufen durchs All und tut es bis heute und könnte auf diesem Höchststand den totalen Stillstand ausrufen und endlich Ruhe geben.

Tut sie aber nicht. Partout kaputt gehen möchte sie, unter Spielkonsolen und voll schönen Dingen begraben. Im überheiteren Krisenloop chong chong chong dreht sie sich in rasender Ausgelassenheit und blindem Übermut, dass es die Ecken abschlägt bei jeder Runde, wie ein Klapptisch auf´m Kopf und immer round about in der dunklen Kammer, in der sich schon Mutti schminkte, mit bekanntem Ergebnis, spratzt es die Ecken weg, es splittert, wenn schon nix mehr zu tun ist und die Entwicklung vorbei, das Rad erfunden, sich nur noch dreht, ganz langsam im Wald im Wind, im rostigen Gestern.
Der hüpfende Ball auf dem Wasser, er schwippt und schwappt und schwimmt obenauf und landet doch irgendwann im Magen der Möwe, die daran zugrunde geht und wir mit ihr und am Schluss ist er das Ende der Welt Menschheit. Ein kleiner Plastikball.

Wer hat´s erfunden?

Den Kopp unter´m Tisch oder den Spiegel vor´m Bauch und dann durch die Wohnung getapst, die Zimmerdecke spiegelt sich im Spiegel (logisch) und man schaut unentwegt hinein, hält sich das Teil mit beiden Händen vor den Bauch, wie ein Tablett, klettert über Lampen und Kabel und spaziert so aus dem Haus, ohne Schuhe, sieht ja keiner. Ganz vorsichtig, damit man nicht stürzt, stelzt man ins Treppenhaus, die Stufen von obendrüber hinab, Schritt für Schritt, mit Maß und Würde, als trüge man einen Reifrock oder eine Schleppe und ginge zum Altar, die spitze lange Scherbe im Bauch immer vor Augen, ohweh, und vorbei wäre der Gipfel der Evolution – welche Verantwortung man trägt! – und dann an der Türe, nachdem man endlich den vollgesprayten, nach Gras und Pisse stinkenden Hausflur durchquert, die letzte Stuckrosette mit einem Satz übersprungen hat- obacht!-  trete ich auf die Straße. Ich schreite mit geradem Rücken, den Walzer im Ohr, und
sehe,
sehe,
sehe: den HIMMEL,
so blau und weit (el cielo es azul) und mache einen großen Schritt, einen Satz, hart wie Stein unter den Füßen, laufe durch das Blau, den Himmel, das Universum. Ich bin ein Engel oder bin ich schon tot?

 

 

 

 

 

Mittenmang

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Manchmal ist Bloggen wie Klassenfahrt. Man verreist zusammen, sitzt abends in Grüppchen in den Stockbetten, hat Spaß und vielleicht sogar Freude, lacht, spielt irgendetwas und manche flirten ein wenig miteinander. Ohne Absichten, versteht sich. Ist ja nur Internet.

Es gibt, wie im richtigen Leben, die enigmatischen Einzelgänger und, als das andere Extrem, die geselligen Frohnaturen, die hier und da zu einem Plausch verweilen und zu jedem Thema etwas beizutragen haben. Es gibt jene, die bewundern und die, die bewundert werden wollen. Der eine trinkt, der andere raucht und eine backt Kuchen und reicht Schnittchen. Das sind die Mütterlichen, die braucht es in jeder Gruppe, so, wie es den Klassenclown geben muss. Außerdem sind da noch die Trolls, die Spaßverderber, die durch ihr regelwidriges Verhalten für einen noch größeren Zusammenhalt sorgen. Jeder füllt seine Nische, fühlt sch mehr oder weniger wohl darin, und irgendwann macht man die Kiste aus, die Reise ist vorbei und alle gehen nach Hause. Jeder für sich. Man verabschiedet sich, ein bisschen erfüllt und ein wenig leer vom vielen Reden und Lachen und den langen Nächten. Ausgelaugt und müde ist man. Man schläft erstmal, ernüchtert langsam und dann setzt man sich wieder an den Schreibtisch, geht an die Arbeit und braucht ganz dringend Rückzug und Zeit für sich.
So geht es mir.

Nach quirlig-heiterer Geselligkeit zieht es mich ins Private. Ich brauche dann Ruhe, muss vor allem schweigen, kann mich schlecht auf andere einlassen, ihnen zuhören, mich auf das konzentrieren, was sie sagen, bzw. schreiben. Ich muss meinen Gedanken nachhängen, mich auf die Woche vorbereiten und mich sammeln. Und sei es auch nur für das Schreiben des nachmittäglichen Einkaufszettels, für das fachgerechte Kraulen von Kater Ludwig, für die kleinen Dinge des Alltags. Für mich.

Um den Kopf freizubekommen gehe ich gerne hinaus in die nebligfeuchte Stadt, die mich aus grauen Fassaden mit hängenden Lidern anschaut, bewege mich durch einsame Straßen, blicke in die nackten Bäume, beobachte die Krähen, die die öffentlichen Papierkörbe plündern, über den matschigen Boden hüpfen und sich schimpfend um die besten Beutestücke balgen – räh räh – und trotte ganz langsam mit meinem Hund am Wasser entlang bis zur chinesischen Botschaft und dann die tosende Alexanderstraße rüber zum Alexanderplatz.
Wenn mir kalt ist, gehe ich kurz in den S-Bahnhof, trinke dort einen Kaffee, oder ich hole bei Saturn noch schnell ein paar Bürstenköpfe für die elektrische Zahnbürste und wärme mich dort auf.
Wenn mir sehr, sehr kalt ist steuere ich die Haartrockner-Abteilung an und föne mich solange warm, bis jemand kommt um mich zu beraten. Das Gespräch nehme ich noch mit, erfahre viel über Ionen und über die Schweinefirmen, die tun als wären sie deutsch, in Wahrheit aber längst us-amerikanisch sind, und verlasse heissgefönt und gut informiert den Elektroniktempel.

Mit hochgezogenen Schultern geht es wieder durch die müde Stadt zurück, die brave Hündin immer an meiner Seite, die ich auch deswegen so liebe, weil sie wenig redet.
Zuhause rubbele ich sie mit dem Handtuch ab, sie knurrt und fletscht und wedelt und entreisst mir schließlich das Tuch, weil sie viel stärker ist als ich und sehr gefährlich.

Als nach Beginn der selbstausgerufenen Blogparade plötzlich so viele Menschen auf mein kleines beschauliches Blog kamen und ich vor lauter Trubel beinahe schwitzige Hände bekommen hätte, weil einer dem nächsten die Klinke in die Hand gab und alle angeregt plaudernd und scherzend bei Sekt und Häppchen in meiner Küche standen, während ich, ganz unvorbereitet noch im Schlafanzug und mit zerzaustem Haar durch die Wohnung tappte, habe ich mal wieder gemerkt, was ich ohnehin schon wusste: ich bin kein Gruppenmensch. Ich kann das nicht. Jedenfalls nicht mittendrin.

Nicht, dass ich es nicht auch sehr genießen würde, aber mir fehlt tatsächlich die Energie und die Kompetenz dafür mich auf soviele Leute gleichzeitig einzulassen. Dabei bin ich durchaus gesellig, nur eben nicht in einer verantwortlichen Rolle. Eher so gesellig am Rande, mit einem Fuß in der Tür. Wenn keiner was von mir erwartet, wenn ich nicht soll oder muss, wenn ich kann wie ich will, dann bleibe ich gerne. Dann gebe ich gerne, dann bin ich liebend gerne dabei.

Selbst an meinem Geburtstag halte ich es nicht anders.
Ich feiere jedes Jahr und bin immer und ausnahmslos kurz ehe es losgeht krank vor Lampenfieber. Mir ist schwindlig, ich schreibe im Kopf bereits die ersten bedauernden sms, rufe im Geiste in dem Lokal an, in dem ich Tische reserviert habe und denke mir Lügen aus, abstruse Begründungen, warum ich leider, leider alles abblasen muss. (Bei mir zu feiern käme sowieso nicht in Frage!)
Totenblass und schwer angeschlagen quäle ich mich dann schließlich doch aus dem Haus, schwöre mir nie wieder so viele Leute einzuladen – dieser verfluchte Geburtstagskult – und höre mich schon, wie ich der versammelten Gesellschaft noch ein paar Begrüßungsworte entgegenkrächze, ehe ich bewusstlos zusammensacke, ins Krankenhaus gebracht werden muss und bei mir Morbus Tikerscherk diagnostiziert wird, eine bis dahin vollkommen unbekannte Krankheit, die nur sehr sehr wackere Menschen überhaupt so lange und klaglos aushalten bzw. überleben können.
Und endlich werden alle wissen, dass ich weder exzentrisch, noch verschroben oder eigenbrödlerisch bin, sondern einfach nur eine sehr sehr tapfere tikerscherk. Seufz.

Auf diesen Tag in ferner Zukunft freue ich mich schon fast ein bisschen. Denn mit der Diagnose ist auch die Heilung nicht mehr weit. Absolute Ruhe verordnet der Arzt, bloß nicht zuviele Kontakte auf einmal. Sofort aufhören zu reden, wenn Sie die Lust verlässt und immer eine Hintertüre offenlassen, ganz gleich worum es sich dreht.
Lange Spaziergänge mit dem Hund sind Pflicht. Hier und da ein Nickerchen am Nachmittag, gerne auch zu zweit, am wichtigsten aber: keine Verantwortung übernehmen in Gruppen, immer schön am Rande bleiben, dann wird alles gut.

In diesem Sinne möchte ich allen danken, die bisher bei meiner Blogparade  Hauptsache händisch mitgemacht haben.
Es hat mir viel Spaß und oft auch Freude gemacht. Entschuldigt, wenn ich eine mittelmäßige bis lausige Gastgeberin war, die Schnittchen nicht fertig, die Getränke nicht kalt waren und ich die ganze Zeit im Schlafanzug mit strubbeligen Haaren Maulaffen feilbot, statt mich endlich um die Gäste zu kümmern, jeden einzeln  zu begrüßen, mich nach dem werten Befinden zu erkundigen und immer wieder Getränke nachzulegen.
Ich hab mein Bestes gegeben, ehrlich, besser kann ich´s leider nicht. Seht es mir nach, bitte!
Ihr wisst´s  ja jetzt: Morbus tkerscherk.

 

 

 

Bild: Laura Loveday
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/

Niemals verloren

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Wäre ich am 5. Oktober 2014 tatsächlich gestorben, dann ginge bereits der zweite Winter über mein Grab hinweg.
Wo wäre ich jetzt? Was wäre ich jetzt?
Würde irgendjemand in den Himmel schauen, an diesem stillen Samstag im Januar, die Schneeflocken tanzen sehen und an mich denken, die ich mein Leben so sehr liebte?

/

(Was wäre mit meiner Wohnung? Wer säße nun dort, schaute in den winterlichen Garten oder befüllte mit sorgender Hand das alte Vogelhäuschen, um die Meisen und Spatzen nicht vergeblich nach Futter suchen zu lassen?)

/

Und meine Hündin, was wäre aus ihr geworden? Hätte sie mich längst vergessen, ganz und gar, oder zuckten nachts noch manchmal ihre Pfoten im Schlaf, wenn sie meine Stimme hörte, die von Weitem nach ihr riefe. Braves Tölchen!
Würde ein freundlicher Mensch sich gefunden haben, der sie, so wie ich, ein halbes Dutzend Mal am Tag mit Selbstgekochtem fütterte und mitten in der  Nacht aufstünde um ihr einen Napf hinzustellen, damit sie nicht wieder krank würde? Oder hätte sie längst schon eingeschläfert werden müssen, wegen ihres Leidens, und wäre nun wieder bei mir, irgendwo hier draußen, im großen Universum.

/

(Und meine Tigerkatze? Läge sie behaglich zusammengerollt auf einem anderen Schoß, leise schnurrend im Hier und Jetzt und rundum zufrieden mit ihrem Leben?
Und Kater Ludwig, wer kraulte ihm jetzt sein Öhrchen und spräche mit ihm, wenn er Stimmen aus dem jenseits hörte?)

/

Mein lieber, lieber Vater. Hätte er die Nachricht von meinem plötzlichen Tod verkraftet, oder hätte sie ihn zusammenbrechen und ihn mir bald folgen lassen, und der Schnee fiele heute auf unser beider Grab, auf unsere Familiengruft?
Wenigstens wäre ihm die Nachricht von G.s Erkrankung erspart geblieben. Doch wer würde dann die I. trösten, wenn er nicht mehr da sein könnte für sie?

/

Meine Geschwister. Hätten sie sich gefragt, wer von ihnen beiden als nächstes dran sei und hätten sie bedauert nicht die eine oder andere Erinnerung mit mir geteilt zu haben, jetzt, wo man mich nie wieder würde fragen und mir nichts mehr würde sagen können?
Vielleicht würden sie sich ein Mal im Jahr treffen, an meinem Geburtstag. Sie würden Elvis hören und David Bowie, sich alte Bilder anschauen und sich von mir erzählen. Wahrscheinlich würden sie sich wundern, wie wenig wir voneinander gewusst haben, wie schlecht wir uns kannten, und sie würden versuchen, sich mir durch das Betrachten alter Fotos zu nähern. Über das eine, auf dem ich vor der Garage stehe, meinen Rock gelüpft habe und den blanken Po in die Kamera halte, würden sie herzlich lachen und sich kopfschüttelnd daran erinnern, wieviel Ärger mir dieses Bild später beschert hatte.

/

Irgendjemand, vielleicht die südamerikanisch aussehende Altenpflegerin, hätte sich kurz nach meinem Tod zu meiner Mutter gesetzt, ihre Hand genommen und ihr erzählt, dass ihre Tochter gestorben ist – die jüngere, erinnern Sie sich an sie? –  ganz plötzlich und schmerzlos. Meine Mutter hätte aufgeschaut, einen Moment lang mit nach innen gewandtem Blick nach mir gesucht und mich in keinem der lichtlosen Gänge und Zimmer ihrer Erinnerung gefunden. Dann hätte sie sich weggedreht, sich wieder ihrer Zeitschrift zugewandt und mit beiden Händen versucht das Papier glatt zu streichen. In der Nacht hätte sie unruhiger geschlafen als sonst, die Pflegerin hätte ihr ein Zäpfchen gegeben und am nächsten Tag hätte sie den Bienenstich zum Kaffee mit großem Appetit gegessen.

/

(Mein Vermieter, der im gleichen Haus wie ich wohnt, würde gesehen haben, wie ein Bestattungsunternehmen einen Sarg aus meiner Wohnung trägt und er würde sich gefragt haben, wer jetzt für die Renovierung der Wohnung aufkäme und an wen man sich wenden müsse, damit Hund und Katz in Verwahrung genommen würden.)

/

Und, ach, der Eine, mein Herz!
Schaute auch er den Flocken hinterher, wie sie leise durch die Luft segeln, geräuschlos auf dem Boden landen und eins werden mit der weissen Decke, die die kalte Erde bemäntelt? Dächte er jetzt, in diesem Augenblick, in dem ich diese Zeilen schreibe, an mich und erinnerte sich daran, wie wir uns das erste Mal sahen, unter den Platanen. Wie wir lächelten, wie wir uns später küssten im milchigen Laternenschein, wie wir uns liebten und uns schließlich Heimat wurden?
Wo wäre er heute? Hätte er ein neues Zuhause gefunden, eines, das ihm Geborgenheit gäbe? Berührte er nachts die Haut einer anderen Frau, wachte er über ihren Atem und blickte in ihre Augen, wenn sie erwachte, lächelnd und stumm vor Glück.

/

Wie lange noch bliebe die Erinnerung an mich erhalten?
Wie lange wäre sie von Leben erfüllt und wann wäre ich bloß noch Erzählung oder ein Bild, für Menschen, die mich nie kannten.

/

Vielleicht, so stelle ich mir vor, fände eines Tages jemand ein Foto von mir und verliebte sich in mich, so, wie ich mich beinahe in jenen Baseballspieler verliebt hätte, dessen Portätfoto von 1910 ich zufällig sah. Und dann? Würde er versuchen Kontakt zu mir aufzunehmen und würde es ihm gelingen?
WIe lange ginge das? Bis zu seinem Lebensende, und nähme er dann das einzige, noch vorhandene Bild von mir mit ins Grab?

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Geschieht das nicht jeden Tag, jede Minute, dass zum allerletzten Mal an jemanden gedacht wird und die Erinnerung an ihn danach für immer erlischt, weil niemand und nichts mehr da ist, sein Andenken zu bewahren?

Hat nicht auch jener Mann, der 1838 in Paris, als erster Mensch der Welt, ohne sein Wissen, auf einem Foto festgehalten wurde, genau dies gedacht: dass nämlich nichts übrig bliebe von ihm, wenn er einmal starb. Nichts, was an ihn erinnern und Zeugnis von ihm ablegen könnte, weil er so klein und unbedeutend war und noch nicht einmal einen Sohn gezeugt hatte?

Vielleicht hatte er, als er auf dem Weg zu seiner Liebsten, den Boulevard du Temple entlang flanierte einen kleinen Schwindel verspürt, oder ein Stechen in der Flanke, und sich entschlossen für einen Moment zu verweilen, dort, an der belebten Straße. Bei dieser Gelegenheit konnte er sich auch gleich die Schuhe putzen lassen, für sein bevorstehendes Rendez-vous.
Und weil die ganze Stadt um ihn herum in Bewegung war, die Menschen hin und her spazierten, die Kutschen vorbei rumpelten und alles und Jedermann unterwegs war, um den schönen Sommertag an der lauen Luft zu genießen, und weil nur er allein, als Einziger, für ein paar Minuten inne und still hielt, bannte Daguerre ihn, und niemanden sonst, auf eine jodierte Silberplatte und machte  ihn auf diese Weise photographisch unsterblich.

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Der Mann hat wahrscheinlich nie davon erfahren. Möglicherweise ist er schon wenige Minuten später zusammen gesunken. Verstorben an plötzlichem Herzstillstand.
So, wie ich – beinahe – am 5. Oktober 2014.
Vielleicht aber kam es auch anders, und er hat am gleichen Nachmittag noch ein Kind gezeugt. Ein kleines Mädchen.

/

Wir wissen nicht wann und wie oft die Blende während unserer Lebenszeit aufgeht und welche Bilder von uns hineinfallen und ewig werden.

Wir wissen nicht, was jedes einzelne Molekül, das wir ausatmen, im weiten Universum  bewirkt, welche Spuren wir hinterlassen und welche von ihnen für lange Zeit, vielleicht nur als Ahnung, von unserer Existenz zeugen und über sie hinausweisen werden, ohne, dass jemand es wüsste oder es gar benennen könnte.

(Welche Welten entstanden durch unseren Geist und durch unsere Liebe? Welche davon bestehen auch ohne uns fort?)

Nur manchmal ahnen wir, dass wir Teil von etwas viel größerem sind. Etwas, das sich durch uns und in uns immer und immer wieder verausgabt und dabei niemals erschöpft.

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Der Regen hat den Schnee fortgewaschen. Das Schmelzwasser versickert in der Erde.

 

 

 

 

 

Schneewittchen

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Manchmal versuchte meine Mutter mich zwischen zwei Zigaretten zu erziehen. Die letzte Tasse Kaffee war gerade ausgetrunken, der Rotwein noch nicht entkorkt, so stand sie, ein wenig unberaten im Flur herum, unschlüssig ob sie erst noch Lidschatten nachlegen und sich dann ein Glas genehmigen sollte, oder umgekehrt.

Zufällig komme in diesem Moment ich die Treppe herunter. Ihre Augen bleiben an mir hängen, werden erst groß, dann klein. Sie mustert mich aus immer enger werdenen Schlitzen, schüttelt schließlich den Kopf und sagt:

– So gehst du mir nicht aus dem Haus!
Obwohl chancenlos , versuche ich es mit: Wieso nicht?
Schau dich mal an, wie du aussiehst.
– Ich weiß, wie ich aussehe.
– Wie eine Prostituierte, sagt sie und ihr Gesichtsausdruck ist verächtlich.
– Stimmt nicht, antworte ich und tue, als würden mich ihre Worte nicht treffen.
– So gehst du jedenfalls nicht auf die Straße.

Jetzt kommt mein Vater die Stufen herauf, sieht mich, bleibt auf dem Treppenabsatz stehen und schnalzt mit der Zunge: Oh! Todschick!, sagt er lächelnd und nickt dabei anerkennend.

Ich zucke zusammen und weiß schon jetzt, dass ich ihr das büßen werde.

 

 

 

 

Bild: „Christmas 00444“ von Anna Anichkova – Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons – https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Christmas_00444.jpg#/media/File:Christmas_00444.jpg

Hauptsache händisch

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Habt Ihr Lust auch mal eine handschriftliche Geschichte in Eure Blogs zu stellen (oder als Foto in meine Kommentarspalte hochzuladen)? Gerne etwas, was zu tun hat mit eigenhändig hergestelltem (z.B. Pulli, Kuchen, Gemälde, Liebesbrief) oder eigenhändig erledigtem ( z.B. Auftragsmord).
Vielleicht habt ihr mal jemanden eigenhändig aus Eurer Wohnung geworfen, jemanden eigenhändig durchgeschüttelt oder wiederbelebt. Oder habt Ihr etwas Spektakuläres auf eigene Faust (gilt auch) unternommen? Oder Ihr denkt Euch einfach etwas aus, was von Eigenhändigem berichtet.
Das Ganze dann bitte noch handschriftlich festgehalten, abgelichtet und ins Netz gestellt, macht sowas Ähnliches wie eine Blogparade unter dem Titel:

Hauptsache händisch

Wer wenig Vertrauen in die Lesbarkeit seiner Schrift hat, kann ja die ersten paar Zeilen per Hand verfassen und den Rest tippen, wem auch das zuviel ist, der schafft vielleicht eine manuelle Überschrift? Und wer gar nicht will, der soll auch nicht.

 

 

 

 

P.S.: Wie sich sicher schon alle gedacht haben, habe ich niemals, wie in meiner Geschichte behauptet, die Sachen meines Freundes in den Müll geworfen (obwohl er es wirklich verdient hatte). Ich habe bloß damit gedroht und mich dabei sehr klein stark und sehr hilflos mächtig gefühlt.

P.P.S.: Ja, Foto is unscharf. Kriegs nicht besser hin, heute.

 

 

 

Kopf ab

Manchego

Am Morgen spricht die Magd ganz wild:
»Ich hab heut nacht ein Kind gestillt –

Jeden Abend nehme ich zwei Bonbons mit ins Bett. Eines esse ich sofort, (und putze mir danach nicht mehr die Zähne). Das andere stecke ich mir in den Ausschnitt und fische es dort bei Bedarf nachts heraus, sofern ich es noch finde.
Meine Zähne und auch das Zahnfleisch sind in bester Ordnung.

Auf der Suche nach den guten Frizzella, für die kommende Nacht, stoße ich heute in einer der Süßkram- Kisten, auf ein Bonbon mit Gesicht. Ich kann mich nicht erinnern, es gekauft zu haben. muss aber wohl, denn es ist da, lächelt mich ganz zauberhaft an und ist mir auf Anhieb sehr sympathisch. So ein nettes Gesicht! An wen erinnert es mich bloß? Vertraut und beinahe zärtlich blickt es mich an, ich schaue zurück und mir wird warm ums Herz.

Ich erinnere mich, an die Marzipanrobbe, die mir vor Jahren mein damaliger Freund schenkte. Er wusste, wie gerne ich die dicken, (scheinbar) ohrlosen Tiere mochte und wollte mir eine Freude machen. Ein voller Erfolg. Ganz verliebt war ich in das niedliche Tier, das der berühmte Marzipanier Marcuse de Trompe l´Oeil mit seinen überaus geschickten Händen geformt und mit raffiniertester Siebdrucktechnik gestaltet hatte. Die Augen waren schillernde Swarowski-Kristalle (schreibt man das so?) und es war mit 24-karätigem Goldstaub aus Indochina bedeckt. Ein wahres Schmuckstück!

Bald schon drängte mich mein Freund, der immer hungrig war, ich solle nun endlich das süße Marzipantier mit ihm gemeinsam verzehren (das Schwein). Ausgeschlossen! rief ich empört und herzte das Kleine über und über.
Doch wenige Tage später, nahm er es ungefragt aus seinem Schlafkörbchen, das ich mit Sand von meinen sieben Weltreisen gefüllt hatte, betrachtete es und biss ihm ZACK! den Kopf ab. Ich schrie aus vollem Halse: Bist du verrückt! Das arme Kind! Die arme Robbe! Ausgerechnet den Kopf!

Gerade und nur den Kopf müsse man essen, erklärte er mir völlig ungerührt, dann sei das Leid des Tieres wenigstens sofort beendet. Alles andere sei üble Quälerei. Obwohl er Recht zu haben schien, war ich noch immer sehr ungehalten und traurig (in welcher Reihenfolge weiß ich leider nicht mehr). Es war genug zu essen im Hause, da hätte er wahrhaftig meine Robbe verschonen können. Überflüssig zu erwähnen, dass die Beziehung bald darauf in die Brüche ging.

(Dieser Erzählstrang endet hier)

Während ich mich so erinnere, läuft mir das Wasser im Mund voll krass derart zusammen, kein Marzipan weit und breit, nicht einmal Bethmännchen, nur das sympathische Bonbon ist zur falschen Zeit am richtigen Ort, und ich frage mich mit hochgezogenen Lefzen, ob es so gut schmeckt, wie es aussieht.

Niemandem ist gedient, gebe ich mir selbst zu bedenken, wenn man Lebensmittel solange aufhebt, bis sie schließlich verdorben sind oder vertrocknen, so, wie die zweibeinige (von vornherein kopflose) Möhre, die seit einiger Zeit in meinem Kühlschrank lebt und mich an Eichendorffs Gedicht `Symmetrie´ erinnert.
Schlagt ihr das and´re auch entzwei, so hinkt sie doch auf beiden, denke ich jedes Mal, wenn ich sie in der Gemüseschublade liegen sehe, mit weit geöffneten Beinen, eines viel kürzer als das andere.
Vielleicht sollte ich ein Foto von ihr machen und dann noch eines vom Bonbon und hinunter mit beiden.
Gesagt, getan.

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Und wie ich so auf das Bonschi draufhalte, erkenne ich endlich wen ich vor mir habe: es ist der Eine, als ganz junger Mann, der mich da mit rosigen Wangen anschaut!

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Vor Rührung breche ich in Tränen aus und beende diese überaus lahme wie pointenlose Geschichte mit einem lauten Schluchzen.
Wieso, so frage ich mich allerdings, haben Sie alle überhaupt bis hierhin weiter gelesen?

Das Universum ist voller Rätsel.

 

 

 

 

 

Käse: „Manchego“ von Zerohund – de.wikipedia: [1]. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons – https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Manchego.jpg#/media/File:Manchego.jpg