Firnis, römisch

 

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Regen prasselt wie Applaus auf meine Bettdecke. Neben mir dein Atem. Ich lege die Hand auf deinen Rücken, du schüttelst sie ab. Ein Traum.

Der Kanzler ist zu Besuch. Er redet über die Evolution als eine Geschichte deren Ende jetzt gekommen sei, denn wir sind ja da. Das Großhirn übernimmt das Steuer und lenkt die Geschicke der Menschen zum Guten. Es braucht nur noch die Apostel für die Verkündung der alleinzigen Wahrheit: Gerechtigkeit. Der ungläubige Thomas.

Der Bekannte hört ihm zu. Wir sprechen über Endlichkeit, über den Tod, der unser gemeinsames Schicksal ist, der uns voneinander trennt und zugleich auf ewig miteinander verbindet. Immer wieder fängt der Kanzler damit an. Er bereitet sich vor und sucht nach abschließenden Antworten, nach Trost. Alles soll schön und rund und heil werden. Es macht mich traurig, ihn so zu hören. Der Tod wohnt im Nebenzimmer, immer schon, doch nun hat er sein Ohr an die Wand gelegt.

Derweil ist es Sommer geworden in der Stadt, auf den Frühling hat sich Staub gelegt und allem Glanz einen matten Firnis verliehen. Am Morgen scheint eine römische Sonne in die Häuserschlucht.

Ich liebe diese Stadt.

Auch der Cousin, der Prof. Dr. und seine Frau, die Frau Dr. sind zu Besuch. Gemeinsam mit dem Kanzler sitzen wir in der Abendsonne, der Kanzler erzählt von früher und in der familiären Vertrautheit alter Tage packt ihn die Kalaueritis. Hundermal gehörte Scherze gibt er zum Besten, Erbwitze in dritter Generation. Ich fühle mich geborgen.  Weh und schwer wird mein Herz als am Sonntag alle wieder abreisen.

 

 

 

 

 

Bild: october bay, flickr, Berlin (Kreuzberg), Oranienstrasse x Mariannenstrasse
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

familiär

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Seducer, mit tiefem Blick über hochgezogener Schulter und Augenaufschlag so schmetterlingsgleich.
Schatten du Wolkenbegleiter,
Glück mit spitzen Beinen unter glattem, rundem Bauch

 

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Der Kanzler ruft an. Zurück aus Spanien, wo die Cousine ohnmächtig inmitten toter Katzen und meterhohem Unrat aufgefunden wurde. Tagelang muss sie dort gelegen haben. Sie lebt, es geht ihr Tag für Tag besser und kaum erholt behauptet sie, der 2000 km entfernt wohnende Kanzler persönlich habe die Müllberge in ihr Häuschen gebracht.

Schon als Jugendliche hat sie heimlich für mich geschwärmt, erklärt mir der Kanzler.

Nächste Woche feiert der Kanzler seinen Geburtstag und er wird ins Brandenburgische reisen, um seinen Sohn zu sehen, der zugleich mein Bruder ist. Gerne hätte auch ich ihn getroffen, mit jeder Kerze auf seinem Lebenskuchen wird mir dieser Wunsch dringlicher, doch er fürchtet Ärger und Gram weil der Brudersohn ihn für sich alleine beansprucht und voraussichtlich einen seiner gefürchteten Tobsuchtsanfälle bekäme, wenn ich an einem der Nachmittage den Kanzler zu einem Waldspaziergang träfe.

Vergangene Nacht hörte ich mir eine Doku über das Leben einer Crystal- Meth-Familie an. Anderswo geht es viel schlimmer zu, dachte ich entsetzt und erleichtert zugleich und schlief erst am frühen Morgen unter dem Japsen und Schnaufen des ziemlich arg erkrankten Bekannten ein.

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Zwischen meinen Mails finde ich auch eine des hannoveraner Cousins, die ich um ein Haar in den Spam verschoben hätte, weil ich kurzzeitig vergessen hatte, dass ein Prof. Dr. im Postfach nicht zwingend ein Scharlatan sein muss, der mir überteuerte Allheilmittel für eben noch in hypochondrischer Furcht ergooglete Malaisen andrehen will. Auf Berlin-Besuch möchte er kommen, der Cousin, zusammen mit seiner Dr. -Frau. Ob ich ihm auch die Adresse und Telefonnummer meines Bruders geben könne. Doch ich besitze weder das eine noch das andere und versuche diesen weiteren Beleg familiärer Zerrüttung so beiläufig und unpathologisch wie möglich in Worte zu kleiden, was mir leidlich gelingt.

Später, beim nachmittäglichen Spaziergang, bleibe ich vor der auf eine Brandmauer gemalten Werbung für den Frackverleih seit 1914 stehen. Echter Wohlstand, denke ich, zeigt sich darin, dass man überhaupt eine Gelegenheit hat, einen Frack zu tragen, noch viel mehr aber dadurch, dass man ihn sich kauft oder maßschneidern lässt, statt auf eingemottete Leihware zurückzugreifen.
Ob 1914 wohl ein gutes Jahr für die Geschäftseröffnung war?

Wie ich so da stehe und nach oben schaue, fällt mir auf, dass hier, an der Ecke Brückenstraße, einer der letzten innerstädtischen Gebrauchtwagenhändler seinem aussterbenden Gewerbe nachgeht. Polierte schwarze oder silberfarbene Angeberkutschen mit viel PS und Doppelauspuffen parken, Schnauze zur Straße, auf der Brachfläche, die mit dem standesgemäßen silbernen Flatterband abgesteckt ist.
Früher gab es sowas an jeder Ecke, überlege ich beim Weitergehen, nun sind auch sie beinahe Geschichte, genauso wie die Bären im Köllnischen Park, deren Zwinger nur zwei Fußminuten entfernt ist.
Dort angekommen, ermuntert ein „offen“ Schild den interessierten Besucher in den ausgestorbenen Backsteinbau einzutreten. Mir fehlt heute der Selbstgeißelungswille, die beengte Tristesse, in der die Berliner Wappentiere jahrzehntelang gehalten wurden, in Augenschein zu nehmen. Für einen kurzen Moment nur bleibe ich vor dem Glaskasten mit der Handvoll angepinnter, verblichener Amateurfotos stehen, die an die letzten beiden Bären, Maxi und Schnute, erinnern sollen.
Sie waren Mutter und Tochter. Ein Leben lang.

 

 

 

 

 

 

 

 

Bild: klam maik, berlin, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/

In jenem Sommer

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Ich stand im zweiten Stock am Fenster und blickte über den hellen Sand hinweg auf das Meer. Blut lief meine Beine herunter und tropfte auf den weiss lackierten Dielenboden. Nach dem Duschen nahm ich eine Handvoll Toilettenpapier, um mir für´s Erste zu behelfen.
Erst am Nachmittag fasste ich den Mut meiner Mutter, die sich auf der Terrasse sonnte, zu erzählen was geschehen war. Sie rief meinen Vater herbei.

Mit ein paar Vokabeln im Gepäck wurde ich in die Dorfapotheke geschickt. Der nächste Hypermarché war weit entfernt. Nach serviettes hygiéniques solle ich fragen. Mit gesenktem Blick spuckte ich dem Apotheker, der bekittelt vor einer dunklen Holzwand mit Dutzenden Schubladen stand, die einstudierten Wörter entgegen und schämte mich, wie niemals zuvor.

Es war derselbe Sommer in dem meine tiefausgeschnittene, brathähnchenbraune Mutter in türkis–pink geblümtem Satin und auf irrwitzigen Stilettos, die Motocrossfahrer Philippe und Pierre, die es auf meine Schwester und mich abgesehen hatten, und seit Tagen in den Dünen herum cruisten, um uns zu beeindrucken, in den Garten lockte und bei Sekt und kokettem Geklimper ihre Wirkung auf die Jugend erprobte, bis den beiden Jungs schwindelig wurde vor lauter Hormonen.

In jenem Sommer gewann ich auf dem kommunistischen Volksfest eine Ente, die ich auf den Namen Hans taufte. (In Wahrheit machte ich es wie Voltaire und kaufte sämtliche Lose eines Glücksraddurchlaufes, um an das flauschige Küken zu gelangen).

In jenem Sommer zog sich meine Schwester einen Mückenstich in der Kniekehle zu, der sich zu einem fürchterlichen Abszess auswuchs, dessen Inhalt sich an einem windigen Nachmittag in zahnpastadicken Streifen in das dunkelblaue Meer vor St. Malo ergoss.

Auf jenen Sommer datiert eines der Lieblingsfotos, die ich von meinem Vater besitze zurück: er, im schwarzen Hemd, mit lackschwarzem Haar und schwarzer Brille, lässig auf die Stadtmauer gestützt und mit entspannter Miene auf´s Meer hinausblickend.

In jenem Sommer lernte ich beim Flippern, ein Freispel nach dem anderen zu holen, und den Apparat mit körperlichem Einsatz so zu manipulieren, dass der Ball nicht verloren ging und das Gerät nicht tilte.

Außerdem fand ich heraus, dass ich die Wangen einziehen und den Kopf schräg halten musste, um erwachsener auszusehen. Die Ähnlichkeit mit Lauren Bacall hat ihren Anfang in dieser Zeit.

Zwei Jahre später hörte ich längst Sex Pistols, hatte ein Kind verloren und kickte meiner Mutter eine Ladung Sand ins Gesicht, als sie mich am Strand vor den Augen aller ohrfeigte. Danach trat ich die Flucht in den sturmblauen Atlantik an.

 

 

 

 

 

 

 

Bild: Jean-David & Anne-Laure, St, Malo 006 (Ausschnitt), flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/

 

Engelberg

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Mein Großvater war Bankdirektor und zog in die Schweiz um nicht in Frankfurt erschossen oder von seinen Enkeln entführt zu werden. Natürlich hätten wir ihn auch in der Schweiz hopps nehmen können. Haben wir aber nicht.
In die Schweiz fuhren meine Eltern immer nur im Winter und während sie mit der reichen Verwandtschaft Champagner schlürften, Beluga-Kaviar aus der blauen Dose löffelten und in Abendgarderobe im großelterlichen Wohnzimmer saßen, aßen wir Kinder Pommes bei Coop und tranken, angenehm unbeaufsichtigt, literweise Cola dazu.  Tagsüber sollten wir Ski fahren lernen, autodidaktisch versteht sich, bekamen aber aus Gründen der protestantischen Lebensführung kein Lifttcket und hatten schon bald den Kragen derart voll davon, mit kalten Füßen in zu engen, geliehenen und tonnenschweren Skischuhen und mit geschultertenm Kreuz Brettern, den Berg hinaufkraxeln zu müssen, bloß um nach einem so mühselig wie schmachvollen Aufstieg (über uns die Sessellifte mit den beinebaumelnden Häretikern) läppische drei Minuten lang, unbeholfen mit den Armen rudernd, abfahren zu dürfen, dass ich die Skier gegen einen einfachen Holzschlitten tauschte, mit dem ich wieder und wieder gegen das Gemäuer des alten Klosters am Fuße des Idiotenhügels rauschte. Ich stellte mir vor, dass die Benediktinermönche, die dort lebten, eingeschneit von dicken Flocken und versunken in ihr Zwiegspräch mit Gott, ein leises Rumsen hören und sich für einen Moment verwundert an die rosawangige, rufende Welt da draußen erinnern würden, deren Echo längst in ihrer Seele verhallt war, ehe sie sich wieder ganz und gar ihrem Glauben hingaben. Der Gedanke gefiel mir so gut, dass ich meinen Bruder bat, sich zu mir auf den Schlitten zu setzen und mit mir gemeinsam den Hang hinunter zu rodeln, um so die Wucht des Aufpralls zu verdoppeln.
Am Abend waren wir übersät mit blauen Flecken.

 

 

 

 

 

 

 

Bild: Kloster Engelberg
Lizenz: alle Rechte vorbehalten

Hämoglobin

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Die Geschichte beginnt mit einem Blutstropfen auf einem blütenweißen Laken. Die kurvige Krankenschwester rügt den jungen Assistenzarzt für sein Missgeschick. Ihre Strenge lässt ihn angenehm erschauern und fortan sucht er bei der Arbeit ihre Nähe.
Eines Tages betreten beide gleichzeitig den Aufzug. Er möchte nach oben, sie ins Erdgeschoss fahren. Und während die Kabine nach unten sirrt, sagt sie spöttisch: Wann laden Sie mich denn nun endlich zum Essen ein, X.
Der Arzt leiht sich Geld und bringt eine Aktentasche voll kleiner Scheine zur Verabredung. Die beiden werden ein Paar.
Nach 10 Monaten wird das erste Kind, ein Mädchen, geboren, das Zweite folgt ein Jahr darauf und das Dritte, der Junge, vergisst im blendenden Licht der Welt für einen Augenblick zu atmen. Ein Zwischenfall, der später Ausgangspunkt einer alleserklärenden Lebensverweigerungstheorie des Jüngstgeborenen werden wird.

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Ich fahre mit der S-Bahn. Ein etwa vierzigjähriger Mann steigt ein. Er sieht verwahrlost aus, seine Kleidung ist schmutzig und die Körperhaltung schlaff.
Der Mann geht von Reisender zu Reisendem, streckt seine Hand aus und bittet um eine Spende. Das Leben habe es nicht gut mit ihm gemeint, sagt er. Arbeitslos, obdachlos, einsam und alkoholsüchtig sei er und Schuld daran habe allein seine Mutter.

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Zwei Mal in meinem Leben hat mein Vater mich geohrfeigt. Das eine Mal nachdem ich mich mit der Hollywoodschaukel überschlagen und mir den Kopf auf den Steinplatten blutig gestoßen hatte. Das andere Mal ergriff mich beim Skatspielen grund- und haltlos ein hysterischer Lachanfall, der kein Ende nahm, bis mein Vater mir ins Gesicht schlug und ich übergangslos vom Lachen ins Heulen wechselte. Ich war sieben und mein Vater 37 Jahre alt.
Ein Jahr später, an seinem 38. Geburtstag, fuhren er und ich mit dem Zug. Er paffte eine Zigarre, blies den Rauch aus dem Fenster und sagte, dass er nun alt, sein Leben versaut und inzwischen zu kurz sei um auch nur eine Langspielplatte auflegen zu können. Er weinte.
Auf unerklärliche Weise war ihm ganz unbemerkt und ohne sein Dazutun ein riesiges Stück Zeit abhanden gekommen und niemals würde er es wiederfinden. Um weiter mit uns Kindern zu den sonntäglichen Jazz-Matinées oder ins Kommunale Kino gehen zu können, wo wir uns als einzige Gäste die Marx Brothers Filme ansahen, hörte er auf zu forschen und die blutigen Präparate veschwanden aus unserem Kühlschrank.

 

 

 

 

 

Bild: flickr, Peter C.
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/

Mutter

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Wenn ich etwas Gutes über meine Mutter sagen sollte, dann wäre es dies:

sobald ich krank war, was selten vorkam, war sie zur Stelle und für mich da.
Lag ich fiebernd in meinem Bett unter der Dachschräge, bedeckte sie mich mit einem warmen Daunenduvet, das sie über und über mit ihrem edlen Lieblingsparfum besprüht hatte. Neben mir stapelte sie turmhoch Bücher und Comics, dazu Packungen flaumweicher Kleenextücher, wie sie sie sonst nur zum Abschminken benutzte, und die ich bis heute mit dem Abdruck ihres kleinen rosarot oder pink angemalten Mundes und den Flecken ihrer schwarzen Wimperntusche in Verbindung bringe.
Damit ich mich bemerkbar machen konnte, wenn ich zwischen zwei Schlafphasen wach wurde, stellte sie die kleine Messingglocke neben mein Bett, mit der sie uns, als wir noch klein waren, an Weihnachten zur Bescherung gerufen hatte. Sie reichte mir warme Waschlappen mit duftender Seife, mit denen ich mich reinigen konnte, schüttelte mein Bett auf, sorgte für Frischluft, brachte mir Tee und Apfelstückchen oder eine geschälte Orange, machte Wadenwickel, achtete darauf, dass ich meine Medikamente nahm und einmal, als das Fieber, trotz aller Maßnahmen, weiter und immer weiter stieg und mit ihm mein Blutdruck und ich schließlich starkes Nasenbluten bekam, welches sich nur durch eine Tamponade stillen ließ, legte meine Mutter eine Matratze in mein Zimmer und wachte die Nacht über neben meinem Bett. Das war einer der wenigen Momente in meinem Leben in denen ich mich rundum geborgen fühlte. So sehr, dass es mir gar nichts mehr ausmachte krank zu sein.
Doch trotz aller Anstrengungen und ihres Wissens als examinierte Krankenschwester, verschlechterte sich mein Zustand und mein Onkel, der Pfarrer, wurde gerufen. Der große Mann setzte sich auf meine Bettkante, legte seine schwere Hand auf meine heisse Stirn und sprach zu mir, die ich bereits phantasierte und eingehüllt war in purpurrote Nebelfelder, über das Leben, über Jesus und über den Tod. Hinter ihm nahm ich verschwommen meine Mutter wahr. Mit vor der Brust verschränkten Armen stand sie da, hielt sich an sich selbst fest und ich glaubte, sie weinen zu sehen. Da wusste ich, dass sie mich doch gerne hatte und schloss die Augen.
Bald darauf holte mich der Krankenwagen ab.

Nur ein einziges Mal noch in meinem Leben, habe ich mich ihr wieder so verbunden gefühlt, wie an diesem Tag. Das war kurz nach ihrem Tod.

Dieser Text entstand unter dem Eindruck dieses Textes von Andreas Glumm: Mutter

Bild: Luca Rossato, until the end, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

Friede den Hütten und andere Wünsche

(youtube-Direktlink)

 

 

Stucked in the middle of „Ar***f****hausen“

Leute, das waren anstrengende Tage, dabei ist es nur Internet.

Als ich den Text las, der die Welt erschütterte, blieb mir nicht nur die Spucke weg, ich bekam auch Herzklopfen. Wo bin ich hier bloß reingeraten.
Dann kam mein Metzgersgleichnis. Dann Annikas Stoppschild. Schließlich eine Entschuldigung und jetzt scheint alles wieder in Butter.
Erklärungen, Relativierungen, supi.

Pantoufle schreibt bei sich und bezugnehmend auf den ganzen Zirkus über die Umgangsformen, die man erwarten darf und darüber, wie verletzbar man sich macht, wenn man „befreundeten“ Bloggern Dinge über sich preis gibt oder überhaupt nur der Idee verfällt man könne im Internet ein Wohnzimmergefühl pflegen, wo Sitte, Moral und Anstand die gleiche Gültigkeit haben, wie im „richtigen Leben“. Bei charakterfesten Menschen mag man das erwarten dürfen,  aber selbst da bewegt man sich auf dünnem Eis, weil allein die Anonymität des Netzes Birnen durchbrennen und die Regeln und Gesetze des zivilisierten Zusammenlebens außer Kraft treten lässt.
Wer ins Internet schreibt, muss, wie das aktuelle Beispiel zeigt, damit rechnen, dass ihm seine eigenen Worte, sein Vertrauen und guter Glaube um die Ohren fliegen werden. Punkt.
Würde, Anstand, Klickzahlen- sind eine schlechte Kombination. Und raten Sie mal, welche der 3 Zutaten sich nicht mir den anderen verträgt und schon bei leichtem Köcheln anfängt auszuflocken.

Heute soll es hier deswegen endlich wieder mal um  die schönen Dinge des Lebens gehen. Um Kaffee und Kuchen, um Frieden und Freude, um´s Älterwerden und um Schnee.

Heute hätte David Bowie mit mir und Elvis zusammen Geburtstag gehabt. Doch leider soll das nicht sein. Heute ist mein allererstes Wiegenfest ohne Bowie. Elvis ist schon sehr viel länger nicht mehr dabei. Ab jetzt muss ich allein weitermachen. Immerhin liegt Schnee und die Welt ist hell und still und freundlich.

Die Schwester und der Schwager rufen von unterwegs an. Sie kommen von Erfurt und sind  auf dem Rückweg nach Frankfurt. Wir reden über Erfurt, über Land und Leute, auf eine Weise, wie Wessis das zu tun pflegen, wenn sie unter sich sind. Nach 28 jahren gibt es noch immer das Gefühl `hier Westen und dort Osten´, dabei gibt es den Westen ja auch längst nicht mehr.
Der Schwager, ein sehr generöser Mann und steinreich dazu (Villen, Eigentumswohnungen, Sie wissen schon)  fragt mich, was ich mir zum Geburtstag wünsche und mir fällt nix ein. Außer einem elektronischen Halsband für den Hund. Oder einer neuen Waage für den Hund. Oder einem neuen Schlafkorb für den Hund.

Weil es ja aber für mich sein soll und weil mir die Reise an die See zu unbescheiden erscheint, frage ich der Einfachheit halber meine Leserschaft: was soll ich mir bloß wünschen? Bedenken Sie bitte meine protestantische Erziehung: Unbescheidenheit sucks.

Weltfrieden als Wunsch gilt leider nicht, solange das nicht mal in Klein-Bloggersdorf gelingt.

 

 

 

 

 

 

 

 

I follow rivers

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(…)

1 Blick
in dein Auge würde mir sagen ob du müde
bist oder ob es noch weitergeht. Weinen
würden wir trotzdem oft, weil
der Abschied noch vor uns läge –

Friederike Mayröcker

 

 

Am Morgen ruft der Kanzler an. Ich sehe seine Nummer auf dem Display und weiß, daß das nichts Gutes bedeutet. Nicht um diese Uhrzeit. Mit klopfendem Herzen hebe ich ab.
Ganz ruhig redet er und mir laufen die Tränen, während er erzählt was geschehen ist, völlig unerwartet.
Ich kann gar nicht trauern, sagt er, nach einer Pause, so ist eben das Leben. Grausam.

Mich schüttelt es und ich denke: es steht mir gar nicht zu, so zu weinen, sie ist ihm viel näher als mir.

Heute Nacht habe ich sehr intensiv geträumt, sagt er dann unvermittelt. Ganz ungewöhnlich für mich. Ich träumte, dass ich fliegen kann. Nicht nur ein bißchen, sondern richtig. Zwischendurch dachte ich immer: das kann nicht sein, ich träume. Und dann war es doch so und ich flog 2000 und dann 3000 Meter hoch und immer höher.
Flieg du nicht auch noch davon, Papa, denke ich und sage es nicht.

Sie ist in dem gleichen Alter, wie unsere Mutter, als sie starb, dabei ist sie die Jüngste von uns fünfen.
Sie ist meine Lieblingstante,
sage ich.
Ja, ich weiß, antwortet der Kanzler, sie ist ein so sanfter Mensch.

Die Geräte sind abgeschaltet, wir warten auf den Tod.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Quelle Zitat: http://www.poetenladen.de/theo-breuer-friederike-mayroecker.htm
Bild:
陶德, flickr, 20100829-0090,
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

Hackepeter

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Mit `wenn´s der Teufel will´, bin ich aufgewachsen und früh lehrte man mich, dass alles am Ende immer anders kommt und zwar meistens schlimmer als erwartet. Das Unglück klebte meiner Familie an den Sohlen. Wo andere über Blumen gingen, spazierten wir über Scherben. Seelische.

Pass auf!  und gib s auf! im Wechsel, Kafka und Robert Walser als Lektüre, selbst auf der Toilette, wo der alte, verstaubte Lüster von der schachthohen Decke funzelte und dunkle Schlingpflanzen über die Tapete wucherten.

Wo sollte das hinführen.

Nun bin ich beinahe alt wie eine Kuh und immer noch auf dem Katastrophenpfad, dem ich treu zu bleiben scheine bis zum Sankt Nimmerleinstag. Erst der Hund und dann die Katze, ich fass es nicht, es reicht.

Immerhin ist mir ein Maulwurf zugelaufen, einer der leakt, nix politisches, eher so im privaten Sektor, und das ist zwar nicht unbedingt schön, aber doch informativ und dient der Datensammlung, der persönlichen. Eines Tages kommt das jüngste Gericht. Mich darauf zu freuen wäre freilich Irrsinn. Tu ich aber trotzdem.

Wie hübsch sie den Lauf der Dinge in Worte kleiden konnte, meine Mutter, (es geht den Menschen wie den Leut´) die an der Seite des immer depressiven Vaters, dessen Lebenszeit nicht ausreichte um auch nur eine Langspielplatte aufzulegen, geschweige denn sich zu freuen, kaum bestehen konnte, außer im kindlichen Regress. Da stützte die Lahme den Blinden und umgekehrt. Gemeinsam rissen sie sich zu Boden und das nicht nur bildlich gesprochen, sondern wahrhaftig geschehen, an einem pastellfarbenen Sommerabend im Hafen von Audierne, wo die beiden, nach einem Abendessen mit jeder Menge fruits de mer und vin de table, strack wie Matrosen, ausgelassen albernd, vor ihren Kindern herumtorkelten, die Mutter zusätzlich behindert durch mörderische Absätze, und schließlich, sich aneinander festkrallend, hinschlugen, gefällten Bäumen gleich. Eine Erinnerung, die ich mit der Schwester teile, und die wir uns, an einem schönen Sommerabend auf dem Balkon ihrer Wohnung, gegenseitig vorlasen aus den jeweiligen Tagebuchversionen der älteren und der jüngeren Tochter, einen guten Franzosen im Glas als Verstärker Tröster  Begleiter.
Eltern sollten nicht hinfallen. Nicht vor den Kindern. Was sie in ihrem privatesten Privatleben tun, ist allein ihre Sache, solange die Kleinen draußen bleiben. Modelllernen.

Ganz in schwarz gekleidet, waren sie, beide Eltern, jahrein, jahraus.
Der Vater mit Zügeln an seinem Rennrad, steppend auf den Bodenplatten im Bahnhof, Saxophon spielend auf den Stufen vor dem Haus. Die Mutter mit dem Habitus der Professionellen gehobener Preisklasse. Von 1,60 m auf 1,75 m in nur 2 Sekunden. Goldene Lider zu pinken Lippen und an den Ohren klimper klimper.
In unserer Nachbarschaft waren wir weltberühmt.

Man weiß das ja alles gar nicht, solange man klein ist. Man ahnt es nur, manchmal, man spürt es, an den Blicken und den Worten und dem Ungesagten. Dem Verschämten.

Papa, sind wir anders?
Alle sind anders. Schlaf gut.
Du auch.

 

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Ruft der Unterfranke an und sagt: Schon gehört? Aus Hackepeter wird Kacke später.
Und ich so: Oh Mann, du bist eklig.
Und er so: Was gibt’s Neues?
Und ich so:  500 Euro für `nen Kratzer an der Stoßstange. Aus Pechvogel wird Glückspilz später.

 

 

 

 

 

 

Bild: Rolf Dieter (Ruinero), cow in the woods, Flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/