Die Blätter des Bambus im Garten glänzen feucht, der Himmel ist frühlingshaft hell, aber bedeckt, die Spatzen zetern im Gestrüpp und die Elstern tschäckern heiser hoch oben im Ahorn, wo sie das Nest des Vorjahres bezogen haben. Ich freue mich auf einen Spaziergang im leichten Sprühregen und später dann, wenn die Schulterpasse der Jacke von Nässe durchtränkt ist und mir fröstelt, auf einen Cappuccino irgendwo am Stadtrand. Vielleicht sogar in Spandau, nach einem Gang durch den Forst.
Ich erinnere mich an ein schwarz-weiß Foto auf dem afrikanische Kinder zu sehen sind, ihre Münder wie Schalen geöffnet, um damit den herabfallenden Regen aufzufangen. Ihre Augen lachen vor Glück, die Arme sind dem Himmel entgegen gestreckt, die hellen Handflächen zeigen nach oben.
Meine nächste Erinnerung führt mich zurück ins Jahr 2006. Dem Jahr der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland, als selbst die Rückspiegel der Autos Stoffkondome in den Nationalfarben trugen und sogar von Kreuzberger Balkonen die schwarz-rot-goldene Fahne wehte. Damals fing das an.
Wer im Erdgeschoss seinem Nationalstolz frönte, musste damit rechnen, dass aus der Deutschlandfahne über Nacht die schwarz-rote Fahne der anarchistischen Arbeiterbewegung wurde. Trotz der Weltmeisterschaft war es ein schöner Sommer, das Wetter ab Anfang Juni wie aus dem Bilderbuch.
Kaiserwetter
An einem dieser langen Abende kam der Unterfranke mit einer Plastiktüte zu mir. Darin schwammen zwei kleine Shubunkin. Er hatte die Fische im Baumarkt gekauft, weil er sie schön fand. Nun wusste er nicht was er damit anfangen sollte und schenkte sie mir. Ich verweigerte die Annahme und bat ihn darum sie augenblicklich zurück zu bringen. Das sei nicht möglich, weil Tiere von Umtausch oder Rückgabe ausgeschlossen wären. Verärgert schüttete ich die silbrig-rot schillernden Goldfische, mit ihren zarten, transparenten Schleierschwänzen, in eine große Plexiglasschüssel und stellte sie auf den Küchentisch.
Nach kurzer Zeit schlichen die Katzen um die Schüssel herum und die Fische hingen, ihr Leben riskierend und nach Luft ringend, an der Wasseroberfläche.
Ich rief meinen Bruder an, der einige große Aquarien besitzt in denen besonders aggressive afrikanische Buntbarsche sich ständig gegenseitig zerfetzen, ihre Brut auffressen und für schlechte Stimmung beim Aquarianer sorgen.
Es folgte eine kopfschüttelnde Belehrung und die Frage, ob wir eigentlich schwachsinnig wären, was ich klar verneinen konnte. Die Fische bräuchten dringend mehr Sauerstoff. Ich müsse ein Aquarium, eine Pumpe, ein Thermometer, Sand oder Kies, sowie Pflanzen kaufen. Den Sand müsse ich solange waschen, bis das abfließende Wasser nicht mehr trübe sei, dann erst dürfe ich ihn ins Aquarium schütten, Pflanzen und Pumpe einsetzen, und den Fischen etwas zum Verstecken hinein stellen, eine Wurzel, oder eine Tasse.
Als erstes solle ich aber den Duschkopf halb in die Schüssel hängen, das Wasser sprudelnd hinein laufen lassen und so für ausreichende Sauerstoffzufuhr sorgen.
Eigentlich sei das Ganze aber sowieso eine Katastrophe, denn ein Aquarium müsse mindestens 5-6 Wochen vor Einzug der Bewohner „eingefahren“ werden, damit sich ein Milieu bilden könne, in dem es ihnen gut ginge.
Es war wirklich ein wunderbarer, sehr milder Frühsommerabend, ich hatte Freunde eingeladen, und es blieb keine Zeit mehr mich um den ganzen Kram zu kümmern. Ich bat also den Unterfranken, zurück in den Baumarkt zu fahren, alles zu besorgen und dann, so schnell wie möglich, wieder zurück zu kommen.
Um es kurz zu machen: wir verbrachten den Abend damit, zusammen mit unseren Gästen, etwa zwei Stunden lang den Kies zu waschen, bis wir schrumpelige und eiskalte Hände hatten.
Dann richteten wir das Aquarium ein und am Ende setzten wir uns zu Viert, jeder mit einem Jever in der Hand, vor den blubbernden, erleuchteten Kasten, in denen die verwirrten Fische versuchten gegen den Strom, den die Pumpe erzeugte, anzuschwimmen.
Wir aßen Pizza und starrten auf die beiden japanischen Schönheiten.
Ich taufte sie auf die Namen Lolek und Bolek.
Es war ein sehr heißer Sommer, und das Aquarium machte viel Arbeit.
Da der Unterfranke die Fische heimlich und mehrmals täglich fütterte, indem er Unmengen an Flocken oder lebenden Würmern hineinwarf, war der Boden des Aquariums ständig zugekotet, das Wasser wurde trübe und zudem war es so warm, dass ich fast täglich einen 50-prozentigen Austausch machen musste. Also Wasser ansaugen, in einen bereitgestellten Eimer laufen lassen und das Aquarium anschließend wieder auffüllen.
Um das trostlose Becken irgendwie zu gestalten, stellte ich ein dunkelgrundiges Ölbild mit einem skelettierten Pferdeschädel dahinter auf und gruppierte Plastikwaschbecken, -toilette und -badewanne aus einem 70er Jahre Barbie-Haus, zwischen den Pflanzen und der Tasse, in der die Fische schliefen.
Es blubberte Tag und Nacht in meiner Küche und Lolek und Bolek fraßen, tauchten ins Klo, das der Unterfranke mit Futter gefüllt hatte und gediehen, entgegen den Vorhersagen meines Bruders, sehr gut.
Die Katzen hatten sich nach kurzer Zeit an die neuen Mitbewohner gewöhnt,und hoben nicht einmal mehr eine Augenbraue, wenn ich den Deckel des Aquariums abnahm, um es zu reinigen.
Lolek und Bolek wuchsen schnell und schon bald hatten sie ihre Größe verdoppelt.
Nur ich konnte mich nicht daran gewöhnen zwei persönliche Gefangene in meiner Küche zu haben. Sie taten mir einfach leid, wie sie da in ihrem Glasknast herum schwammen und nichts zu entdecken hatten, als immer nur dieselbe, immer enger werdende Zelle, in der sie vegetieren mussten, bis sie eines Tages, Bauch oben, den Weg in die städtische Müllentsorgung oder in die Kanalisation finden würden.
Der Unterfranke wehrte ab. Ich sei sentimental. Es ginge den Fischen bestens. Sie wüchsen doch und fräßen mit gutem Appetit. Das allein zeige, wie glücklich sie wären.
Aber das stimmte nicht. Wenn draußen ein Sommerregen herunter prasselte, schwammen die beiden unter der Wasseroberfläche direkt an der Scheibe, die zum Fenster hin zeigte, und schauten hinaus. Sie warteten auf die Erfrischung, die nicht kam.
Nach 3 Monaten ertrug es nicht mehr. Ich redete solange auf den Unterfranken ein, bis er meinem Plan zustimmte.
Eines Abends packten wir die beiden in ein großes Vorratsglas und fuhren mit dem Auto zum Potsdamer Platz. Dort setzten uns mit ihnen ans Ufer des großen Beckens, das mit einem langgezogenen Wasserkreislauf, rund um den Marlene-Dietrich-Platz verbunden ist. Das Wasser war kristallklar, an den Ufern zum Tiergartentunnel wuchs Schilf und am Boden des Beckens schwammen stattliche Goldfische.
Die Überwachungskameras im Rücken setzten wir uns bei einsetzendem Regen an den Beckenrand und schraubten das Glas auf. Ich zündete mir eine Zigarette an. Dann stellte der Unterfranke das Glas an einer seichten Stelle im Wasser ab und kippte es zur Seite. Augenblicklich flutete algenfrische Freiheit den Behälter und Lolek und Bolek fanden sich mit zwei schnellen Flossenschlägen in einem neuen Leben wieder. Einen kurzen Moment blieben sie unschlüssig im Wasser stehen, dann schwammen sie davon.
Der Regen war inzwischen stärker geworden und schlug Blasen auf der Wasseroberfläche. In der Entfernung grollte es leicht. Ein Gewitter zog heran.
Der Gedanke, dass die beiden nun die einschlagenden Tropfen mit dem Maul auffangen konnten, machte mich glücklich.
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