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Erst in der Nacht zum 24. wurde mir bewusst, dass Weihnachten ist. Seit ich allein bin, bin ich wieder allein an diesen Tagen. Ob ich Körperkontakt vermisse, fragt die Filmemacherin. Nein, gar nicht. Ich brauche nur das, was verfügbar ist. Eine bewährte Strategie.

Am Morgen träume ich von irgendetwas Ekelhaftem, das ich versehentlich in den Mund genommen habe. Ich drehe den Kopf zur Seite und spucke aus. Als ich erwache ist meine Schulter nass.

Auf tiktok berichtet ein Anwalt von dem Fall eines Mannes, dessen unbeaufsichtigter Adventskranz Feuer fing, und der für den entstandenen Schaden die Hausratversicherung in Anspruch nehmen wollte. Er gab an, nach dem Entzünden der Kerzen kurz ins Schlafzimmer gegangen zu sein, wo er auf seine Lebensgefährtin traf, deren verführerischem Locken er ganz selbstvergessen nachgeben musste. Das Gericht anerkannte die Unwiderstehlichkeit der körperlichen Reize und verurteilte die Versicherung zur Regulierung des Schadens.

Und außerdem: Welpi lahmt. Die Schrauben und Platten in den Beinen müssen wahrscheinlich doch raus. Im neuen Jahr sollen aber erstmal Tölchens Zähne saniert werden, um die Nieren und das brave Herz nicht weiter zu belasten. Sie ist in einer guten Phase und ich hoffe, dass sie die Narkose unbeschadet überstehen wird.

Irgendwann demnächst hat dann auch Elvis Geburtstag und der Einzug von Woki in unsere Mensch/ Tier-WG jährt sich. Ein Grund zum Feiern.

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Die Tischlerin pendelt zwischen Jobs, Familie und schwerkranker Mutter durch´s Land. Als wir uns nach Monaten wiedersehen, scheint ihr Gesicht merkwürdig aufgeräumt und klar, beinahe wie nach einer Vollbartrasur. Nach minutenlanger Zweisamkeit in der gut geheizten Küche weiß ich plötzlich was hier nicht stimmt: Maske! Maske!, rufe ich erschrocken (und entgegen meiner Gewohnheit nur zwei statt drei Mal- siehe → Kasse, Kasse Kasse!). Sie reisst die Augen auf, legt beide Hände über Mund und Nase und stöhnt: Ogott!

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Die Zimmerin ruft an. Sie hat am Wochenende mit vier Freundinnen maskenlos und ungelüftet gesungen. Drei der fünf Anwesenden weisen Symptome auf, eine vierte wurde PCR-positiv getestet. Den Bau des Hochbetts müssen wir verschieben bis ihr Ergebnis vorliegt Hoffentlich geht es für alle gut aus.

Goldhelm hat es auch erwischt. Seit 10 Tagen liegt sie mit hohem Fieber und Muskelschmerzen flach.
PCR negativ. Trotzdem möchte der Hausarzt sie nicht in seiner Praxis empfangen. Telemedizin muss reichen.

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Zu meiner Überraschung erreicht mich nach vielen Monaten des totalen Kontaktabbruches seitens des Kanzlers ein von ihm mit Schreibmaschine (!) geschriebener Brief. Darin zitiert er aus einem Gedicht und freut sich über die elegante und romantische Formulierung, die im Deutschen soviel nüchterner ausfiele. Wieder gefunden hatte der Kanzler das Gedicht in einem Buch von Wordsworth, in dem ein junger Autoschlosser, ergriffen vom Anblick des Vollmondes über dunklem Wald, die ersten vier Zeilen daraus zitiert, was seine zarte und hinfällige Begleiterin in prustendes Lachen ausbrechen und lange nicht mehr aufhören lässt.

Sicher wunderte ich mich, weshalb er ausgerechnet mir dies schriebe, resümiert der Kanzler am Ende seines Briefes und fügt sogleich eine Erklärung hinzu: Weil Du die einzige Schriftstellerin bist, die ich kenne.
Dann fordert er mich auf, ihm meine Kontonummer zu schicken.

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Frohe Weihnachten allerseits!

She was a Phantom of delight
When first she gleamed upon my sight;
A lovely Apparition, sent
To be a moment’s ornament;
Her eyes as stars of Twilight fair;
Like Twilight’s, too, her dusky hair;
But all things else about her drawn
From May-time and the cheerful Dawn;
A dancing Shape, an Image gay,
To haunt, to startle, and way-lay.
I saw her upon nearer view,
A Spirit, yet a Woman too!
Her household motions light and free,
And steps of virgin-liberty;
A countenance in which did meet
Sweet records, promises as sweet;
A Creature not too bright or good
For human nature’s daily food;
For transient sorrows, simple wiles,
Praise, blame, love, kisses, tears, and smiles.
And now I see with eye serene
The very pulse of the machine;
A Being breathing thoughtful breath,
A Traveller between life and death;
The reason firm, the temperate will,
Endurance, foresight, strength, and skill;
A perfect Woman, nobly planned,
To warn, to comfort, and command;
And yet a Spirit still, and bright
With something of angelic light.

Dornröschen

Die Tage sind kurz und trübe. Nachts staut meine Körperwärme sich unter der dicken Maisfaserdecke. Mit feuchter Stirn erwache ich (just in der Minute des vollsten Mondes) und greife nach meinem Tablet.
Impfgegner krakeelen mich zurück in den Schlaf. Beim Wegdämmern höre ich die Schiebetüren des Kokstaxis vor dem Haus.


Die Großmutter der K. beendete weihnachtlichen Neidstreit unter den Enkelinnen mit den Worten: Gerecht ist, wenn jede Jede bekommt, was ich ihr zugedacht habe.

Ich denke oft an meine Mutter in diesen Tagen, und ich vermisse den Kanzler, bzw. die Person, die einmal mein Vater war.
Ab und an telefoniere ich mit dem Bekannten, dem es ganz langsam etwas besser geht, der aber noch erschöpfter und oft verzagter ist, als die meisten nach zwei Jahren Pandemie.

Der Unterfranke schickt mir einen Youtube-Link, dem ich folge und der mich zum Heulen bringt.

Nachmittags mache ich lange Spaziergänge mit Welpi. Sie klebt an meinen Fersen, so sehr gruselt ihr vor der Dämmerung, den Silhouetten zwischen den Bäumen und den körperlosen Stimmen in der Ferne. Nieselregen sprüht uns ins Gesicht, mich friert, ich setze die Kapuze auf.


Zuhause warten das Tölchen und der Besuchshund auf ihre Runden. Eine nach der anderen führe ich um den Block oder über den Platz, jede nach ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten.
Es ist Fütterungszeit, als ich mit der letzten zurückkehre, und auch die Tigerin braucht ihre Dosis Budesonid am Abend. Nachdem alle versorgt und die Schnäuzchen abgewischt sind, werfe ich mir eine Portion Chili in die Mikrowelle und gieße Tee auf (Almkräuter). Während des Essens lese ich Zeitung, bin auf Twitter (Empörung, Empörung!) oder tik tok, schreibe Mails oder besuche die vielen offenen Tabs und Warenkörbe auf meinem altersschwachen Rechner. Die Vorstellung, die schiere Möglichkeit, all diese Dinge zu besitzen, bedrückt mich. Stück für Stück lösche ich mich in die Freiheit der Bedürfnislosigkeit zurück, bis wieder alle Körbe leer sind.

Mein Befund ist unauffällig. Auf Wunsch kann ich mir einen Recorder einpflanzen lassen, der vielleicht doch noch was findet. Denselben Vorschlag hatte mir kurz nach Fukushima ein Kardiologe mit Muschelkettchen und Brustbehaarung im Polohemd gemacht. Der Arzt war überzeugt, dass mein Puls (260 Schläge die Minute) auf meine Psyche zurück zu führen sei. Er sollte Unrecht behalten.
Das grassierende Noro-Virus auf Station behandelte er übrigens mit vorbeugender Freiheitsberaubung aller Stationsinsassinnen.
Sein optischer Zwilling unterrichtete mich einige Jahre zuvor an der Uni und bekam regelmäßig Wutanfälle, als eine später in Griechenland tödlich verunglückende Kommilitonin von „Israeliten“ sprach, wenn sie Israelis meinte. Ich steckte derweil meine Storchenbeine unter den Tisch und blickte auf die Altneubauten gegenüber, wo ein betagtes Paar mit der Instandhaltung und Pflege seiner Balkonbepflanzung beschäftigt war.
Nach dem Seminar gingen alle ins Café. Ich fuhr zurück nach Neukölln, wo mich das kleine schwarze Getüm schon im Flur erwartete.

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Der Bekannte ist ein Kolibri unter Tauben. Woher diese Verwandlung rührt, ist unklar.
Kein Kortison, keine Antibiose, weiterhin beherztes Zuwarten. An seiner Stelle wäre ich längst.


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Seit Omicron auf der Weltenbühne erschienen ist, habe ich mich in tik tok gestürzt und kitzle mein strapaziertes Gemüt mit allerlei Tierfilmchen, Parcours-Videos und Shuffle dance. Meine Stimmung liegt irgendwo zwischen Euphorie und Resignation. Zwei Jahre Pandemie und dann noch Lindner und Buschmann. Wer soll das ertragen.