Bis der Notar kommt

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Die Dame vom ärztlichen Bereitschaftsdienst warnt mich am Telefon, dass es Stunden dauern wird, bis jemand vorbei kommt. Macht ja nix. Ich liege sowieso nur im Bett herum, telefoniere ein bisschen, höre Wir Kinder vom Bahnhof Zoo, döse dabei ein und trinke ab und zu einen Schluck Kaffee.

Nach nur 4 ½ Stunden spaziert der Arzt, ein schlanker Mann in den besten Jahren mit Lederjacke, Fönfrisur und Lesebrille auf der Nase, in meine Wohnung und fragt mit strenger Stimme, wieso ich ihn gerufen habe.
Ich bin seit einer Woche krank und…, sage ich, da unterbricht er mich und beginnt in meinem Schlafzimmer auf und ab zu gehen. Das habe er nicht wissen wollen, behauptet er. Seine Frage sei doch wohl klar und verständlich gewesen: Fangen wir von vorne an, was hat Sie veranlasst mich zu rufen?

So einer, denke ich, packe im Geiste schonmal die Kotztüte aus, und versuche es anders.
Ich habe Sie gerufen, weil mein Herz schmerzt und der linke Oberarm wehtut, als trüge ich eine Blutdruckmanschette, außerdem ist mir schwind…
Das ärgert den Medizinalrat noch mehr. Er unterbricht seine Wanderung durch mein Schlafgemach für einen Moment, schaut mich über den Rand seiner Designerbrille hinweg an und sagt mit übertrieben deutlicher Aussprache, auf dass auch der letzte Student in der hintersten Reihe und mit der mindersten Begabung es verstünde: Die Diagnose überlassen Sie bitte mir. Wenn Sie schon alles wissen, hätten Sie mich nicht rufen müssen. Dann verschwenden Sie nur meine Zeit.

Du dumme Wurst, denke ich, was hatte meine Beschreibung bitteschön mit einer Diagnose gemein? Doch statt mich mit dem Mann zu streiten, oder mich ihm mit der Demutsgeste der unwissenden Patientin zu unterwerfen, klaube ich die unverfänglichsten Vobabeln zusammen, die ich auf die Schnelle finden kann, deute auf meinen schmerzenden Brustkorb und sage: Ich hab hier böses Aua. Da, wo ich das Herz vermute, tut es mir weh.

An Ihnen ist wirklich eine Medizinerin verloren gegangen, höhnt der Kerl jetzt und blickt ins nicht anwesende Publikum, Sie wissen doch überhaupt nicht, wo das Herz ist.

Glaub schon, dass ich das weiß, entgegne ich keck und ziehe alsdann den Blitztrumpf. Ich wurde mal reanimiert. Und hinterher hatte ich einen Katheter im Herz, der dort herumschmurgelte. Das ziepte ungefähr da, wo es jetzt drückt.

Einen Moment ist Ruhe. Der Geck bleibt stehen und schaut sich in meinem Bücherregal um.
Thomas Mann, Frisch, Kafka. Gute Literatur haben Sie da.

Standard, du Schmalspurangeber, denke ich, werte dann aber seinen Kommentar als Friedensangebot und lächle einlenkend.

Ich tippe auf Akutes Koronarsyndrom, sagt er plötzlich, geht zu seiner Tasche und legt mir eine Blutdruckmanschette um. Anschließend zieht er ein kleines Pumpspray hervor, sprüht es unter meine Zunge und  legt mir einen venösen Zugang.
Wir rufen jetzt einen Rettungswagen, Sie müssen sofort in die Klinik, sagt er unerwartet.

Mir geht es aber plötzlich viel besser, sage ich.

Ein Grund mehr, antwortet er, das bestätigt meine Arbeitshypothese.

Ich würde gerne schnell noch jemanden wegen des Hundes anrufen, sie hat einen Hirntumor und braucht ein Medikament, sage ich.
Vergessen sie den Hund, schnauzt der Arzt, der endlich wieder in seine alte Form zurückgefunden hat, der hat sowieso keine Chance mehr.

Der Rettungswagen kommt und fährt mich mit Blaulicht ins Urban-Krankenhaus.
Auf der Weste des Mannes, der während der Fahrt neben mir sitzt steht NOTARZT. So ähnlich wie Notar, denke ich. Wenn der Eine einen Fehler macht, kommt der Andere zum Zug.

In der Klinik wird es dann alles in allem recht erfreulich.
Kalium heisst der Schuldige. Zuwenig davon ist schlecht, erklärt mir der überaus attraktive Krankenpfleger, der neben mir herum tanzt wie John Travolta in Saturday Night Fever und dabei stets ein Auge auf meine Infusion hat.

Am Morgen erwache ich geheilt.

 

 

 

Nachtrag: kein Tier ist während meiner Abwesenheit zu Schaden gekommen. Der Chinesin sei Dank!

 

 

 

 

 

 

Bild: Kaspar Metz, Urbankrankenhaus, Kreuzberg, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/

Hunger

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Du warst wie ein Altar, der Tag und Nacht brannte

Einfach mal was Schönes hintuschen. Zum Beispiel einen Raben. Jakob!

Die Rothaarige und ich haben Erdnüsse gkauft, mit Schale. Wir legen sie auf den Sicherungskasten am Straßenrand. Auf dem Leuchtschild über dem Zebrasreifen sitzt eine Krähe und beobachtet uns, den Kopf auf und ab wippend, dabei. Räh räh, ruft sie und schlägt mit den Flügeln. Erst als wir ein paar Schritte zurückgetreten sind, landet sie auf dem Kasten, hüpft seitlich heran, schnappt sich eine Nuss und fliegt damit auf den nächsten Baum. Räh räh.

//

Träum was Lustiges, schreibe ich dir zur Nacht und hoffe, dass du lächeln wirst darüber. Lustig und du sind nicht gerade zwei paar Schuh, doch ebensowenig seid ihr eng verwandt miteinander.

Ich liebte dein Jungengesicht, wenn es sich freute und deine Züge für eine Sekunde den Ernst abstreiften, der dir eigen ist.

//

Der andere Ort liegt verwaist. Still. Wie du neben mir, damals, als wir noch Versprechen und heilig waren. Verkündung deine eben verklungenen Worte, aufsteigend in die silbrigflimmernde Dunkelheit, wo ich ihnen nachsann und sie Welten in mir errichteten, Räume voller Liebe.
Du warst mir wertvoll, und ich dir.

Ich weiß, wann es aufgehört hat. Ich erinnere mich an den Tag, den Moment, den Ort. Deinen Blick, in dem ich mich und uns nicht mehr fand. Die ausbleibende Berührung.
Schräg stand die Sonne, die Kiefern warfen lange Schatten. Eine Hummel, die erste in diesem Jahr, propellerte träge durch die Luft.
In dieser Stunde ist ein Teil von uns fortgegangen.

Das Hässliche war in unsere Welt getreten. Das Rachsüchtige, das blind zuschlägt und weder Vergebung noch Versöhnung kennt. Das Verächtliche, der Vorwurf und die Enttäuschung darüber, dass wir uns nicht sein konnten, was wir uns versprochen und hatten sein wollen.

Auch an den Moment, als das zweite Band zerriss, erinnere ich mich. An die Hitze, die in der Stadt stand und die unsere blanken Nerven versengte. Der bleierne Nachmittag mit dem schwerkranken Hund und wir standen unter dem Vordach der alten Tankstelle, neben uns hohe Zinkeimer voll prächtiger Blumen. Strelitzien, Phlox, Löwenmäulchen und Disteln. Die Verkäuferin goss Wasser auf den fleckigen Betonboden, um ein wenig Abkühlung zu schaffen, für ihre empfindliche Ware. Mit leeren Gesichtern standen wir, um uns toste der Verkehr, der Staub der Straße vermischte sich mit der Süße der Blumen und legte sich wie Teer auf unsere Lungen. Mein Brustkorb war schwer von ungesprochenen Worten. Kein Echo war da, nur Wunde und Sehnsucht.

Du schaust mich nicht an, doch dein Kiefer mahlt, so wütend bist du, oder so überdrüssig. Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht. Ich kann dich nicht lesen, und du sagst es nicht, wie du selten etwas sagst, weil ich subtiler sein und zwischen den Zeilen lesen soll, wo Ja auch Nein heißen kann oder Nein Ja. Soviel Intelligenz traust du mir zu, so dumm bist du nicht, sagst du, doch es klingt ganz anders. Ich verstehe keine Ironie, antworte ich. Resigniert schüttelst du den Kopf.
Erst wenn es zuviel ist, nicht wenn es  dir reicht, sprichst du, und dann bleibt nur weniges heil dabei.
Ich mache zuviele Worte darum, sagst du, zwei verschiedene Menschen, die wir sind, will ich immerzu reden und wissen und verstehen, am besten begreifen, während du nicht daran glaubst, dass sich durch Worte etwas erklären oder gar verstehen ließe.
Falsch, sagst du, als ich spreche. Falsch!

Wie kann es falsch sein, wenn ich es so fühle, wenn ich es für richtig halte und es nach außen drängt. Sagen muss ich es und fragen, weil ich es nicht verstehe und weil ich das steinerne Schweigen nicht ertrage. Das Unaussprechliche, das Tabu.
Und dann nehme ich allen Mut zusammen, weil nichts mehr klingt, noch zu retten ist in unserer Welt, solange die Frage nicht beantwortet oder wenigstens gestellt ist. Nichts ist mehr zu verlieren zwischen uns, so glaube ich, und ich schaue dich an, fasse mir ein Herz, sehe deinen Unwillen, deine strengen Augenbrauen, und setze an. Mit zitternden Lippen und zitternder Stimme bündele ich meine Worte, bringe sie in die richtige Reihenfolge, versuche ihnen einen guten Ton zu geben. Ein wenig Sachlicheit, da, wo ich vor Aufregung schlottere, Unbefangenheit, wo Beklommenheit und schwülfeuchte Angst walten. Und ich hole noch einmal tief Luft und schaue in deine Augen, die versteinert meinen Blick zurückwerfen, um zu verhindern, was nicht mehr zu stoppen und schon längst ins Rollen gekommen ist, die Frage, die du nicht hören und noch weniger beantworten möchtest, die ich schon so oft, stets verpackt in andere Fragen, gestellt habe, und dir so die Möglichkeit ließ dich ihr zu entwinden. Doch heute schlage ich allen Putz und jede Verblendung herunter von ihr und frage dich ganz direkt und unmissverständlich, mitten in dein unbewegtes Gesicht hinein:
Wieso vertraust du mir nicht. Warum darf ich nichts wissen über dein Leben in dieser anderen Stadt, mit diesen unbekannten Menschen. Wieso darf ich nicht teilhaben daran, nach all der Zeit, in der du Teil meiner Welt geworden bist.  Wieso ist zwischen uns nicht möglich, was selbstverständlich ist. Wieso sagst du mir nicht  wo du wohnst.
So frage ich und fürchte mich dabei vor deiner Antwort, die nicht lange auf sich warten lässt, viel kürzer, als ich gedacht hatte, und die du mir entgegenspuckst mit einer Feindseligkeit, die ich mir nicht hätte vorstellen können, und deren Ausmaß mich erschreckt, weil es größer ist, als alles, was ich mir hätte ausmalen können.

Zwei Menschen sind wir. Jeder für sich.

Ich habe keinen Grund dir zu vertrauen, sagst du, und ich glaube Verachtung in deinem Blick zu sehen und Zorn.
Wie schwere Metallplatten schlagen deine Worte über mir zusammen und ein Pfropf schiebt sich auf meine Ohren. Zurück tritt die Welt, entfernt sich, auch du und deine Lippen, die sich immer noch bewegen und schreckliche Sachen sagen, verschwimmen vor mir. Das Tosen kommt jetzt von innen, das gewaltige Glockengeläut in meinem Kopf, das lauter und immer lauter wird und wummert, dass mein ganzer Körper darunter vibriert und die Knochen es wieder und wieder zurückwerfen in mich selbst, wo es hallt und kreist und dröhnt und nicht heraus findet, bis auf einmal, mit einer großen Wucht, etwas einstürzt, zusammenfällt, und der Boden darunter erbebt, und ich  nicht unterscheiden kann, ob es innen oder außen war, wie auch Hunger und Durst mir schon immer dasselbe sind.

In deinem Gesicht, das nun nicht mehr spricht, sehe ich, dass es dir ernst ist mit deinen Worten. Du meinst, was du sagst. Und ehe ich mich umdrehe, den kranken Hund auf dem Arm, sage ich: Ich kann das nicht mehr, und es ist keine Drohung, die ich da ausspreche, sondern eine Einsicht. Ewas, was ich in diesem Moment begriffen habe. Etwas, was in nur einer Sekunde alles verändert hat.

Da drehst auch du dich um und gehst, mit deinen schweren Schuhen und den vielen Büchern auf deinem Rücken, davon.

Am Abend sitzen wir schweigend bei Tisch.

Musik: Aretha Franklin, Ain´t no way

(youtube-Direktlink)

Bild:  Ante la arana, cortometraje de Marc Nadal, flickr
Lizenz:
https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

Serienmörder

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Der Unterfranke fragt, ob der Bruder, der seine feudale und saugünstige Wohnung mitten in Kreuzberg aufgibt und Anfang des Jahres Brandenburg zieht, um dort mutterseelenallein und fernab dessen, was man gemeinhin Zivilisation zu nennen pflegt, zu hausen, ob also der Bruder eventuell plane Serienmörder zu werden.

Keine Ahnung, sage ich, vielleicht züchtet er auch Katzen oder Schäferhunde oder wird Reichsbürger. Wat weeß icke. Oder er wird selbst Opfer eines Serienmörders und niemand wird dort, in der Einöde, seine Schreie hören.

Also wird er nicht Serienmörder, sondern Serienopfer, schlussfolgert der Unterfranke.

Naja, ne. Opfer eines Serienmörders wird man nur genau ein Mal, sage ich und lache.

Wieso denn?

Na, weil man dann tot ist. Es gibt keine Serienopfer.

Doch, die gibt’s.

Aha, und was sind Serienopfer?

Das sind Opfer in Serien.

 

 

Der Weihnachstabend war sehr kurz aber schöner als erwartet. Die Kekse schmeckten vorzüglich und das Chili war auch nicht schlecht.
Beim Einschlafen hörte ich Wir Kinder vom Bahnhof Zoo.

Guck mal, was ich kann

Während meiner Anfangszeit in der Blogwelt besuchte ich regelmäßig die Seite einer Frau, die, neben ihrem komplizierten Liebesleben, auch Einblick in ihre diversen Hautreaktionen auf unterschiedlichste Umwelteinflüsse gewährte. Mit Fotos. Irgendwann hörte sie auf damit. Das ist schade, denn ich las dort gerne, gleichwohl die Beziehungen, die sie zu Männern unterhielt, geprägt zu sein schienen von lustvoller körperlicher Gewalt, wie die blauroten Striemen auf ihren Oberschenkelinnenseiten nahelegten. Freundin B., die ein großes Interesse an kosmetisch-chirurgischen Eingriffen hat und Abonnentin mehrerer youtube-Kanäle mit diesem Thema ist, sowie Hautarztblogs liest, hätte ihre Freude daran gehabt. Denn jede dermatologische Varianz des Alltäglichen ist ihr ein Fest (Fest/ Weihnachten → Kurve gekriegt). Der B. zum Gefallen und weil mein Kopf viel zu müde ist für eine richtige Weihnachtsgeschichte, spendiere ich hier der Leserschaft das wohl privateste Foto, das es je auf meinem Blog gab:

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tikerscherks Reaktion auf Kälte

Kotzen war gestern

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Die Bildhauerin sagt man solle auf alles, was einem Angst macht, Augen kleben.
Zum Beispiel auf Spritzen oder Tablettenpackungen.
Die Crux: es ist vor allem das Nicht-Gegenständliche, was mir Beklemmungen macht.
Trotzdem plane ich, heute zu Pfennigland  zu gehen, dort eine Packung Kulleraugen zu erwerben, und damit das Telefon zu entschärfen. *

//

Die Tage werden wieder länger und die Ärzte denken über eine Immuntherapie nach. Zumindest reden sie darüber, wie sie schon vor einem halben Jahr darüber gesprochen haben, um es dann zu verwerfen.

Jeder Weg,  Hoffnung zu geben, erscheint mir erst einmal richtig. Vielleicht trägt allein die Zuversicht ein paar Meter weiter, als die Seele es ohne diese schaffen würde. Doch es bleibt kaum mehr Zeit.

Das Kind weiß nicht, was passieren wird, sagt der Kanzler.
Es wird noch früh genug merken, dass die Mutter gestorben ist. Dann kann man es ihm erklären.
Eine Einschätzung, die ich nicht teile. Selbst die Grundschullehrerin, die den Kleinen erst seit dem Spätsommer kennt, sieht seine Trauer.

Das Kind trägt eine Atlaslast. Jeder weiß das. Doch wenn ein Kegel umfällt, stürzen alle.

//

Zwei Tage nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt, rufe ich die Schwester wegen eines medizinischen Rates an. „Gut, dass Dir nichts passiert ist!“ sagt sie zur Begrüßung und atmet hörbar auf. Und ich denke etwas, was ich sonst nie denke und immer schon doof fand, wenn jemand das dachte oder sogar hinschrieb. Ich denke nämlich: Halloooo?

Auch der Vater hat nicht angerufen, um sich zu vergewissern, dass mit mir alles in Ordnung ist. (Danke, Papilein, alles Bestens. Lieb, dass Du fragst!)
Zugegeben: jeder weiß, dass ich niemals auf Weihnachtsmärkte gehen würde, weil a) Weihnachten b) Menschenmassen und c) Besuffskis mit blinkenden Hörnern auf dem Kopp. Trotzdem: wenn man eine Schwester oder Tochter in Berlin hat, soll man sie bitteschön anrufen und fragen, wie es ihr geht, nachdem das eingetreten ist, was alle erwartet haben und was manche jetzt mit riesigen Lettern kommentieren, während andere es wegsingen und die ganz Schlimmen die Katastrophe für Propaganda, a.k.a. Hetze, nutzen. Durch Nachfragen fühlt sie sich nämlich geliebt und geborgen, die Tochter/ Schwester.

Heute Morgen, und das finde ich schon wieder sehr süß, erreicht mich die sms der fränkischen Freundin. Sie schreibt, dass sie an mich denkt und erst mit zweitägiger Verspätung von dem Anschlag erfahren hat, weil sie Funk & Fernsehen & Netz, aus Gründen der Erschöpfung und der Seelenhygiene, weitestmöglich verbannt hat.
Die kluge I. Ich beneide sie beinahe um die friedliche Blase, die sie sich so geschaffen hat.
Totale Uninformiertheit, wenigstens für eine Weile, das wünsche ich mir auch manchmal.

Es wird Zeit wieder auf´s Land zu reisen. Kühe gucken und der Sonne zuschauen, wenn sie sich am Abend hinter der Weide schlafen legt.
Ein schönes Haus habe ich entdeckt, direkt an der See. Im März und April gibt es dort noch Vakanzen und Hunde sind sehr willkommen.
Frühjahr, das scheint endlos lange hin, doch die Zeit fliegt und ein Lichtblick ist mir allein der Gedanke, das Grau der Stadt gegen das Graubraun des Landes einzutauschen.

//

Erstmal aber die Behandlung der Katze erfolgreich zu Ende bringen. Der Tierarzt hat nach monatelangem Erbrechen Cortison verordnet, zwei Mal täglich, 6 Wochen lang. Die Eingabe funktioniert leider nur unter Anwendung roher Gewalt. Zum Glück scheint die Tigerin es mir nicht zu verübeln und wartet in gewohnter Manier vor dem Bad auf mich, um sich, sobald ich tropfnass und kreislaufschwach aus der dampfigen Dusche komme, nach meinem Befinden zu erkundigen. (Danke, Katzilein, alles Bestens. Lieb, dass Du fragst! ).
Das Schöne: die Behandlung schlägt an. Seit zwei Tagen frisst sie wieder mit gutem Appetit und kotzen war gestern.

Auch das herzallerliebste Lieblingstölchen ist trotz seines Tumors derzeit quietschvergnügt. Ihre weitestgehende Symptomfreiheit tut mir mindestens so gut wie ihr, und so nehme ich auch gerne die dreckigspeckigen Hände in Kauf, die ich mir mit jeder größeren Streichelei einhandele. Was soll´s, denke ich, gewaschen zu werden stresst sie eben und Stress ist Gift für ihre Gesundheit und damit auch für meine.

Pace.

 

 

 

* Epilog: support your locals, dachte ich mir nach Beendigung dieses Textes und telefonierte, statt zu Pfennigland zu fahren, so lange herum, bis ich einen Laden im Kiez ausfindig gemacht hatte, der selbstklebende Kulleraugen führt. Gleich zehn Stück (à 15 Cent) erwarb ich später vor Ort.
Zuhause angekommen, will ich sogleich loslegen und mein Telefon bekleben. Doch alle Versuche die Folie von der Rückseite eines Auges zu knibbeln bleiben erfolglos. Nachdem ich kurz überlegt habe, ob das wohl peinlich ist, fasse ich mir ein Herz, rufe den Augenhändler an und frage ihn, ob ich möglicherweise zu ungeschickt für derlei Tätigkeiten bin, oder ob die Kulleraugen am Ende etwa überhaupt gar nicht selbstklebend sind.
„Letzteres“ sagt der Mann (der mir die Dinger nur 15 Minuten vorher als selbstklebend verkauft hat)  und schlägt seelenruhig vor, sie einfach mit Teppichklebeband zu befestigen.
„Einfach ist gut!“ jammere ich, „die kleinsten Augen haben  einen Durchmesser von nur zwei Milimetern!“
„Das wird schwer“, bestätigt der Mann nun tonlos und ich schaffe es gerade noch ihn nicht über meine große Enttäuschung und das Elend, in einer derart betrügerischen Welt leben zu müssen, in Kenntnis zu setzen. Stattdessen bedanke ich mich und wünsche ihm einen schönen Tag.

 

Galapagos

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Ich bin indisponiert. Seelisch. Mir geht es nicht gut, um nicht zu sagen: mir geht es nicht gut. Alles ist mir fremd und das meiste zuviel. Nicht, weil ich besonders empfindlich wäre, sondern weil es einfach zuviel ist. Viel zuviel und das beständig. Kummercanyons.
Manchmal denke ich: Jedem da draußen in der großen weiten Welt wäre das zuviel; und um mich herum sagt schon kaum jemand mehr etwas anderes als: das hört wohl nie auf bei dir.

(Wer hier bereits länger mitliest, kann an dieser Stelle getrost zu lesen aufhören und gleich zur letzten Zeile springen.
Was davor steht ist hinreichend bekannt und lässt sich subsummieren unter:  Katastrophenchronik & saisonale Verstimmung & lästige Larmoyanz).

 

Tut es nicht (aufhören), niemals. Darauf ist Verlass.
Schon als Kind besaß ich analytische, wie auch seherische Fähigkeiten und malte beinahe täglich einen schwarzen Berg mit einem schwarzen Wimpel darauf, schwarze Wolken drüber.

Zugegeben, es ist Winter und die Tage sind kurz. Dazu dieses nahende Weihnachten und die wiederkehrende Frage, was ich eigentlich am Fest der Liebe zu tun gedenke.

Ich gedenke in die Kirche zu gehen, irgendwo in Mitte (schöner wäre Berkersheim), und mir die Seele aus dem Hals zu berserkern singen. Bei gnadenbringend wird sich meine Stimme hysterisch überschlagen und die bunt geschmückten Mütter werden in die Hocke gehen und ihre Kinder schützend in den Arm nehmen. Einen Rollkragenpullover aus Schurwolle werde ich tragen, einen der am Hals juckt. Zur Selbstkasteiung und zur Feier des Tages.

Nach der Kirche schlurfe ich dann mit hängendem Kopf nach Hause (overacting) um mich im Kreise derer, die um mich sind, alleine zu fühlen. Sie werden, am Rande meines Schlammloches stehend, ihre sauberen Hände nach mir ausstrecken und sagen: das wird schon wieder.
Nicht mal von der Klippe spingen kann man, wenn man schon unten steht bzw liegt, werde ich jammern und innerlich aufstampfen dabei. Besorgt werden sie die Stirn runzeln und mich mit ihrem nächstenliebenden Lächeln beschenken.

Launisch bist du, sagst du zu mir, als ich während eines unerwarteten Euphorieschubs zu singen beginne.
Launisch? frage ich, ich wechsele doch höchstens 3 bis 4 mal am Tag die Stimmung.
Eben
, sagst du.

Ich würd´ sagen: stabiles Tiefdruckgebiet mit gelegentlichen Auflockerungen. They call it winter, Dahlink, und im Winter soll ein Tief ja was Gutes sein. Da fürchtet man das Hoch, und die dadurch drohende russische Kältepeitsche, mehr als alles andere auf der Welt (mehr als der Teufel das Weihwasser/ als Dracula das Kruzifix / als Judas den morgendlichen Hahnenschrei uswusf.).

Der Schlamm ist eine verlässliche Größe. Selbst die Natur-Kitas schwören inzwischen darauf und kippen tonnenweise teuren Urschmutz in ihre Keller, damit die lieben Kleinen sich beizeiten daran gewöhnen. Manche Kitas halten auch non-allergene Fauchschaben als Streicheltiere vor.

 

..

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(fadeout)

 

 

 

 

 

Bild: pantxorama, Galapagos, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/

El corazón es agua

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Neulich hab ich versehentlich etwas geliked, was ich keinesfalls hätte liken wollen und sollen. Als mir retrospektiv dämmerte, dass ich da etwas ganz und gar missverstanden haben musste, schon weil, so glaubte ich mich dunkel zu erinnern, unter den Mitlikern sich einer befunden hatte, der einen martialisch anmutenden Adler als Gravatar verwendete, welchen ich später und andernorts als das Emblem eines Reichbürgers identifizierte, machte ich mich auf die Suche nach dem falschen Like, um es zu eliminieren, doch ich fand es nicht mehr. Nun habe ich einen Fleck auf der Weste und dabei war´s wirklich ein Versehen. Möge Gott verhüten, dass ein Screenshot mich eines Tages überführt.

Gestern hatte der Fersehmoderator Geburtstag und gestern feierte auch Chelsea Manning ihr Wiegenfest, wie die Mutter des Fernsehmoderators dieses Ereignis zu nennen pflegte. 29 ist sie geworden und noch 29 Jahre hat sie als Gefangene vor sich. Wie kann sie das überstehen.

Große Raupen mit bündelweise Papiereinkaufstaschen am Handgelenk, der Umwelt zuliebe, fressen die Auslagen der Geschäfte kahl. Auch heute, am 4. Advent. Läuft.

Wogende Menge, wogendes Gras.
Oben auf dem Gerüst rauchen die Bauarbeiter einen Joint. Der Osteuropäer kostet ein Viertel weniger als der Deutsche. Wenn er runter fällt wird´s aber genauso teuer.

Vieles ist sehr hässlich, von nahem betrachtet.

Der Winter hat die Sättigung aus allem heraus gezogen

Neurotisch oder exzentrisch. Das ist noch unentschieden.

In der Ferne höre ich das Grollen der Artillerie. Feindbilder aufrecht erhalten.

Ich weiß nicht wo ich hingehöre und welche Fragen die richtigen sind.
Die Meinungen gehen mir aus.

Ich sollte einen Boulevardreporter anrufen und meine Lebensbeichte in sein Diktiergerät sprechen. Nur, dass ich nicht berühmt und herunter gekommen bin wie Ben Becker, der sich sogar an der Bibel versuchte und dafür zahlende Zuhörer fand.
Nicht einmal eine berühmte Frau bin ich, Scarlett Johansson zum Beispiel. Deren Lebensbeichte würde man wohl hören wollen, während man ihre Lippen betrachtete.
Alternativ: sich oben im Kirchturm verrammeln und Böller zünden. Damit würde man nationale, wenngleich namenlose Bekanntheit erreichen. Zeitgeistruhm.

Der Hass kommt von allen Seiten und Haubitze ist auf einmal gar kein lustiges Wort mehr, auch wenn es so klingt. Überall ist Krieg und man weiß nicht, ob es wirklich ein siebenjähriges Mädchen gibt, das aus den Trümmern twittert oder nicht.

Es gab Zeiten, da war Propaganda ein schwarzweißes Plakat. Inzwischen durchwebt das Hasslurex alles und glitzert glaubwürdig (verbesserungswürdiges Adjektiv) dazu.

(All that glitters, isn´t that gold)

Der Reichsbürger bezieht Strom und Wasser aus dem Ausland, sagst du, und schickt Fäkalien zurück.
Muss man ein Haus auf eigenem Grund und Boden besitzen, um Reichsbürger zu sein , oder genügt schon eine Mietwohnung?
frage ich mich und dann dich und du zuckst mit den Schultern.

Die Dinge sind kompliziert.

 

Aber: tolle Raben und köstliche Kekse- danke, danke, danke!

 

 

 

Bild: Lua Zemenis, „El corazon es ague“, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/