Januar bis August duftes Wetter.
September bis Dezember knorkes Wetter.
Zwischendurch war´s ein bisschen kühl,
am Ende ein bisschen nass und stürmisch.
Bin sehr zufrieden, trotz einiger Katastrophen.
So, wie der Sommer die Sauregurkenzeit mit sich bringt, herrscht in der Zeit zwischen den Jahren, also zwischen Konsumrausch und Vollrausch, ein kleines Content-Tief in der Blogwelt.
Da mir aber das Verlinken zu anderen Blogs eine liebe Gewohnheit werden soll, habe ich zum Jahresende jeden Blog aus meiner Blogroll besucht und geschaut, was dort im Dezember des vergangenen Jahres oder in noch weiter zurückliegenden Dezembern geschrieben wurde.
Ich finde es schade, wieviele gute Beiträge in Vergessenheit geraten, weil die Zeit immer neue Textschichten über sie legt. Deswegen werde ich in Zukunft immer mal in der Vergangeheit graben um dort kleine und größere Schätze zu heben.
Ist ein bisschen lang geraten, die Liste, aber so hat die geneigte Leserschaft eine schöne Auswahl.
Viel Spaß beim Stöbern!
(Kleine Bitte an die BloggerInnen: könnt ihr alle ein Archiv-Widget in Eure Blogs einfügen? Ganz schön mühselig ein ganzes Jahr oder mehr zurück zu scrollen. Danke!)
Cool Pains, Verbrechen
Ein Versprechen führt zu einem Verbrechen.
Pagophila im Dezember 2010.
Asallime, Der gute Ausländer. Eine kleine Explosion am Morgen
Liebe Leute, es ist Rassismus, wenn:
…jemand einen Antrag auf Kindergeld stellt und dann mit dem Hinweis auf den Verdacht eines möglichen Betrugs das Formular KG 51 zugeschickt bekommt, das bei einem Anspruch auf Kindergeld aus dem Ausland ausgefüllt werden soll und man zwei Jahre braucht und bis zum Finanzgericht gehen muss, um zu beweisen, dass man als in Deutschland lebende Deutsche Anrecht auf Kindergeld für sein deutsches Kind hat.
Asal platzt im vergangenen Dezember der Kragen.
Die Schrottpresse, Pantoufle hatte sein Blog erst zu- und dann glücklicherweise wieder aufgemacht.
Die alten Texte sind bislang nur im Raucherzimmer archiviert. Deswegen verweise ich an dieser Stelle ausnahmsweise auf einen aktuellen Beitrag:
Das Supergrundrecht, Unsinn zu reden
Was verbindet SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi und Hans-Peter »Schredder« Friedrich? – abgesehen von der Freiheit, Unsinn zu reden.
Lesen!
Exportabel, Blau, Politurstufen und o.T. 122.
Beton und 70er. Was will man mehr? (Dezember 2011 und 2013)
Genova betreibt ein politisches Blog. Neben interessanten Beiträgen und ebenso interessanten Diskussionen, finden sich dort auch tolle Fotos. Er hat einen untrüglichen Radar für alltägliche und architektonische Tristesse.
Greta und das Leben, Von den Inseln
„Natürlich ist die Tektonik von Inseln eine schwierige Frage. Eine Insel kann der sicherste und wirklichste Ort auf der Welt sein, aufgehängt an einem einzigen blauen Faden, über den Ozean zwischen zwei Herzen gespannt.“
Greta im Dezember 2012 über die Liebe und wie das überhaupt funktionieren könnte als Alleinerziehende.
Sie findet die Worte.
Blütenblätter, Was lässt Du am liebsten?
Iris hatte diese Frage auf twitter gestellt und, ganz unüblich für diese Plattform der coolen Originellen, sogar Antworten bekommen. Ein Beitrag vom Dezember 2012.
Kiezneurotiker, Walz und Stevenson und die Bananenstaude
Letztes Jahr im Dezember gab es eine kleine Vernetzungsaktion von 9 Blogs. Ich durfte auch mitmachen.
Am besten von allen Texten hat mir der von Mike gefallen, über den ich derart lachen musste, dass ich mich besonders freue ihn hier noch ein Mal verlinken zu können.
Kreuzberg´d, Spotted in passing: streetart in SO 36
Streetart in Kreuzberg süd-ost, aka SO 36. Im Dezember 2013 in diesem tollen Kreuzberg-Blog von NotMsParker.
Landlebenblog, ich habe es beim besten Willen nicht geschafft bis Dezember 2013 zurück zu scrollen. Ein Archiv-Widget wäre toll, liebe Friederike!
Lichtbildwerkerin, The Bean
Conny war in Chicago und hat dort dieses besondere Objekt fotografiert, das sie im Dezember vergangenen Jahres ihrer Leserschaft vorstellte. Tolle Perspektiven!
Notizen aus der Unterwelt, öffentliches, kollektives scheißen
Klaus Baum schreibt im vergangenen Dezember einen Beitrag über die Defäkation in der Öffentlichkeit. Gefangenenlager mit Toiletten ohne Türen, also ohne Sichtschutz.
Ich kenn das noch vom legendären Café Anfall in Kreuzberg 61. Da gab es auch keine Türen und am Strand von Santa Monica ebenso wenig. Da allerdings hatte es mit Drogen zu tun und mit Sex.
Notizen von JWD, Was ich gerne nicht mehr hören sehen lesen möchte
Frau Montez macht im Dezember 2013 wieder eine Liste der Worte, Abkürzungen oder Redewendungen, die sie in Zukunft nicht mehr lesen möchte. Ein gutes Gespür für vernutzte Wörter hat sie, finde ich, und ihre Listen sind ein schöner Spiegel der Zeit.
Muetzenfalterin, Silvester in Berlin (voriges Jahrhundert)
Das letzte Silvester des vergangenen Jahrtausends verbrachte die Muetzenfalterin in Berlin. Am Ende las ihr ein Transvestit aus der Hand.
Im Dezember letzten Jahres blickte sie darauf zurück.
Nante Berlin, Adventskalenderlese: Schule, Kirche, Abspannwerk
Im Dezember 2013, als sein Blog noch ganz jung war, verwies Martin u.a. auf diesen Artikel über das Diesterweg-Gymnasium in Berlin. 70er, aber so richtig. Ich mag das einfach!
Punkgebete, Über Insassen und Lager
Der Kultgenosse berichtet über die Entlassung Chodorkowkijs und der letzten beiden Pussy Riot Damen aus dem Straflager. Ist Russland tatsächlich nach dem Modell einer Strafkolonie aufgebaut, wie Nadeschda Tolokonnikowa behauptet?
Ein Jahr ist das schon wieder her.
Schneck international, West I, nochmal
Im Dezember vor 4 Jahren erinnert sich Herr Schneck an seinen Zivildienst. Harter Stoff, der bei mir Erinnerungen an meine Arbeit im Krankenhaus weckt.
Leise Töne, Student Marengo
shhhhh hat einen Hähnchenschenkel auf dem Teller liegen und versetzt sich in die Rolle des Tieres.
Keine Sorge, es wird nicht blutig.
Tapfer im Nirgendwo, Der stolze Deutsche
Gerd Buurman schreibt 2008 über den stolzen Deutschen, der wieder die Fahnen schwenkt.
Wäre Eichmann etwas später geboren, dann hätte er, statt Judentransporte zu organisieren, vielleicht Karriere bei der Deutschen Bahn gemacht.
Brainfuckyourself, Skyporn Volume 4: Sturmgefahr
Thorge hat kurz vor dem großen Sturm noch ein Foto vom Hamburger Himmel geschossen.
Beinahe wäre er damit berühmt geworden. Das war im Dezember 2013
Was weg muss, Der Regaltänzer muss weg
Der HKF war letztes Jahr im Dezember einkaufen und berichtet von einer interessanten Spezies: dem Regaltänzer. Dieses Ballett beherrschen nur Männer.
Zurück in Berlin, 2013, Das G-Wort und der ganze Rest. Ein Vorwort.
Schon in 2013 hat der Informer, aka Verfasser, seinem Ruf alle Ehre gemacht.
Im Dezember ging es, unter anderem, um das große G-Wort und um seine Abkehr vom politischen Bloggen. Dazu gab es wieder jede Menge liebevoll zusammengetragene Links, die natürlich auch heute noch aktuell sind, denn das große G wütet es nach wie vor: die Gentrifizierung. Inzwischen hat es leider auch ihn voll erwischt.
Auf Anregung von Asal und um die `Familie´ komplett zu machen, komme also jetzt auch noch icke mit einem Text vom Dezember 2013.
Kreuzberg süd-ost, Save our souls, oder Schluchzende Fische
Nach dem Krankenhaus, der Diagnose, der Trennung und dem Auseinanderbrechen meiner Familie sitze ich bekifft auf dem Bett, höre Linton Kwesi Johnson und mache mir so meine Gedanken. Bis…
Ich mag den Text, weil er den Beginn der Freundschaft zu A., meiner Herzensfreundin, beschreibt und weil zur Zeit seiner Entstehung ein großes Glück in meinem Leben seinen Anfang nahm. Aber das wusste ich damals noch nicht.
(Photo: public domain review)
Als große Befürworterin nachbarschaftlicher Beziehungen freue ich mich selbst über kleinste Nachrichten auf Lichtschaltern und Korridortüren. Rechtschreibfehler haben dabei durchaus ihren Charme und der Berliner nimmt es mit dem „Pf“ sowieso nicht so genau. Es heisst ja schließlich auch Ferd und Flaume.
Zur Feier des Tages noch ein bisschen Katzen- und Schneecontent. Sogar mit Weihnachtskugel.
Allen meinen Leserinnen und Lesern wünsche ich einen schönen Wochenanfang!
Und nicht vergessen: Elvis lebt!
Eigentlich sollte ich ja was über das Elend misslingender Kommunikation schreiben. Das ist mein Auftrag nach soviel Aufregung. Wegen nichts.
Aber: gehabte Schmerzen hab ich gern und heute ist zum Glück nicht gestern und wenn ich in Rätseln spreche, dann soll das so.
Aber um es wenigsten grob zu umreissen und die Leserschaft vor großem Unheil und Kummer zu bewahren, sei immerhin soviel verraten:
Sms sind einfach Mist, wenn man damit wichtige oder ernste Botschaften vermitteln will (und Emoticons aus Gründen des Purismus für die private Kommunikation ablehnt). Selbst Glückwünsche können dann wie Ironie klingen und Wärme wie Kälte.
Wenn man dazu auch noch zu stulle oder zu stolz ist um die so geschürten Missverständnisse durch einen beherzten Griff zum Hörer und ein entrüstetes „Hä?“ aus der Welt zu schaffen und sich statt dessen immer weiter hinein frisst in seinen Gram und sich dabei selbst unermesslich bedauert und eisig schweigt, während die Türen zum Glück weit offen stehen wie Scheunentore, dann gehört es einem eigentlich nicht besser.
Manchmal aber ist eben doch Weihnachten und Liebe in der Welt und vielleicht sogar der Heilige Geist und dann kommen sie zu einem, die erlösenden Worte, die augenblicklich von jedem ganz und gar abwegigen Gedanken und Zweifel befreien und am Ende fällt man sich in die Arme und alles ist eitel Wonne und man verspricht sich in Zukunft nicht mehr derartig verquer zu kommunizieren und zu denken.
Will sagen: ich bin sehr erleichtert und froh.
Es ist ja mal so, beginne ich gerne die Sätze, deren Aussage ich mit einem freundlich lächelnden Unterton Nachdruck verleihen möchte oder wie man gemeinplatzig sagen könnte: in denen ich augenzwinkernd größere und kleinere Anliegen aufs Tapet zu bringen mich anschicke.
Es ist ja mal so, dass das vergangene Jahr, das ich klugerweise, bzw. aus schierer Erschöpfung und dem unbedingten Willen zum Neuanfang (so to say: Uhren auf Null stellen) bereits am 4. November, dem 521. Jahrestag der Entdeckung Guadeloupes durch Christóbal Colón, für beendet erklärte und mit dem Lieblingsmenschen ganz still und beinahe stumm ausklingen ließ, dass also dieses Jahr 2014 in Wahrheit (bemerkenswerte Floskel) erst jetzt seine letzten Wellen ans abflachende Ufer schlägt und stetig ins Nowhereland zwischen den Jahren, diese nicht-existente aber fühlbare Zeit, hinein drängt und im unbestellten Boden weich versickert.
Caminante, son tus huellas el camino
Eine Zeit, so leer wie die mongolische Steppe und vom gleißenden Licht eines Zwischenhochs überblendet, ein korrespondierender Temperatursturz, mit klammen Fingern an der Eiger Nordwand.
Die Künstlerin, die die nicht genutzten und unbeachteten Räume durch Abguss sichtbar macht. Den Platz unter der Treppe als deren negativer Abdruck. Leerraum in Volumen verwandeln.
Der nach innen gestülpte Erker.
Alles einmal anders herum denken und sehen. Überraschend und erhellend zugleich.
Und während draußen die Spatzen am gut gefüllten Futterhaus zetern, zum Zeitvertreib oder um in das tiefe Grollen der Feuerwerkskörper weiter südlich einzustimmen, schaue ich aus dem Fenster, dem vergehenden Tag hinterher, der ganz unerwartet zum Symbol für das vergangene Jahr geworden ist. Einer wie viele und doch so schwer und bedeutungsvoll und traurig.
Am blauen Himmel eine große Wolke, golden hinterleuchtet wie feinstes Porzellan.
Und ich denke an Blaubarts achte Frau. Den kleinen Schlüssel, der ihr zum Verhängnis wurde und an das, was sie zu gewinnen suchte, ehe sie alles verlor.
Und natürlich ist es Zufall, dass sich heute die Tsunami-Katastrophe zum zehnten Mal jährt und ich mich zurück erinnere an diesen Tag, an dem die Tränen mich beinahe erstickten.
Meine Gedanken sind bei Castorp, wie sie neben mir liegt, ihr Atem so schwer, und wie ich weine über diese unvorstellbare Anzahl an Toten und den Schmerz, der mit ihrem Verlust in die Welt gekommen ist, wo doch alles so friedlich schien und das Wasser sich zunächst zurückzog, um kurz darauf mit unvorstellbarer Kraft als Walze der Zerstörung zurückzukehren.
Ist doch nur Wasser, wenn ein Fremder weint
Und wie ich so sitze, das kleine Getüm neben mir und weine und weine, weil der Tod auch bei uns im Raum steht und auf den Tag einen Monat später durch diesen hindurch schreiten und sie mit sich nehmen wird, nachdem die letzten tiefen kehligen Schreie ihren Körper verlassen haben und sie daliegt ganz still und klein, bitte ich inständig, dass ich das werde tragen und ertragen können und ich weiss, dass ich gar keine Wahl habe: das ist das Muster des Lebens, in das ich eingewoben bin, ganz gleich welche Fluchtversuche ich auch zu unternehmen trachte. Wertvolle Zeit, die dabei verloren geht und so ist es das Schwerste und zugleich Einfachste, das Unveränderbare hin- und anzunehmen, den Negativabdruck, den unsichtbaren Raum, der das Leben umgibt.
Daran denke ich heute und es dunkelt schon bald, doch die Tage werden länger und so besteht Hoffnung.
(Bildquelle: Wikipedia, Epiphanien-Kirche Berlin, Orgel)
Erfahrung. Es sind alles Erfahrungen. Daraus gebaut: das Haus.
Und ich stelle mir vor, wie auch die Nordseite errichtet werden muss, der Sonne abgewandt.
Stein für Stein. Mit klammen Händen. Fernab des Lichtes. Mühselig.
Und am Ende ist doch alles eine Frage der Einstellung. Das ganze Leben.
Von der richtigen Seite beleuchten, die ganz alleine ich für richtig erkläre, weil kein anderer es für mich tun kann.
Last und Freiheit.
(„DeerstoneMGL“ von „GAMMA“ Agency. Copyright owner of all photographs in the book. – Monuments of Mongolian History and Culture (Mongol Nutag Dahi Tuuh, Soyoliin Dursgal), Mongolian Academy of Humanities, Ulaanbaatar, Mongolia, 1999. ISBN 99929-5-039-0.. Lizenziert unter Attribution über Wikimedia Commons – http://commons.wikimedia.org/wiki/File:DeerstoneMGL.jpg#mediaviewer/File:DeerstoneMGL.jpg)
Wir hatten es nicht leicht miteinander. Von Anfang an nicht.
Die Legende berichtet von der Stillverweigerung, dem Schreikind und einer unüberwindbaren Abneigung.
So ähnlich wird es wohl gewesen sein. In meiner Erinnerung jedenfalls haben die zärtlichen Momente immer etwas zu tun mit Alkohol oder der Farce eines Familien- oder sonstigem Besuches. Ein Schauspiel in dem ich ihr als freundliche Statistin assistierte, aus Furcht vor ihrem Zorn, beseelt von der Hoffnung mir ihre Zuneigung erarbeiten zu können.
Ich hasse dieses Kind
Wahrscheinlich wäre es auch für sie schöner gewesen, hätte sie mich bloß lieben können. Das aber war ihr nicht gegeben und mir, in der Folge, ebenso wenig. Traurig, für uns beide.
So viele Jahre in denen ich mich danach sehnte, mindestens so viele in denen ich vorgab darüber hinweg zu sein.
Gesehen habe ich sie zum letzten Mal vor 21 Jahren im Krankenhaus. So erinnere ich mich. Meine Schwester, damals im Kindbett, weiß nichts davon. Habe ich diese Begegnung nur erträumt?
Schmal war sie im Gesicht, beinahe schon hager, eine dunkle Sonnenbrille verbarg ihre Augen, die den meinen so ähnlich sind. Ihr Auftreten ganz die Diva, die sie immer war. Eine ausgestorbene Gattung.
Beinahe zwei Jahre hatten wir keinen Kontakt gehabt und trotzdem wechselten wir kein Wort miteinander an diesem Tag im September. Zu tief war die Kluft zwischen uns. Ihre Verwünschungen und Todesflüche. Der unkontrollierte und ungezügelte Hass.
Heute, am Vortag des Heiligen Abends, denke ich an sie. An Weihnachten, wie ich es als Kind erlebte: der schwierigste Tag im Jahr. Gefühlstumult zwischen Vorfreude und Angst. Die vorhersagbare, niemals ausbleibende Eskalation. Anspannung, Enttäuschung, Missgunst.
Der Vater, der vor dem Fest mit uns im Auto durch die Stadt fuhr um sie nicht bei den Vorbereitungen zu stören. Bei Einbruch der Dunkelheit zusammen durch den Stadtwald kariolen, bei Schnee und Eis. Jeder darf, auf seinem Schoß sitzend, ein Mal lenken. Er tritt das Gaspedal durch, lässt den Motor des alten Renault laut aufheulen, bremst ganz plötzlich ab und wir schlagen, mit schnellen Bewegungen auf spiegelglattem Untergrund das Lenkrad voll ein. Johlend schliddern wir über die gefrorenen Waldwege, Schneeflocken tanzen im Scheinwerferlicht.
Sie unterdessen, allein zuhause, immer hochtouriger laufend, schraubt sich Glas für Glas auf schwindelnde Umdrehungen. Ihr scheeler Blick bei unserer Rückkehr, und wir, noch ganz trunken und von hysterischer Ausgelassenheit, die sich überschnappend und fast schon rasend auf das unvermeidbare Inferno eintrommelt. Die beiden berauschten Welten, deren Spannungen sich während des bescheidenen, protestantischen Weihnachtsessens, ausgelöst durch einen winzigen Funken, ein falsches Wort oder ein kleines Missgeschick, ungebremst und krachend entladen. Ein loderndes Feuer, splitternde Kollision. Ertauben an hochkochendem Hass und tiefer Verachtung.
Das große Glockengeläut in meinen Ohren, auch damals schon.
Der Nussknacker. Sein hölzernes, starres Gesicht. Unsere beklommenen Wünsche, blicklos und bitter. Ein metallischer Geschmack im Mund.
Das bemüht vergnügte Auspacken der Gaben schließlich. Farbenfrohes Geschenkpapier bestaunen und sorgfältig zusammen legen. Zeit gewinnen, um sich, unter ihrem wachsamen Blick, den erwarteten Gesichtsausdruck zurecht zu legen und die gebotene Freude zu zeigen über die empfangenen Alltagsgegenstände – Ah, Socken, toll! – während sie sich, in dem, eigens für sie angefertigten, knöchellangen, weit schwingenden Mantel aus schwarzem Nerz – Achtzig Tiere, stell dir vor! – mit weinseligem Lächeln sonnt, eine Zigarette in der rechten Hand, die langsam herunter brennt.
(Bildquelle: PublicDomainReview.org, open images. A mezzotint écorché by Gautier D’agoty, published by Gautier in 1746 – Source: Wellcome Library, London. – See more at: http://publicdomainreview.org/collections/the-wellcome-librarys-top-10-open-images/#sthash.MlCJnwb4.dpuf)
Nach dem morgendlichen Zähneputzen (morgenlich, würde der Vater korrigieren, es ist der Morgen und nicht der Morgend) schauen mich heute nicht die Augen der Mutter an. Es sind meine eigenen, groß und braun. Darin und dahinter, wie zu allen Zeiten, die Blicke der Ahnen, aus dem Schatten heraus getreten, um durch mich auf die Welt zu sehen, die einmal die ihre war.
Was ihr seid, sind wir gewesen.
Was wir sind, werdet ihr sein.
Mein Gesicht liegt ruhig wie ein See, der Mund weich geküsst und entspannt.
Im Radio läuft ein Jingle-Klingel-Happynes-Song, den ich ohne Widerwillen zu verspüren an mir abperlen lasse. Lotusblüte. Silberbaum.
Meine Haare umfließen den Hals, eine Welle legt sich auf das Schlüsselbein. Clavicula
Im Spiegel schaue ich mir zu, wie ich eine Hand auf das Sternum lege, mein Leben, und ohne ein Empfinden von Schmerz steigt Wasser in meine Augen. Der Mund zieht sich, wie zu einem Lachen, auseinander, die Lider senken sich und ich lasse den Tränen ihren Lauf.
Es ist schön.
Weich bin ich, ganz weich und draußen ist es mild und stürmisch.
Die Straßen sind leer. Die Vögel sind ausgeflogen, gen Heimat.
Die Luft riecht nach Ankunft.
Alle Zuhause jetzt
Eine Gruppe Spatzen lässt sich im Bambus nieder und schaukelt dort hin und her.
Dann und wann ein freundliches Tschilpen. Es ist genug für alle da.
Den einen erkenne ich wieder. Auf seinem rechten Flügel trägt er einen weißen Streifen.
Jeden Tag kommt er hierher. Immer am gleichen Platz im Futterhaus.
Kleiner Freund.
Wie mich alles was lebt berührt und angeht. Jeder Halm. Und seit ich auferstehen durfte noch mehr und tiefer. Ein Gefühl der Verbundenheit mit der Welt, auch mit dem großen Nichts, und eine beinahe kitschige Rührung, ein Angefasst- und manchmal sogar Überwältigtsein von allem Irdenen und seinem Drang zum Licht.
Nach oben. Atmen. Hier bin ich.
Das ist meine Zeit.
Mir tun die Flöhe leid, und so behandele ich bloß die Schlafplätze der Tiere.
Nicht töten.
Ehrfurcht selbst vor dem kleinsten Leben.
Fegen, zur Seite fegen, mit Achtsamkeit und dem liebenden Blick.
Einmal sah ich eine Schnecke in den blauen Körnern eines Giftes vertrocknen.
Endlose Nachmittagsstunden im Hochsommer. Unvergessen. Mein Mitgefühl, der Schmerz darüber, wie sie unrettbar zusammenschrumpfte zu einem rindenähnlichen, unkenntlichen Stückchen Materie. Und alles, was sie war und dachte, wenn sie denn jemals etwas dachte, alles, alles ist verloren.
Verdunstet. Aufgestiegen, gen Himmel, der gar nicht oben ist, wie ich immer glaubte, sondern überall. Ringsum.
Wo sind unsere Erinnerungen, wenn wir sie gerade nicht denken? Wenn sie nicht in uns hausen?
Sind sie bei uns? Haben sie sich eingeschrieben oder entstehen sie jedes Mal aufs Neue, bei jedem Griff nach ihnen, und immer ein wenig anders? Verändert nur um winzige Details, für uns nicht wahrnehmbar, geschweige denn überprüfbar.
Gibt es eine Cloud, etwas außerhalb von uns selbst, in dem alle unsere Gedanken zusammen gefasst und gespeichert sind, gemeinsam mit den Ideen und Erinnerungen der anderen Menschen? Oder ist mit unserem Ableben all unser Wissen unwiederbringlich verloren? Verdichtet sich das, was auf der Erde gedacht wird, zu etwas Größerem, addiert oder multipliziert es sich vielleicht sogar?
Und eines Tages traumgleich greift einer danach und bringt es in die Welt. Etwas noch nie Dagewesenes. So wie alles, und doch viel mehr und weit darüber hinaus.
Und die Tiere? Wer nimmt sich ihrer Gedanken an? Sie selbst, ergeben und mit blindem Vertrauen?
Ich schaue in mein Gesicht im Spiegel, das ruhig da liegt wie ein See.
Draußen stürmt es, Hagel prasselt auf den Boden.
Weiße Körnchen, die nach oben springen, als wären sie kleine Bälle.
Bildquelle: Wikipedia, „WolkenBremen“ von Frisia Orientalis. Original uploader was Frisia Orientalis at de.wikipedia – Transferred from de.wikipedia; transferred to Commons by User:Jutta234 using CommonsHelper.(Original text : selbst fotografiert). Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons – http://commons.wikimedia.org/wiki/File:WolkenBremen.jpg#mediaviewer/File:WolkenBremen.jpg