Das Unkraut unter dem Weizen

Michelangelo,_Giudizio_Universale_30
Ich liege im Garten meiner Großeltern auf dem Rasen, schaue in den Himmel und singe.
Spannenlanger Hansel, nudeldicke Dirn
Die beiden halten ihren gewohnten Mittagsschlaf und ich weiß nicht so recht, was ich mit mir anfangen soll, denn ich darf keinen Lärm machen und andere Kinder, mit denen ich spielen könnte, gibt es nicht in dieser Siedlung, hier in Kassel-Wilhelmshöhe.
Ins Haus möchte ich nicht gehen. Dort ist es noch langweiliger und in der Diele tickt die unheimliche Standuhr aus schwarzem Holz, deren Gewichte versteinerte Mäuse sind, gefangen in einem als Zapfen getarnten Metallsarkophag, an eine Kette gefesselt und dazu verdammt für alle Zeiten im ständigen Wechsel nach oben gezogen oder herunter gelassen zu werden.
In der Wohnung der Großeltern riecht es nach dem Holz alter Möbel, nach vergilbten Büchern und in Schweinsleder gebundenen antiken Bänden aus der Bibliothek meines Großvaters. Nach abgestandenem Zigarrenrauch. Nach der Bibel, den Losungen, dem Gesangbuch, den alten, gerahmten Bildern, dem Biedermeiersofa mit seinem dezent gestreiften Bezug, dem Nussbaumsekretär und den Pflanzen im Wintergarten.
Es riecht nach alter Zeitung, die zurechtgeschnitten als Toilettenpapier genutzt wird, nach Seife, nach Sparsamkeit, Graupensuppe, Zitronencreme und Protestantismus.
Es riecht nach der Liebe und Güte meiner geduldigen Großmutter, deren ruhige, schmale Hände alles im Haus zusammen halten und die mich bei der Hand nehmen, wenn wir in den Straßen und Parks spazieren gehen. Nach dunklen Nächten in einem einfach möblierten schmalen Zimmer, die einzige Lichtquelle das Schlüsselloch, und vor der Türe wieder das Ticken der Uhr, die schon das Leben meiner Urgroßeltern in Sekunden und Minuten einteilte und deren Stundenschlag das Letzte war, was mein Vater als Kind hörte, nachdem er im Hause seiner Großeltern gestürzt war, mit dem Hinterkopf aufschlug und dabei das Bewusstsein verlor.

So liege ich also draußen zwischen den Stachelbeersträuchern, den Dahlien und Rosen und all den anderen Blumen und Kräutern, deren Namen ich nicht kenne, die meine Großmutter, die Apothekerin aber nicht müde wird mir immer und immer wieder zu benennen und die in ihrem Zusammenspiel einen so einzigartigen, herbsüßen Geruch verströmen, dass ich diesen Garten noch heute aus hunderten von Gärten herausriechen könnte.
Während ich die Luft durch die Nase einatme und den langsam vorbei ziehenden Wolkenschiffen nachschaue, deren flache dunkel schattierte Bäuche mich an satte, liegende Seekühe erinnern, denke ich an meine Familie zuhause in Frankfurt. An meine beste Freundin Susanne, deren Vater, der Ingenieur, seit Jahren im Ausland lebt und ihr an jedem Geburtstag ein Telegramm schickt, an meinen Vater mit seinen großen Händen, der dunkel gerahmten Brille und dem weißen Kittel und an den lieben Gott, diesen riesigen Dinosaurier, der mit seinen schweren Schritten Erdbeben lostreten, mit seinem Odem Feuersbrünste entfachen und Steine schmelzen lassen kann, der Fluten entfesselte und alte oder kranke Menschen, manchmal aber auch schon Kinder, so wie Melanie, verschlang und neue aus der Öffnung unterhalb seines peitschenden, gezackten Schwanzes ausschied, ganz wie es ihm beliebte.
Ein gefährliches, grünes Ungeheuer im schwarzen All der Unendlichkeit, das braune Augen zu brauner Erde machen konnte.

Heulen und Zähneklappern

Wie traurig mein Großvater war, als ich ihm Gott so beschrieb.
Sein Entsetzen auch, als mein Bruder und ich an einem Nachmittag, während er schlief, unerlaubterweise das tägliche Kreuzworträtsel in der Tageszeitung ausfüllten, und neben allerlei Obszönitäten, die Frage nach dem schwanzlosen Halbaffen mit vier Buchstaben mit GOTT beantworteten.
Später am Nachmittag, als er unsere Tat entdeckte, lächelte er zunächst noch verzeihend, nach und nach aber beobachtete ich die zunehmende Veränderung seiner Gesichtszüge und ahnte, wie weh es ihm tat und wie zornig es ihn zugleich machte was wir aus einer albernen Laune heraus, in der wir uns schwindelig gelacht hatten, geschrieben hatten. Mit mahlendem Unterkiefer und hervortretenden Knöchelchen vor der Ohrmuschel, riss er sich zusammen uns nicht zu schelten und erst in diesem Augenblick begriff ich, dass wir wirklich etwas sehr Schlimmes getan haben mussten.
Ich schämte mich so sehr, dass ich anfing zu weinen.
Meine Hoffnungen auf ein gutes Ende, schienen noch aussichtsloser zu sein, als bisher.
Wer sollte mich noch gerne haben, wenn ich so böse war und sogar meinen Bruder zu derartigen Schweinereien anstiftete.
Vor zwei Jahren bereits, kurz nach meiner Einschulung, hatte ich einen Wunschzettel* an meine Großeltern geschickt, von denen ich wusste, dass sie sich mit Gott gut verstanden, weil mein Großvater als Pfarrer arbeitete und sonntags sogar einen Talar trug.
Den einzigen Wunsch den ich dort aufgeschrieben hatte wollte mir der liebe Gott schon damals nicht erfüllen, weil er böse mit mir war:

Ich fünsche mir, das ich lib werde damid die Mamma nicht imer schimfen mus

Nun, nachdem ich ihn einen Affen genannt hatte, gab es noch weniger Hoffnung auf Hilfe.
Das einzige worum ich im abendlichen Gebet noch zu bitten wagte, war, dass wenigstens mein Großvater mir verzeihen, und meiner Mutter nichts erzählen möge.

Dieses Mal enttäuschte Gott mich nicht.
Als ich am nächsten Tag erwachte, war mein Großvater in bester Stimmung. Wir beteten zusammen, frühstückten und im Anschluss stiegen wir gemeinsam mit meiner Großmutter und meinem Bruder hinauf zum Herkules.
Ganz oben in dem Terrassencafé mit den weißen Tischdecken und den gestärkten Servietten bekamen wir Kinder ein Stück Marmorkuchen und einen Kakao und blickten mit den Großeltern hinunter auf die Stadt, die grün und still vor uns lag.


*dieser Wunschzettel wurde mir viele Jahre später aus dem Nachlass meiner Großeltern, zusammen mit anderen Briefen, ausgehändigt. Er war mit ungelenker Handschrift auf rosa Papier geschrieben.

Sex und Moral

Bundesarchiv Bild 183-J0421-2271, Gera, Turngr...

„Um ihr Studium zu finanzieren, bot sie ihre Reize feil, wie man früher gesagt hätte: Jed fand, dass dieser veraltete Ausdruck besser zu ihr passte, als der angelsächsische Begriff „Escort Girl“.
Sie nahm zweihundertfünfzig Euro die Stunde und einen Aufpreis von hundert Euro für Analverkehr. Er hatte gegen diese Tätigkeit nichts einzuwenden und schlug ihr sogar vor, erotische Fotos von ihr zu machen, um die Präsentation ihrer Webseite zu verbessern. Obwohl Männer oft eifersüchtig auf die Exmänner ihrer Geliebten sind, obwohl sie nicht umhin können, sich jahrelang und manchmal bis zu ihrem Tod beklommen zu fragen, ob es für ihre Geliebte nicht besser war mit dem anderen, ob der andere nicht besser im Bett war, akzeptieren sie im Allgemeinen sehr leicht, ohne die geringste Anstrengung, all die Dinge, die ihre Frau früher im Rahmen der Prostitution getan hat. Sobald eine sexuelle Betätigung an eine finanzielle Transaktion gebunden ist, wird sie entschuldigt, als harmlos angesehen, und durch den uralten Fluch, der auf der Arbeit lastet, gewissermaßen geheiligt.“

Michel Houellebecq, Karte und Gebiet

 

Kreuzberger Sommertraum

Carlo Giuliani Park 2013

Carlo Giuliani Park 2013 (Photo credit: seven_resist)

 Todo pasa y todo queda,
pero lo nuestro es pasar,
pasar haciendo caminos,
caminos sobre el mar.
Nunca persequí la gloria,

ni dejar en la memoria
de los hombres mi canción;
yo amo los mundos sutiles,
ingrávidos y gentiles,
como pompas de jabón.

 Antonio Machado, Cantares


Nomaden! Pilger! Vagabunden!
Juchhuu!

Endlich sind auch die Letzten eingetroffen.
Wie die Zugvögel kommen sie angereist. Zuverlässig. Jahr um Jahr.
Sobald der Winter vorbei ist und es wieder warm wird in Berlin, besiedeln sie mit den ausgebauten Hanomags, LKW, Bullies, Wannen, Transportern und Pritschenwagen ihre angestammten Plätze auf dem Bethaniendamm vor dem Rauchhaus und dem Kreuzdorf.
Unter den Wagen dösen die mitgereisten großen und kleinen Hunde, ein Ohr müde auf die Klänge der Welt gerichtet, das andere in sich selbst gekehrt.
Zwischen den Bäumen des Carlo-Giuliani-Parkes sind Wäscheleinen gespannt und vereinzelte kleine Zelte schlafen im Schatten der Akazien und Kastanienbäume.
Schnell schließen sich die Pilgerhunde mit denen der Wagenburg zu einem losen, umher streunenden Rudel zusammen.
Hier und da wird einer von ihnen vermisst, und durch mehrsprachig verfasste Anschläge an Bäumen und Laternenmasten gesucht.
Die Zusammenkunft mit den Kreuzberger Hunden wird im Spätsommer plüschige Früchte tragen, so wie in jedem Jahr, und bis zur Auflösung der Karawane durch die schlagartig einbrechende, schneidende Herbstkälte, wird man die Welpen auf den Rasenflächen rund um die Thomaskirche im tapsig übermütigen Spiel heranwachsen sehen.
Viele von ihnen werden ein Zuhause in Kreuzberg finden. Die anderen dürfen mit in den Süden ziehen, Heimat der meisten Straßencamper hier.
Spanier, Italiener, Portugiesen, Griechen. Ein paar Niederländer, Polen, Engländer und Franzosen.

Und wieder werden wir zurück bleiben, uns durch den eisigen Winter mit dem gnadenlosen  Ostwind zittern, das dreckige Moloch, das wir unsere Heimat nennen, verfluchen, vom Süden, der Wärme, der Sonne und der Freiheit träumen und auf die Rückkehr der Frühlingsboten warten, die sich Jahr für Jahr eine schöne, eigene kleine Welt am Luisenstädtischen Kanal schaffen und Kreuzberg bereichern und noch liebenswerter und bunter machen, als es ohnehin schon ist.
Abends sitzen sie dann biertrinkend auf dem Mäuerchen, das den Nachbarschaftsgarten einfasst, in dem sich die türkischen Frauen an einer großen Tafel zum Plausch treffen und Bohnen, Erdbeeren, meterhohen Sonnenblumen, Stockrosen, Tagetes und allerlei Kräutern beim Wachsen zuschauen.
Man unterhält sich, jongliert ein wenig, übt kleine Kunststückchen, mit denen sich tagsüber an den Ampeln der Hauptstadt ein paar Cent verdienen lassen. Die Stimmung ist entspannt. Friedlich.
Ab und an fährt eine Bullenwanne vor, Personenkontrolle, die üblichen Schikanen und Drohgebärden und dann wird weiter gechillt und gelacht, die eine oder andere Tüte geraucht, zum Klang der Lautsprecher des Freiluftkinos, das nur einen Steinwurf entfernt im Garten des Künstlerhauses Bethanien sehenswerte Filme auf einer meterhohen Leinwand zeigt.
Manchmal flattert eine Fledermaus vorbei.
Ihr Flügelschlag flüchtig wie das Glück dieser langen, blauen Sommernächte.

Kreuzberg, mein Kreuzberg.
Mein Zuhause.

Auf einem Bein

„Du mochtest im Sumpfe nicht schwimmen. Komm nun, komm,  und lass uns baden in offener See!“

Friedrich Hölderlin, Hyperion

Tunnel Vision

Tunnel Vision (Photo credit: Photochiel)

Zitternde Knie, seit der Schillingbrücke.
Kein Kind überfahren. Links Bremse.
Frankfurter Allee.
Eine Eisplatte rutscht von der LKW-Plane vor mir auf die Windschutzscheibe.
Der Verkehr fließt weiter.  Ich schwimme mit.
Scheibenwischer, Fenster runter. Frösteln. Nikotin.
Kurz vor dem Tunnel wird es wieder dunkel und eng. Ich hole Luft.
Kilometerlange Zielgerade.
Auf dem Klinikparkplatz ein Reh.
Der Gärtner lauert mir am Container für Gartenabfälle auf. Wie beinahe jeden Morgen.

Nicht lachen?“ fragt er.
Wonach sieht es denn aus?“
Nicht lachen.“
Eben.“

Worüber auch, du Nervensäge, denke ich.
Es ist November und schon klirrend kalt. Die Kastanien treiben eine zweite Blüte.
Notblüte, nennt M. das, wegen der Miniermotte.
Im Patientencafé essen sie blasse, weiche Brötchen mit einer Scheibe hellem Käse. Die Bedienung hat pinke Strähnen im schwarzen Haar.
In der Vitrine Krankenhaussouvenirs. Ein bandagierter Teddy.
Chefarzt, Oberarzt, Kollegen. Nicken, Lächeln. Geschäftigkeit.
Gang durch die verglaste Eingangshalle mit den deckenhohen, exotischen Bäumen. Draußen flammt der japanische Zierahorn.
Vor dem Aufzug liegt ein schwarzer Fahrradhandschuh.
Als ich einsteigen möchte, rennt er los. Auf mich zu. Eine Wolfsspinne. Ein Schrei. Ich flüchte Richtung Ambulanz. Die Automatiktür schlägt mir gegen die Schulter.
Ein Patient im Rollstuhl mit Fixatoren, die aus dem Unterschenkel ragen, lacht.

Spinnenphobie seit dem Hausbrand.
Im Schein der Taschenlampen sitzen sie auf Augenhöhe an den Wänden. Dutzende.
Vor dem Löschwasser geflohen
Meine Sorge um die neuen Strümpfe.

Herzrasen. Atemnot.
Der Argentinier. Der Hase und der Igel.
Jeden Tag, zu jeder Stunde an jedem Ort.
Ich finde dich überall

Während der Teamsitzung wieder dieses Lachen, das sich wie ein Hustenanfall nach oben schiebt.
M. nicht anschauen. Keiner weiss etwas.
Ich zeichne Katzennasen, dann Schnurrhaare und Dreiecke als Ohren.
Er schaut zu mir herüber. Wir lächeln kurz.

Ein Patient spricht mich an. Er hat uns zusammen gesehen. In der Abendschau. Kreuzberg. Ganz sicher.
Kann nicht sein.
Ick weeß doch wat ick sehe.

Access peace

Unten, in dem langen Gang zur Pathologie kommt mir der einbeinige Dauerpatient auf Krücken entgegen. Locken wie Wolfgang Petry.
Was macht der hier?
Es liegt etwas Gewalttätiges in seinen Gesichtszügen.
Auf Augenhöhe wird er mir die Gehhilfe über den Kopf ziehen und mir den Schädel und das Jochbein brechen.
Verbluten im Keller der Toten.
Eine ganze Weile bewegen wir uns aufeinander zu. Ich vermeide Blickkontakt.
High noon
Die Neonröhren sirren leise.
Ich pfeife verlegen.
Ein Männlein steht im Walde.
Nur wenige Takte. Zu spät.
(Sag, wer mag das Männlein sein?)
Als wir auf einer Höhe sind grüße ich. Er schaut mir in die Augen. Gekränkt.
Ich schäme mich.

Vor der gesicherten Tür zum Eingang der Pathologie die Büste einer Sterbenden.
Zerfließend. Geschenk eines Klinikgönners.
Zutritt nur mit Nedap-Karte.
Oder im Totenhemd, denke ich.

Der Schrei der Eule

Eule by Leonidas Drosis

Eule by Leonidas Drosis (Photo credit: Wikipedia)

Bei manchen Eulenarten sind die beiden Ohren auf unterschiedlicher Höhe am Kopf angeordnet, um das räumliche Hören zu perfektionieren

*

Turmbau. Mondfahrt. Drohnen.
Antibiotika.
Eine Coladose im ewigen Grün des Regenwaldes.
Das Kind ertrinkt im Brunnen.

*

In Zeitlupe die Heparinspritze in die Bauchdecke schieben.
Härchenweise das Pflaster von der Haut lösen.
Langsam. Stumm.
Zu feige für schnell und schmerzlos.

*

Die Mutter, die das Kind gesund pflegt und es nach der Genesung für vergangene Sünden bestraft.
Hunde, die ihren Kampf während der Defäkation aussetzen.

*

Junge Katze, erste Beute.
Ein Zitronenfalter.
Ausgedehntes Spiel auf dem Parkett.
Großes Wehklagen.
Das Opfer ist tot.

*

Zwei tote Kinder auf der Schlossbrücke.
Wie zerbrochene Puppen.
Polizeiwagen, Abschnitt 1, Messerstecherei am Brandenburger Tor.
Rollsplitt.
Verhängnis.

*

Waterboarding.
Das Folteropfer muss überleben. Gerade so.
Lange Qual. Ohne Freude.

*

Schlachtvieh wird aus einem Fluss gerettet,
Die Tiere sind unterkühlt.
Die Feuerwehr birgt eine Entenfamilie aus einem Gully.

*

Dies könnten Texte sein.
Mein Kopf schafft das noch nicht.
Bald.

Cellar Door

Gibt es eine dunkle Macht, die so recht feindlich und verräterisch einen Faden in unser Inneres legt, woran sie uns dann festpackt und fortzieht auf einem gefahrvollen verderblichen Wege, den wir sonst nicht betreten haben würden – gibt es eine solche Macht, so muß sie in uns sich, wie wir selbst gestalten, ja unser Selbst werden; denn nur so glauben wir an sie und räumen ihr den Platz ein, dessen sie bedarf, um jenes geheime Werk zu vollbringen.

E.T.A. Hoffmann, Der Sandmann

Ein weiterer Nachmittagscappuccino am Potsdamer Platz. Dieses Mal gibt es endlich wieder Brezeln, sogar mit Butter, und dann auch noch knusprig (knusprig titten hitler).
Wäre ich auf der Suche nach guten Vorzeichen, so wäre dies eines.
Ich bin mit Freund K. verabredet. Wir wollen in den Großen Tiergarten gehen und die Hunde laufen lassen.
Der Himmel ist bewegt, die Luft klar. Schnell ziehende Wolken wechseln sich mit tiefblauen Feldern ab aus denen die Frühlingssonne (immer noch Frühling) auf uns herab scheint und selbst diesen unwirtlichen Ort beinahe schön macht.
Wir unterhalten uns über dies und das.
K. interpretiert seine erlittene Abfuhr bei einer Klientin als ageism und lookism.
Ich identifiziere sie als Notwehr bei Lüsternheit in einem Abhängigkeitsverhältnis. Wir lachen.
Über den großen Vorplatz der S-Bahn laufen die Menschen. Allein oder in Grüppchen.
Ich schaue herüber auf das Beisheim Center. Ein Gebäudekomplex wie aus einem Fachmagazin für totalitäres Bauen.
Hinter den dunklen Fensterreihen residieren millionenschwere Anrainer, mit dem Notwendigsten stets versorgt durch das aufmerksame Servicepersonal des, ebenso im Haus befindlichen, Ritz-Carlton-Hotel. Was für ein Leben.
Als mein Blick über den Platz schweift, erhellt sich die ohnehin gute Laune schlagartig um ein paar weitere Töne.
Ich freue mich. Ein regelrechtes Entzücken, das ich mir selbst nicht erklären kann, überkommt mich
„Guck mal, wer da ist!“
Mein Finger zeigt in Richtung zweier lebensgroßer Plüschmaskottchen, die dem Krümelmonster aus der Sesamstraße nachempfunden sind.
Das eine rot, das andere blau, schlendern sie mit starrem Blick und fröhlich geöffneten Mündern Arm in Arm über den Platz.
Ich erinnere mich dunkel an eine Liste mit Phobien, auf der, neben allerlei ungewöhnlichen Ängsten, wie beispielsweise jener vor Erdnussbutter die am Gaumen anhaften könne, ausgerechnet auch die Furcht vor genau solchen, lebensgroßen Maskottchen aufgeführt war.
Was mich zu der Geschichte von dem rosa Kaninchen bringt, das vor einigen Jahren im Görlitzer Park sein Unwesen trieb, indem es bei Einbruch der Dämmerung unvermittelt aus einem Gebüsch hervor trat und sich Radfahrerinnen in den Weg stellte, die den Park, trotz fortgeschrittener Stunde, als Nord-Süd-Passage nutzen wollten. Keiner der Frauen soll jemals etwas geschehen sein. Der Schreck allerdings, muss ihnen noch lange in den Knochen gesteckt haben.

Während ich die beiden Monster beobachte, die vor den S-Bahneingängen auf und ab flanieren, erzählt mir K. von seinem Traum, dessen Hauptrollen, neben einem weibliche Robot, der die Gesichtszüge jener ihn zurückweisenden Klientin trug, und dem ganze Kabelbündel aus dem aufgeklappten Rücken hingen, auch Mickey und Minnie Maus, sowie Goofy spielten.
Während die beiden Mäuse eine Art Kontrollfunktion für eine grob zusammen gezimmerte, hölzerne Achterbahn zu haben schienen, betätigte sich Goofy als Lotse, der ihn wiederholt aufforderte den Zweiten Weg zu finden.
Am Ende des Traumes stecken K.s  Hände in dem Rücken des überaus attraktiven, weiblichen Robot und er stellt fest, dass selbst die dort austretenden Kabel und Schläuche sich organisch und warm anfühlen und von einem Material ummantelt sind, das weich und seidig ist, wie menschliche Haut.
Nachdem sein Traum einen kurzen Augenblick zwischen uns hängt, wie ein großes Rätsel, fragt er mich ganz unvermittelt:

„Weisst du eigentlich, dass ich dich das erste Mal an dem Tag sah, an dem Prinzssin Diana starb?“
„Nein, das wusste ich nicht.“
„So war es aber. Und dann spülte der Zufall dich knapp drei Monate später, als meine Klientin, wieder in mein Leben.“
„Ich erinnere mich.“

„Was für ein Zufall, wenn man denn an Zufälle glaubt.“
„Dann ja.“

(Hier endet die Geschichte, deren Titel und vorangestelltes Zitat möglicherweise erst dann Sinn ergeben hätten, wenn sie fertig geschrieben worden wäre.
Als nächstes wäre von einer Erzählung Borges´ die Rede gewesen, im Anschluss dann von einer tschechischen Nummerologin, von dunklen Wolken, die durch ein Arbeitszimmer ziehen und dafür sorgen, dass die Eiswürfel für den Gin Tonic von Freund K. trotz funktionierenden Eisfaches tagelang nicht gefrieren, davon, wie jene Wolken ihn am Ende sogar auf den Stufen der S-Bahn zu Fall bringen, wo er sich eine derartig schwere Stirnverletzung zuzieht, dass er verarztet werden und den anschließenden Termin mit einem argentinischen Ganoven absagen muss.

Die Zeit war zu knapp.
Die Autorin befindet sich beinahe auf dem Sprung zu einer Fachwerkstatt, wo einige Schrauben nachgezogen und gegebenenfalls Kabelbäume ersetzt werden müssen.
So bleibt der geneigten Leserschaft nichts, als dieses Fragment, ein wenig Phantasie, und die begründete Hoffnung, dass auch dieser Faden wieder aufgenommen und eines Tages zu Ende gesponnen wird).

Foto 2Auf bald.

Solidarität

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Wenn mir ein Unrecht geschieht, fällt es mir oft schwerer demjenigen zu verzeihen, der sich nicht solidarisch und loyal zu mir verhält, als jenem, der das Unrecht an mir begangen hat.
Was vielleicht daran liegt, dass ich an diejenigen, die das Unrecht begehen ohnehin keine Erwartungen (mehr) habe, ich aber die nicht entgegen gebrachte Solidarität und Loyalität als Verrat empfinde.

Ob das richtig ist weiß ich nicht.