Recht vor link

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Auf wackligem Fuß tastet behutsamer Optimismus sich zurück in mein Leben. Ohne den Tag vor dem Abend loben zu wollen, lässt sich doch soviel sagen: es hat ein Gespräch gegeben, eine überraschender Kompromiss wurde erzielt. Vom Gericht muss dieser noch abgesegnet werden, und damit wäre dann vorerst Ruhe, auch wenn die Hauptsache bis zur endgültigen Entscheidung weiter in der Schwebe bleibt. Natürlich gibt es ein paar Wermutstropfen bei diesem Vergleich. Der Schuldenberg gehört dazu. Aber – pah! – der schwarze Ritter ist unbesiegbar!
Der Bekannte, sonst ganz Hanseat (meanwhilst jedoch durch Hauptstadttraining kampf- und schimpfbereit) reckt die Faust in den immergrauen Himmel, stößt ein Loch hinein und lässt die Sonne hervor blinzeln, der tikerscherk auf den müden Kopf.
Gulp, gulp, gulp kotzt vor Aufregung die Tigerin. Das Tölchen weiß nicht wie dem Rudel geschieht, wedelt probehalber und guckt und tut dann was immer richtig ist: den (weit offenen) Biber packen und  schütteln, und schütteln bis toter er nicht werden kann. Ich schaue ihr zu und freue mich,

Von einer sich überschlagenden Welle der Euphorie sind wir erfasst, schwindlig vor Glück und vor Erleichterung, gebeutelt vom Druck der letzten Monate, erschöpft, entgeistert. Mit Anlauf ins Nichts gerannt hängen wir in der Luft und rudern mit den Armen, wie der Coyote ehe er in den Canyon stürzt. Nur ein Bild.

Die Wortbox sprudelt wieder und die Kleenexpackung ist voll.

 

An einem Nachmittag vor vielen, vielen Jahren, berserkerte ich, im Schraubgriff juveniler Langeweile, auf der elterlichen Hollywoodschaukel herum. Ich stieß mich mit den Füßen ab, erst sachte, dann bestimmt und bald schon immer fester. Schwung nahm ich auf, Tempo, Fahrt. Rasch hatte ich die Startbahn verlassen, hob ab, stieg auf, erreichte den Anschlag, legte nach, volle Kraft voraus, ein wenig noch, ein klitzekleines bisschen, das wär doch gelacht  -jajaja, endlich, endlich! – der Durchbruch. Es kracht und es birst über mir, schlagartig lässt der Widerstand nach, die Schaukel knallt durch, schwingt um die eigene Achse, ein scharfes Geräusch, Stoff reisst, der Baldachin zerfetzt, Steilflug. Mit einem dumpfen Geräusch landet mein träger Körper auf den Steinplatten. Ein Knirschen im Schädel, ein Schmerz. Ich schließe die Augen.
Exakt in diesem Moment kommt der Kanzler aus dem Haus, erblickt mich, eilt mit ausgestrecktem Arm zu mir herüber, klatscht seine Hand in mein Gesicht, der giftige Apfel in meinem Schlund löst sich, ich erwache, speie ihn aus, Tränen schießen mir in die Augen, der Mund ein wimmerndes, selbstmitleidiges Parallelogramm. Ich winsele, ich jammere, warm läuft das Blut aus dem Kopf, es riecht nach Eisen, mein Knie ist verdreht. Ernst schaut der Kanzler, prüfend und besorgt und ich schaue zurück und erinnere mich. Ein Stück Stoff, blauweiss, liegt auf meinem Arm, aus den Angeln gehoben ist die Hollywoodschaukel, der Gartentisch und ein Stuhl umgerissen und ich drehe mich langsam auf die Seite, rolle mich zusammen, nichts scheint gebrochen und dann grunze ich leise und schnaube und gluckse und lache und höre lange nicht mehr auf.

 

 

 

 

 

 

 

Bild: Hauptstraße, Henry Herkula, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/

Auf dem Leim

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Der Vogel denkt: Weil das so ist
Und weil mich doch der Kater frißt,
So will ich keine Zeit verlieren,
Will noch ein wenig quinquilieren
Und lustig pfeifen wie zuvor.
Der Vogel, scheint mir, hat Humor.

 

 

Wilhelm Busch

 

 

 

 

 

 

 

Bild: Юля Евдокимова j086_001s Москва, Экофест июль 2013
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

geblich, zweifelt, loren, zagt

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Zehn Monate braucht es, ein Kind auszutragen.
Zehn Monate, eine Lebensgrundlage wegzuspülen.
In weniger als zehn Tagen werden die Wellen über mir zusammen schlagen.

Dieses Blog ist eine uninspirierte Jammerplattform geworden. Kein Funken Schwerelosigkeit, keine graubunte Melancholie, keine bildhafte Erzählkraft, keine freundschaftlichen Dialoge mehr. Nur noch selbstumkreisender Monolog. Was mich antreibt und zugleich lähmt, ist die nackte Angst. Und um Herrn Ackerbaus Motto aufzugreifen: (only) In the absence of intimidation, creativity will flourish.

Nach einem niederschmetternden Vormittag sitzen wir benommen in der Küche. In meinem Kopf wummern die großen Glocken, im Hintergrund das Zetern der Spatzen auf den Bambushalmen. Auch die Meisen geben fröhlich Laut und für einen Augenblick sehe ich mich im Licht des Tages auf der Schaukel meiner Kindheit sitzen. Über mir das Quietschen der Haken im Ring, in den Bäumen der rostige Gesang früher Vögel. Unwirkliche, gleißende Gegenwart. Jetzt.

Der Bekannte und ich sitzen und starren. Jeder für sich.
Auf der Straße streben Menschen Interimszielen entgegen. Vis à vis performt eine Gruppe orange gekleideter Arbeiter urbane Männlichkeit. Im Kreis aufgestellt, betrachten sie die Gehwegplatten und kratzten sich am unrasierten Kinn.

 

Nachts schaue ich mir Reportagen über Halligen an. Ohne Eile und ohne Furcht bereiten die Bewohner sich auf Landunter vor.
Es beruhigt mich, zu sehen, dass zumindest ein kleiner Teil der Warften immer über Wasser bleibt, und dass die Menschen in ihren Schutzräumen auch die verheerendste Sturmflut unversehrt überstehen.

Bild: Jaym s., img 1864, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/

Der Transformator

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Der blauen Lippen hatte der Moderator von seinem Onkel geerbt, obgleich dieser nicht einmal sein Vater war. Während des Rauchens verblassten die Lippen des Moderators ins Taubengrau. Einen familiärer Erfahrungswert diesbezüglich gab es nicht, denn der Onkel war Nichtraucher und früh verstorben.
Die Lippen des Moderators waren voll wie die des jungen Belmondo. An besonders herzschwachen Tagen sah es aus, als parkte ein blaues Schlauchboot zwischen Nase und Kinn. Besorgt über seinen Gesundheitszustand schwieg ich. Ich wollte das Unglück nicht wecken. Meine Zuneigung zeigte ich dem Moderator indes durch Kühle und Distanz. Manchmal auch durch andere geeignete Maßnahmen, beispielsweise schmale Röcke und chanelroten Lippenstift.
Ihn zu mögen, machte mir Angst, und Angst begegnete ich mit Kälte.
Besonders unheimlich war mir, dass der Moderator mich auch dann oder dann ganz besonders mochte, wenn ich sehr garstig zu ihm war. Willkürlich diktierte Beziehungspausen akzeptierte er klaglos und küsste mir zum Abschied liebevoll die Hände. Auch meine Flirts ließ er unkommentiert. Einmal holte er mich nachts bei einem Anderen ab. Ich war eingeschneit worden.
Vorwürfe machte er mir erst viel später. Da waren wir schon Jahre getrennt.

Meine Furcht, den Moderator mit den blauen Lippen zu verlieren, war so groß, dass ich, je mehr ich mich in unsere Beziehung verstrickte, immer neue Hindernisse ersann die uns trennen sollten. Mein innerer Trafo war darauf geeicht, jedes warme Gefühl ihm gegenüber in schnodderige Coolness umzuwandeln. Oft vergaß ich dabei sogar, ihn in den Arm zu nehmen und auf die blauen Lippen zu küssen.
Erst viel später begriff ich, dass auch der Moderator einen Umwandler besaß, der es ihm ermöglichte, die Signale die ich sendete zuverlässig zu dechiffrieren und in die richtige Sprache zu übersetzen.

 

 

 
Das Internet sagt, es geht ihm gut.

 

 

 

 

 

 

Bild: bswise, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

Hihi! Hilfe!

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Ende nächster Woche wird endlich ein Urteil fallen.
Vorher müssen die Beklagte und ich uns auf einen richterlich angebotenen Vergleich einigen. Oder nicht.
Der Vergleich ist tatsächlich ziemlich gut und fair.
Der Haken: die finanzielle Sicherheit, die ich der Gegenseite bieten soll, falls im Hauptverfahren dann doch festgestellt werden sollte, dass ich bis zur endgültigen Entscheidung meines Falles zu Unrecht die notwendige Behandlung (die seit vielen Jahren unstrittig war) erhalten habe, habe ich leider nicht. Hätte ich Abertausende in der Pipeline, hätte ich mir diese Qual der letzten Monate gar nicht erst angetan und meine Behandlung einfach selbst bezahlt.

Es ist schon ein bisschen verrückt, wenn man wegen des totalen fiannziellen Burnouts vor Gericht um Hilfe bettelt, nachweist, dass auf dem Konto nur noch ein zweistelliger Betrag vorhanden ist, man keinerlei Vermögenswerte besitzt, außer einer uralten, wertlosen Karre, darlegt, dass man bereits ein sehr hohes Privatdarlehen aufnehmen musste, um sich überhaupt noch über Wasser halten und sich auf eigene Kosten  behandeln lassen zu können, wenn man dann dennoch  aufgefordert wird, finanzielle Sicherheiten im 5stelligen Bereich zu bieten, um Hilfe zu erhalten. Hihi!
– Hilfe!

Nächste Woche also.
Falls ich dann immer noch nicht weiter komme, muss ich im Eilverfahren 1 Instanz höher.
Sehr aufregend das.

Tinnitus rechtes Ohr.

 

 

 

 

 

 

Bild: Alejo, teilatuz teilatu, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/

10 Tropfen am Stück

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Während draußen im Hof die Bäume ihre schütteren Häupter hin und her werfen und sich im Sturm biegen und anrempeln, sitze ich in der geheizten Wohnung und genieße mein Krankgeschriebensein so gut es geht.
Der Bekannte weilt im Norden und plant, morgen zurück zu kommen, doch ob die Bahn ihn hierher bimmeln kann, ist wegen der Wetterlage noch fraglich.

(Vor einem Jahr starb meine liebe Tante. Sie hieß Friederike, wie der Sturm).

Der Anwalt schreibt der zuständige Richter sei für 3 Wochen im Urlaub. Nun muss ich hoffen, dass seine Vertretung kommende Woche aktiv wird. Viel länger kann ich nicht durchhalten.

Neben all dem Stress, den die Sache mit sich bringt, ist es eine besondere Erfahrung, einmal mit der Judikative zu tun zu haben. Manchmal gelingt es mir sogar meinen eigenen Fall mit Interesse und ganz ohne Angst zu betrachten, und dann frage ich mich, was wohl die Beklagte vorbringen wird, um ihr aberwitziges Verhalten zu recht-fertigen. Falls sie endlich mal ihre Justiziare arbeiten lässt, müssen diese mit gesenktem Haupt und einer weißen Fahne vor´s Richterpult treten,  ihre Waffen sowie den Vorrat an psychedelischen Drogen abgeben, den die Sachbearbeiter in ihren Schubladen gehortet hatten, und außerdem hundertfuffzig mea culpa rückwärts aufsagen. Der Richter wird die Stirne runzeln und in donnerndem Bass sagen: Sowas machen Sie mir nie wieder, ja? Ich gelobe, werden eilfertig die Justiziare antworten und anschließend rückwärts kotauend das ehrwürdige Haus verlassen.

Genau so wird es sein.

 

 

 

 

 

 

Bild: flickr, 20111119-0069, 陶德
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

there is no threat

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Am Morgen ruft die Tierklinik an. Tölchens Blutwerte sind unerwartet gut. Und das ganz ohne Medikamente. Den Rest des Tages stelle ich das Telefon stumm.
In meinem Mailfach herrscht angenehme Stille. Nur der Argentinier bittet um einen kleinen Gefallen und der Spezialfutterlieferant schickt eine Versandnachricht, unterschrieben von der Customers Happiness Managerin Annika. Im Briefkasten dann zwei mittelanstrengende Sachen. Alle wollen Daten von mir. Wer bist du, wohin gehst du und weshalb. Ich gebe sie ihnen und murre nur mäßig dabei.

Schöne Neuigkeiten und ein hinreißendes Foto erreichen mich über Whatsapp. Da entfaltet sich hoch im Norden gerade ein großes Glück und ich darf von der Ferne zuschauen und mich mitfreuen. Das ist schön und das hebt meine Stimmung ganz gewaltig.

Anderswo schmeckt der Kuchen, was mich freut. Umso mehr, weil heute auch mein Geburtstagskuchen nach einer einwöchigen Rundreise eingetroffen ist. Ich werfe zwei Pillen ein und lege los. Fantastisch!  Das Marzipanschwein, das ihn auf seiner Reise begleitet hat, macht seine Arbeit gut.
Jetzt muss sich nur noch das Amtsgericht melden und zu einer für mich günstigen Entscheidung kommen, damit endlich Druck aus dem Kessel bzw. aus meinem Leben kommt. Denn solange diese Sache nicht erledigt ist, werde ich weiterhin chronisch erschöpft im Bett herum liegen. Morgens mit Fieber wie Betty Blue und abends mit Schüttelfrost, wie – passenden Vergleich einfügen (mir schwebt etwas in der Art vor wie: mit Tüllröckchen am Nordpol).
Zur Ablenkung und weil das konzentrierte Lesen mir gerade schwer fällt, schaue ich mir Dokus auf youtube an. Am liebsten Geschichten über Geschwister. Beziehungen zwischen Zuneigung, Verbundenheit und Konkurrenz. Einerseits aus dem Leben gegriffen und mir sehr vertraut, andererseits schön weit weg und gar nicht schmerzhaft. Aufwühlende Gefühle meinen Geschwistern gegenüber habe ich nicht mehr. (Bin nicht ganzsicher, ob das so stimmt, und wenn ja, ob´s im Ernstfall so bleibt).

Als ich darüber nachdenke, welche Entwicklung wir Drei genommen haben, fällt mir auf, dass der Bruder, dessen Vulkan noch lange nicht erkaltet ist, bis heute nicht auf meine Mail zu Weihnachten geantwortet hat.
Ich frage den Kanzler ob er etwas wisse. Ja, sagt er, die Post dort arbeitet schlecht.
Drum, antworte ich so beiläufig wie möglich und lasse es dabei bewenden. Er will und er muss sowas, und anderes erst recht, nicht wissen. Soll er glauben alles in meinem Leben sei zum Besten bestellt.
Eines Tages werde ich ihm erzählen können was sich hier monatelang abgespielt hat und noch ehe er sich ans kranke Herz fassen kann, werde ich schon entwarnen und sagen:  Keine Angst, Papa! There is no threat!

 

 

 

 

 

 

 

 

Bild: Misha Maslennikow, photographer Ekaterina Solovieva on vacation, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/