Archiv für den Monat Oktober 2016
treideln
Ich habe von einem Krokodil geträumt, sagt die Zimmernachbarin und beinahe fällt mir die Tasse aus der Hand (diese Formulierung verbildlichte in Zeiten, in denen ich aufwuchs einen Zustand höchsten Erstaunens oder Erschreckens).
Von was?, frage ich und kann trotz des unerwarteten inneren Wellengangs kaum die Augen offen halten. Von einem Krokodil, wiederholt sie und schaut mich erwartungsvoll an. Ich nicke. Müde bewegt mein Gehirn, auf der Suche nach einem blassen Erinnerungsfetzen, ihre Worte hin und her. Hat nicht erst gestern die Theaterfrau genau den gleichen Satz gesprochen?
Hast du gestern von einem Krokodil geträumt? tippe ich in mein Handy.
Ja, antwortet kurz darauf das Display, von drei Krokodilen sogar. Sie haben mir in die Hand gebissen.
Das geht ja noch, denke ich im Halbschlaf, immerhin habt ihr beide die Angriffe überlebt.
Ich muss mich noch auf meinen Vortrag vorbereiten, sagt die Zimmernachbarin in meine Gedanken hinein, ich referiere über luzides Träumen.
Erstaunt blicke ich auf und sehe sie lächeln, als hätte sie n der Wurfbude einen Volltreffer gelandet.
Draußen ist es neblig, die Essigbäume tragen gelbes Gefieder und über den Krankenhausparkplatz schnürt ein kleiner Fuchs mit ausgebleichtem Fell. In der Ferne sehe ich das Schöneberger Gasometer. Dahinter liegt Kreuzberg, eine andere Welt.
Im vierten Stock steht ein Lavazza-Automat. Wenn man 1 Euro einwirft und auf die Cappucino-ungesüßt-Taste drückt, erhält man einen dunkelbraunen geriffelten Becher mit zuckersüßem Kakao. Falsch befüllt, denke ich und pilgere durch die endlosen Neongänge in die Aufnahmehalle, wo der zweite Lavazza-Automat steht und alsdann der zweite Euro für pappsüßes Gesöff flöten geht. Bestimmt hat irgendein gieriger Automatenbefüller seinen eigenen Billokram da reingetan um noch mehr Reibach zu machen, überlege ich und frage mich, ob ich unter der am Automaten angegebenen Nummer anrufen oder gleich bei Herrn Lavazza vorsprechen sollte. Hab ja sonst nichts zu tun.
Der dritte Automat, an dem ich mich versuche, rückt gegen Einzahlung eines Zwanzigeuroscheines eine Fernsehkarte von Siemens heraus. Im Nachbarautomaten gibt es dazu passende Kopfhörer für 3 Euro. Ich kaufe beides und lege es, zurück im Zimmer, in den Tresor, den man gegen Einwurf einer Zwei-Euro-Münze benutzen kann.
Durch besondere Umstände bin ich auf der falschen Abteilung, der Gynäkologie, untergebracht, in die kein Arzt von meiner eigentlichen Station sich je verirrt. Da jede Menge Männer in Schlafanzügen über unseren Flur schlurfen, nehme ich an, dass es derzeit entweder erfreulich wenig Frauenleiden gibt, oder aber, dass diese Fachrichtung hier einen derart schlechten Ruf genießt, und dass, wer geheilt werden möchte, sich lieber auf den Weg nach Havelhöhe macht, wo in der dunklen Jahreszeit die Kerzen auf den regenbogenfarben getupften Fluren flackern, hundsgroße Hasen mit gespitzten Ohren im Park herumstehen, die in grobes Leinen gewandeten Eurytmielehrerinnen einen asymmetrischen Bob tragen und wo den Patienten zu Mittag, nach der Wickelstunde, eine Spritze kristallklaren Bergwassers injiziert wird.
Wir sind ein anthroposophisches Haus, antwortete man mir damals auf meine Frage nach einem Fernsehapparat. Auch dort war ich auf der falschen Station, der Onkologie, gelandet, wie ich überhaupt ständig irgendwie falsch bin und in Frankfurt/ Oder ankomme, wenn ich den Zug nach Wittenberge nehme, oder in Heidelberg, wenn ich nach Koblenz fahren möchte.
Um zur Krankenhauskapelle zu gelangen muss ich einen der drei Aufzüge nehmen, die das Bettenhaus II bedienen, und steige in den mittleren Lift mit der Nummer 10. Im Erdgeschoß allerdings trete ich aus Lift Nummero 11 wieder heraus und bin schlagartig von einer tiefen Zuversicht erfüllt: wenn sie es schaffen die Positionen der Kabinen während der Fahrt unbemerkt zu vertauschen, dann können sie alles und mir wird nichts geschehen in diesem großen, schweren Dampfer gleich neben dem Teltowkanal.
Bild: Charité Campus Benjamin Franklin, Nino, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/
Reling
Der befreundete Anästhesist schickt mir eine Empfehlung zur Medikation vor, während und nach der Narkose, weiterzureichen an den behandelnden Kollegen. Sein Rat: von allem so wenig wie möglich. Außerdem möge man „auf alle möglichen kardialen Überraschungen gefasst (…) sein, und sich von allen Seiten Glück und eine glückliche Hand wünschen (…) lassen“.
Da kann ja eigentlich nichts mehr schief gehen.
Vor den zu erwartenden Schmerzen habe ich gar keine Angst. Die lassen sich wegatmen. Ich beherrsche die Technik der Flucht nach innen, an einen sicheren Ort, von dem aus ich so ziemlich alles ertragen kann. Ruhig und hell ist es dort und ich bin stark und unverwundbar. Es ist mir möglich aus meinem Körper herauszustreten und mich vor Unbill zu schützen, solange ich mich mit meiner Seele an mir selbst, meiner inneren Reling, festhalten kann.
Angst habe ich allerdings davor, dass genau dieser Rückzugsort mir durch die passagere Psychose, die ich jedes Mal nach einer Narkose durchlebe, zeitweilig abhanden kommen könnte. Dass aus meiner Seele wieder ein hauchdünnes Flatterband ohne Substanz und ohne Hafen wird, dass ich mir selbst verloren gehe, irgendwo auf dieser Reise und ich erst mühselig und über Wochen und Monate die versprengten Teile einsammeln und zusammensetzen muss.
Ich fürchte mich davor, dass mir ein Gruselclown im Krankenhaus erscheint, dass ich von Paranoia gejagt aus dem Fenster springen möchte, dass ich ohne Kurzzeitgedächtnis ziellos in meinem Wahn herumschippere (für mein Umfeld übrigens nur während der ersten zwei Tage nach der Op bemerkbar) und, dass ich nicht mal Valium zur Beruhigung bekommen werde, weil ich auf Benzodiazepine paradox reagiere, nämlich mit manischen, exhibitionistischen Anwandlungen (note to myself: schöne Unterwäsche einpacken, für den Fall).
Gleichzeitig freue ich mich, dass ich dann wohl hoffentlich schon übernächste Woche beschwerdefrei bin, und, dass ich im Krankenhaus endlich werde schlafen können, ohne ständig auf das Atemgeräusch des Hundes, oder das Gluckern in ihrem Bauch lauschen zu müssen.
Töle wird, und das macht mich besonders glücklich, während meiner Abwesenheit von dem Einen versorgt werden, trotz allem, ebenso wie die Katz.
Das ist eine so schöne Wendung, dass mir alles andere auch nicht mehr soviel ausmacht, und wenn ich dann noch daran denke, wieviel Unterstützung ich von den lieben befreundeten Netzfrauen bekomme, dann möchte ich beinahe frohlocken und bin schon gleich wieder ganz zuversichtlich und vergnügt. Danke, danke, danke!
Den geborstenen Wassertanks in der Welt möchte ich zurufen: Seid Ihr noch ganz dicht?
Und überhaupt sende ich prophylaktisch schon mal ein paar Grüße rund um den Globus, den ich auf meinem Kurztrip zu bereisen gedenke.
Mit etwas Glück krieg ich sogar Propofol verabreicht und werde damit einen wunderbaren Rausch erleben! Falls ja, kriegt Alice bei Interesse einen kleinen Erfahrungsbericht dazu.
Montag Vormittag geht’s los. Ich wünsche meiner Leserschaft ein erholsames Wochenende, beware of the Gruselclowns und haltet Euch immer schön an der inneren Reling fest, dann kann Euch nichts passieren.
Bild: Alexandr Shepchenko, Француз is a Clown, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/
freier Wille
Am frühen Morgen erreichte mich eine Mail mit Instruktionen für ein zufriedeneres Leben.
Es war dort auch die Rede vom freien Willen.
Obgleich ich zuerst schmollen oder zumindest ein bisschen meckern wollte, weil ein vom Glück gepamperter Mensch mir erklären möchte, was ich falsch mache, bzw. wie ich es besser machen könnte, fand ich dann aber seinen Hinweis auf den freien Willen und dessen Wirkkraft doch so charmant und putzig, weil nämlich dieser mit meinem ganz realen und nicht nur entworfenen oder erträumten Leben, in dem Tag für Tag der gleiche Schnellzug, ohne Rücksicht auf Verluste, durch mein Gemüt rauscht und ich mich nur noch entscheiden kann ob ich das lustig oder erschreckend finde (mal so, mal so) die Weichen aber offenkundig anderswo gestellt werden, bekanntermaßen nur sehr wenig zu tun haben scheint, dass ich, während des Lesens der Mail, dann doch noch sehr herzlich lachen musste, darob mein inneres Grummeln vergaß und mit bester Laune aus dem Bett stieg.
Danke! Auch für´s Lesen dieses langen Satzes, der einfach so aus mir herausgesprudelt ist, ohne mein Dazutun.
Musik zum Text: David Bowie, Always Crashing Into the same Car
Schaum vor dem Mund
Als ich gerade in mein Auto gestiegen bin, steht plötzlich die knapp dreißigjährige Assistenzärztin neben mir. Sie war mir auf den Parkplatz gefolgt, um mich dort mit hochrotem Kopf und erhobener Stimme zur Rede zu stellen.
Aus einer überaus misslichen Lage heraus, war ich, nach einem sehr unangenehmen und schmerzhaften Wochenende, zur ambulanten Untersuchung in die Klinik gefahren, wo eben diese Ärztin mich begutachtet und anschließend verabschiedet hatte. Am nächsten Tag solle ich einen Termin mit dem Chirurgen ausmachen.
Als sie bereits in der Tür des Behandlungszimmers stand, fragte ich noch kurz, ob mit meinen Blutwerten alles in Ordnung sei. Achja, die könne sie mir noch nachreichen, ich solle doch bitte noch warten, sie sei in der Notaufnahme beschäftigt.
Eineinhalb Stunden später, die Anmeldung (und folglich auch die Abmeldung) hat schon geschlossen, sitze ich immer noch da und denke: sie ist wirklich sehr beschäftigt, wahrscheinlich hat sie mich vergessen, da will ich nicht stören und gehe jetzt mal. Der Hund wartet Zuhause, die Fahrt ist lang, es ist gleich 17 h, die Blutwerte sind mir eigentlich wumpe und morgen rufe ich ja sowieso an wegen eines Termines.
Ein riesiger Fehler!
Wie ich es überhaupt wagen konnte die Klinik zu verlassen, wieso ich überhaupt abhaue, ich sei schließlich in ein Krankenhaus gekommen und könne da nicht so einfach unabgemeldet verschwinden, keift sie auf dem Parkplatz herum, und würde mir am liebsten eine scheuern, so geladen ist sie. Meinen Einwand, dass ich dachte wir seien nach Ihrer Verabschiedung und dem Ende der Untersuchung fertig gewesen, das Nachreichen des (übrigens unauffälligen) Labors eine reine Formalie, nicht wichtig jedenfalls, es täte mir wirklich leid, ich habe sie nicht vor den Kopf stoßen wollen, ich hatte ja keine Ahnung und das wollte ich nun wirklich nicht, mea culpa, mea maxima culpa, lässt sie vollends durchdrehen. Ein Orkan der Wut entlädt sich über mir, wie man ihn eigentlich und uneigentlich nur von hochgradig psychopathischen Menschen erwarten würde (die einen im Anschluss vor die einfahrende U-Bahn schubsen) bis sie sich schließlich umdreht und mit wehendem Kittel zurück in die Klinik stampft und ich Blödi ihr hinterher haste, wie ein zurechtgewiesenes Kind.
Und wieder warte ich vor der Notaufnahme, in der sie verschwunden ist, bis sie nach einer ganzen Weile erneut heraustritt, sofort auf mich zusteuert und mich vor der versammelten wartenden Patientenschaft gleich nochmal zur Sau macht, aber so richtig. Auch die zweite Entschuldigung will nichts fruchten, und in einer finalen Attacke bäumt sie sich mit ihrer ganzen kranken Wut und ihrem puterrotem Kopf auf und spuckt mir ihre offenkundige Aversion ins Gesicht: da dürfen Sie sich wirklich nicht wundern, wenn das Arzt-Patienten-Verhältnis Schaden nimmt.
Nein, da wundere ich mich nicht, denke ich, bei solchen Umgangsformen nimmt das ganz sicher Schaden, und zwar erheblichen.
Dieses Zehlendorfer Krankenhaus jedenfalls, scheint mir, trotz seines ausgezeichneten Rufes, nicht der richtige Ort zu sein mich in den Tiefschlaf legen und behandeln, geschweige denn operieren zu lassen. Ich will gar nicht wissen, wie der Chirurg durchdrehen würde, falls ich mich während des Eingriffes nicht kooperativ genug verhielte.
Was macht diese Stadt bloß mit den Seelen der Menschen?
Bild: txmx2, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/
Katastrophenkarussell
Dramen, Tränen, Pathos, Pech und Schwefel.
Manchmal scheint mir, ich sammelte jeden Irrsinn im Vorbeigehen von der Straße auf. Einmal dran vorbei und schon hängt´s mir am Hacken.
Ich, Fusselrolle der Irren, Reibefläche der Streitsüchtigen, Magnet der Narzissten, Challenge der Hedonisten, Sammelstelle für Wahnsinn, Chaos, Herzschmerz und Pein.
Ich zieh´ das an, das klebt an mir fest, ich werd´ das nicht los.
Man kann sich das eigentlich gar nicht vorstellen so slapstickmäßig übertrieben ist das. Ich bin die Frau, die stolpert und mit dem Auge am Gartenzaun hängenbleibt, bildlich gesprochen.
Trete ich aus dem Haus, stehe ich schon im ersten Hundehaufen und wenn der brutale Ausnahmefehler eintritt bin ich die unfreiwillige Probandin.
Das passiert eigentlich nie!, oder Da haben Sie aber wirklich ausgesprochenes Pech gehabt, eine Verkettung unglücklicher Umstände!, sind hilflos-zerknirschte Entschuldigungen oder Formeln meiner Umwelt, die ich auswändig kenne. Jeder Dübel, den ich in die Wand bringen will scheint ein schier unüberwindbares Hindernis zu sein, der Friseur schneidet versehentlich in den Hals, der Zahnarzt bohrt in den Knochen, statt in den Wurzelkanal, der Operateur ist noch nicht so firm mit der neuen Methode und vom Notarzt schweige ich heute mal.
Klar hat die Katze irgendwelche besonders schwer zu beseitigenden Parasiten, die tägliches, stundenlanges Kärchern notwendig machen, logisch, dass der Schaden, den die Mischbatterie verursacht hat nicht von der Versicherung bezahlt wird. Natürlich wäscht die Freundin den ausgeliehenen Schal versehentlich im Kochprogramm und selbstverständlich rennt der Kater, in seinem sprudelnden Lebensglück, mir nachts übers Gesicht und reisst dabei meine Wange auf. Kleine Fleischwunde, na und!
Und das sind beileibe die größten Katastrophen, sondern bloß deren Begleitumstände.
Über den ganzen anderen Wahn und Gram mag ich mich hier gar nicht weiter auslassen. Zum Mäuse melken!
Manchmal schließe ich die Augen und denke: das stimmt alles gar nicht, das träumst Du bloß, das träumt irgendwer und du selbst bist nur Teil dieses Traumes und dann wünschte ich der Träumende erwachte endlich und befreite mich aus dieser schwindelnden Achterbahn, die mein Leben ist.
Ich muss überhaupt nichts tun, da trifft mich der Schlag. Einfach so. Zack, haut das Schicksal mir mit der Handkante in den Nacken und krault, kaum, dass ich zu Boden gegangen bin, aufmunternd meinen Kopf. Wird schon wieder werden, Kleines!
Mein bloßes Sein reicht aus den Spieltrieb der Götter herauszufordern. Mein wackerer, aussichtsloser Kampf besänftigt sie dann doch und sie schenken mir ein Lächeln.
Luft holen.
Denn, und das ist das Bizarre, ich habe in diesem Wahnsinnskettenkarussell, in dem sich, jeden Tag auf´s Neue, genau und nur mein Sitz bei voller Fahrt aushängt und im hohen Bogen durch die Luft geschleudert wird, immer wieder einen solchen Massel, dass nämlich auf das Unwahrscheinliche das Allerunwahrscheinlichste folgt:
ich lande in einem Heuhaufen, dem einzigen weit und breit, der sich rein zufällig neben der betonharten Piste befindet, die ich nur um ein Haar verfehle. Unverhofft weich lande ich, natürich mitten im Mist, was soll´s, und falle erschöpft in den Schlaf.
Zzzzzzz
Sobald ich wach bin geht es gleich weiter. Also: sofort, subito, augenblicklich!
/
Ich war das Mädchen, dass sich im Sonntagskleid auf einen Stuhl mitten im Wohnzimmer setzen und diesen nicht verlassen sollte, bis die Eltern mit uns das Haus verließen. Auf keinen Fall durfte ich mich schmutzig machen, koste es was es wolle. Denn entweder käme ich sonst ins Heim, oder aber in die Schimpfhölle. Da saß ich also und guckte Löcher in die Luft, studierte das Muster des Kelim, betrachtete das Gemälde an der Wand, schaute aus dem Fenster, wickelte meine Haare um den Finger, tastete die Unterseite des gepolsterten Stuhles ab, wackelte ein wenig auf dem Sitz herum und überprüfte, wie die Federn unter mir auf meine Bewegung und die Gewichtsverlagerung reagierten, zupfte mir zwischendurch mein schönes Kleidchen zurecht, hielt mit einer Hand meinen Fuß fest und versuchte das Bein auszustrecken, zog die Socken hoch, schaute mir die Sohlen meiner Schuhe an, stellte fest, dass der kleine Absatz schief abgelaufen war und plötzlich ist die Zeit rum, meine Eltern rufen zum Aufbruch und ich stehe unversehens, von Kopf bis Fuß verdreckt, mitten in der Schimpfhölle.
So war das und so ist das.
Ich mische zwei harmlose Zutaten zusammen und es gibt eine Explosion.
Ich sitze in einer Kneipe und gerate in einen Raubüberfall, ich fahre mit dem Auto und der Motor fängt an zu rauchen, die Katz spaziert über´s Kochfeld und löst einen Küchenbrand aus.
So what!
Mein Leben als Drehbuch?
Abgelehnt- zu dick aufgetragen.
La catastrophe, c´est moi!
Bild: Boris Ott, flickr, http://www.derwellenflug.de
Lizenz: https://www.flickr.com/photos/augschburger/3910941498/in/photolist-fXpMkY-6GuAom-6XAUxb-dHiUkW-6XwYKX-bYKqmQ-74CY6X-8p2fKh-6XBf2d-6XwS9e-8oXWTk-6XAwpb-4xPFyA-6XBiRJ-2NzbuF-6XwBXe-6XwDGZ-6XAADQ-gdGq3-6Lxxyx-6XwENa-6N5PSs-xWWbgm-2Nzche-wbhHwJ-wbpwGV-GqPTwE-AeGRUR-K4MVFa-wsbifY-wsRZmz-vw2Sfi-wsdxQW-wbh6ZU-wbgJcd-wtm7XX-wsTgPH-vvZike-wqzBEU-wsS3QD-vvSYpb-wtk1cp-wbnUra-wbgnKw-wbh21y-vvRnYu-vBMdfm-vCknXB-LAUVpa-8vwxkr
Vergangen
Die Momente, die vergehen mussten, damit wir sie erleben konnten. Unser verlorener Schatz.
Wärst Du nie da gewesen, ich vermisste uns heute bloß als Ahnung einer Möglichkeit.
Wird Glück nicht immer auch bezahlt mit dem Schmerz über sein Verschwinden und dem Kummer, der ihm vorausging? Und ist es denn mehr, als die Abwesenheit von Leid und Einsamkeit?
Wie zerstörerisch sterbende Liebe sein kann, die Enttäuschung und die Wut darüber, dass sie nicht bleiben mochte, sich verabschiedet hat. Der Gast, für den man anfangs noch täglich die Betten aufschüttelte und später nicht einmal mehr aufsah, oder nur müde nickte, wenn er den Raum betrat.
Körnchenweise fortgespültes Land, die Erosion, die wir schweigend in Kauf nahmen, obwohl wir wußten, dass es keine Heilung gab und geben konnte, für das was wir verspielten. Und doch taten wir, als ginge es immer weiter und beinahe glaubten wir es.
Das Fremde im Vertrauten. Das Gemeine, das zwischen den Zähnen hervorzischelt einer giftigen Schlange gleich, eine Machete im Dickicht der Wut und Verzweiflung.
Zerstören, was wertvoll war.
Polterabend, sagt der Zyniker in Dir.
Das wächst nicht nach, das siecht. Da gibt es keinen zweiten Versuch, keine Wiederkehr. So ist das mit den kostbaren Dingen; die Vergänglichkeit ist der Schatten alles Schönen.
Kein Licht mehr, wo es hell war und kein Bleiben.
Versiegt, verdorrt, verdurstet.
Vergangen.
Bild: gravitat-off, Untergang am Kubus, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/
Risiko
Die WLAN-Anzeige meldet: Sie sind jetzt verbunden mit Gott.
Gott ist möglicherweise riskant, entgegnet die Antivirus-App des Smartphones.
No risk, no god?
Wundersame Wendung, oder Die Irre an der Scheibe
Manchmal, wenn wir zusammen auf dem Bett liegen und die Hunde gemütlich auf ihren Schlafplätzen schnarchen, zieht der Unterfranke seine Strümpfe aus, greift dann mit den Zehen nach meinen Socken und zuppelt auch diese mit viel Geschick herunter. Im Anschluss klemmt er der Reihe nach meine Zehen zwischen seine und zieht sie lang, einen nach dem anderen, bis es ganz leicht und wohlig in den Gelenken knurpselt. Dieses kleine intime kuschelige Ritual bereitet mir immer wieder ein solches Wohlgefühl und ich mag es so gerne, wenn seine warmen Zehen meine eiskalten Füße bearbeiten und kraulen, dass ich anfange zu kichern und zu lachen bis das Grinsen meinen ganzen Körper erfasst und zu einem inneren Juchzen und Jauchzen wird. Dabei bin ich gar nicht kitzlig, zumindest nicht dort. Wenn ich dann so vor behaglicher Zufriedenheit leuchte, freut sich auch der Unterfranke, der diesen Effekt natürlich gut kennt, und schon haben wir die schönste Harmonie, und der Unterfranke, der immer gerne so tut, als wäre er ein harter Brocken, in Wahrheit aber ein äußerst lieber und sensibler Mensch ist, wird ganz weich und kommt ins Erzählen.
Eine der Lieblingsgeschichten des Unterfranken ist, wie er mich zum ersten Mal gesehen hat, in der Wrangelstraße, gleich um´s Eck. Damals war er mit einem Kollegen im Auto unterwegs als dieser ihn plötzlich aufgeregt von der Seite anrempelte: Haste das geseh´n! Guck mal was die Frau da macht! Nicht zu glauben! Eine Irre!
Richtig kennengelernt haben wir uns aber erst ein paar Jahre später, als er auf Empfehlung einer Bekannten mein Dogwalker und Hundetrainer wurde.
Diesen Teil der Geschichte finde ich immer am Lustigsten, denn, wie ich natürlich sehr schnell herausfand, hatte der Hundetrainer zum Zeitpunkt unseres Kennenlernens null, wirklich null, Ahnung von Hundeerziehung, war also in Wahrheit eher ein ambitionierter Canidenfreund. Den Umgang mit Hunden habe ich ihm später erst nahegebracht, nachdem ich mich, angespornt durch anfängliche Fehlschläge, mit Verve in das Thema eingearbeitet und bei meinem Hund große Erfolge damit erzielt hatte. Inzwischen habe ich eine äußerst gut erzogene Hündin an meiner Seite und er einen sehr liebenswerten Rüpel, der immerhin Pfötchen gibt, manchmal sogar Sitz macht und ansonsten vor Lebensfreude wie ein Springbock durch die Gegend tollt und jedes Mal, wenn der Unterfranke mich freundschaftlich in den Arm nimmt eifersüchtig losbellt.
Ich werde nie vergessen, sagt der Unterfranke jetzt, wie du damals vor diesem Schaufenster gehockt hast und ich nicht fassen konnte, was ich da sah.
Jetzt lachen wir beide, der Unterfranke nimmt mich in den Arm und Rüpel bellt dazu.
Die Geschichte ging so: in der Wrangelstraße hatte mal wieder irgendeine Kaschemme dicht gemacht. Wahrscheinlich wegen einer Schießerei. Jedenfalls war sie eines Tages geschlossen, und in der Fensterscheibe fanden sich mehrere Einschusslöcher. Zu dieser Zeit führten meine Aktivitäten mich täglich an dem Laden vorbei und jedes Mal warf ich einen bedauernden Blick auf die dort verdurstenden Pflanzen.
Der Sommer verging, es kam der Herbst und dann der Winter, ich vergaß die Kneipe und das Siechtum darin und erging mich in den alljährlichen, düsteren Winterverstimmungen. Erst im darauffolgenden Mai führte mich mein Weg wieder an dem geschlossenen Lokal vorbei. Eher zufällig schaute ich in das vollkommen verdreckte und von Kugeln durchschlagene Schaufenster und blieb abrupt stehen. Das konnte doch nicht wahr sein! Die gesamte Fensterbank lag voll mit vertrockneten Blättern und in den Töpfen steckten traurige, tote Strünke. Doch eine Pflanze, eine einzige trug nach Monaten, die sie inzwischen ungegossen und unbeachtet herumstand und einstaubte, tatsächlich noch immer grüne Blätter. Zweieinhalb genau. Der Anblick dieses kleinen lebenshungrigen Mitgeschöpfes bewegte mich derart, dass ich noch eine Weile dort stehen blieb und es mit zärtlichem Blick betrachtete. Ein Wunder der Natur!
Dich rette ich, sagte ich schließlich mehr zu mir selbst, machte auf dem Absatz kehrt und ging schnurstracks nach Hause. Dort telefonierte ich solange herum, bis ich die Hausverwaltung ermittelt hatte, die für das Objekt zuständig war, und rief diese an. Rasch skizzierte ich die Situation: geschlossene Kneipe, sterbende Pflanze, monatelanger Todeskampf und unerschütterlicher Lebenswille.
-Und wat wollnse da jetzt von mir? fragt mich die Frau am anderen Ende der Leitung.
-Ich hätte gerne die Pflanze, um sie gesund zu pflegen.
-Dit jeht nüsch. Die jehört uns ja nüsch. Dit kann nur der Besitza bestümm, wat damit passiern soll.
-Der Besitzer ist aber doch verschwunden und außerdem kann er nicht einmal ahnen, dass da überhaupt noch irgendwas lebt, und wenn doch, dann ist ihm das offenbar vollkommen gleichgültig und die Pflanze stirbt! sage ich und registriere, wie mein Ton haarscharf an klinisch manifester Hysterie vorbeischrappt.
-Ick kann Ihn´ die Pflanze nüsch jehm, wiederholt die Frau und ist inzwischen hörbar genervt.
-Bitte!
-Nein!
-Ich gebe Ihnen 50 Euro.
-Nein.
-Hundert!
-Nein!
-200! rufe ich siegessicher.
-Nein! beharrt sie.
-Bitte!
-Nein!
-Sie sind so gemein und herzlos, rufe ich schließlich in den Hörer und lege wütend und enttäuscht auf. Leider werde ich mein Erlösungsversprechen nicht halten können, aber ich habe es zumindest versucht, denke ich, mehr geht eben nicht.
Doch halt! Natürlich geht mehr! Na klar!
Schnell schnappe ich, was ich für meinen Plan benötige und verlasse das Haus. In der nächstgelegenen Apotheke besorge ich mir das fehlende Zubehör und mache mich damit auf den Weg zu dem Lokal. Dort angekommen treffe ich die letzten Vorbereitungen, gehe in die Hocke, stecke die gefüllte Katheterspritze in eines der Einschusslöcher, versuche zu zielen und drücke durch. Das Wasser spritzt in das Innere des Ladens, verfehlt die Pflanze jedoch knapp und läuft auf die Fensterbank. Oh nein!
Es muss just dieser Moment gewesen sein, in dem der Unterfranke mit seinem Kollegen vorbeifuhr und die beiden eine knieende Frau sahen, die sich gegen ein Schaufenster lehnt, mit einer überdimensionalen Spritze herumhantiert und eine unbekannte Flüssigkeit durch ein Loch in der Scheibe drückt.
Ich war gescheitert, die Rettungsaktion missglückt, denn auch die nächsten Versuche führten lediglich dazu, dass das Wasser auf der Fensterbank landete und nicht in meinem Pflänzchen.
Nach weiteren fruchtlosen Versuchen gab ich es auf und fügte mich traurig in unser Schicksal. Dann war das eben so, dann sollte das wohl so sein. Nothing left to do. Mit hängenden Schultern ging ich nach Hause. Ich würde das kleine Leben nicht retten können.
Als ich am nächsten Tag erneut an dem Ort des Sterbens vorbeigehe, und schuldbewusst in den Laden schaue, ist die Pflanze verschwunden. Weg! Verdutzt bleibe ich stehen und weiß nicht, ob ich mich freuen oder traurig sein soll. Was mag bloß mit ihr geschehen sein? Wahrscheinlich haben sie sie, aufmerksam geworden durch meinen Anruf, entsorgt, um so einem weiteren Gespräch mit der Irren vorzubeugen. So muss es gewesen sein, denn alle anderen Pflanzenleichen stehen noch da, nur mein Zögling fehlt. Möglicherweise, so überlege ich weiter, hat es der Frau aber auch leid getan, sie hat unverhofft ihre innere Florence Nightingale entdeckt, das Büro abgeschlossen und ist in die Wrangelstraße geeilt, um das tapfere Pflänzchen zu befreien, es mit nach Hause zu nehmen und dort gesund zu pflegen.
Bestimmt war es so, versuche ich mir einzureden, doch ich kann mich selbst nicht so recht überzeugen von dieser Variante. Nachdenklich gehe ich weiter die Straße entlang in Richtung Hochbahn und denke über das Leben nach, über Schicksalswendungen und über die Verrohung der Menschheit. Wie ich so vor mich hinsinniere, die Augen fest auf den Boden geheftet um kreuzende Hundehaufen rechtzeitig wahrnehmen zu können, bleibt mein Blick plötzlich an der Eingangsstufe des nächsten Hauses hängen und mir fällt vor Überraschung der Schlüssel aus der Hand. Da steht sie! Sie ist es, ich erkenne sie wieder! Die zweieinhalb Blätter. Mein Pflänzchen!
Glücklich stürze ch zu ihr hin, und betrachte sie von allen Seiten. Verändert sieht sie aus, denn irgendjemand hat sämtliche vertrocknete Blätter entfernt, die Pflanze aus dem Topf heraus gelöst und die Erde vom Wurzelballen beseitigt, so dass dieser nackt daliegt wie ein Knäuel dicker, bleicher Würmer.
Wahrscheinlich, so wird mir schlagartig klar, dachte die Frau am Telefon, dass sich in der Pflanze ein Schatz verbergen müsse, wenn ich bereit war derart viel Geld für die Rettung von zwei (einhalb) Blättern auf den Tisch zu legen. Deswegen hat sie das arme Geschöpf regelrecht auseinander genommen.
Mit beiden Händen greife ich jetzt meinen Schützling, hebe ihn auf, eile zurück nach Hause und stelle ihn auf die Terrasse, wo ich den Topf mit Erde befülle und ihn gründlich wässere.
Nach getaner Arbeit stiefele ich leichten Herzens los und stoße vor der Bar auf der Skalitzer Straße mit einem Glas gutem Barbera auf das wundersame Leben an.
Epilog:
Die Pflanze wuchs und gedieh, und wie ich irgendwann heraus fand handelte es sich um eine Klivie, die äußerst giftig für Katzen ist. Um etwaigen Unfällen vorzubeugen stellte ich sie an einen unzugänglichen, aber leider auch dunklen Ort, wo es ihr dennoch gut zu gehen schien. Jedes neue Blatt entlockte mir kleine Jublerufe. Sie hatte es geschafft!
//
Jahre später lerne ich den Unterfranken kennen, dem ich eines Tages, wir liegen auf dem Bett und er zuppelt an meinen Zehen herum, die Geschichte der wundersamen Pflanzenrettung erzähle, was zu einem, mir unerklärlichen, Lachanfall bei ihm führt.
Du warst das, prustet er los und lässt von meinen Füßen ab, du bist die Verrückte, die ich vor Jahren gesehen habe. Na klar!
Dann erzählt er mir, wie die Szene sich ihm damals dargeboten hatte und wie lange dieser seltsame Anblick der knieenden Frau mit der riesigen Spritze ihn noch beschäftigt hatte.
Und heute, so schließt er die Geschichte, bist du mein Schnuckilein.
//
Inzwischen lebt die Klivie lange schon beim Unterfranken, der sie durch konsequente Nichtachtung und seltene Wassergaben immer und immer wieder zum Blühen bringt, was mir, vor lauter überbehütender Sorge, niemals gelungen war.
In die Räume der stillgelegten Kneipe haben nun auch die Medienmenschen Einzug gehalten, die seit ein paar Jahren den Kiez mit ihrem Geld und ihrer sprudelnden Kreativität fluten.
Time goes by.