Martinizing

Der geschätzte Herr Ackerbau schweigt weiterhin und ich fühle mich wie eine geschwätzige Egomanin, wenn ich in diesen Zeiten noch immer über meine privaten Befindlichkeiten schreibe.
Ob wohl irgendwer aus unseren kriegsvergessenen wie -begleitenden Texten später einmal eine Blechtrommel voller Aale klöppeln wird (stampfen muss es heißen, stampfen).

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Beim Haarewaschen schmerzt die Mutternarbe und mein Mund sieht müde aus wie der ihre. Ich rufe den Hautarzt an und erkundige mich nach Botox. Mäusetod durch Ersticken mahnen die Ärzte ohne Tierversuche aus dem Internet und sogleich verwerfe ich meine Idee und greife stattdessen zu Hydrogelpflastern, die über Nacht meine angespannten Gesichtspartien lockern und mich frisch aussehen lassen wie eine Rose bzw. ein in nur einer Stunde gemartinizingtes Kleid, damals in der Reinigung am Straßenbahndepot in Bornheim.


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Die Freundin schickt mir ein Akkordeon-Video. Erst ein halbes Jahr am Instrument spielt sie bereits virtuos, kurze Haare hat sie obendrein und erwachsen ist sie geworden – wie lang wir uns nicht mehr gesehen haben!
Ich erinnere mich an einen trockenen, heißen Nachmittag mit der Goldschmiedin, irgendwo am Darmstädter Bahnhof, und mein Unvermögen und meine Panik, mich mit der versammelten Freundinnen-Familie an den gedeckten Kaffeetisch zu setzen.
Die gleiche, überwunden geglaubte Sozialphobie erlebe ich nun nach den beiden Pandemiejahren wieder. Beim Geburtstag des Unterfranken suchte eine mir nur vom Hörensagen bekannte Frau meine Nähe und bemühte sich sehr um ein Gespräch. Nach einer halben Stunde intensiven Verhörs floh ich auf die Bank vor dem Vereinsheim der Kleingartenkolonie, blickte auf die beinahe fertig gestellte A100 und verließ die Feier, als gerade die ersten Würstchen auf den Grill gelegt wurden. Zuviel Zugewandtheit von fremden Menschen macht mich fertig.

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Den Bekannten traf ich gleich zwei Mal in den vergangenen Wochen. Das erste Mal besuchte er mich auf dem Resthof in Alleinlage und inmitten kadmiumgelbem Raps. Gemeinsam fuhren wir in den Wald bei Glücksburg und spazierten, seinem Zustand angemessen, eine langsame Runde durch güldenes Buchengrün. Beim zweiten Treffen zeigte er mir nach beinahe einem Jahrzehnt seine Heimatstadt, führte mich im Schleichschritt am Hafen entlang, durch ein Wäldchen und ein Villenviertel, bis wir uns am Auto auf ein nächstes Mal verabschiedeten.
Schön war es.

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Woki entwickelt sich derweil zu einem braven wie menschenverliebten Hund.
Ihre schiere Lebensfreude macht auch mich froh.