Fresse

Welpi im Lastenanhänger gehe ich die Straße hinunter. Eine Frau mit Rad und in Hotpants unterhält sich mit zwei Tüpen auf einem Balkon im ersten Stock. Um an ihrem Bike vorbei zu kommen, müsste ich über den zugekoteten Streifen neben den Gehwegplatten ausweichen, was ich vermeiden will. Also sage ich (zugegebenermaßen ein wenig spitz): Hallohallo, kann ich mal vorbei, bitte.
Hallohallo, äfft sogleich die Frau mich nach und bewegt sich, nach einem herablassenden Seitenblick, eine gnädige Handbreit nach vorn, was mir agesichts der Größe des Hundetransporters genau gar nichts nützt.
Genervt schlängele ich mich also, mitten durch den Hundeabort, an ihr vorbei und sage: Sehr witzig.
Dies wiederum ruft subito das ranghöhere Männchen auf den Plan, welches vom Balkon herünter röhrt: Wie breit muss denn ein Gehweg sein, damit er dir genügt!


Die Frau lacht und mein Mund öffnet sich und antwortet: Halt die Fresse, du Erbe.
Darüber lacht nun die Feuerwehrfrau, die sich hinter mir an der Frau vorbei gedrückt hat und jetzt wieder neben mir läuft. In einer unabgesprochenen Choreo schreiten wir gemeinsam die Straße hinunter, strecken unsere Arme und dann die Mittelfinger in den sommerblauen Himmel, wundern uns über uns selbst und freuen uns insgeheim über die spontanprolettige Wehrhaftigkeit unserer alten Tage.

Die Powerbank zählt von 90 Prozent pulsierend runter, derweil der Handyakku sich zuckend füllt.

Das kleine Display zeigt mein Geburtsjahr an, dann mein aktuelles Alter und jetzt bin ich 24 und mein Großvater stirbt überraschend während ich Gin trinke und Crawl Baby (von weiss nicht mehr wem und kann ich auch nicht nachgucken, weil ich alle Tonträger verschenkt habe) höre. Seine Tochter, die an diesem Tag bei ihm zu Besuch war, stirbt viele Jahre später ebenso überraschend, und merkwürdigerweise weiss ich noch ganz genau was ich trug, als ich die jeweilige Todesnachricht erhielt. Sämtliche Kleidungsstücke wurden sofort untragbar und wanderten irgendwann in die Altkleidersammlung.

Für Welpi habe ich am Montag, während die erneuten Operation und nach dem überraschenden Tod der alten Hortensie gleich 3 neue Hortensien (rosa, blau, rosa) gepflanzt, um sicher zu gehen, dass nicht Dickmaulrüssler, Trocknis oder andere Bedrohungen eine einzelne Hoffnungsträgerin unrettbar dahinraffen und Welpi in die Knie zwingen können.

Die Freundin hatte damals die Plazenta ihres Kindes begraben und einen Baum darauf gepflanzt. Bei einem Brand, der die gesamte kleine Plantage zerstörte, blieb nur der Mutterkuchenbaum verschont. Das Feuer hatte eine Schneise der Barmherzigkeit um es herum gesengt.

Herrliche Terrakotten

Grabungen auf dem Gelände der Schinkelschen Bauakademie haben herrliche Terrakotten zum Vorschein gebracht, schreibt die Berliner Zeitung und etwas in mir lacht wie toll darüber.


Ein Madrilene soll im Streit seine Mutter erwürgt und sich im Anschluss 2 Wochen lang von der in Tupperdosen Abgefüllten ernährt haben. Misogynie oder Katholiszismus oder beides?

Niederschmetterndes Ergebnis bei der Kontrolluntersuchung. In Welpis linkem Bein hat ein Implantat sich gelöst, am rechten ist das Längenwachstum an der Bruchstelle zum Stillstand gekommen, während der intakte Teil reichlich neue Knochenmasse gebildet hat. Infolgedessen ist das Bein krumm und schepp und sollte das nicht schnellstens gerichtet werden, wird das Kreuzband reißen und aus Limbo wird Hölle. Am kommenden Montag werde ich also meinen kleinen geschundenen Hund wieder in die Klinik bringen, wo man ihr das schiefe Bein brechen und aus dem anderen Metall entfernen wird. Danach wird sie weitere 6 Wochen unter ständiger Aufsicht im Laufstall verbringen müssen.
In den Alpen wird sie nicht herum toben dürfen. Im See schwimmen ist aber erlaubt und erwünscht.

Zu erschöpft für Selbstmitleid.

Aufräumen



Vier Bilder, ein Text und mein klitzekleines Kinder-Ich möchte unterscheiden zwischen verlassen und verlassen geworden, und handelte es sich bloß um eine einsame Kuhweide.

Nach hinten blicken ordnet, nach vorne lurgen beängstigt, es sei denn es dreht sich um das Gartenjahr und die langsam zur Vollendung reifenden Früchte.

In den Zeitfalten zwischen den Polen krümmen sich Maden. Unterschiedliche Entwicklungsstadien, ein Ziel.

Ich lese, dass ein praktisch wirkungsloses, dafür aber nebenwirkungsträchtiges Medikament gegen Alzheimer nun doch auf den Markt geworfen wird und denke an meine Mutter und an Rudi Assauer und auch an mich. Ob ich es wohl geerbt habe, wie einen Veitstanz?
Im Frühstadium der Erkrankung soll das Medikament noch eine gewisse (minimale) Wirkung entfalten, dafür aber das Gehirn gefährlich anschwellen lassen, später dann kann es gegen die Plaques gar nichts mehr ausrichten, die Dämmerung schreitet voran und in den dunklen Gängen flackert die letzte Neonröhre, bis auch sie erstirbt und der einsame Karton mit den verbliebenen Habseligkeiten sich endlich schließt.

Würde ich das Mittel nehmen?

Seitdem Corona für mich (vorerst) gegessen ist, öffnet mein Blick sich wieder vom Ich zum Wir.
Ein überraschend großer Teil des Kollektivs hat sich als, ja, als was eigentlich, erwiesen?
Wie sollen wir je wieder zusammenfinden.


Enten paddeln durchs giftige Blaualgenmeer. Die Schneisen hinter ihnen schließen sich schneller, als es dauerte Solidarität zu buchstabieren

(learn german as quick as you can spell reunification)

Die Dinge laufen nicht so, wie ich es mir wünsche. Der Zug der Bedürfnisse entfernt sich weiter von der Realität (danke, Adriano).
Immerhin schichtet krumenweise ein wenig Substrat sich zurück an die Wurzeln (danke, Gartenarbeit) und kommende Woche wird Welpi in der Klinik untersucht und es wird entschieden ob und wann sie den Laufstall verlassen darf. Sie ist so geduldig und brav für einen jungen Hund.
Das Tölchen sollte eigentlich biopsiert werden, wegen der Hitze raten die Ärzte derzeit jedoch von einer Narkose ab und ohne Betäubung lässt sich die zarte Nase nicht anstechen.

Zu gut geölte und modulierte Stimmen, lösen ob der selbstdarstellerischen Eitelkeit, die aus ihnen heraustrieft eine gewisse Fremdscham mit Ekelanteilen in mir aus.
Zu gut situierte Mitbürgerinnen kaufen Eigentumswohnungen, hopsen fortan mit ihren markengekleideten „Kids“ auf dem Gehweg umher und spielen ausgelassen Himmel und Hölle. Wie gewohnt hilft: nicht hingucken, Bühne abreißen, Stoneface. Doch Obacht: Naserümpfen schlägt schnell in Verbitterung um und gräbt häßliche Furchen ins tränengequollene Gesicht hinein.

Zur Belebung höre ich Hiromi Uehara


(youtube-Direktlink: Kung-Fu World Champion)

H wie halbwitzig, sagt die Feuerwehrfrau und ich gebe ihr ein i.

Das Tölchen hat eine Wucherung an der Nase. Ich entdecke eine zweite an der oberen Gaumenplatte. Der Tierarzt überweist uns zur Onkologie.
Mein Leben hat Glück, dass ich Verantwortung für die Tiere trage.