Mit neunzehn las ich In cold blood.

Der Tatsachenroman von Truman Capote, beschreibt detailgenau die Ermordung einer wohlhabenden Familie in Kansas, das Entsetzen der Dorfbewohner, und die Ergreifung der Täter, mit denen Capote dann bis zu deren Hinrichtung engen Kontakt pflegte.
Besonders schrecklich war die Szene, in der einem der vier Opfer die Kehle aufgeschnitten wird, und es an seinem Blut ertrinkend, gurgelnd nach Luft japst, bis es schließlich mit einem Kopfschuss hingerichtet wird.
Beim Lesen bekam ich, ohnehin schon geschädigt von Aktenzeichen xy, wahnsinnige Angst, dass meiner Familie das Gleiche widerfahren könnte.
Das Haus war nachts oft nicht abgeschlossen, überall lauerte der Wahnsinn, und warum sollten nicht auch wir Zufallsopfer irgendwelcher grausamen Mörder werden.
Aus Furcht das gleiche Schicksal zu erleiden, hatte ich lange Zeit einen Dolch neben meinem Bett liegen, von dem ich im Ernstfall Gebrauch machen wollte.
Besonders in Nächten, in denen ich allein war, gruselte ich mich zu Tode, schlief schlecht ein, und erwachte vom kleinsten Geräusch.
Natürlich fand jeder, dem ich davon erzählte, meine Panik unbegründet und übertrieben.
So etwas passiert hier nicht. Wir sind ja nicht in den USA.
An einem Abend verließ mein Freund weit nach Mitternacht das Haus.
Wieder schlief ich schlecht ein und hatte düstere Alpträume, was an sich nichts besonderes war. Schönes träumte ich in diesen Jahren nie. Wirklich niemals.
Am nächsten Tag erfuhr ich, dass in dieser Nacht, in unserer kleinen Straße, ein Ehepaar und ihr Pudel mit zahllosen Machetenhieben regelrecht abgeschlachtet worden waren.
Ich kannte das Mordhaus, wie wir es nun nur noch nannten, gut.
Es hatte lange Jahre einer Familie gehört, mit deren Tochter meine Schwester befreundet war. Mit ihr spielten wir in dem großen Garten, schaukelten in der Hängematte und pflückten Mirabellen vom Baum.
Mit seinem tief herunter gezogenen Krüppelwalmdach, hätte das Haus gut in den Schwarzwald gepasst. Drin war es riesig und verwinkelt, die Flure verliefen in unvorhersehbarem Zickzack, und überall gab es Türen, Nischen, halbe Treppen.
Die genaue Kenntnis der Räume erzeugte noch realistischere Bilder in meinem Kopf.
Ich sah die beiden Vierzigjährigen vor mir, wie sie zerhackt, in blutgetränkten Laken auf dem Ehebett lagen.
Der Hund zu ihren Füßen in seiner eigenen kleinen Lache.
Am meisten bedauerte ich den Sohn der beiden, der etwa in meinem Alter war.
Der Arme war in dieser Samstagnacht aus gewesen und hatte beim Heimkehren seine toten Eltern entdeckt.
Zu meiner großen Beruhigung waren die beiden Täter bereits kurz nachdem sie den Tatort verlassen hatten von der Polizei aufgegriffen worden,
Ins Visier der Nachtstreife waren sie deshalb geraten, weil ihr Wagen herunter gekommen aussah und keine Kofferraumklappe mehr hatte. Vielleicht auch, weil sie Türken waren.
Bei der Personenkontrolle und der Inaugenscheinnahme des Fahrzeuges fanden die Beamten schließlich zwei notdürftig in Decken eingewickelte, blutverschmierte Macheten, sowie jede Menge Schmuck und andere Wertgegenstände.
Zu diesem Zeitpunkt war der Mord aber noch gar nicht entdeckt und gemeldet worden, so dass man nun Täter, Tatwerkzeuge und Beute, aber noch keine Opfer hatte.
Nach dem Anruf des Sohnes war die Zuordnung der Tat, nicht weiter schwierig.
Zu dem Zeitpunkt, als die Eheleute Z. ausgelöscht wurden, war auch mein Freund da draußen unterwegs gewesen.
Nicht auszudenken, sie hätten ihn beim Verlassen des Hauses, in ihrem grenzenlosen Blutrausch, ebenso brutal nieder gemetzelt, damit er später nicht berichten könnte sie unweit des Tatortes, bepackt mit auffälligen, langen Gegenständen, gesehen zu haben.
Genau so war es doch auch bei der Familie in Kansas gewesen.
Aus einem geplanten Diebstahl wurde Mord, weil die Täter, die wegen kleinerer Delikte bereits mehrfach eingesessen hatten, sich geschworen hatten nie wieder in den Knast zu gehen. Es durfte einfach keine Zeugen geben.
Dieser grauenhafte Fall in so unmittelbarer Nachbarschaft, bestärkte mich nur in meiner Angst. Mir brauchte niemand mehr zu erzählen, dass ich mich nicht zu fürchten brauchte.
Morde waren keine Fiktion. Sie geschahen. Überall. Auch hier. Gleich nebenan.
So, wie Gelegenheit Diebe machte, war auch rohe Gewalt eine Alltagsoption.
Es konnte jeden erwischen, jederzeit.
Das wusste ich inzwischen. Immerhin waren schon mein Freund Matthias von seinem Vater im Schlaf mit einem Messer getötet und eine Freundin meiner Tante in der Frankfurter Innenstadt mit einem Schraubenzieher erstochen worden.
Und jetzt dieser Fall, nur wenige Häuser weiter.
Diese schrecklichen Dinge geschahen einfach.
Heute wundert mich nicht mehr, dass ich damals ausschließlich Alpträume hatte.
Es dauerte nicht lange, da wendete sich das Blatt.
Die unfassbare Wahrheit kam ans Tageslicht: der Sohn selbst hatte die beiden Männer, Angestellte der Gebäudereinigungsfirma seiner Eltern, zu der Tat angestiftet, indem er ihnen eine hohe Summe versprach.
Er hatte ihnen die Tür geöffnet, damit der Hund nicht anschlug.
Und sie hatten mit 57 Machetenhieben, Mann, Frau und Pudel geschlachtet.
Für Geld waren sie zu Mördern geworden.
Später wurde berichtet, der Sohn habe sich bereits in der Mordnacht kaltschnäuzig gezeigt, als er das Angebot in einer Schutzwohnung zu übernachten ablehnte. Es mache ihm nichts aus an dem Unglücksort zu bleiben, soll er gesagt haben.
Am nächsten Werktag ging er in die Firma seiner Eltern, hielt eine Ansprache vor den Angestellten, und machte klar, wer jetzt der Chef war, und dass es von nun an ganz andres weiter gehen würde.
Verraten haben ihn schließlich die beiden Mörder.
Die Spurensicherung konnte anhand der Scherben, die sich am Tatort fanden feststellen, dass es sich um keinen Einbruch gehandelt haben konnte, und nach kurzer Zeit gestand auch er alles.
Als Motiv gab er an, dass er ein Automuseum auf dem elterlichen Grundstück habe errichten wollen, diese ihm aber sowohl den Platz, als auch die Finanzierung verwehrt hatten.
Er wurde nach Jugendstrafrecht verurteilt.
Ob er im Anschluss in Sicherheitsverwahrung kam, weiß ich nicht.
Aus dem Gefängnis schrieb er irre Briefe an Franz-Josef Strauß, den er offenkundig bewunderte.
Unterzeichnet waren diese Briefe mit König M.