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Eine Geisterbahn ist eine meist in einer völlig abgedunkelten Halle verkehrende, elektrisch angetriebene Bahn, bei der die Fahrgäste von mehr oder minder gruseligen, mechanisch, elektromechanisch oder pneumatisch betriebenen Effekten erschreckt werden sollen. Im Unterschied zur Achterbahn ist die Fahrt einer Geisterbahn meist sehr gemächlich. In manchen Geisterbahnen ergänzen gruselig verkleidete Angestellte die mechanischen Gruseleffekte. Geisterbahnen sind als Fahrgeschäfte auf fast jedem Volksfest vertreten.

(Wikipedia)

 

 

Alles ist leichter, sobald man zwischen Leben und Lebenssituation unterscheiden kann. Das Eine bin ich, das Andere eine Kulisse, eine Geisterbahn meinetwegen, doch sobald die Fahrt zuende ist und ich aus dem Tunnel heraus bin, öffnet sich das Panorama und ich liege wieder in meinem Bootchen auf dem Wasser, lasse mich schaukeln und blinzele in die milde Abendsonne.

 

Das Schönste an der Weihnachtszeit sind übrigens, wer hätte das vernutet, nicht Zimt und Zucker, Nelke und Kardamom, sondern die Weihnachtsmärkte, die ich nicht besuchen muss, der Glühwein, der nicht meine Kehle herunterrinnt, die Lichterketten, Kränze und Kerzen, die ich mir vom Halse halte, der tote Baum, den ich nicht aufstellen und behängen muss und die Abwesenheit von hohen Erwartungen und zehrendem Zoff.

Natürlich gefiele es mir gut, der Bekannte käme, statt im kalten Norden zu weilen, bepackt mit sieben riesigen Tüten voller Geschenke in meine lamettalose Bude. Hunderte kleiner Geschenke befänden sich in diesen Tüten, in denen wiederum Hunderte großer Scheine zusammengerollt darauf warteten in Waren umgetauscht zu werden. Ich meinerseits hielte kiloweise Plätzchen und Südfrüchte bereit. Gemeinsam stiegen der Bekannte und ich die Kellertreppe hinab, holten den Bollerwagen, den wir nicht besitzen, weil der Bekannte keine Bierkästen zum Herrentag transportieren, noch wir unsere Fruchtbarkeit in Form von Kindern, die wir hinter uns herziehen, zur Schau stellen müssen, aus dem Verschlag, lüden alle guten Gaben auf das hölzerne Vehikel und stapften damit, auf der Suche nach den bärtigen Männern und den frierenden Frauen, durch den Kiez. Jedem Einzelnen, den wir in der Kälte liegend, sitzend, sich die Hände reibend anträfen, überreichten wir ein Päckchen und eine Handvoll Gebäck und Mandarinen, um dann weiter zu ziehen, bis auch der Letzte im Kiez beschert worden wäre. Vielleicht, so überlege ich gerade, könnten wir auch ein paar Thermoskannen mit Grog oder Tee bei uns tragen oder aber eine dampfende Gulaschkanone. Das gilt es nochmal zu überdenken. Doch zuerst wird Lotto gespielt.

Wenn unser Wägelchen schließlich leer wäre, schlenderten wir Hand in Hand zurück nach Hause, wo wir uns die Kleider vom Leibe eine interessante Dokumentation anschauten. Irgendetwas über Pyramiden in Berliner Hinterhöfen oder über eine Heuschreckenbraterei in Thailand.

Das Leben ist nicht nur schlecht.

 

 

 

 

 

Bild: Julian Kücklich, Briefverteileramt SW 11- 66, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

Gedenken an eine Diva

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Die Weihnachtstage werde ich alleine verbringen. Alle Freunde verlassen die Stadt. Auch der Bekannte wird im Norden weilen. Doch vielleicht schneit am Heiligen Abend wenigstens die Goldschmiedin bei mir herein. Das wäre schön.
Ihr könnte ich dann auch gleich die Handvoll Steine zeigen, die von meiner Mutter übrig geblieben sind und die der Kanzler kürzlich zur Ansicht mitgebracht hat. Sämtliche anderen Besitztümer landeten auf Geheiß meiner Mutter posthum im Müll, sie selbst, wunschgemäß, in der Ostsee. Vermutlich haben auch ihre Geschwister ein paar Dinge beiseite geschafft (wo ist bloß die Eigentumswohnung hingekommen). Es ist mir ganz gleich.
Meine Mutter besaß viele Ringe, doch nur einer ist mir deutlich in Erinnerung geblieben. Diesen einen Ring, ein großer in Gelbgold gefasster Amethyst, hätte ich, nach ihrem Tode im vergangenen Jahr, gerne noch einmal gesehen und sei es nur auf einem Foto.
Doch als die Demenz begann an dem Hirn meiner Mutter zu nagen und als eine ungeheure Wut und Enttäuschung über ihr ausklingendes Dasein, das längst jeden Glanz und Glamour eingebüßt und sie zu einer einsamen Seele gemacht hatte, sie erfassten und groß und immer größer wurden, als die Blicke in den Badezimmerspiegel erst ungläubig, dann verzweifelt und schließlich bitter wurden, weil alles, alles, was ihre Schönheit einst ausgemacht hatte in einem schmallippigen Streifen, dem niemand mehr zum Reden, Beschimpfen oder Bespucken geblieben war, ausgelaufen war, als also ihr mondänes Leben einer Diva zu Ende ging und sie nichts, aber auch gar nichts dagegen tun konnte, verfügte meine Mutter, dass wenn schon nicht sie, auch niemand anderes mehr mit ihrem Geschmeide brillieren solle und dass, um diesen Wunsch Wirklichkeit werden zu lassen, nach ihrem Tode sämtliche Steine aus ihren Schmuckstücken ausgefasst, das Edelmetall verkauft und ihren ungeliebten Kindern allenfalls die Klunker zum Fraß vorgworfen werden sollten, die bloßen amputierten nackten Steine, in denen nichts mehr von ihr sich fände, die aber doch als Stachel, als Pfeil aus dem Jenseits, als ewiger Vorwurf, als Rache für ihren Tod, den wir nicht hatten verhindern können oder wollen, dienen sollten.

Kein Ort der Trauer, keine Erinnerungsstücke für uns, das war ihr ausdrücklicher Wunsch.

Das alles ist und bleibt unverständlich. Manchmal bin ich noch traurig darüber, manchmal empört, doch meist empfinde ich gar nichts mehr dazu. Diese Stelle der Seele ist abgenutzt, oder zugesperrt, ich weiß es nicht, vielleicht ist auch der Schmerz verbraucht oder die Resignation zu groß. Mal so, mal so und dann wieder ganz anders.

Doch heute sitze ich hier und auf dem Balkon gegenüber blinkt der Weihnachtsschmuck in den frühen Dezemberabend hinauf und ich denke an meine Mutter und ich sehe sie vor mir, ganz in Schwarz, tief ausgeschnitten und dramatisch geschminkt. Ich sehe sie, wie sie, den Kopf zur Seite geneigt, vor einem runden Mahagonitisch sitzt, mit ihrer kleinen, knochigen Hand über die glänzende Oberfläche fährt und ich höre das leise Kratzen von Metall auf Holz. Und ich schaue auf den großen, dunklen Amethyst an ihrer Hand, in dessen poliertem, rundem Bauch sich das ganze Zimmer und sogar der Himmel vor dem Fenster spiegeln und ich brauche ihn gar nicht zu besitzen, diesen Ring, ich werde ihn nie vergessen, sowenig wie meine Mutter,

Auf meinem Küchentisch liegt ein winziges Plexiglasdöschen, ein oder zwei Dutzend kleiner Edelsteine darin. Einen einzigen davon, ein klitzekleines Splitterchen, könnte ich gut gebrauchen, um einen alten Schulterring zu reparieren und ihn dann wieder tragen zu können. Doch möchte ich das?

Ich versuche, mir vorzustellen, wie sie, die sie gerne und coram publico von ihrer missglückten Selbstvernichtung sprach und dabei mitten aus einem Lachen heraus das ernste oder entrückte Gesicht eines Stummfilmstars zaubern konnte, geeignet jeden Menschen der ein fühlenden Herz hat, zum Weinen zu bringen, ausgenommen die Wenigen – uns –  die sie gut kannten und die während der Vorstellung ungerührt oder allenfalls angewidert und mit versteinertem Gesicht sitzen blieben, statt sich zum Komparsen zu machen und sie zu umarmen, oder ihr ein Taschentuch zu reichen als dann endlich auch die Rotweintränen flossen, weil wir diese histrionischen und manipulativen Darbietungen längst kannten und zweifelsfrei von echten Gefühlen unterscheiden konnten, wie meine Mutter es wohl finden würde, wenn sie erführe, dass ich, die ungeliebte Tochter, mich über ihren Willen hinweggesetzt hätte, indem ich ihr in einem alten Ring das Denkmal gesetzt hätte, das sie immer haben wollte, und mir selbst damit einen Ort der Trauer geschaffen hätte.

 

An Weihnachten werde ich mit der Goldschmiedin die Steine anschauen und an die vielen Weihnachtsfeste mit meiner Mutter zurückdenken.

 

 

 

 

 

 

Bild: screenshot twitter

Serienmörder

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Der Unterfranke fragt, ob der Bruder, der seine feudale und saugünstige Wohnung mitten in Kreuzberg aufgibt und Anfang des Jahres Brandenburg zieht, um dort mutterseelenallein und fernab dessen, was man gemeinhin Zivilisation zu nennen pflegt, zu hausen, ob also der Bruder eventuell plane Serienmörder zu werden.

Keine Ahnung, sage ich, vielleicht züchtet er auch Katzen oder Schäferhunde oder wird Reichsbürger. Wat weeß icke. Oder er wird selbst Opfer eines Serienmörders und niemand wird dort, in der Einöde, seine Schreie hören.

Also wird er nicht Serienmörder, sondern Serienopfer, schlussfolgert der Unterfranke.

Naja, ne. Opfer eines Serienmörders wird man nur genau ein Mal, sage ich und lache.

Wieso denn?

Na, weil man dann tot ist. Es gibt keine Serienopfer.

Doch, die gibt’s.

Aha, und was sind Serienopfer?

Das sind Opfer in Serien.

 

 

Der Weihnachstabend war sehr kurz aber schöner als erwartet. Die Kekse schmeckten vorzüglich und das Chili war auch nicht schlecht.
Beim Einschlafen hörte ich Wir Kinder vom Bahnhof Zoo.

Guck mal, was ich kann

Während meiner Anfangszeit in der Blogwelt besuchte ich regelmäßig die Seite einer Frau, die, neben ihrem komplizierten Liebesleben, auch Einblick in ihre diversen Hautreaktionen auf unterschiedlichste Umwelteinflüsse gewährte. Mit Fotos. Irgendwann hörte sie auf damit. Das ist schade, denn ich las dort gerne, gleichwohl die Beziehungen, die sie zu Männern unterhielt, geprägt zu sein schienen von lustvoller körperlicher Gewalt, wie die blauroten Striemen auf ihren Oberschenkelinnenseiten nahelegten. Freundin B., die ein großes Interesse an kosmetisch-chirurgischen Eingriffen hat und Abonnentin mehrerer youtube-Kanäle mit diesem Thema ist, sowie Hautarztblogs liest, hätte ihre Freude daran gehabt. Denn jede dermatologische Varianz des Alltäglichen ist ihr ein Fest (Fest/ Weihnachten → Kurve gekriegt). Der B. zum Gefallen und weil mein Kopf viel zu müde ist für eine richtige Weihnachtsgeschichte, spendiere ich hier der Leserschaft das wohl privateste Foto, das es je auf meinem Blog gab:

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tikerscherks Reaktion auf Kälte

Galapagos

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Ich bin indisponiert. Seelisch. Mir geht es nicht gut, um nicht zu sagen: mir geht es nicht gut. Alles ist mir fremd und das meiste zuviel. Nicht, weil ich besonders empfindlich wäre, sondern weil es einfach zuviel ist. Viel zuviel und das beständig. Kummercanyons.
Manchmal denke ich: Jedem da draußen in der großen weiten Welt wäre das zuviel; und um mich herum sagt schon kaum jemand mehr etwas anderes als: das hört wohl nie auf bei dir.

(Wer hier bereits länger mitliest, kann an dieser Stelle getrost zu lesen aufhören und gleich zur letzten Zeile springen.
Was davor steht ist hinreichend bekannt und lässt sich subsummieren unter:  Katastrophenchronik & saisonale Verstimmung & lästige Larmoyanz).

 

Tut es nicht (aufhören), niemals. Darauf ist Verlass.
Schon als Kind besaß ich analytische, wie auch seherische Fähigkeiten und malte beinahe täglich einen schwarzen Berg mit einem schwarzen Wimpel darauf, schwarze Wolken drüber.

Zugegeben, es ist Winter und die Tage sind kurz. Dazu dieses nahende Weihnachten und die wiederkehrende Frage, was ich eigentlich am Fest der Liebe zu tun gedenke.

Ich gedenke in die Kirche zu gehen, irgendwo in Mitte (schöner wäre Berkersheim), und mir die Seele aus dem Hals zu berserkern singen. Bei gnadenbringend wird sich meine Stimme hysterisch überschlagen und die bunt geschmückten Mütter werden in die Hocke gehen und ihre Kinder schützend in den Arm nehmen. Einen Rollkragenpullover aus Schurwolle werde ich tragen, einen der am Hals juckt. Zur Selbstkasteiung und zur Feier des Tages.

Nach der Kirche schlurfe ich dann mit hängendem Kopf nach Hause (overacting) um mich im Kreise derer, die um mich sind, alleine zu fühlen. Sie werden, am Rande meines Schlammloches stehend, ihre sauberen Hände nach mir ausstrecken und sagen: das wird schon wieder.
Nicht mal von der Klippe spingen kann man, wenn man schon unten steht bzw liegt, werde ich jammern und innerlich aufstampfen dabei. Besorgt werden sie die Stirn runzeln und mich mit ihrem nächstenliebenden Lächeln beschenken.

Launisch bist du, sagst du zu mir, als ich während eines unerwarteten Euphorieschubs zu singen beginne.
Launisch? frage ich, ich wechsele doch höchstens 3 bis 4 mal am Tag die Stimmung.
Eben
, sagst du.

Ich würd´ sagen: stabiles Tiefdruckgebiet mit gelegentlichen Auflockerungen. They call it winter, Dahlink, und im Winter soll ein Tief ja was Gutes sein. Da fürchtet man das Hoch, und die dadurch drohende russische Kältepeitsche, mehr als alles andere auf der Welt (mehr als der Teufel das Weihwasser/ als Dracula das Kruzifix / als Judas den morgendlichen Hahnenschrei uswusf.).

Der Schlamm ist eine verlässliche Größe. Selbst die Natur-Kitas schwören inzwischen darauf und kippen tonnenweise teuren Urschmutz in ihre Keller, damit die lieben Kleinen sich beizeiten daran gewöhnen. Manche Kitas halten auch non-allergene Fauchschaben als Streicheltiere vor.

 

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(fadeout)

 

 

 

 

 

Bild: pantxorama, Galapagos, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/

Außenwelle

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Gibt es die eigentlich noch, diese Dauertanzwettbewerbe, bei denen zu Tode erschöpfte Pärchen sich auf einer halbverlassenen Tanzfläche im Kreise drehen, bis sie umkippen und dafür belohnt werden mit was weiß ich.

Gibt es die eigentlich noch, diese kleinen PEZ-Spender in deren langen Plastikhals man einen Stapel der eckigen flachen Bonbons einlegt und diese dann durch Nachhintenklappen des aufgesetzten Tierkopfes oben wieder herausschiebt und aufisst?(Rauchen verboten, PEZen erlaubt!)

Früher waren es rot eingefärbte Nüsse, die wir aus dem Tischautomaten am Tresen holten, während unsere Eltern beim Ouzo versackten im blauen Dunst.

Gleich nebenan die Reinigung, Röver, und einen Eingang weiter das kleine Wollgeschäft in das ich an einem Herbsttag, ich muss 11 gewesen sein, hineinspazierte, 12 Knäuel dicke taubengraue Schurwolle kaufte und die Verkäuferin anschließend fragte wie ich einen Pullover daraus fertigen könne. Sie erklärte es mir und gab mir ein paar Stricknadeln in die Hand. Danach saß ich jeden Nachmittag bei ihr und strickte, so, wie sie es mir gezeigt hatte, und auch sie handarbeitete schweigend, warf ab und an einen verwunderten Blick zu mir herüber und lächelte.

Man kann sich denken, dass das Ganze nicht den Beifall meiner Mutter fand, doch was sollte sie schon dagegen sagen. An Weihnachten jedenfalls war der Pullover fertig und ich trug ihn zum Gottesdienst in der evangelischen Kirche, unten im Ort. Meine Schwester hatte ihre roten Haare zu einer schönen Außenwelle geföhnt und der Baron spielte hingebungsvoll vor dem Altar auf der Gitarre, dass ihr beinahe ihr junges Herz zerschmolz.

Zuhause dann wird wohl der übliche Weihnachtszirkus mit Schreien und Flüchen stattgefunden haben. Ich erinnere mich nicht daran. Zu gut war das Gefühl in meinem selbstgestrickten Pullover bei Tische zu sitzen und  prostestantisch-korrekten Kartoffelsalat zu essen.

 

 

 

 

 

Bildquelle: Wikipidia, Von Jiri Hönes – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=14931679

Stillleben

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Traces fouillis gris pâle presque blanc sur blanc

(Samuel Beckett, Bing)

 

Die Erwartungen der Menschen nicht zu erfüllen, ist beinahe ebenso schwer, wie ihnen gerecht zu werden. Ihre Enttäuschungen zu ertragen ohne sie mir zueigen zu machen. Das Heilsame in ihrer Entzauberung sehen.

Ich spüre, wenn sich etwas verändert, eine Haltung, ein Gefühl. Ich weiß es, noch ehe ein Satz, ein Blick eine Geste davon zeugen. Am Schwersten bleibt es, nicht einzugreifen. Es geschehen zu lassen. Nicht beeinflussen zu wollen. Ohne Anstrengung zu sein, so unverstellt wie möglich.
Das Älterwerden zeigt sich auch darin. Und in den immer seltener werdenden Spitzen. Stromschnellen bleiben beherrschbar, der Wasserfall grollt nur noch in der Entfernung. Seine Gischt eine Spiegelung aus ferner Zeit.

Wieder ist ein Jahr vergangen, das gleißende Licht des Winterhochs malt Sonnenkatzen an die hohen Wände. Die Orientalin jagt den Dezemberfliegen hinterher, Töle ihrem Schwanz.

Morgen ist Weihnachten.
Meine Mutter wird diesen Tag auf ihrer Demenzstation verbringen, der Vater feiert zusammen mit dem Bruder und im Kreise der Stieffamilie, die Schwester wird mit den Ihren sein und ich für mich.

So hat es sich ergeben und so ist es gut.

 

 

 

 

 

Diva

L0019727 Muscles of the back: partial dissection of a seated woman,
Wir hatten es nicht leicht miteinander. Von Anfang an nicht.
Die Legende berichtet von der Stillverweigerung, dem Schreikind und einer unüberwindbaren Abneigung.
So ähnlich wird es wohl gewesen sein. In meiner Erinnerung jedenfalls haben die zärtlichen Momente immer etwas zu tun mit Alkohol oder der Farce eines Familien- oder sonstigem Besuches. Ein Schauspiel in dem ich ihr als freundliche Statistin assistierte, aus Furcht vor ihrem Zorn, beseelt von der Hoffnung mir ihre Zuneigung erarbeiten zu können.

Ich hasse dieses Kind

Wahrscheinlich wäre es auch für sie schöner gewesen, hätte sie mich bloß lieben können. Das aber war ihr nicht gegeben und mir, in der Folge, ebenso wenig. Traurig, für uns beide.
So viele Jahre in denen ich mich danach sehnte, mindestens so viele in denen ich vorgab darüber hinweg zu sein.

Gesehen habe ich sie zum letzten Mal vor 21 Jahren im Krankenhaus. So erinnere ich mich. Meine Schwester, damals im Kindbett, weiß nichts davon. Habe ich diese Begegnung nur erträumt?
Schmal war sie im Gesicht, beinahe schon hager, eine dunkle Sonnenbrille verbarg ihre Augen, die den meinen so ähnlich sind. Ihr Auftreten ganz die Diva, die sie immer war. Eine ausgestorbene Gattung.
Beinahe zwei Jahre hatten wir keinen Kontakt gehabt und trotzdem wechselten wir kein Wort miteinander an diesem Tag im September. Zu tief war die Kluft zwischen uns. Ihre Verwünschungen und Todesflüche. Der unkontrollierte und ungezügelte Hass.

Heute, am Vortag des Heiligen Abends, denke ich an sie. An Weihnachten, wie ich es als Kind erlebte: der schwierigste Tag im Jahr. Gefühlstumult zwischen Vorfreude und Angst. Die vorhersagbare, niemals ausbleibende Eskalation. Anspannung, Enttäuschung, Missgunst.

Der Vater, der vor dem Fest mit uns im Auto durch die Stadt fuhr um sie nicht bei den Vorbereitungen zu stören. Bei Einbruch der Dunkelheit zusammen durch den Stadtwald kariolen, bei Schnee und Eis. Jeder darf, auf seinem Schoß sitzend, ein Mal lenken. Er tritt das Gaspedal durch, lässt den Motor des alten Renault laut aufheulen, bremst ganz plötzlich ab und wir schlagen, mit schnellen Bewegungen auf spiegelglattem Untergrund das Lenkrad voll ein. Johlend schliddern wir über die gefrorenen Waldwege, Schneeflocken tanzen im Scheinwerferlicht.
Sie unterdessen, allein zuhause, immer hochtouriger laufend, schraubt sich Glas für Glas auf schwindelnde Umdrehungen. Ihr scheeler Blick bei unserer Rückkehr, und wir, noch ganz trunken und von hysterischer Ausgelassenheit, die sich überschnappend und fast schon rasend auf das unvermeidbare Inferno eintrommelt. Die beiden berauschten Welten, deren Spannungen sich während des bescheidenen, protestantischen Weihnachtsessens, ausgelöst durch einen winzigen Funken, ein falsches Wort oder ein kleines Missgeschick, ungebremst und krachend entladen. Ein loderndes Feuer, splitternde Kollision. Ertauben an hochkochendem Hass und tiefer Verachtung.
Das große Glockengeläut in meinen Ohren, auch damals schon.
Der Nussknacker. Sein hölzernes, starres Gesicht. Unsere beklommenen Wünsche, blicklos und bitter.  Ein metallischer Geschmack im Mund.

Das bemüht vergnügte Auspacken der Gaben schließlich. Farbenfrohes Geschenkpapier bestaunen und sorgfältig zusammen legen. Zeit gewinnen, um sich, unter ihrem wachsamen Blick, den erwarteten Gesichtsausdruck zurecht zu legen und die gebotene Freude zu zeigen über die empfangenen Alltagsgegenstände – Ah, Socken, toll! – während sie sich, in dem, eigens für sie angefertigten, knöchellangen, weit schwingenden Mantel aus schwarzem Nerz – Achtzig Tiere, stell dir vor! – mit weinseligem Lächeln sonnt, eine Zigarette in der rechten Hand, die langsam herunter brennt.

 

 

 

 

(Bildquelle: PublicDomainReview.org, open images. A mezzotint écorché by Gautier D’agoty, published by Gautier in 1746 – Source: Wellcome Library, London. – See more at: http://publicdomainreview.org/collections/the-wellcome-librarys-top-10-open-images/#sthash.MlCJnwb4.dpuf)

Solidarität

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Vorwärts, und nicht vergessen,

worin uns’re Stärke besteht!
Beim Hungern und beim Essen,
vorwärts und nicht vergessen
die Solidarität!

Bertold Brecht

 

Es ist nicht so, dass ich nichts zu sagen hätte. Ich bin einfach nur unglaublich erschöpft.
Output is gerade nicht viel. Außer bei den und dem Lieblingsmenschen.
Ansonsten hilft nur lesen und ruhen. Nicht soviel quasseln. Zuhören, mir die Weltgeschichte erklären lassen.
Blood, toil, tears, sweat.
Musik: Cello.
Die letzten Monate waren anstrengend genug. Nichts mehr an mich heran lassen was unnötig zehrt oder nervt.
Zum Beispiel dieses Internet. Der alljährliche Verdruss überkommt mich auch heuer.
Kann an der Witterung liegen, an den kurzen Tagen, dem Lichtmangel. Kann aber auch andere Gründe haben.
Jedenfalls habe ich aus meinem Reader mal wieder einige Blogs gelöscht.
Zu banal, zu gehässig, zu kleingeistig, zu antisemitisch, antizionistisch oder israelkritisch, wie sie selbst sich wahrscheinlich nennen würden.
Zuviel warme Luft von zu vielen kaltschnäuzigen oder ignoranten Langweilern.
Kalter Wind von rechts (nein, ich meine nicht Osten, wenn ich rechts sage, oder Süden, wenn ich von unten spreche).
Überhaupt ist es erschreckend, wie sehr die deutsche Bevölkerung, nennen wir sie der Einfachheit halber „das Volk“, das verstehen sie am besten, nach rechts rutscht.
Zack.
HogeSa und Pegida, Seehofer und manche Montagsdemonstranten.
Undsoweiter, undsoweiter.

Schwarzseherisch? Icke? Woher denn!

Aber ich wollte ja eigentlich gar nix schreiben. Nur mal andeuten. Eine Hausnummer nennen, wie ein früherer Vermieter zu sagen pflegte, wenn er über bevorstehende Mieterhöhungen sprach. Die Zahlen waren immer nur eine Hausnummer, nichts Konkretes, zeigten aber schon mal die Richtung an. (Nach oben natürlich, wohin sonst. Hat mal jemand eine Mietsenkung erlebt? Ist irgend jemandem solch  Wunder und Glück widerfahren?)
Was mich direkt zu dem Vermieter führt, dem das Haus gegenüber samt Seitenflügeln und Hinterhaus gehört. Der Mann wurde vor vielen Jahrzehnten in dieses riesige und mächtige Imperium hinein geboren. Als deutscher Fürst lässt er nur Deutsche und auch nur Pärchen in sein Reich einziehen. In jeder Wohnung hat er eine Gegensprechanlage installiert, bei der das Drücken eines bestimmten, mit seinem Namen versehenen, Knopfes direkt in seine Schaltzentrale führt. Auf diese Weise überwacht der greise Souverän seine Untertanen, wenn er nicht gerade dafür Sorge trägt, dass die Pozilei den vor seinem Haus Parkenden ein Knöllchen an den Scheibenwischer klemmt, weil die AU schon 1 Tag überfällig ist. So isser. Und er kann es sich leisten, denn er dealt mit einer der wertvollsten Waren im Kiez: Wohnraum.
In diesem Zusammenhang könnte ich mal wieder über Gentrifizierung schwadronieren. Mal erzählen, wie mich das ankotzt, was hier in Berlin und in meinem schönen Kreuzberg passiert. Aber das spare ich mir heute. Weiß ja eh schon jeder und in absehbarer Zeit wird es auch den Bewohnern der weiter außen gelegenen Bezirken an den Kragen gehen. Denen, die jetzt noch glauben, dass das allein ein Problem von Kreuzberg oder Mitte sei.

Dann wäre da noch Weihnachten. Auch darüber mag ich nix lesen oder hören und schon gar nicht schreiben. Reicht schon, wenn es überall blinkt.
Statt darüber nachzudenken, wie man sich zum Fest der Liebe am besten mit weiterem Luxus belastet, könnte man sich ja mal daran erinnern, dass es da draußen viele Menschen gibt, die den lieben langen Tag Hunger haben und frieren, die auf der Straße leben und verzweifelt sind, weil sie wissen, dass sie nie wieder aus der Misere rauskommen werden. Menschen ohne Perspektive und ohne Ansehen.
Gebt denen doch bitte Eure Kohle, die Ihr ansonsten sinnlos für Weihnachtskitsch oder nutzloses Zeug verpulvern würdet, sie brauchen es, sie freuen sich darüber und es ist allemal besser, als das Geld für überflüssigen Krempel aus dem Fenster zu schmeißen! Es fühlt sich auch besser an, glaubt mir.
Oder wenn Ihr schon nichts abgeben wollt, dann tut wenigstens nicht so, als würdet ihr den Geburtstag von Jesus Christus begehen. Dem stünden nämlich sämtliche Haare zu Berge, wenn er mitansehen müsste wie ausgerechnet in seinem Namen und vorgeblich zu seinem Gedenken die Armen in der Welt alleine gelassen werden, während die Wohlhabenden sich gegenseitig noch mehr Pralinen in den Rachen schieben und Milliarden verjubeln, ohne sich auch nur eine Sekunde daran zu erinnern, auf wessen Kosten sie eigentlich leben, geschweige denn diese Menschen, das Fundament ihres unverdienten Reichtums, an ebendiesem teilhaben lassen.

Und hier noch eine kleine Erinnerung für die, die es vergessen haben: Jesus´ Eltern, die heilige Maria und ihr angetrauter Gatte Josef, waren auch obdachlos. Und ihnen wurde Unterschlupf gewährt. Das lernt man bereits als Kind, denn diese ergreifende Szene wird alljährlich vor der großen Beschenkung im Familiengottesdienst beim Krippenspiel zum Besten gegeben. Danach wischt sich die ganze Familie die Tränen der Rührung aus den Augenwinkeln und freut sich bei der Rückkehr in die festlich geschmückte Wohnung gleich doppelt an der Wärme, den bunten Päckchen unterm Weihnachtsbaum und dem Duft der Zimtsterne.

Freue dich, freue dich, oh Christenheit

Wenn ich mir etwas wünschen durfte, dann wäre das Folgendes: drücken Sie bitte  ihrem Kind einen Geldschein in die Hand und gehen Sie zusammen an einen Ort von dem Sie wissen, dass dort Obdachlose übernachten oder tagsüber Zuflucht suchen. Wenn es keine Obdachlosen in Ihrem Ort gibt, dann beschenken Sie das Tierheim oder gehen Sie zur Sparkasse und zahlen Sie Geld für die Welthungerhilfe ein.
Zeigen Sie Ihrem Kind, wie man es richtig macht.
Lehren Sie Ihr Kind Nächstenliebe und Solidarität.

Herzlichen Dank!

 

(Photo credit: Obdachloser in Russland, Wikipedia)