Vencerán!

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Jeden Samstag all you can Mampf, steht auf einem Plakat. All you can mampf, sagt der Radfahrer neben uns. Seine Begleiterin nickt flüchtig. All you can Mampf, sage auch ich und spreche Mampf extra groß und supergefräßig aus, wie etwas, das sich über etwas anderes stülpt, es sich einverleibt, eine dicke fleischige Lippe oder ein Cuttlefish etwa. Wegen der drei guten Dinge, wegen Groß-Mampf und weil Substantiv wo eigentlich Verb sage ich es und lehne mich zufrieden zurück. Am Sonntagnachmittag im Fond des Wagens behaglich vor mich hin schlaubergern, summen und meckern während das Gespräch vor mir sich gedeihlich entwickelt. Sie unterhalten sich über Tiefenpsychologie und Verhaltenstherapie, über selbstreferenzielle Subjekte und sich überlagernde Muster, die man ist und nicht bloß lebt. Rumbalotte! rufe ich dazwischen, um an den Matrosenwitz zu gemahnen, den der Bekannte dereinst auseinander klamüserte, bis nichts davon übrig blieb als geografische Korrektheit. Der Hund liegt neben mir, spitzt die Ohren und hechelt ergeben. Seine verfärbte Zunge erinnert an die beiden Chow Chows meiner Kindheit. Pelzige, unheimliche Tiere, deren Besitzerin, eine hagere Frau, dem Alkohol verfallen war, so sagte man.
Blau ist auch die Havel ein paar Kilometer weiter im eisigen Wind bei Hennigsdorf. Aufgepeitschte dunkle Fluten vor einer im Werden befindlichen Neubausiedlung mit Rankgittern vom Baumarkt und Carports am Ende jeder Einfahrt. Ich stürbe, müsste ich hier leben. Plötzlicher Weltschmerz greift nach mir. Solche Reihenhaussiedlungen gibt es doch in jeder Stadt, entgegnet die Chinesin. – Eben deshalb! Kaffee auf nüchternen Magen macht mich einfach zu dünnhäutig. Ich möchte nicht irgendwo leben, hingewürfelt in die Beliebigkeit.

Um das Elend zu verstärken, steht am Ufer ein alter Wachturm, nicht weit davon entfernt die sanierte Dorfkirche auf gepflegtem Rasen im Sonnenschein. Wir beschließen umzukehren. Die Chinesin wendet den Wagen. Im Spandauer Forst atme ich auf.

Als wir die ersten Häuser erreichen sehe ich eine große Passagiermaschine wie eine dicke Hummel über die Dächer hinwegbrummen. Hinter der S-Bahn-Brücke biegen wir ab in Richtung Osten. Ein hupender Autocorso unter türkischer Flagge begleitet uns, bis linker Hand die blauen Eisenbahnwaggons auftauchen und Charlottenburg nicht mehr weit ist.
In der City West wachsen langstielige schwarze Tulpen. Durch das Elefantentor des Zoos schiebt sich Menschengewimmel ins Licht. Für den Sommer werden zwei chinesische Pandas erwartet. Die Leihgebühr pro Tier beträgt eine halbe Million Euro jährlich.

Als wir die Kurfürstenstraße entlang fahren, schaue ich nach dem kleinen Birkenwäldchen und bin erleichtert, es noch immer unentdeckt vor sich hinträumen zu sehen.  Vor der Betonkirche bieten Prostituierte wie gewohnt ihre drogengemarterten Körper feil. Der Parkplatz bei Möbel Hübner ist einer Baugrube gewichen. Eigentumswohnungen, schätze ich. Jenseits der Potse belagern flaumbärtige Weekend-Gallery Besucher die Gehwege. 30jährige Söhne und Töchter in Designklamotten, die perlende Getränke in ihren gepflegten Händen halten. Auf die Kunst!

In Kreuzberg angekommen, parken wir das Auto wegen des Maifest-Halteverbotes irgendwo jwd.  In der Wohnung gibt´s dann Cappucino und köstlichen Schokoladenkuchen, den wir schnurrend und mit halbgeschlossenen Augen genießen. Nur ein ganz kleines Stückchen hebe ich für den Tag der Arbeit auf, wenn 6000 Polizisten vor meiner Haustüre für Ordnung sorgen und  Helikopter mit wummernden Rotorblättern den tiefblauen Himmel über Kreuzberg zerpflügen werden.

Vencerán!

Marathon/ Reset

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Die Leipziger Straße ist ausgestorben. Tot starren die Fenster der riesigen Wohnblöcke.

Mutierte Bakterienstämme, großflächig eingesetzt von der Senatsverwaltung für Soziales, haben längst die gesamte prekäre Bevölkerung ausgelöscht. Die neu angekommenen Galeristen und Medienprofis aus München, Stuttgart und Düsseldorf verschanzen sich hinter einem hochwirksamen antibiotischen Nebel.

Nur wenige Zuschauer haben sich am Straßenrand eingefunden. Sie tragen Atemschutzmasken.

Der Helikopter am wolkenlosen Himmel kündigt den sich nähernden Pulk an.

An der Ecke zur Charlottenstraße steht eine Gruppe von Trommlern. Ihre treibenden Rhythmen steigen hinauf in das stählerne Azur und vermischen sich dort mit dem Wummern der Rotorenblätter.

Ein Clown in den französischen Nationalfarben feuert die Vorbeigleitenden mit zittriger Stimme an.
Es ist inzwischen Abend geworden und die Sonne verschwindet hinter dem Finanzministerium.

In der Nacht liege ich in der Mitte des Bettes und breite beide Arme aus.
Niemand, für den ich mehr Platz machen müsste.

 

 

 

 

 

Bild: John Doe: Leipziger Straße
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

direct road to the vergrätztheit

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Wäre ich ein überkronter Zahn, querulierte auch ich am Wochenende, um im Flutlicht des Behandlungszimmers meinem Schattendasein zu entfliehen.

Am Ende ist es aber gar nicht der Zahn, sondern Herpes Zoster, der für Pein und allgemeines Krankheitsgefühl verantwortlich ist. Die in Kirgisien ausgebildete Notdienst-Ärztin ist überaus freundlich und attraktiv dazu, der Blick durch Isolierglas auf den Mehringdamm überraschend schön, die Sprechstundenhilfen angenehm- ich werde zu dieser Praxis wechseln. Wofür samstäglicher Schmerz doch gut sein kann.

Auf dem Rückweg gehen wir, ich trotz schönsten Wetters sibirisch vermummt, den tosenden Damm entlang (es gibt einfach zu viele Autos in der Stadt), schräg rüber zur Teppich-Domäne, die inzwischen Poco heisst und demnächst wahrscheinlich zu Hotel Excelsior Superior International aufsteigen wird. Der gesamte Kiez rund um das Hallesche Tor ist am Aufstreben, die fortschreitende Verdrängung auch hier unübersehbar.
Als wir bei der AGB ankommen, bezieht dort gerade eine keifende Frau Position. Sie stellt sich vor den Eingang und brüllt ihre Misere in die Welt. Keiner schaut sie an, wie jeden Tag (und wie immer die Frage, was in ihrem Leben geschehen sein mag). Drinnen schützen drei Sicherheitskräfte die Einrichtung. Auch das wird Geschichte sein, sobald der soziale Brennpunkt erst einmal befriedet ist.

Im Grimm-Zentrum, so erzählt mir  V., wurden mittlerweile die, lange Zeit geduldeten, Obdachlosen aus der Lounge vertrieben. Mehr und immer mehr waren es geworden, die Ruhe der Studierenden nicht länger gewahrt, unhaltbare Zustände. Jetzt leben sie unter der nahegelegenen Brücke.
Armut ist so lärmend und häßlich.

Auch unter der Leipziger Straße ist die Gruppe der nichtseßhaften Männer verschwunden, bereinigt der windgeschützte, düstere Durchgang, in dem sie ihr Lager aufgeschlagen hatten. Selbst der, mit eingetrocknetem Zement, gefüllte Eimer, in dem noch der hölzerne Rührstab steckte, ist weg. Ich hatte mich über die Jahre an ihn gewöhnt. Nun werde ich ihn mir jedes Mal in seine angestammte Ecke denken, wenn ich dort am Wasser entlang, Richtung Kreuzberg gehe, und mich mehr denn je fragen, was es mit ihm auf sich hatte. An die Gesichter der Männer kann ich mich nicht erinnern. Bärte trugen sie, allesamt, und Lumpen.
Armut macht so gleich.

Am Abend sitzen wir in der Küche und essen zusammen. Wegen des wunden Gaumens war Nahrungsaufnahme in den letzten beiden Tagen nicht möglich. Der Eine schneidet mir das Brot in kleine Würfel, die ich in greisenhafter Manier vorsichtig in den Mund stecke. So geht es.

Fiebrig fühle ich mich und sehr müde. Über die Mediathek schauen wir noch gut zwei Stunden lang den hochgelobten Barschelfilm. 80er. Angorapullover und Depeche Mode. Eine Sexszene, wie man sie zu dieser Zeit nicht im Staatsfernsehen gezeigt hätte. Gute Besetzung, allein Edgar Selge und Fabian Hinrichs sind es wert reinzuschauen (wann habe ich zum letzten Mal fern gesehen?). Zwei Stunden halte ich durch, dann siegt der Herpes und vor lauter Erschöpfung laufen mir die Tränen. Der Eine bringt mich ins Bett, zieht mich aus und deckt mich zu. Bald darauf legt er sich zu mir.
Beim Einschlafen denke ich an die Obdachlosen und den Eimer.

 

 

 

 

 

Bild: By Assenmacher (Own work) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)%5D, via Wikimedia Commons

Du bist so wunderbar, Berlin (14)

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Sommerloch und Saure-Gurken-Zeit. Vor allem aber träges Echsengehirn. Deswegen weiterhin fotografierte Eindrücke aus der Hauptstadt.

Dieses Mal: zwei Detailaufnahmen des Pimmel-Hauses an der Holzmarktstraße neben dem Yaam, direkt am Ufer. Nur noch eine Frage der Zeit, bis es abgerissen wird und ein Investor sich auf dem Gelände austoben darf. Damit in the meanwhile during the meanwhile meanwhilst bis dahin niemand dort wohnen möchte, oder gar auf die Idee kommt das Gebäude zu besetzen, und um die Bausubstanz möglichst schnell in Grund und Boden zu wirtschaften, wurden vor 2 Jahren sämtliche Fensterscheiben eingeschlagen.
Ab und an sieht man auf dem Dach noch ein Grüppchen Unerschrockener mit Selbstgedrehten, roter Fahne und jungen Gesichtern Richtung Westen auf den Alexanderplatz blicken, in die untergehende Sonne.

Schön, schöner, Schöneberg

Auf der Potsdamer Straße befindet sich nicht nur das Katholikenfachgeschäft Ave Maria, welches als Gründungsjahr in einem Schaufenster 1999 angibt, in einem anderen aber behauptet bereits seit 1996 zu existieren (Du sollst nicht lügen).
Inzwischen gibt es dort auch jede Menge Galerien, wie eigentlich überall in Berlin, wo die Gentrifizierung in gewachsene Kieze einkommensschwächerer Mitbürgerinnen hineingrätscht.

Es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis die „wahrscheinlich größte Blockbuster Videothek“ LSD an der Ecke zur Kurfürstenstraße dicht macht, nachdem der benachbarte Straßenstrich bereinigt wurde. Stattdessen wird dort ein Einkaufzentrum mit Nobelboutiquen (stores) entstehen.
Der berühmteste Türsteher der Welt hat hier schon seinen Platz gefunden, die ersten Fritz-Cola und ChariTea-Schuppen gibt es auch schon und Noah Becker soll inzwischen auf der Roten Insel wohnen. Der Anfang vom Ende. 20150608_164239
Auch Schöneberg wird über kurz oder lang überrollt werden von den bärtigen Affen.
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Solange es aber noch so ist, wie es ist, schmuddelig, laut und urban, bin ich gerne hier unterwegs.
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Und wo Särge angeboten werden, gibt es offensichtlich noch Kundschaft dafür.20150608_162914
Hier wird noch mit Bedacht gestorben und sich nicht nur zu Tode gefeiert.

 

Gentrifizierung, die

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Seit Jahren setze ich mich mit den Phänomen der Gentrifizierung und der damit zusammen hängenden Segregation, also der Entmischung eines Wohnquartiers (Kiezes) auseinander. Tagtäglich werden Nachbarn aus ihren Wohnungen verdrängt und langsam dürfte es eng werden am Stadtrand.
Auch an befreundeten Bloggern geht der Kelch nicht vorüber.

Nun legt sich der lange Schatten des Eigenbedarfs (den der inzwischen selbst verdrängte Vermieter an mich weitergeben möchte) auch über mein Zuhause und es fühlt sich genau so schrecklich an, wie ich es mir immer vorgestellt habe.

Da bricht einem der Boden unter den Füßen weg.
Die Scholle auf der man sich seit Ewigkeiten eingenischt hatte.

Das System, das System

Die Alternativen: unbezahlbare Mietwohnungen, oder aber in Ermangelung eigenen Kapitals, Verwandte bitten zu gentrifizieren, andere aus ihrer Wohnung zu verdrängen und diese dann mit einer abenteuerlichen Finanzierung zu erwerben.

Vulgo: selber Arschloch Elch werden. Nicht die letzte in der Nahrungskette sein.
Wahlweise: Wegzug.

Schön ist anders.
(Bitte keine gut gemeinten Ratschläge. Mein Kopf platzt ohnehin schon)

 

 

 

Foto: https://www.flickr.com/photos/seven_resist/5245846229/
seven resist, CC, nicht kommerziell, Weitergabe unter gleichen Bedingungen

Du bist so wunderbar, Berlin (11)

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Seit es Notes of Berlin gibt, und man mit dem Fotografieren von vulgären oder sonstwie infantilen trashigen Aushängen so etwas wie klitzekleinen  Ruhm oder wenigstens einen Originalitätsorden ergattern kann, drängt sich mir immer häufiger der Verdacht auf, dass die Zettelchen und sogar die Müllentsorgung Selbstinszenierungen sind, die auf Veröffentlichung und somit auf ein größeres Publikum schielen.
Ankleben oder hinschmeissen, knipsen, einreichen.
Sei´s drum.
Diese anrührende Installation findet sich in der Alte Jacobstraße, gleich neben der letzten großen Mauerbrache, auf der in diesem Frühjahr alles gerodet werden wird um Eigentumswohnungen (surprise!) zu schaffen.

Du bist so wunderbar, Berlin!