In Kröten enden

Das Schwierige am Kranksein ist das Kranksein. Kommt dann noch Kranksein obendrauf, ein anderes Kranksein, möglicherweise das gefürchtete, werden Geduld und Mut auf die Probe gestellt (gechallenged).
Seit ein paar Tagen habe ich Temperatur, Atemnot in der Nacht, neue, noch ungekannte Geruchsstörungen, Magen-Darm-Misere. Die Schwester sagt: mach einen Test. Der sterbende Hypochonder fragt: wozu denn noch?


Irgendwo wird Brot gebacken, Schnecken kriechen über Kaffesatz, in einem Garten sitzt eine Kröte, die Augen in den Gaumen gewachsen erspäht sie die Beute mit offenem Maul und schaut ihr im Herunterschlingen beim Sterben zu.
Anderswo wächst ein Kind auf, ein Hund, ein Kalb. Nicht alle werden das nächste Frühjahr erleben.
Im Winkel des Kreuzes ein Nest.

So geht das, immer weiter. Und es ist nicht so schlimm, wie man denken sollte: es ist entsetzlich und tröstlich und wunderbar zugleich.

Früher, als ich noch Tiere aß, bestellte ich gerne Schwertfisch vom Grill. Der serbische Kellner des griechischen Lokals brachte vor (dem), während (des) und nach dem Essen(s) einen Ouzo (auf´s Haus). Den ersten und letzten kippte ich heimlich in die winzige Tischvase, die überlief und sich auf der Strukturdecke ergoss.
In dem bunkerartigen, fenterlosen Lokal dudelte Musik in Dauerschleife. Am Ende jedes Durchlaufs erklang ein geheimnisvolles Pfeifen, eine versonnene Traummelodie, man hörte das Klappern in der Küche, die Stimmen der anderen Gäste und dann ging alles von vorne los.

Bei meinem letzten Besuch bat mich der Kellner im Beisein des Kanzlers, den Ouzo nicht wieder in die Vase zu schütten.

In der Nacht erwachte ich mit Herzklopfen und Durst.

do not pick up anything that you haven’t dropped yourself

Mehr erfahren, statt mehr zu erwarten. Den halben Tag schauen und driften; gondeln, um das fragile Gleichgewicht nicht zu erschüttern. Seelen-Mikado. .

Schwarzer Regen umkreist die Stadt, die seit Monaten vor verschlossener Vitrine verdurstet, wie auch die Bäume am Kanal die Blätter hängen lassen. Zuviel, zuwenig. Das Maß. Wie immer.

Abgebrochene Gespräche, lose Enden. Kaudern, um die Wundränder trocken zu halten. Ein großer Irrtum der Glaube sie würden heilen je. Nichts heilt. Staub legt sich auf Alles. Gemahlene Zeit. Ein Schritt nur und und was war liegt frei.

War children is just a shot away

Ich lese, dass die Oberflächentemperatur des Mondes dort, wo ein Menschenfuß sie betrat, signifikant gestiegen ist. Verwirbelter Sand hat die darunter liegende, dunklere Schicht zum Vorschein gebracht. Einfallendes Licht erwärmt diese schneller als den helleren Staub. Et voilà.
Ob etwas brennt ist oft eine Frage der Toleranz oder der Sturheit und selbst der Fakir sehnt sich im Stillen nach Flausch.

 
Vor den Briefkästen treffe ich den hageren Mann, den ich seit Tagen durch den Garten stiefeln sah. Lächelnd kommt er auf mich zu und ergreift mit beiden Händen meine fragend dargebotene Hand. Seine Lippen formen meinen Namen. Wir kennen und freuen uns. Der 17 Jahre verschlossen gehaltene Sarkophag fragloser Loayalität öffnet sich. Darin ein verblichenes Geheimnis. Erinnerung an das andere Ende der Welt, an Urwald, Tradition, Ahnen und tropfnasses, tiefes Grün. Regen.

Armeslänge

 

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Eine Grundregel hast du gleich zu Beginn unseres Kennenlernens gesetzt: keine Fragen. Und da von selbst und nur über ausgewählte Dinge und am liebsten nicht über dich du reden magst, weiß ich wenig nur von dir und deinem Leben und so bleibt mir ratloses Schulterzucken, wenn nach dir sich erkundigt wird: ich weiß es nicht.

 

I´m on my way, sagst du, ehe du gehst, und ich nicke, ohne aufzuschauen.

Ob ich dich begleiten dürfe, ein kleines Stück nur auf deinem Weg zum Bahnhof, hatte ich dich am Vorabend gefragt, als wir in ausgelassener Stimmung bei Tische saßen, die Hemden gebügelt und wir innerlich aufgeräumt und zufrieden waren. Dabei wußte ich schon, zumindest ahnte ich.
Nein, das sei dir nicht recht, sagtest du, das habest du anders geplant und unwillig legte deine Stirn sich in Falten.

Auch nach Jahren sind wir keine Handbreit weiter und noch immer rutsche ich an der glatten Wand deiner Verschlossenheit ab wie Sonnencreme an einer Plastiktüte. Und ich versuche es nur selten noch, denn ich kann nicht einziehen bei dir, ich soll es nicht.
Manchmal vergesse ich und du erinnerst mich.

Nachdem du am Morgen die letzten Dinge für deine Heimreise an den mir unbekannten Ort, zu den mir unbekannten Menschen, in ein mir unbekanntes Leben zusammen gepackt und die Thermoskanne geleert hast, setzt du dich noch einmal mit erfrorener Miene zu mir und sagst: Deine Mundwinkel hängen.
Dann fällt die Tür schon schnappend ins Schloss und bald seufzt schwer auch die Haustüre und du bist fort.

 

 

 

Es ist die gleiche Vergeblichkeit, mit der man ein sterbendes Küken beweint.
Es ist Trauer auf Armeslänge.

 

 

Der Bekannte (so much no)

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Der Bekannte ist, um nicht das hässliche Korinthenwort zu gebrauchen, das, was man gemeinhin einen Erbsenzähler nennt. Mache ich eine beliebige Äußerung, so spüre ich schon beim Reden den ungeduldigen Atem seiner Verbesseritis im Nacken und kaum ist die letzte Silbe verklungen, verbeißen sich bereits seine seziermesserscharfen Philosophenzähne in meine Aussage und zerlegen sie nach allen Regeln der Kunst. Eingeleitet werden diese, seine, kritischen Anmerkungen gerne mit Falsch, Aber! oder einem großen Nein. Selbst dort, wo man vernünftiger- oder loyalerweise nur ein Ja erwarten könnte (Falsch! Erwarten kann man zwar grundsätzlich alles. Bekommen muss man es deswegen noch lange nicht) weht mir ein eisernes Nein entgegen. Nein aus Prinzip, Nein weil Nein und Nein, nicht so, oder Ja aber nein.

He has so much no to say to the world

Er klaubt und ordnet, rechnet und rechtet, er schält die Wörter mit den Lippen, spreizt und buchstabiert sie, ordnet sie ein, geistesgeschichtlich, wie auch historisch. Nur mit Etymologie hat er nix am Hut, das ist eher mein Steckenpferd, was soll das bringen. Nein, asiatisches Essen ess ich nicht, auf gar keinen Fall.

Zwar ist der Bekannte nicht gerade das, was man einen mansplainer nennt, nein, er praktiziert sein Besserwissertum gleichermaßen Männern wie Frauen gegenüber, glaube ich zumindest, genau wissen tue ich es freilich nicht, denn ich erlebe ihn eigentlich fast nur in unserer Zweisamkeit, weil Menschen dem Bekannten generell nicht so liegen, weil er den Weg Erwin Hapkes gehen möchte (die perfekte Synthese zwischen Luhmann und Blumberg, in der Höhle lebend und Evolution als Prinzip gedacht, gebaut aus dem Kontinuum des Papiers, aus nur einer einzigen Grundform) weil ich sozusagen eine Ausnahme, ein Fensterchen in seiner Weltverschlossenheit bin, weil Bücher die besseren Gespächspartner sind, je toter deren Autoren umso besser, und weil Wittgenstein vielleicht am Klügsten war, oder Kant oder Nietzsche oder doch eher Luhmann? Hegel und Heidegger sowieso.

Dem Bekannten braucht man mit Worten wie immer und nie erst gar nicht zu kommen, nicht mal sonntags, wo man glaubt sich ausnahmsweise und aus Gründen der Bequemlichkeit die linguistischen Filzpantoffeln überstreifen, und in salopper Kleidung auf dem Sofa herumfläzen (schlimmes Wort) zu dürfen, statt mit Maßschuhen und Stützkorsett kerzengerade auf dem harten Holzstuhl bei Tische zu sitzen. Mitnichten!

Immer und nie, das lernten wir schon als Kinder, ist stets falsch, doch was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.
Falsch, höre ich den Bekannten sagen, der sich gerade wieder sein Marschgepäck, 30 Kilo Bücher, schnürt, um auf Exkursion zu gehen, und etwas über das Leben zu erfahren.

Gib´s auf, Gib´s auf, möchte ich ihm hinterherrufen, was das Leben ist, das steht nicht in Büchern, das lebt sich und das zeigt sich durch dich und in dir!
Doch was weiß ich schon.

 

 

 

 

 

Bild: Untitled, Rafael M. Milani, flickr
Lizenz: all rights reserved! (usage with the artist´s kindly permission. thanks a lot Rafael!)

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Behinderte gucken gehen

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In meinem Studium lernte ich, dass wenn man Menschen mit Down-Syndrom eine kleine Aufgabe zuwies, sie diese mit besonderer Akribie, wenn nicht Pedanterie erledigten. Einmal gingen wir sogar in eine Werkstatt für Behinderte und schauten uns welche an. Der Dozent, ein erzkatholischer, aalglatter Typ, blieb am Tisch eines etwa fünfzigjährigen Mannes stehen der im Rollstuhl sitzend eine Thermoskanne zusammensetzte.
Das ist der Herr Sch., sagte er, der  Herr Sch. hatte einen Schlaganfall. Seither ist er halbseitig gelähmt, das Sprachzentrum ist auch betroffen. Reden kann er nimmer, aber verstehen tut er alles. Herr Sch. lebt im Wohnheim und kommt jeden Tag hierher zur Arbeit. 

Ich schaute zu Herrn Sch., der seine Arbeit ruhen ließ und mit hängenden Schultern und müdem Gesicht zu unserer Gruppe aufblickte und ich schämte mich in Grund und Boden.

Ich finde das nicht in Ordnung, dass wir hier Behinderte angucken wie im Zoo, sagte ich zu unserem Dozenten.

Das stört die Behinderten nicht, antwortete der Dozent und winkte, um seine Behauptung zu untermauern, zwei junge Männer mit Down-Syndrom heran, die interessiert hinter uns getreten waren. Jovial legte er den Arm um einen der Beiden.
Fühlst du dich wohl hier, fragte er ihn und der Umarmte lächelte verlegen und nickte.

Manchmal, erklärte der Dozent, haben die Behinderten natürlich auch keine Lust zu arbeiten, das ist nicht anders als bei uns. Aber der Heimplatz ist an den Werkstattplatz gekoppelt und sie wissen, wenn sie bei ihren Freunden bleiben wollen, müssen sie dafür arbeiten. Gerade Menschen mit Down-Syndrom können sehr stur und faul sein, denen tut ein bisschen Druck ganz gut. 

Ich schaute zu Herrn Sch., der sich längst wieder seiner Arbeit zugewendet hatte, drehte mich um und verließ die Werkstatt.

 

 

 

 

 

Bild: Nadja Varga, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/

Ochsenhunger

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Dem Mann am Telefon erzählte ich ich trüge einen schwarzen, hautengen Catsuit mit durchgehendem Reißverschluss und einer schmalen Kette um die Hüften, ich konnte hören, wie seine Knöchel weiss wurden, als er die Hand zur Faust ballte, also erzählte ich weiter. In der Hocke säße ich, die Kniee weit auseinander und zöge ganz langsam den Zipper herunter. Dann legte ich auf.
Ein paar Wochen später erreichte mich ein Paket mit allerlei Gaben. Darunter eine New York Times, die ich von vorne bis hinten durchlas, doch ich fand keinen Hinweis. Er hatte es mir mit gleicher Münze heimgezahlt.

Ein anderer trug den Namen eines Waldtieres und nachdem ich ihm von meinen schweren Botten, dem Tanktop und dem Minischottenrrock erzählt hatte, schickte er mir ein feines silbernes Kettchen mit Kügelchen daran. Er schrieb es täte ihm Leid, er besuche regelmäßig Swingerclubs, seine Frau wisse nichts davon, und auch mich wolle er nicht belasten mit diesem Geheimnis.

Der Dritte und Letzte rief mich von einem Parkplatz aus an, wo er mit Unbekannten verabredet war. Flüsternd erzählte er mir was dort in der Dunkelheit vor sich ging. Dann legte er auf.

Von ihm habe ich nie wieder gehört. Doch ich erinnere mich noch an seinen Namen: Marek.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bild: Vizero, Vollmondparken, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/

bei Nacht (rewind / forward)

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Ein Texaner erlegt einen kindsgroßen Ochsenfrosch und hält das Opfer seines Rekordmordes zufrieden in die Kamera.

Der neue Trend heisst Pussy Slapping – Mädchen schlagen sich gegenseitig heiter zwischen die Beine. Paleo-Diät und ein leichtes Kleidchen aus ungebleichter Baumwolle könnten gut dazu passen. Im Sommer auch ein Gurken-Zitronen-Eis, low fat.

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Nachts um eins quert eine Wildschweinrotte die Potsdamer Chausee. Ein Scherenschnitt aus fünf großen beschnauzten Kästen und acht kleinen schwanzwedelnden Kästchen die hintereinander her laufen. Ohne nach links und rechts zu schauen, traben sie durch die Nacht und vertrauen in die Geborgenheit der Herde. Ich bremse und lasse sie mit angehaltenem Atem passieren.

Nach der Fahrt durch die nahezu ausgestorbenen Straßen und über die Stadtautobahn kehre ich von meinem Ausflug mit der kranken Katze zurück. Zu meiner Freude ist die Spülmaschine ausgeräumt, der wedelnde Hund gefüttert und alles in schönster Ordnung. Der Bekannte sitzt nach getaner Arbeit über seinen Büchern und laboriert im Lichtschein der gußeisernen Tischlampe an der Ausdifferenzierung seines Geistes und der Erweiterung seiner Gedankenwelt. Das bisher Gedachte verwahrt er, abgefüllt in Gläsern unterschiedlicher Größe, in seinen inneren Katakomben, wo die Behältnisse nach einer geheimen Ordnung und in einem für Uneingeweihte undurchschaubaren Regalsystem der wechselnden Gewichtungen, Strömungen und Bezüge aufgereiht sind. Ich blicke da weder hinein noch durch und er schweigt sich, wie stets, über seine Welt aus,

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In der Tierklinik sitzt ein attraktiver Mann in einem lindgrünen Hemd und hält eine Kiste mit zwei Vögelchen auf dem Schoß. Er wird diese, ausgerüstet mit einer Zuckerlösung und ein paar guten Tipps, wieder mit nach Hause nehmen. Alle zwei Stunden füttern, feed them all two hours, sagt die Ärztin und fügt hinzu, don´t worry, they are thick.
Die Fragezeichen über des Mannes Kopf schweben noch im Raum, als er längst schon verschwunden ist.

Gleich neben mir wartet ein junges Paar, Mittzwanziger. Er mit Vollbart und zeitgenössischen Tätowierungen, sie langhaarig in enger Stretchjeans und mit silbernen Riemensandälchen. Auch sie haben einen Karton dabei, darin ein halbnackertes Küken, welches die Tierärztin im Vorbeihasten als Taube identifiziert. Später wird sich herausstellen, dass es sich, wie bei meiner Selma, um eine Amsel handelt, denn ich lotse das Paar zu derselben Dame, bei der ich Vorgestern, nach einer erneuten nervenaufreibenden Aktion (dieses Mal: Rettung vor der hungrigen Elster) meinen kleinen Findling abgegeben hatte. Die Vogelexpertin erkennt es auf den ersten Blick: was hier den dünnen  Hals nach oben reckt, kann keine Taube, sondern nur eine Drossel sein.
Selma und Amselina (wie ich das Küken im Geiste taufe) werden nun bis zu ihrer Auswilderung in Staaken leben. Amselina, so schreibt mir die Vogeldame gleich am Morgen per WhatsApp, hätte die Nacht nicht überlebt, wäre sie nicht in ihrer Obhut und damit auf einer Wärmescheibe in einem Frotteenest voll puckernder Schützlinge gelandet. Ich freue mich.

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Das tagelange, unstillbare Erbrechen der Katze endet übrigens rätselhafterweise so plötzlich wie es gekommen ist. Das Neonlicht der Klinik reicht aus, ihre Magensäfte gerinnen zu lassen und nachdem die Ärztin mit den lagunenblauen Haaren den Bauch der Tigerin abgetastet und für weich befunden hat, trete ich nach Stunden des Wartens hinaus in die seidige Nacht und hoffe, dass der rabiate Besitzer des angefahrenen Welpen, der aussieht wie  der bärtige Geiselnehmer von Gladbeck und sich aufführt wie die Axt im Walde, mich nicht auf den im Dunkeln liegenden Parkplatz verfolgen und mir dort den Schädel spalten wird (weil ich als Nichtraucherin seine Frage nach einer Kippe abschlägig bescheiden musste). Meine Bitte wird erhört, nichts Böses widerfährt mir und im Schutze des leise rauschenden Blätterdachs verlasse ich das nächtliche Gelände ohne Zwischenfall.

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Jetzt sitze ich nach einer traumlosen Nacht müde am Küchentisch, schaue hinaus ins satte Grün, lausche dem Regen und schreibe diese Zeilen, derweil der Bekannte sich eine Banane schält und seinen Kopf mit Buchstaben und Wörtern a.k.a. Informationsträgern füllt.
Heute Morgen ist es ihm gelungen den metallenen Deckel des Espressokännchens, der seit Langem schon lose ist, scheppernd auf das Glas des Cerankochfeldes fallen zu lassen und zeitgleich und auf unerklärliche Weise eine Kettenreaktion im etwa 2 Meter entfernten Spülbecken auszulösen, das laute Gegenscheppern von aufrecht in einem Becher stehenden Besteckteilen nämlich, die sich just in diesem Augenblicke aus ihrer Verschränkung lösten und klirrend auf dem porzellanenen Boden des Bechers aufschlugen. Wir hatten unsere Freude an dem schrägen Akkord.
Schläft ein Lied in allen Dingen.

 

 

 

 

 

 

 

Foto: Daniele Civelo, Naturkundemuseum 48, flickr
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/

Stranded

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Ich verstehe in Etwa was mir Andere über ihre Arbeit und ihr Leben, über Indien, Cricket und über die Ferne erzählen. Gleichzeitig verstehe ich nichts von all dem. Ich höre nur Worte.

Einmal sah ich einen Bericht über Menschen, die in Sri Lanka am Strand schlafen müssen, weil sie kein Obdach haben. Überall auf dem nächtlichen Sand gab es dunkle Flecken, von Tüchern bedeckte Erhebungen, die sich dann und wann ein wenig bewegten. Ich sah diese Bilder und auf einmal durchfuhr es mich und ich dachte: wie wenig ich von der Welt und vom Leben weiss.
Die Kamera begleitete die Schlafenden durch die Nacht, bis sich wieder Leben unter den leichten, bunten Tüchern regte, und eine warme Sonne die Erwachenden beschien. Hell wie Mehl war das Licht des Morgens, staubig und trocken das Licht des Tages. Alles sah aus wie aus angebackenem und mit Mehl bestäubtem Pizzateig geformt. Die Lehmmauern, die Straßen, die gekalkten Häuser, die Handflächen der Menschen. Traurig wurde ich, denn mich dauerten die Menschen, die kein Obdach haben, die tagein und tagaus arbeiten und doch immer hungrig bleiben, die im Kielwasser einer gefräßigen Welt umhergewirbelt werden und die kämpfen müssen, um nicht rettungslos unterzugehen in diesem mächtigen Strudel..

Oft macht mich diese gleichgültige Welt sehr traurig und oft überlege ich, was ich tun könnte um einzugreifen, und als ich vor zwei Tagen Selma das Amselkind fand und in meine Obhut nahm, erinnerte ich mich auf einmal an folgendes Erlebnis:
Ich war vielleicht sieben oder acht Jahre alt, meine Eltern verbrachten den Tag mit uns am Kahler See, eine gute halbe Autostunde von Frankfurt entfernt. Wir lagen am Strand, im weißen Sommerlicht und ich blickte auf das Wasser. In Ufernähe planschten schreiende Kinder. Ein Vergnügen das mir fremd war. Noch nie hatte ich Spaß daran in der Gruppe laut zu sein und auch wenn der Lärm mich nicht störte, war ich doch lieber alleine oder hielt mich in der Nähe Erwachsener auf.

Es war ein sehr heißer, ein friedlicher Tag. Im Hintergrund dudelte Jazz. Ein paar Amerikaner saßen biertrinkend im Sand und kauten fremde Worte. Das Wasser glitzerte in der Sonne, die Luft in der Ferne verdichtete sich allmählich diesig und wie ich da am Ufer saß und auf den See blickte, bemerkte ich plötzlich, inmitten der tobenden Kinder und des wogenden und spritzenden Wassers, etwas Kleines, das auf der Oberfläche hin und hergeschaukelt wurde. Es war ein Schmetterling, ein Pfauenauge, der wahrscheinlich von einem Wasserschwall erfasst und in den See gerissen worden war, aus dem er nun nicht mehr heraus fand. Keines der spielenden Kinder, noch deren Eltern, schienen den Überlebenskampf des kleinen Pfauenauges zu bemerken, das wieder und wieder versuchte sich mit Flügelschlägen in die Luft zu retten, während neben ihm kleine Arme ins Wasser patschten, es um Haaresbreite verfehlten und  fröhliche Rufe seine Not übertönten.
Auf einmal verstand ich was passieren würde: das kleine Tier würde sterben. Es würde untergehen und ertrinken und ich allein konnte das verhindern. Dieser Gedanke und die mit ihm einhergehende Verantwortung, diese dringende und schicksalhafte Notwendigkeit zu handeln, ließen mich erschauern, sie schmerzten und euphorisierten mich zugleich und wie ferngesteuert sprang ich auf, rannte zum Ufer und lief so schnell ich konnte in den See hinein. Mit aller Kraft schob ich meinen Körper durch das kühle, schwere Nass und schlängelte mich, den Schmetterling nicht aus den Augen lassend, an den wild rudernden Kinderarmen vorbei. Die Reflektionen der Sonne blendeten mich und es rauschte in meinen Ohren, dahinter, weit entfernt, brandete das Lachen der Kinder, der Sommer, das Leben.
Als ich meinen Schützling endlich erreichte, formte ich mit beiden Händen eine Schale, mit der ich ihn zunächst von oben beschirmte und die ich schließlich unter ihn schob, um ihn vorsichtig abzuschöpfen. Als ich ihn sicher in den Händen hatte, spreizte ich die Finger, ließ das Wasser  ablaufen und stakste anschließend mit weit nach oben gestreckten Armen an den schreienden Kindern vorbei ans Ufer, wo ich mir einen ruhigen Fleck suchte und mich setzte. Ganz still wurde es um mich, die Zeit, die eben noch in schnellem Takt getrommelt hatte, tickte auf einmal ganz langsam, der Tumult in meinem Inneren legte sich und das Rauschen in den Ohren ließ nach. Der Falter auf meiner Hand saß erst wie tot, nur seine Fühler bewegten sich, dann aber breitete er seine Flügel aus und ließ sie von der Sonne bescheinen. Nach einer Weile klappte er die Flügel zusammen, um auch die Unterseiten trocknen zu lassen und verharrte ansonsten auf der Innenfläche meiner Hand. Ich schaute ihm zu, fühlte seine Füßchen auf meiner Haut, atmete vorsichtig und war sehr froh. Irgendwann, es mochten fünf oder zehn Minuten vergangen sein, bewegte er seine Flügel etwas schneller, flatterte ein wenig, wie zur Probe, und flog schließlich davon. Während ich ihm nachblickte, überkam mich  der gleiche tiefe Schmerz und die gleiche Euphorie, wie ich sie in jenem Moment empfunden hatte, als ich mir meiner Verantwortung für sein Leben bewusst geworden war.

Es war derselbe See, an dem ich nur wenige Wochen später in Not geriet. Ich war ohne  Schwimmärmelchen mit dem Schlauchboot hinausgepaddelt und hatte am gegenüber liegenden Ufer angelegt. Dort musste sich, von mir unbemerkt, ein Nagel durch die Bootshülle gestochen haben. Doch erst als ich wieder auf dem offenen Wasser war, entdeckte ich, dass ich Luft verlor und das Heck immer tiefer eintauchte. Da das Boot sehr schnell manövrierunfähig wurde, warf ich das Paddel ins Wasser, hielt mich an dem noch luftgefüllten Bug fest, strampelte mit den Beinen und schaute zum Strand herüber, wo ich meine Eltern vermutete, doch ich fand sie nicht. Zu weit entfernt war ich von ihnen.


An dem Ufer, an das ich kurz zuvor angelegt hatte, befanden sich, inmitten eines kleinen Wäldchens Holzhütten und Lauben. Einer der Männer, die dort mit ihren Familien das Wochenende verbrachten, musste mich gesehen und meine Situation erkannt haben. Beherzt sprang er ins Wasser, kam mit schnellen Zügen zu mir herüber geschwommen, griff nach der Kordel meines Bootes und hieß mich, mit beiden Armen den Bug zu umklammern und keinesfalls loszulassen. Dann schwamm er los und zog mein Boot und mich zurück zu unserer Badestelle. Ich dachte daran, dass meine Schwester mir von Zitteraalen erzählt hatte, die sich in den Tiefen des Sees tummelten und die mit Stromstößen Schwimmer töten konnten. Ich hoffte, dass die Aale den Mann verschonen und wir beide überleben würden. Tatsächlich schienen die Aale zu schlafen, denn wir erreichten das Ufer unversehrt und als wir im brusttiefen Wasser angekommem waren, ließ ich das Boot los und watete mit wackligen Beinen an Land. Statt mich zu meinen Eltern zu bringen, wie ich befürchtet hatte, hob der Mann nun die Hand zum Gruß, ging wortlos zurück ins Wasser und schwamm wieder zu seiner Laube.
Ich ließ das inzwischen vollkommen erschlaffte Schlauchboot liegen, machte mich auf die Suche nach  meiner Familie und fand sie in der Sonne dösend vor.  Wortlos legte ich mich zu ihnen, hielt mein Gesicht ins Licht und betrachtete durch halbgeschlossene Lider meine nassen Wimpern, die in Regenbogenfarben schillerten.

 

 

 

Musik: Stranded, The Saints

 

 

 

 

Bild: Wikipedia
Lizenz: == Beschreibung == {{Information| |Description = Kahler See, holiday home area, near Kahl/Main, Bavaria/Germany |Source = photo taken by Gabriele Delhey |Date = created July 12, 2005 |Author = [[:de:Benutzer:Reise-Line|Gabriele

verbindlich unverbindlich

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Die Freundinnen klagen über die Unverbindlichkeit der Männer, die sie kennenlernen. Darüber, dass niemand sich festlegen möchte. Flexibel bleiben.
Ich merke das Gleiche im Job. Vorstellungsgespräche laufen mehr und mehr so ab, dass die Bewerber fragen, was ihnen geboten wird, und immer weniger einzusehen scheinen, dass sie auch etwas bieten müssen, nämlich vor allem Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit.

Ein Vorstellungsgespräch bei dem die Aspirantin schon im zweiten Satz ungefragt verlautbaren lässt, dass sie übrigens im Sommer in jedem Fall 6 Wochen verreisen wird, komme was da wolle. Das sei ihr heilig und kein Job der Welt sei es wert von diesem Plan in irgendeiner Weise abzurücken, ihn zu modifizieren oder sich mit den Kolleginnen abzusprechen, lassen mich sprachlos zurück.
Ich habe das Gespräch dann trotzdem zuende geführt und die Dame dann mit freundlichen Worten zum Ausgang begleitet.  Wir melden uns. Sie schien sehr zufrieden mit ihrem Auftritt gewesen zu sein.

 

 

 

 

 

 

 

Bild: Country-Sunshine, flickr, 001-017-01
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