Gutdünken

Gutdünken will Weile haben

 

 

Der Kanzler hat den Verstand verloren, oder den letzten Anstand. Ich weiss nicht, was ich schlimmer finden soll und habe selbstfürsorglich den Knopf gedrückt. Vorn beim Schaffner leuchtet bereits das rote Licht, in meinem Kopf läuten tonnenschwere Glocken.

 

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Von Westen zieht die Nacht heran. Im Osten unseres Landes ist noch kaum jemand infiziert. Was werden sie frohlocken am Stammtisch in Velten, dass man (CDU, NPD und AfD) aus „Angst vor Entfremdung“ jeden Zuzug sowie Autobahn- und S-Bahn-Anschluss unterbunden bzw. gekappt hat. Die Suppe dickt ein zu braunem Matsch aka Volkskörper.

 

 

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(Wie schlimmer Liebeskummer fühlt sich das plötzliche Abgeschnittensein an)

 

 

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Jeder Mensch ist berechtigt, nach Gutdünken mit seinem Geld umzugehen, auch wenn er z.B. durch verschwenderischen Lebensstil eine Bedürftigkeit herbeiführt, die ihn vom zigarrerauchenden Casinobesucher zum darbenden Sozialhilfeempfänger macht (korrekterweise müsste ich Sozialhilfeempfänger*in schreiben, doch die Bedürftigkeit überlasse ich den Männern, die haben naturgemäß mehr Schotter).

Den obenstehenden Satz habe ich ehrlicherweise nur geschrieben, um das Wort Gutdünken, nicht zu verwechseln mit dem standesgemäßen Dünkel oder den beineschleudernden Funkemariechen (hä?) verwenden zu können, rangiert es bei mir doch in der gleichen Liga wie herumfuhrwerken, herunterwirtschaften, Streichholz, Auspuff und Schneeschuh – nämlich ganz weit oben.

Schneeschuh, so dachte ich, als ich demletzt unter der Dusche stehend der braunen Lavaerde hinterhersah, die das warme Wasser von meiner Haut und an den Rand des Abflusses gespült hatte wo sie sich als unschönes Sediment kreisrund um das Sieb herum absetzte, was, so ich nicht die tüchtige und gewissenhafte Hausfrau wäre, die ich bin, beim nächsten Besucher meines winzigen (inconvenience) Bades zweifelsohne Fragen aufwerfen und mich in Verlegenheit bringen würde (haste kein Katzenklo?).

Schneeschuh als Sinnbild für netzwerken, dachte ich, nur das Geflecht trägt Alle sicher durch die Gefahr. Ohne den Zusammenhalt versackt bzw. versinkt der Einzelne in der Kälte, dem Winter, der Klamm und erfriert. Zugegebenermaßen eine etwas billige und vordergründige Symbolik, wie etwa der in den Keller fahrende Lift, der den Untergang ankündigen soll, und in Wahrheit nur den Blick auf die Einfallslosigkeit des Regisseurs freilegt, doch in Anbetracht der Sauerstoffknappheit des fensterlosen, zugedampften Minibades, sind solche Gedänkchen mehr, als ich von meinen grauen Zellen (um auch einmal diese gründlichst vernutzteste hässlichsteste Formulierung zu verwenden, die in einer Liga mit Gehirnjogging und Powerfrau spielt) erwarten kann bzw gewohnt bin.

Mein privater Schneeschuh jedenfalls hat sich ganz unerwartet (mir nichts, dir nichts) und mit einem Streich bzw., mit einer Streichung (what a difference a word makes) auf ein handtellergroßes Netzchen bzw. Fetzchen reduziert, kaum geeignet irgendwen noch zu schützen oder auch nur zu stützen, geschweige denn, überhaupt nur ein Ferrero-Küsschen zu tragen. Genauso gut könnte ich gleich aufgeben, mit der Ferse ins Eis hacken und auf meinen sicheren Untergang warten.

Alles auf Neuanfang; der Frühling naht.

Für April, dem grausamsten der Frühlingsmonate, war eine Reise  an den Starnberger See nach Frankfurt geplant. Drei Tage zum Geburtstag des Kanzlers. Doch wegen der neuen Sachlage und des Unerwünschtseins nicht nur seitens der bösen Stiefmutter, musste ich umdisponieren und werde stattdessen an die Lübecker Bucht fahren wo vor inzwischen fast vier Jahren meine Mutter bestattet bzw. in die Ostsee verklappt wurde und in deren Nähe ich mich seither trotz langjährigem Lübeckfantums, nicht mehr heran gewagt habe. Zu groß die Angst vor klaftertiefen Schmerzabgründen.

Ironischerweise ist der 20. April aber nicht nur Hitlers Geburtstag der Geburtstag des Kanzlers, sondern zugleich auch Hochzeitstag meiner Eltern (angesichts der erzwungenen Eheschließung eine doppelt bittere Pille) sowie das Datum der beiden letzten Begegnungen mit meiner Mutter (zwischen denen 20 Jahre lagen).

Um meine zu erwartende Melancholie schon im Vorfeld abzufedern, haben die mitreisenden Freundinnen mir in glucksender Vorfreude und bei einem guten Gläschen Rioja versprochen, sich in Lübeck an meiner Statt gemütlich volllaufen und mich mittels Telelallie an ihrem rasenden Reiserausch teilhaben zu lassen.

Dass unsere Unterkunft unweit der Fackenburger Allee liegt, werten wir drei als ein gutes Vorzeichen. (Hoffentlich gibt´s auch Hundescheiße in Lübeck, sagt Wilhelmine. Bestimmt, beruhige ich sie, und wenn nicht, kümmern wir uns drum).

21 Kommentare zu “Gutdünken

    • Da bin ich beruhigt und werde in alter gewohnheit ein paar aufsammeln gehen.
      Danke für das liebe Angebot, aber wir sind zu Dritt unterwegs und haben jede Menge vor. Das wird also eher nichts.
      Vielleicht hast Du aber ein paar Empfehlungen, was wir unbedingt sehen müssen?

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      • Was gibt es hier unbedingt zu sehen? Hundescheiße liegt rum. Wenn Du mir einenTipp gibst, was Euch interessiert, fällt mir vielleicht was ein, ansonsten schaut Euch doch mal um.
        Wenn es Euch nach Marzipantorte gelüstet, meidet Niederegger, Im Cafe Czudej (Sandstr,) sind die Stücke größer (Heisst dort“Lübecker Nuss“) und meinem Gaumen genüsslicher. Bei Fragen, mailde Dich.

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  1. An Alternativem ist Lübeck eher arm ihr könnt ja mal in die Clemensstr. (Einst Bordellzönchen) schauen, ins Cafe Sofa (St. Annen Str,), in der Hundestr, nach Hundekacke schauen …
    Abseitiges mag ich auch, entdecke ich oft beim Schlendern ….

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  2. Noch ein Tipp: Der Mittagstisch in der Grenadine (Wahmstr.) Mo -Fr 12.00 -15.00. Es gibt nur drei Gerichte: Vegetarische Suppe, Vegetarisches, Was mit Fleisch oder Fisch. Alles frisch. Kostet zwischen sechsfuffzig und zehn. Angebot täglich wechselnd.

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  3. Falls Ihr auch auf Bio steht und nahe der Fackenburger übernachtet: Landwege ist der nächste Laden, Anfang Ziegelstr.
    Wenn Du noch Fragen hast, tippe bitte.
    Hundekacke nehme ich nicht persönlich. Auch hier mangelt es nicht an diesen Biotretminen.

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  4. Letztens ist ein unferschämtes Wort, das uns als Kinder streng verboten war, obwohl meine Mutter es ständig benutzte. Wir sollten neulich oder gerade eben sagen. Danke für das Wiederauflebenlassen.

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