Es st spät, als wir endlich mit dem Bus in Röllbach (einem Dorf im Spessart, unweit von Miltenberg) ankommen.
Wir fahren durch den Ort, nehmen den Feldweg Richtung Wald, lassen sämtliche Häuser hinter uns und stellen das Wohnmobil unter einer Gruppe alter Bäume, auf festem Grund ab.
Im Sommer trifft sich hier die Jugend, um im Schutze einer Marien-Skulptur das Rauchen, Trinken und Jungsein zu genießen.
Inzwischen ist es fast Oktober. Nachts wird es auf weiter Flur schon frostig kalt.
Und so ist das Interesse am Zechen im Freien, dem Faible für´s Trinken in geschlossenen, verqualmten Räumen gewichen.
Wer weiß, vielleicht sitzen sie jetzt alle im örtlichen Schützenverein.
Kaum haben wir die Seitentür des Spielmobils aufgeschoben, springt Töle schon aus dem Bus und nimmt instinktiv Witterung auf.
Sie schnuppert gebannt den Feldweg entlang zur benachbarten Koppel. Der Duft von Pferdeäpfeln entschädigt für die anstrengende Fahrt.
Auf den abgeernteten Stoppelfeldern riecht es nach Gülle, Mäusen, Hasen und Füchsen.
Mein Freund dreht sich eine Zigarette.
Wir stehen in der Stille der Nacht, atmen tief ein und schauen dem Rauch hinterher, wie er nach oben steigt und sich in der Dunkelheit verliert.
Es ist windstill. Der nächste Autobahnanschluss ist weit weg.
Nur die Flugzeuge, die sich dem Frankfurter Flughafen nähern, grollen und blinken von weitem über der nächtlichen Idylle des fränkischen Dorfes.
Langsam spazieren wir zurück zum Ortskern, beobachten den manischen Zickzack-Kurs von Töle, und freuen uns als wir den Hof unserer Freunde betreten, deren Hund pflichtbewusst anschlägt.
Lange haben sie auf uns gewartet. Die Flaschen sind kaltgestellt, ein Teil schon geleert.
Unter ländlichem Sternenhimmel werfen wir den Grill an und schlürfen fröstelnd wärmende Getränke.
Gegen 3 Uhr beschließen wir die Nacht zu beenden, um am nächsten Tag taufrisch für den Geburtstag meines Patenkindes zu sein.
Der Junge schläft tief, und ahnt nichts von dem Mountainbike, das wir mitgebracht haben.
Angeschickert machen wir uns auf den Weg zu unserem Bus. Durchs Dorf, übers Feld.
In vollem Galopp nehmen wir die leichte Steigung Richtung Wald.
Unser Gastgeber stürzt mit seinem Fahrrad in einen Bewässerungsgraben.
Die Hunde springen ausgelassen um ihn herum, bellen in die dunkle Nacht und nießen kopfschüttelnd vor Lebensfreude.
Am Wohnmobil angekommen, reissen wir die Türen auf, setzen uns ins Fahrzeuginnere, öffnen eine Flasche Rotwein und ich koche mir auf dem Gasherd Wasser für eine Wärmflasche. Es ist sehr frisch geworden und mich fröstelt. Wir wickeln uns in billige Discounterdecken.
Ein Glas noch, dann geht es ins Bett. Ganz sicher. Morgen ist ja Geburtstag.
Es ist schön, dort zu sitzen, zu trinken, zu reden, der klaren, kalten Stille zu lauschen und auf das Gestern, Heute und Morgen einer uralten Freundschaft anzustoßen.
Erst spät bemerken wir, dass ein Fahrzeug sich dem Bus nähert, und mit Abblendlicht direkt auf uns zuhält.
In unseren fröhlich-benebelt-erschöpften Hirnen blubbern zeitlupenartig winzige, wohlwollend wabernde Fragezeichen empor, flackern wie ein Irrlicht, das selbstgenügsam nach keiner Antwort am inneren Firmament sucht auf, und zerfallen in der Euphorie des Augenblicks in winzige funkelnde Moleküle, so wie
… wie irgendwas.
Egal was.
Was ist hier eigentlich los?
Langsam klickert es in unseren Köpfen, die innere Sanduhr rieselt, und wir ernüchtern schlagartig:
für eine Flurbegehung durch den Landwirt scheint es etwas spät,
die Jugendlichen haben nur Mopeds, und unterliegen ohnehin dem Hordenzwang.
Die redlichen Siedler liegen längst im Bürgerkoma.
Wer sonst könnte also um diese nachtschlafende Zeit zwischen brachem Feld und dunklem Wald unterwegs sein?
Die Lichter des Wagens nähern sich.
Langsam wird es merkwürdig.
Was machen wir bloß, wenn Killer im Anmarsch sind? Niemand wird unsere Schreie hören…
Wir bleiben im Bus sitzen. Das Fahrzeug kommt frontal vor uns zum Stehen, die Vordertüren öffnen sich und zwei Männer steigen aus.
Geblendet bleiben wir sitzen, starren in die Lichtkegel, die Hunde bellen.
Jetzt bewegen die beiden sich auf uns zu. Ich erkenne die Silhouette einer Uniform.
Gott sei Dank! Es sind bayerische Polizisten!
„Herzlich willkommen! Sie ahnen gar nicht, wie sehr wir Sie vermisst haben!“
möchte ich Ihnen erleichtert entgegen rufen, unterdrücke diesen Impuls aber und warte darauf, was als nächstes geschieht.
„Grüß Gott, die Fahrzeugpapiere und ihre Ausweise, bitte!“
Ein routinierter Griff, in die Tasche.
„Bitte schön.“
Während der eine zum Dienstwagen zurück geht, um die Daten abzugleichen, frage ich den anderen, wie es eigentlich kommt, dass sie zu so später Stunde hier aufkreuzen.
„Gab es Beschwerden?“ möchte ich wissen.
„Wir sind die bayerische Polizei; wir schauen unter jeden Stein.“ antwortet er mir mit einem selbstbewussten Lächeln.
„Haben wir irgendetwas falsch gemacht? Ist es nicht erlaubt hier zu stehen?“
„Junge Frau, es ist so: in Schweden ist alles erlaubt, außer es steht ausdrücklich da, dass es verboten ist.
In Deutschland ist alles verboten, außer es steht ausdrücklich da, dass es erlaubt ist.“
Eine gelungene Zusammenfassung der bürgerlichen Gesellschaft Deutschlands, deren in Paragrafen gegossene, neidverrammelte Engstirnigkeit, das beklemmende Gefühl eines zu eng geschnürten Korsetts hinterlässt.
Das Empfinden keine Luft mehr zu bekommen.
„Also ist es verboten hier zu stehen.“
Der Polizist nickt.
Ich atme tief ein und erkläre ihm, dass wir allesamt zuviel getrunken haben, um das Wohnmobil von diesem Ort zu entfernen.
Das versteht er und selber wegfahren mag er es auch nicht.
Nachdem unser Freund sich als Einheimischer ausweisen kann, erteilen die Ordnungshüter uns die Erlaubnis, noch bis zum nächsten Tag zu bleiben und verabschieden sich mit einem freundlichen:
„Gute Nacht, die Herrschaften!“
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“Danke, für diese schönen Stunden,
Danke, für diesen ganzen Tag;
Danke, daß Du mich hast gefunden
Heut’ in Freud und Plag’.