Im Herzen ein Jogger

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Sie möchten´s nicht sehen. Auch der Tischler ist sprachlos. Langhaarschimmel auf dem Holzschrank von Gestern auf Heute und Null auf Hundert. Ohne Ansage. Auf der Frontseite, wohlgemerkt.

(Entspannte Lebenslust bringt man am Besten zum Ausdruck, indem man im Schneidersitz sitzend, lachend alle Zähne präsentiert, dabei lässig die Arme auf den Oberschenkeln ablegt und die offenen Handflächen gen Himmel zeigen lässt.

Wenn zu ostentativ tikerscherk böse.)

Das Hörbuch Kindeswohl von Ian McEwan bricht kurz vor Schluss ab, ich schrecke aus dem Halbschlaf auf. Wer kann mir jetzt bitteschön sagen wie der Roman ausgeht? Läuft da noch was zwischen den beiden? Wenn ja, wäre das doch einerseits ganz schön, aber andererseits auch total daneben und wirklich ein dickes Ding, oder?

In einer Online-Rezension des Buches suche ich vergeblich nach einem Spoiler, der mir das Ende verraten könnte, lese stattdessen etwas von Fettgeilchen und muss mich doch sehr wundern. Tatsächlich steht dort aber Fertigteilchen i.S.v. Textbausteinen, wie sich schnell heraustellt, was vermutlich als Schmähung gemeint ist, der ich mich jedoch nicht anschließen mag.
In meinem Universum sind Teilchen etwas was in Röhren beschleunigt wird, sage ich.
Bei uns sind Teilchen die Dinger, die man beim Bäcker kauft, antwortet die Agrarwissenschaftlerin.
Die heißen bei uns Stückchen, entgegne ich und sie sagt Stückchen klinge in ihren Ohren merkwürdig. Schnell sind wir bei anderen regionalen Spracheigenheiten wie Griebsch und Krotzen und während wir so plaudern, beißen wir ab und an in unsere herzhaften Vesperstangen, die wir bei der Bio Company gekauft haben. Normalerweise kaufe ich da nicht ein, aber was soll ich tun, wenn Kraut & Rüben weder die gute Gepa-Espresso-Schokolade hat, noch meinen Almkräutertee. Ne, Bio Company oder Alnatura ist immer der Anfang vom Ende, bestätigt die Agrarwissenschaftlerin, ist bei mir in Moabit nicht anders. Und Fritz Cola, ergänze ich, das ist auch immer schlecht. Oder ChariTea. Kauend nicken wir und wenn bei einer von uns der Mund wieder leer genug ist, ergänzt sie die Liste der Verdrängungsindizien um einen weiteren Punkt. So hangeln wir uns von Thema zu Thema, wie die Affen die Bäume entlang, und natürlich sind das keine Themen, sondern nur ein wenig Fellpflege, sich gegenseitig lausen, sich rückversichern: wir sind Teil der gleichen Blase, der selben Sorgen- und Spaßgemeinschaft, ich fühle wie du.
Und weil am 2. August Erderschöpfungstag war, prüfen wir auf unseren Smartphones noch schnell unseren ökologischen Fußabdruck.
Man muss es sich leisten können ein guter Mensch zu sein, denke ich, denn ohne Bio kann man gleich einpacken, da braucht man mindestens zwei Schuhgrößen größer oder zwei Erden mehr. Wären doch nur alle Menschen auf der Welt reich genug für Bio.
Der Fußabdruck der Agrarwissenschaftlerin ist miserabel, trotzdem ist sie alles in allem recht zufrieden mit sich: viel Bio, regional und auch mal Second-Hand-Klamotten. Wenn nur die vielen Lang- und Kurzstreckenflüge nicht wären, wäre sie gar nicht mal so schlecht aufgestellt. Neuseeland in diesem jahr hat ziemlich reingehauen. Dann der Flug nach Köln zur Stunksitzung und jetzt im Sommer Andalusien. Aber Andere sind noch viel schlimmer als wir, soviel steht fest. Beträgt mein Abdruck beispielsweise jährlich 2,53 Hektar, so braucht der Durchschnittsdeutsche doppelt soviel. Allerdings habe ich unehrlicherweise das Tierfutter nicht mit eingerechnet, wurde aber auch nicht abgefragt, oder hätte ich es bei Fleischkonsum angeben müssen auch wenn es nur Fleischreste sind. Außerdem bin ich ja nicht die Tiere. Oder doch? Den kompostierbaren Bambusbecher, den ich stets mit mir führe, um an ToGo-Bechern zu sparen, schafft hoffentlich wieder einen kleinen Ausgleich zu anderen Sünden.
Wir könnten dem Obdachlosen unter der Leipziger Straße ein paar Euro geben und fragen, ob wir ihn mit einrechnen dürfen in unserer beider Bilanz und dann durch drei teilen. Der isst zwar nicht Bio, hat aber wenigstens kein Auto, benutzt nur Second Hand und verbraucht wenig Wasser und Strom.

Gequält lachen wir und trinken den letzten Schluck unseres fair gehandelten Kaffees. Danach füttern wir die Hunde und drehen anschließend eine Runde am Kanal entlang. Der Obdachlose liegt nicht an seinem angestammten Platz.

 

 

 

 

 

 

 

Bild: flickr, there´s a bug in my bedroom, der bobbel
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

Schön, schöner, Schöneberg

Auf der Potsdamer Straße befindet sich nicht nur das Katholikenfachgeschäft Ave Maria, welches als Gründungsjahr in einem Schaufenster 1999 angibt, in einem anderen aber behauptet bereits seit 1996 zu existieren (Du sollst nicht lügen).
Inzwischen gibt es dort auch jede Menge Galerien, wie eigentlich überall in Berlin, wo die Gentrifizierung in gewachsene Kieze einkommensschwächerer Mitbürgerinnen hineingrätscht.

Es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis die „wahrscheinlich größte Blockbuster Videothek“ LSD an der Ecke zur Kurfürstenstraße dicht macht, nachdem der benachbarte Straßenstrich bereinigt wurde. Stattdessen wird dort ein Einkaufzentrum mit Nobelboutiquen (stores) entstehen.
Der berühmteste Türsteher der Welt hat hier schon seinen Platz gefunden, die ersten Fritz-Cola und ChariTea-Schuppen gibt es auch schon und Noah Becker soll inzwischen auf der Roten Insel wohnen. Der Anfang vom Ende. 20150608_164239
Auch Schöneberg wird über kurz oder lang überrollt werden von den bärtigen Affen.
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Solange es aber noch so ist, wie es ist, schmuddelig, laut und urban, bin ich gerne hier unterwegs.
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Und wo Särge angeboten werden, gibt es offensichtlich noch Kundschaft dafür.20150608_162914
Hier wird noch mit Bedacht gestorben und sich nicht nur zu Tode gefeiert.

 

Gentrifizierung, die

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Seit Jahren setze ich mich mit den Phänomen der Gentrifizierung und der damit zusammen hängenden Segregation, also der Entmischung eines Wohnquartiers (Kiezes) auseinander. Tagtäglich werden Nachbarn aus ihren Wohnungen verdrängt und langsam dürfte es eng werden am Stadtrand.
Auch an befreundeten Bloggern geht der Kelch nicht vorüber.

Nun legt sich der lange Schatten des Eigenbedarfs (den der inzwischen selbst verdrängte Vermieter an mich weitergeben möchte) auch über mein Zuhause und es fühlt sich genau so schrecklich an, wie ich es mir immer vorgestellt habe.

Da bricht einem der Boden unter den Füßen weg.
Die Scholle auf der man sich seit Ewigkeiten eingenischt hatte.

Das System, das System

Die Alternativen: unbezahlbare Mietwohnungen, oder aber in Ermangelung eigenen Kapitals, Verwandte bitten zu gentrifizieren, andere aus ihrer Wohnung zu verdrängen und diese dann mit einer abenteuerlichen Finanzierung zu erwerben.

Vulgo: selber Arschloch Elch werden. Nicht die letzte in der Nahrungskette sein.
Wahlweise: Wegzug.

Schön ist anders.
(Bitte keine gut gemeinten Ratschläge. Mein Kopf platzt ohnehin schon)

 

 

 

Foto: https://www.flickr.com/photos/seven_resist/5245846229/
seven resist, CC, nicht kommerziell, Weitergabe unter gleichen Bedingungen

Ach, Kreuzberg

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Kreuzberg ist der interessanteste und vielfältigste Bezirk Berlins.
Das haben inzwischen auch andere spitz gekriegt und sich nach und nach ins Paradies eingekauft. Weil sie es sich leisten können.
Eigentlich, so meinte K. neulich, sollte man Sticker drucken lassen. Darauf Jesus, wie er auf dem Esel reitet.
Den kleben wir dann auf die Scheiben der dicken Angeberkutschen, damit sie sich schämen.
Schämen
, lache ich. Dafür müsste man ja erstmal sowas wie ein Schamgefühl haben und wenn sie das hätten, würden sie erst gar nicht mit den Klunkern klimpern und Andere aus ihren Wohnungen verdrängen.

Manche kriegen den Hals gar nicht voll und bewohnen zu zweit ein ganzes Mietshaus. Mitten in der Stadt. Ja, das dürfen die, denn wer das Geld hat hat das Recht, das war schon immer so.
Zwar können sie auch nicht mehr als ein Schnitzel essen, wie ein Kollege von mir immer wieder behauptete, aber sie können dabei viel mehr Schaden anrichten als Menschen mit Durchschnittseinkommen oder sozialem Gewissen.
Inzwischen schwappt der Ungeist des Kapitals mehr und mehr auch über meinen Kiez und verändert sein Gesicht rasant. Es ist wie überall: das, was ihnen gefällt zerstören sie durch ihre Inbesitznahme.
Der Tauchausflug ins empfindliche Korallenriff.
Irgendwann ist alles tot. Wie am Prenzlauer Berg.

Die Grenze verläuft nicht zwischen dir und mir
Sie verläuft zwischen oben und unten

stand jahrelang als ungelenkes Graffiti auf einer Brandmauer am Bethaniendamm. Und tatsächlich ist aus dem einst dahin plätschernden Leben in Kreuzberg eines geworden, das nicht mehr zwischen Ich und Du, sondern zwischen Freund und Feind unterscheidet, zwischen oben und unten. Es gibt jetzt einen Gegner, einen Feind im Inneren, den man an seinen Insignien erkennt und, im Wissen, dass das nichts nützen wird, nach Leibeskräften bekämpft verachtet ablehnt. Immerhin sind wir moralisch im Recht, irgendwie.
Bis auch mein kleines Biotop für seltene Arten zerstört ist und das hässlich-einförmige Gesicht der bereits übernommenen Gebiete übergestülpt bekommt, nutze ich die Galgenfrist um das, was ist zu genießen.
Etwas anderes bleibt ja nicht.

Ach, Kreuzberg.

Vergrämen

image_531401110004504569548(Foto: wallpapers-de.ru)

Vergrämen/

Tauben mit Spikes

Junkies mit klassischer Musik

Flüchtlinge mit Zäunen

Waschbären mit Ultraschall

Marder mit Stromschlägen

Obdachlose mit Anti-Homeless-Architektur

Einheimische durch Geld

Körperfresser und Tinnitus

 

SAMSUNGGentrifizierung!
Will das überhaupt noch jemand hören?
Denkt nicht jeder: ach, die schon wieder! Alles verändert sich. So ist das eben. Und in New York, Frankfurt oder München ist es viel schlimmer, da brauchen wir uns gar nicht aufzuregen.

Tue ich aber. Ich rege mich auf. Nicht spezifisch dieses Mal, sondern allgemein. Und nicht immer, aber wiederkehrend. Es gibt einen Grundton, ein Störgeräusch, das Kreischen des sozialen Tinnitus, das sich in die Melodie meines Lebens eingeschlichen hat und mehr und mehr alle anderen Noten übertönt, so wie ein Presslufthammer das Jubeln einer Klarinette.

Ich rege mich auf, wenn ich die Immobilienangebote von Ziegert Immobilien, Wilkanowski und anderen via Mail geschickt bekomme, und dort „Stuck & Co“ direkt am Görlitzer Park für teuer Geld angeboten wird.  Ja, es ist nichts Neues: mein Kiez wird an die Höchstbietenden verscherbelt, die dann als Erstes eine Standleitung zum Ordnungsamt herstellen und alles, was ihnen zu laut, zu schmutzig, zu Kreuzberg erscheint kaputtdisziplinieren und wegstrafen lassen.
Nach den Verdrängten, den ehemaligen Mietern, die nicht das nötige Kleingeld auf Tasche haben, um ihr Zuhause mit Geldsäcken zu verbarrikadieren, oder die nicht das Glück haben als ehemaliger Triple-Agent mit dem Oberbürgermeister Schampus schlürfen zu dürfen, fragt ja niemand.
Ich ertappe mich immer häufiger dabei, dass ich ganze Straßenzüge in meinem Viertel meide. Schnell durch, nicht nach links und rechts schauen. Es tut so weh.

Die Markthalle beispielsweise betrete ich nicht mehr, seit die Röhrenhosenträger und die bedruckten Stoffbeutelhäschen die Luft mit ihrem verrokokotetem Shabby-Stumpfsinn unatembar gemacht haben. Ich kann sie schlicht nicht sehen, die aufgeblasenen Visagen, in deren Augen sich nichts regt, als das mechanische Rotieren ihrer auf Konsum drehenden Festplatte. Dass ein 750 g Roggenbrot (bio, na und) 4,30 € kostet kommt erschwerend hinzu. Das kann ich mir nicht leisten. Und ich will es auch nicht. Andere kleine Bioläden schaffen es auch, das Kilo Brot gewinnbringend für 3,20 € unter die Leute zu bringen.

Szenig, anspruchsvoll und immer teurer.

Wenn ich an einem Frühlingstag wie diesem das Haus verlasse, treffe ich nur selten noch auf alte Kreuzbergerinnen und Kreuzberger. Menschen, die wie ich vor langer Zeit hierher gezogen sind, weil sie den Kiez mitsamt seiner Einwohnerstruktur genau so mochten wie er war, und nicht wie er sein könnte, wenn man erst mal alle raus gemobbt und den neuen Spielplatz entsprechend seiner Bedürfnisse angepasst hat.
Wie Gitti und Heinz auf Malle.
Wann immer wir uns in den Straßen von Kreuzberg zufällig treffen, freuen wir uns.
T. aus dem Trinkteufel, A. vom Elefanten, M. aus der Madonna, oder T. vom Franziskaner.
Ach, wie schön, dich gibt es noch!
Der zweite oder dritte Satz gilt meist schon der Veränderung unseres Viertels. Wer gekommen ist, wer gehen musste, welche Kneipen und kleinen Läden verschwunden sind, dass Michael Stipe mehrfach gesichtet wurde, was die aktuelle Miete kostet, welche Häuser von Investoren aufgekauft wurden, wo ein neues Dachgeschoss mit Glaskuppel aufgesetzt wird. Welche Wohnwagen, Locations oder Supermärkte den Flammen zum Opfer gefallen sind, und wer davon profitiert.

Ein neues Hotel entsteht an der Westseite des Oranienplatzes. Ein Münchener hat das alte Kaufhaus Maassen gekauft, und möchte dort, für Jeden erschwingliche, Zimmer anbieten. Ab 110 € die Nacht.
So ist das. 110 € werden inzwischen als preiswert erachtet.
Ich könnte mir einen Ausflug in meinen eigenen Stadtteil nicht leisten.

Aber noch wohne ich hier, und fühle mich mehr und mehr an den genialen Science-Fiction-Thriller von 1978 Die Körperfresser kommen mit Donald Sutherland und Jeff Goldblum erinnert, in dem Investoren Invasoren die Bewohner San Franciscos durch seelenlose Duplikate austauschen, während die Originale zu Staub zerfallen und von der Müllabfuhr entsorgt werden.
Nach und nach werden so fast alle Menschen ersetzt. Die Verbliebenen assimilieren so gut sie können, werden aber dennoch von den Ausgetauschten, den Körperfressern entdeckt, die Ihresgleichen mit einem schrillen Signalruf und mit ausgestrecktem Arm auf die unerwünschten Relikte menschlichen Daseins aufmerksam machen.
Die Jagd hat begonnen, und sie wird erst enden, wenn alle Bewohner der Stadt ausgelöscht sind.
Zu weit hergeholt die Assoziation?
Mir egal.
Mein Blog, mein Kiez, mein Schmerz.

 

Schlimmer als ein Erdbeben

English: Postcard, dated 30.5.1908. Title: &qu...

Postkarte, datiert 30.5.1908. Titel: “ Folge des Erdbebens auf der Straße. San Francisco, Cal.“ In Deutsch über die Vorderseite der Karte gekritzelt: „Das ist vom Erdbeben. Es sieht noch immer ganz schlimm hier aus.“ (Photo credit: Wikipedia)

Vor einiger Zeit schickte mir meine Schwester einen Zeitungsausschnitt aus der Frankfurter Rundschau. Dort wurde ein Mann vorgestellt, der in einem Blog die Veränderungen in seiner Stadt dokumentiert. Ich habe den Artikel lange Zeit nicht gelesen, weil ich ahnte, dass er mich deprimieren würde. So war es dann auch. Das Blog, das dieser Mann betreibt heisst
Jeremiah’s Vanishing New York (befindet sich in meiner Blogroll), und ist untertitelt mit: The Book of Lamentations, a bitterly nostalgic look at a city in the process of going extinct.
Der Autor beschreibt mit viel Trauer und Bitterkeit den Prozess der Hypergentrifizierung, wie er es nennt, und sammelt und archiviert jede Scherbe seiner Heimatstadt, die er finden kann.
Wer mein Blog regelmäßig liest, weiß, dass die Gentrifizierung ein zentrales Thema in meinem Leben ist, weil auch ich, so wie viele Berliner, Frankfurter, Leipziger usw., erleben muss, wie die Stadt, die ich liebe, Stück für Stück verkauft, die alteingesessene Bevölkerung verdrängt, und die Vielfalt, die ihr das Gesicht gibt, zerstört wird.
Auf ein weiteres Beispiel für diese Entwicklung hat mich gestern die fabelhafte Mrs. Mop  (natürlich in meiner Blogroll) aufmerksam gemacht, und mich mit Lesestoff und Links versorgt. (Herzlichen Dank!)
Hier geht es um San Francisco und die sogenannten Google-Busse: strahlend weiße, hypermoderne Fahrzeuge mit schwarz getönten Scheiben, die an die Stretch-Limousinen, der mit dicken Goldketten behangenen, Westcoast-Rapper erinnern. Diese voll-klimatisierten und mit WiFi ausgestatteten Busse, fahren morgens verschiedene Haltestellen des öffentlichen Personennahverkehrs der Stadt an, und laden so zehntausende Menschen ein, die sie abends an den selben Haltestellen wieder ausspucken.
Etwa 40 Autominuten von San Francisco entfernt, in Palo Alto im Silicon Valley nämlich, haben sich in den letzten Jahrzehnten mehr und meht Technik- und Internetunternehmen angesiedelt.
Unter anderem Google, Facebook und Apple. Die Mitarbeiter dieser boomenden Unternehmen sind gut bezahlte junge Leute (Techs), die allesamt gerne in der ehemaligen Hippiestadt und sprudelnden Pazifik-Metropole San Francisco leben möchten, und dafür problemlos 3000 US-Dollar Miete und mehr zu zahlen bereit (und in der Lage) sind.
Um nun zwischen ihren Luxus-Behausungen und dem Springquell dieses Wohlstandes, nämlich ihrem Arbeitsplatz, hin- und herpendeln zu können, benutzen sie eben diese, eigens für sie eingesetzten Busse.
Ein Artikel im FAZ-Blog fasst das zusammen.
Die massenhafte Verdrängung der ursprünglichen Bevölkerung, durch die wohlhabenden jungen Techs, führt naturgemäß zu Spannungen, die sich in diesem Fall an der Benutzung der öffentlichen Haltestellen entzünden.
Da muss man nicht nur zuschauen, wie einem die eigenen Stadt unter dem Hntern weggekauft wird, nein, man darf auch noch Zeuge werden, wie milliardenschwere Unternehmen, die aus Steuergeldern finanzierten Haltestellen nutzen, um ihre Arbeitsbienen zurück in den Stock zu befördern.
„Sometimes the tech workers on their buses seem like bees who belong to a great hive, but the hive isn’t civil society or a city; it’s a corporation“
Um die Bienen Techs vor etwaigen Übergriffen der aufgebrachten Bevölkerung zu schützen, werden die Haltestellen inzwischen von privaten Security-Diensten bewacht. Und das ist auch nötig, denn immer größer und wütender wird der Protest der Bevölkerung gegen die Shuttle der Lehensherren aus dem Techniktal. So kann es passieren, dass auch mal ein Stein einen der blitzblanken Luxusbusse trifft, oder eine der Haltestellen blockiert wird.
Die Google-Busse sind zu dem Symbol der Verdrängung in San Francisco geworden.
Der Cartoonist und Pulitzer-Preisträger Mark Fiore hat ein lustiges, kleines Filmchen dazu gefertigt:


Schöner kann man es eigentlich nicht illustrieren.
Ohne 6-stelliges Jahreseinkommen ist das Wohnen in San Francisco inzwischen nicht mehr zu finanzieren, was langfristig dazu führt, dass kein Feuerwehrmann, keine Krankenschwester, kein Handwerker, kein Lehrer und kein Restaurantkellner sich das Leben dort noch leisten kann, was wiederum zur Folge hat, dass Unter- und Mittelschicht vertrieben werden und täglich stundenlang in die Stadt zu ihren Arbeitsplätzen pendeln müssen. Also genau das umgekehrte Pendant zu den Google-Pendlern. Natürlich werden dem einfachen Volk dafür keine kostenlosen weißen Busse zur Verfügung gestellt. Für den Pöbel reichen die kostenpflichtigen, räudigen, orangefarbenen öffentlichen Busse allemal. Außerdem: wer sollte das  Verkehrsnetz der Stadt sonst finanzieren?
In absehbarer Zeit dürfte San Francisco zu einer Art komfortablem Pendler-Schlafstadtghetto für betuchte Techs degenerieren.
Schade drum.

Naiv, zu glauben, das Gleiche könne hierzulande niemals passieren.

Musik zum Text: Scott McKenzie San Francisco

450 € Mieterhöhung

Stop of gentrification in Poznań - graffiti (P...

Stop of gentrification in Poznań – graffiti (Poznań). (Photo credit: Wikipedia)

Das, was zu befürchten war ist eingetreten: Frau Scheffler, der Betreiberin der Wäscherei am Schlesischen Tor, ist eine Mieterhöhung um 30 % ins Haus geflattert.
Statt wie bisher 1500 € Miete, zahlt sie, nach eigenen Angaben, nun 1950 € Miete, was einer Mietsteigerung von exakt 30 % entspricht.
Der neue Vertrag ist auf zwei Jahre befristet, danach kann und wird weiter an der Preisschraube gedreht werden.
So ergeht es den alteingesessenen Gewerbetreibenden im Kiez. Sobald jemand, der mehr Miete zahlen kann als sie, die Hand nach ihrer Lebensgrundlage ausstreckt, wittern die Vermieter ihre Chance und werden gierig.
Im Falle von Frau Scheffler konnte eine Kündigung zwar gerade noch abgewendet werden, nachdem die Bio Company schlechte Presse befürchtete. Genützt hat es ihr allerdings nicht viel, die Blutspur war gelegt, und die 25 % Mietsteigerung kamen trotzdem. Sie wird zu kämpfen haben die knapp 2000 Euro monatlich aufzubringen.
In zwei Jahren spätestens wird sie wohl ganz aufgeben müssen.
Die Bio Company (Wir sind nicht mehr aufzuhalten!) eröffnet demnächst ihre zweite Filiale auf der Skalitzer Straße, gleich neben der Wäscherei von Frau Scheffler. Das dazugehörige Stehcafé kommt nun in einen Anbau im Hinterhof, und nicht in die Räume der Wäscherei.
Bedroht bleibt Frau Scheffler dennoch, und 4 kleine Bioläden dazu.
Andere im Wrangelkiez, so hört man, müssen inzwischen sogar 3500 € Miete für eine Gwerbeeinheit im Souterrain aufbringen.
So geht das.
Wer weiterhin bei der Bio Company, oder anderen Großunternehmen und Ketten einkaufen möchte, möge sich bitte nie wieder über die böse Gentrifizierung und die rasante Veränderung in Kreuzberg und anderswo beschweren.
Weder laut noch im Stillen.

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