Der Lausi. Ein Berliner Diminutiv.

English: Lausitzer Platz in Berlin-Kreuzberg (...

English: Lausitzer Platz in Berlin-Kreuzberg (Germany) (Photo credit: Wikipedia)

Der Berliner ist ein großer Freund des Diminutivs.
Die Verniedlichung des Nahegelegenen und Vertrauten, macht die Verlorenheit, das Getrenntsein in diesem endlosen Häusermeer der bundesdeutschen Hauptstadt erträglicher.
Indem man Orten Kosenamen gibt, schafft man ein Gefühl von Heimat.
Der Kreuzberger steigt am Kotti in die U1 oder U8, kauft seine Drogen im Görli, trinkt Kaffee am Heini und besucht den freitäglichen Biomarkt auf dem Lausi.

Den Lausi(tzer Platz) nutze ich häufig als Passage, wenn ich mit Töle in den Görlitzer Park (Görli) möchte.
Er ist einer der Plätze in Berlin, die ich zwar mag, auf denen ich aber nicht mehr so oft verweile.
Das liegt vor allem an der verheerenden Zunahme von Bio-Muttis mit Kiddies in Luxus-Buggies, und weniger an den Touris und Yuppies, die inzwischen den Kiez auffressen, und gewachsene Strukturen, naja, strapazieren.
Die Ecke zur Eisenbahnstraße ist dabei das Epizentrum des Unbehagens.
Hier gibt es einen Eissalon, der zeitgemäß Bio- und Soja-Eis anbietet (gutes Eis, sehr freundlicher Service, Hunde willkommen) über eine große Südseiten-Terrasse verfügt und als erfolgreiches Lockmittel bunte Tische und Stühle aufgestellt hat. Flankiert wird er von zwei Geschäften mit Kinderzubehör. Eines davon heisst Sönneken. Der Name des anderen ist mir entfallen, lautet aber ähnlich infantil.
Ideale Voraussetzungen für die Keimzelle der Gesellschaft.
Ich habe mir in den letzten Jahren abgewöhnt den Platz auf dieser Seite zu passieren.
Die egomanen, selbst-bespiegelnden Vintage-Eltern sind mir zu anstrengend.
Denn kaum komme ich mit Töle friedfertig um die Ecke geschlendert, zerren sie auch schon angekotzt ihren Nachwuchs beiseite und bedenken uns mit vorwurfsvollen Blicken.
Wie kann ich mit diesem Viech ihren fancy Privat-Kindergarten, hier mitten auf dem Gehweg, durchkreuzen und den vergoldeten Nachwuchs gefährden?
Noch schlimmer sind allerdings jene Väter oder Mütter, die ihre lieben Kleinen ohne Vorwarnung und ungefragt in meinen Hund hinein schubsen, damit sie „Ei!“ beim Wauwau machen können.
„Leander, mach mal `ei` beim Wauwau!“.
Töle wird unwohl, wenn der Windelträger, mit ausgestreckten Armen, torkelnd auf sie zustürzt, an Fell und Ohren zieht, versehentlich mit dem Finger ins Auge sticht und dabei, mit eisverschmierter Schnute, freudig glucksend und aufstampfend
„Eiii – jeiiih-jei!!“ kreischt.

Als an dieser Ecke noch das Café Liebermann seine Türen geöffnet hatte, war die Bevölkerungsstruktur eine andere.
Es gab neben Eltern, Kindern, Touristen, Yuppies und Hipstern, auch Punks, andere Kinderlose, Lesben, Schwule, Handwerker, Arbeiter, Studenten und sogar ältere und alte Menschen, die hier einen Kaffee tranken, sich im Lottoladen trafen, oder im Lampengeschäft Glühbirnen kauften.
(Ja, gähn, die Gentrifizierung halt mal wieder)
Wegen des Kinder- bzw. Elterngartens bin ich auch nur noch selten auf der Ostseite des Platzes unterwegs.
Das ist schade, denn dort gibt es einen sympathischen Trödel-Laden, mit Nachlass-Verkäufen zu fairen Preisen, der von Paula seit vielen Jahren mit viel Liebe betrieben wird. Fast ganzjährig sitzt er vor den überfüllten Räumen seines Ladens, und begrüßt, immer gut gelaunt, die Anwohner.
Ich hoffe, dass er, trotz steigender Mieten, noch lange durchhält.
Ein erwähnenswertes Urgestein ist auch das Café V, ein vegetarisch-veganes Lokal, mit prima Essen. Drinnen ist es mir oft zu düster und draußen sind die Kinder Vintage-Eltern. Aber Take-away geht immer, und das goutiere ich dann, in Gesellschaft von Töle, Tauben und Obdachlosen, vor der wunderschönen Emmaus-Kirche, die dem Lausitzer Platz sein Gesicht gibt und mich immer wieder in zuversichtliche Stimmung versetzt.
Wenn ich den Lausi von Westen betrete, stoße ich an der Ecke auf die Havanna Bar. Zwar kenne ich niemanden, der dort je Cocktails geschlürft hätte, ich selbst habe es bis auf Weiteres nicht vor, aber stören tut sie nun auch nicht. Zu unbedeutend.
Schade nur um den Pink Panther, der hier früher die Punks mit Bier versorgte und ebenso ein Hort des Vollrausches war, wie die legendäre Fallgrube. Beide gibt es nicht mehr.
Heute betrinkt sich die gleiche Klientel in der Rock´n`Roll-Herberge in der Muskauer Straße, die zwar vergleichsweise aufgerüschter daherkommt, mir aber die liebste Kneipe im Block ist.
Auf der Westseite des Platzes befindet sich seit ein paar Jahren eine der allgegenwärtigen Galerien, die ich ebenso meide, wie all die anderen Saubere-Wände-gleich-höhere-Mieten-Etablissements. Daneben ein italienisches Lokal. Toskana-Fraktion. (say no more).  Zur o.k.en Lasagne gibt es anständige Weine mit anspruchsvollen Preisen. Klar.
Auf der Ecke zur Skalitzer Straße komme ich schließlich zum Baraka, einem ägyptischen Lokal, das gutes Couscous anbietet, und dazu keinen Alkohol ausschenkt. Trotz des großen Andrangs an Touristen, sind Qualität und Gastfreundschaft des langjährigen Stammlokales immer noch gut, und die Preise akzeptabel.
Ich sitze gerne da draußen an den Biertischen, schaue auf die Hochbahn oder freue mich an dem Treiben vor dem benachbarten Kiosk (Späti) mit dem Namen „quicky“; – Treffpunkt ortsansässiger Alkoholiker und anderer Desperados, die diskutieren, sich in die Haare kriegen, wieder versöhnen um johlend zum nächsten Trinkspruch anzuheben.
Die blaue Stunde beginnt, und es wird Zeit zu gehen. Töle wartet auf ihre Runde durch den Park. Wir überqueren die Straße und ich drehe mich noch einmal um.
Da liegt er, der liebe Lausi.
Wie schön er aussieht, der Lausi!
Über dem Eingangsportal der Kirche das vertraut schimmernde Glasmosaik:
Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden
Links und rechts der Kirche aufglimmende Gaslaternen.
Ich erinnere mich an ein Kind, das ich eine zeitlang betreute: der Junge verabschiedete sich vom gurgelnd ablaufenden Badewasser und der untergehenden Sonne mit den gleichen Worten, die er auch für mich im Scheiden übrig hatte:
-Ich sag tschüss, wenn du gehst.
Tschüssi, Lausi!

Mein Block

Coat of arms of Kreuzberg, a former Borough of...

Coat of arms of Kreuzberg, a former Borough of Berlin (Photo credit: Wikipedia)

                     

 

Muskauer/ Mariannen/ Waldemar/ Manteuffel

 

Vor Jahren stieß ich im Netz auf eine Reihe von Aufsätzen, in denen Grundschüler der E.-O.-Plauen-Schule über ihre Straße schrieben, und deren Vor- wie Nachteile aufzählten.

Einem türkischen Jungen, zum Beispiel, gefiel nicht, dass die deutschen Nachbarn, die unter ihnen wohnten immer meckerten, und dass die zweite deutsche Familie beim Kochen das Treppenhaus mit üblen Gerüchen verpestete.

Entspannte Zeiten, als hier kaum Deutsche wohnten, im Januar kein einziger Weihnachtsbaum auf dem Gehweg entsorgt wurde und die Kinder im Hof „Anne!“ plärrten, damit aber ihre Mutter, und nicht die kleine Anne-Sophie meinten, deren ernährungsbewusste, grün-wählende Yoga-Eltern das Töchterchen mit der Geländelimousine zum Ballett fahren.

In einem der Aufsätze beklagte ein Mädchen, dass ihre Reinickendorfer Verwandtschaft sie bedauerte im schmuddeligen Kreuzberg leben zu müssen.

Eine andere Schülerin wohnte in der Mariannenstraße und plädierte dafür, den Platz mit dem Feuerwehrbrunnen in Trinkerplatz umzubenennen, weil dort ganzjährig gesoffen wurde, als gäbe es kein Morgen.

Hunde konnten noch frei und ohne Steuermarke im Park herumtoben, den man sich mit grillenden Großfamilien teilte. Denn anstelle der Denunzianten des Ordnungsamtes spazierte noch der KOB durch den Kiez. Der Kontaktbereichsbeamte. Er war für ein festgelegtes Gebiet zuständig, das er über Jahre hinweg zu Fuß durchstreifte. Das machte ihn zu einer Art Dorfpolizisten, der sich für Hunde und Bierflaschen nicht interessierte.

Damals gab es auch noch das Café Anal, in dem es sich angenehm unbehelligt sitzen ließ, und das die Kinder in ihren Aufsätzen als Lesbenbar bezeichneten.


Schwule Mädchen – An jeder Ecke
Schwule Mädchen – In deiner Stadt

Jedes Jahr am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, um Schlag 18 h hebelten die ersten Sturmhaubenträger Pflastersteine aus dem Rondell des Mariannenplatzes.

Die in der Manteuffelstraße geparkten Wasserwerfer, bogen militärparaden-artig, in die Muskauer Straße ein und beschossen die Steinewerfer, die vor der großartigen Kulisse des alten Bethanien-Krankenhauses mit seinen beiden Türmen, im Glast der tiefstehenden Frühlingssonne umher rannten, nun bekränzt von einem Regenbogen, den die Gischt des Wasserwerfers auf sie heruntersprühen ließ. Abende an denen man, in verklärter Revolutionsromantik, ein Kind hätte zeugen, mindestens aber einen Plus-Markt plündern mögen. Der Bolle war bereits 1987 in Flammen aufgegangen. Wie sich später herausstellte zeichneten dafür allerdings nicht die Autonomen verantwortlich, sondern ein Pyromane, dem gerade der Sinn nach ein wenig Zündeln gestanden hatte, und der nicht bemerkt haben wollte, dass in Kreuzberg derweil ein Straßenkampf tobte.

Auf dem staubigen Oranienplatz schrammelte irgendeine Punkband die bedröhnten Kapuzen- oder Dreadlockträger, die zu diesem Anlass aus jedem Winkel hervor gekrochen waren, in die Nacht. Cannabisschwaden wehten durch die laue Frühlingsluft, kaltes Bier lief geschmeidig die Kehle herunter.

Mayday in Berlin-Kreuzberg Oranienplatz

Mayday in Berlin-Kreuzberg Oranienplatz (Photo credit: Wikipedia)

In dem Haus, schräg gegenüber dem meinen, stellte man nach Einbruch der Dunkelheit Boxen auf die Fensterbänke und beschallte die mit Schild und Helm bewehrten Polizisten, die schwer bestiefelt die Straße stürmten, um den am Westende liegenden Mariannenplatz abzuriegeln, mit „I shot the sheriff“. Immer wieder munkelte man, das Gebäude aus der Gründerzeit gehöre dem, kürzlich verstorbenen, Nazi Gerhard Frey, der die leerstehenden Räume für klandestine Kameradentreffen genutzt habe. Und das zu Zeiten, als es noch eine Kiez-Miliz gab, die mit Rechten ebenso beherzt aufräumte, wie mit dicken Kutschen oder Edel-Schuppen.

Kein Kiez für Nazis - 13

Kein Kiez für Nazis – 13 (Photo credit: Björn Kietzmann)

Im gleichen Haus wohnte auch Heiner Müller, dessen Volvo an einem Revolutionären 1. Mai, vor seiner Türe, in Flammen aufging. Die Brandmale im Teer waren noch vor wenigen Jahren zu sehen, wenn sie denn wirklich von Müllers Volvo und nicht von einer schmelzenden BSR-Tonne stammten.

Auch die legendäre „Fallgrube“ war dort interimsmäßig untergebracht. Sie ist ebenso Geschichte, wie das Pink Panther am Lausitzer Platz. Mit den ewig klammen Punks ließ sich eben nicht soviel Geld verdienen, wie mit der Jeunesse dorée, die heute den Kiez überschwemmt und sich in der Long March Canteen zum Shanghai-Feeling trifft.

Auch der beste Friseurladen, die Haarschlächterei, konnte mit seinen Kunden und dem abendlichen Saufen gegen Rechts im kleinen Kreise nicht überleben.

Ja früher, da zog auch noch die Straßengang 36 Boys durch den Kiez. Tim Raue war einer von ihnen.

Heute ist der 2-Sterne-Koch in der Rudi-Dutschke-Straße ansässig.

Heute schaut man zu, wie jede Baulücke mit Luxuseigentum versiegelt wird, und die verbliebenen Wagenburgen als folkloristischer Anachronismus erscheinen. Von Touristenhorden bestaunt, wie ein unbekannter Stamm im Urwald Papua Neuguineas.
Viel ist nicht mehr geblieben von dem alten Kreuzberg, in dem man vorbei fahrende Touristenbusse mit Eiern bewarf, ahnend, dass die Entdeckung des Viertels durch Marco-Polo-Reisende, zugleich auch dessen Ende bedeuten würde.
Aber es rührt sich Widerstand. Und dieser Widerstand wächst. Denn inzwischen trifft die Gentrifizierung nicht allein alternative Projekte, oder die türkische Familie, die nach über 30 Jahren aus ihrer Wohnung verdrängt wird. Zwangsräumungen gehören längst zum Alltag in Berlin Kreuzberg.

Wenn allerdings sogar Schulen und historische Denkmäler Luxuslofts weichen müssen, ist das Maß mehr als voll.
Wer jetzt noch glaubt, dass der Fürst sich in irgend einer Weise um das Fußvolk kümmern, oder gar den Bürgerwillen umsetzen wird, der glaubt auch noch an die jungfräuliche Empfängnis.