Der Berliner ist ein großer Freund des Diminutivs.
Die Verniedlichung des Nahegelegenen und Vertrauten, macht die Verlorenheit, das Getrenntsein in diesem endlosen Häusermeer der bundesdeutschen Hauptstadt erträglicher.
Indem man Orten Kosenamen gibt, schafft man ein Gefühl von Heimat.
Der Kreuzberger steigt am Kotti in die U1 oder U8, kauft seine Drogen im Görli, trinkt Kaffee am Heini und besucht den freitäglichen Biomarkt auf dem Lausi.
Den Lausi(tzer Platz) nutze ich häufig als Passage, wenn ich mit Töle in den Görlitzer Park (Görli) möchte.
Er ist einer der Plätze in Berlin, die ich zwar mag, auf denen ich aber nicht mehr so oft verweile.
Das liegt vor allem an der verheerenden Zunahme von Bio-Muttis mit Kiddies in Luxus-Buggies, und weniger an den Touris und Yuppies, die inzwischen den Kiez auffressen, und gewachsene Strukturen, naja, strapazieren.
Die Ecke zur Eisenbahnstraße ist dabei das Epizentrum des Unbehagens.
Hier gibt es einen Eissalon, der zeitgemäß Bio- und Soja-Eis anbietet (gutes Eis, sehr freundlicher Service, Hunde willkommen) über eine große Südseiten-Terrasse verfügt und als erfolgreiches Lockmittel bunte Tische und Stühle aufgestellt hat. Flankiert wird er von zwei Geschäften mit Kinderzubehör. Eines davon heisst Sönneken. Der Name des anderen ist mir entfallen, lautet aber ähnlich infantil.
Ideale Voraussetzungen für die Keimzelle der Gesellschaft.
Ich habe mir in den letzten Jahren abgewöhnt den Platz auf dieser Seite zu passieren.
Die egomanen, selbst-bespiegelnden Vintage-Eltern sind mir zu anstrengend.
Denn kaum komme ich mit Töle friedfertig um die Ecke geschlendert, zerren sie auch schon angekotzt ihren Nachwuchs beiseite und bedenken uns mit vorwurfsvollen Blicken.
Wie kann ich mit diesem Viech ihren fancy Privat-Kindergarten, hier mitten auf dem Gehweg, durchkreuzen und den vergoldeten Nachwuchs gefährden?
Noch schlimmer sind allerdings jene Väter oder Mütter, die ihre lieben Kleinen ohne Vorwarnung und ungefragt in meinen Hund hinein schubsen, damit sie „Ei!“ beim Wauwau machen können.
„Leander, mach mal `ei` beim Wauwau!“.
Töle wird unwohl, wenn der Windelträger, mit ausgestreckten Armen, torkelnd auf sie zustürzt, an Fell und Ohren zieht, versehentlich mit dem Finger ins Auge sticht und dabei, mit eisverschmierter Schnute, freudig glucksend und aufstampfend
„Eiii – jeiiih-jei!!“ kreischt.
Als an dieser Ecke noch das Café Liebermann seine Türen geöffnet hatte, war die Bevölkerungsstruktur eine andere.
Es gab neben Eltern, Kindern, Touristen, Yuppies und Hipstern, auch Punks, andere Kinderlose, Lesben, Schwule, Handwerker, Arbeiter, Studenten und sogar ältere und alte Menschen, die hier einen Kaffee tranken, sich im Lottoladen trafen, oder im Lampengeschäft Glühbirnen kauften.
(Ja, gähn, die Gentrifizierung halt mal wieder)
Wegen des Kinder- bzw. Elterngartens bin ich auch nur noch selten auf der Ostseite des Platzes unterwegs.
Das ist schade, denn dort gibt es einen sympathischen Trödel-Laden, mit Nachlass-Verkäufen zu fairen Preisen, der von Paula seit vielen Jahren mit viel Liebe betrieben wird. Fast ganzjährig sitzt er vor den überfüllten Räumen seines Ladens, und begrüßt, immer gut gelaunt, die Anwohner.
Ich hoffe, dass er, trotz steigender Mieten, noch lange durchhält.
Ein erwähnenswertes Urgestein ist auch das Café V, ein vegetarisch-veganes Lokal, mit prima Essen. Drinnen ist es mir oft zu düster und draußen sind die Kinder Vintage-Eltern. Aber Take-away geht immer, und das goutiere ich dann, in Gesellschaft von Töle, Tauben und Obdachlosen, vor der wunderschönen Emmaus-Kirche, die dem Lausitzer Platz sein Gesicht gibt und mich immer wieder in zuversichtliche Stimmung versetzt.
Wenn ich den Lausi von Westen betrete, stoße ich an der Ecke auf die Havanna Bar. Zwar kenne ich niemanden, der dort je Cocktails geschlürft hätte, ich selbst habe es bis auf Weiteres nicht vor, aber stören tut sie nun auch nicht. Zu unbedeutend.
Schade nur um den Pink Panther, der hier früher die Punks mit Bier versorgte und ebenso ein Hort des Vollrausches war, wie die legendäre Fallgrube. Beide gibt es nicht mehr.
Heute betrinkt sich die gleiche Klientel in der Rock´n`Roll-Herberge in der Muskauer Straße, die zwar vergleichsweise aufgerüschter daherkommt, mir aber die liebste Kneipe im Block ist.
Auf der Westseite des Platzes befindet sich seit ein paar Jahren eine der allgegenwärtigen Galerien, die ich ebenso meide, wie all die anderen Saubere-Wände-gleich-höhere-Mieten-Etablissements. Daneben ein italienisches Lokal. Toskana-Fraktion. (say no more). Zur o.k.en Lasagne gibt es anständige Weine mit anspruchsvollen Preisen. Klar.
Auf der Ecke zur Skalitzer Straße komme ich schließlich zum Baraka, einem ägyptischen Lokal, das gutes Couscous anbietet, und dazu keinen Alkohol ausschenkt. Trotz des großen Andrangs an Touristen, sind Qualität und Gastfreundschaft des langjährigen Stammlokales immer noch gut, und die Preise akzeptabel.
Ich sitze gerne da draußen an den Biertischen, schaue auf die Hochbahn oder freue mich an dem Treiben vor dem benachbarten Kiosk (Späti) mit dem Namen „quicky“; – Treffpunkt ortsansässiger Alkoholiker und anderer Desperados, die diskutieren, sich in die Haare kriegen, wieder versöhnen um johlend zum nächsten Trinkspruch anzuheben.
Die blaue Stunde beginnt, und es wird Zeit zu gehen. Töle wartet auf ihre Runde durch den Park. Wir überqueren die Straße und ich drehe mich noch einmal um.
Da liegt er, der liebe Lausi.
Wie schön er aussieht, der Lausi!
Über dem Eingangsportal der Kirche das vertraut schimmernde Glasmosaik:
Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden
Links und rechts der Kirche aufglimmende Gaslaternen.
Ich erinnere mich an ein Kind, das ich eine zeitlang betreute: der Junge verabschiedete sich vom gurgelnd ablaufenden Badewasser und der untergehenden Sonne mit den gleichen Worten, die er auch für mich im Scheiden übrig hatte:
-Ich sag tschüss, wenn du gehst.
Tschüssi, Lausi!